Schluss mit den guten alten Zeiten

Medien Der Streaminganbieter Disney+ kennzeichnet nun rassistische Inhalte. Ist das der Siegeszug der Cancel Culture?
Ausgabe 44/2020
Niedlich, aber rassistisch: „Dumbo“
Niedlich, aber rassistisch: „Dumbo“

Foto: Everett Collection/Imago Images

„Jetzt wollen uns die Libtards auch noch unsere Disney-Filme nehmen!“ So oder so ähnlich darf man sich die Empörung mancher Rechtsausleger vorstellen angesichts der Entscheidung der Walt Disney Company, ihre Filme auf dem hauseigenen Streaming-Kanal Disney+ zukünftig zu kennzeichnen, wenn diese rassistische, beleidigende Inhalte aufweisen. Spoiler-Alarm: Das ist nicht selten der Fall! Und man muss kein Libtard sein – es handelt sich hier um die amerikanische Entsprechung des „Grünlinksversifften“ –, um die Disney-Entscheidung zu begrüßen.

Disney blendet aber nicht nur eine Warnung vor schädlichen Inhalten ein: Es erkennt auch an, dass diese Inhalte nicht nur heute problematisch sind, sondern es auch vor Jahrzehnten waren. Eine Absage also an das „War-damals-so“. Nein, Rassismus störte nur schlicht die gute Unterhaltung weißer Zuschauer nicht unbedingt.

Disney entkräftet so die Vorstellung, heute sei man schlicht „überempfindlich“ oder folge einem Klima der Politicial Correctness. Denn viele Inhalte sind tatsächlich empörend. Am deutlichsten zeigt es sich das wohl im Film Dumbo, in dem eine Gruppe von schwarzen Arbeitern beim nächtlichen Aufbau des Zirkuszeltes einen Song singt. Der erinnert nicht zufällig an die „Field Hollers“ der Sklaven auf den Baumwollfeldern. Die Männer arbeiten Tag und Nacht, können weder schreiben noch lesen, aber auf dieses Bekenntnis folgt die Zeile „We’re happy-hearted roustabouts“, fröhliche Handlanger. Die Männer ergeben sich, so wird es insinuiert, beschwingt Master oder Ma’am, akzeptieren ihr Schicksal und (Lohn-)Sklaverei ist auch nur selbst verschuldete Unmündigkeit. In Pidgin-Englisch skandieren sie, dass Eier und Speck genug Wiedergutmachung für einen schmerzenden Rücken sind.

Die Text-Bild-Schere im Song verschärft die beleidigende Wirkung, denn während die Männer ihr Schicksal einmütig hinnehmen, sieht der Zuschauer Elefanten, die schuften. Ihnen gilt das Mitleid. In der letzten Zeile des Songs folgt der Einwurf „Grab that rope, you hairy ape!“. Natürlich sieht man keinen Affen im Bild. Dafür aber die Arbeiter, die gebeugt und mit krummen Beinen im Nebel auftauchen.

Wer meint, solche Inhalte würden nur aus überbordender politischer Korrektheit gekennzeichnet, kann vermutlich auch keinen strukturellen Rassismus in den Polizeibehörden erkennen.

Wenn man nun Empörung über die Einblendung einer Warnung sieht, dann kommt sie vor allem von Menschen der Generation um die 40+, die mit den Filmen aufgewachsen ist und den lieb gewonnenen Inhalt nicht nachträglich beschädigt sehen will. Auch deswegen ist der Schritt von Disney klug: Die Filme werden nicht aus dem Verkehr gezogen. Schlimmstenfalls hätten Filmfans die Originalversionen der Filme rasch gekauft, um ihr geliebtes Original unkommentiert schauen zu können.

Und was ist mit dem Einwand, dass das Betrachten der Filme „uns“ (wer ist dieses Uns?) ja auch nicht zu Rassisten gemacht habe? Man hofft es ja! Aber vielleicht geht es einmal nicht darum, was so ein Film bei Weißen bewirkt. Die Adressatin, so darf man meinen, ist weniger die weiße Mehrheitsgesellschaft als ein zeitgenössisches Publikum, zu dem auch schwarze Familien gehören. Was sie wohl angesichts der „happy-hearted roustabouts“ empfinden?

Und wie reagieren Kinder? Die sind doch sowieso viel weiter. Wir vergessen gerne, dass Kinder in einem völlig anderen politischen Klima aufwachsen als wir, „damals“; sie reagieren viel selbstverständlicher sensibel auf Rassismen. Das gilt für Kinder und für Teenager. Und die nervt das Geschwafel von den „guten alten Zeiten“ doch ohnehin.

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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