Vielleicht haben Sie’s noch nicht mitbekommen, aber der Feminismus ist eigentlich an allem schuld. Ja, wirklich. Die Welt war mal so schön und übersichtlich, und irgendwie ist sie jetzt… naja, es ist kompliziert, wie man so schön sagt. Und es ist ja klar, wer dafür verantwortlich ist. Wer auch immer mal auf die Idee gekommen sein mag, dass Feminismus und Gleichberechtigung irgendwie Vorteile für die Weltbevölkerung haben könnten, der muss schon einen tüchtigen Schaden gehabt haben. Haushohe Scheidungsraten und Schlüsselkinder mit eingefallenen Wangenknochen, weil ihnen niemand das Mittagessen kocht… das haben wir nun davon! Und das Schlimmste: Der Feminismus hat das Verhältnis zwischen Männern und Frauen für immer zerstört. Es ist ja so: Beziehungen vertragen doch gar keine Gleichheit. Wenn immer beide etwas zu sagen haben wollen, dann kracht es eben in einer Tour. Und dann erst die Sache mit der Erotik! Erotik kann ja nur glücken, wenn einer bereit ist, sich auf den Rücken zu legen.
An dieser Stelle nun muss ich den Ironie-Modus ausschalten und ein wenig ernst werden. Gut, ich habe in der Vergangenheit ab und zu Texte geschrieben, in denen ich den ein oder anderen Seitenhieb auf manche feministische Einsichten loswurde. Nicht, weil ich eine Antifeministin wäre. Ich bin ja quasi die feministische Vorzeigefrau! (War das jetzt Ironie? Keine Ahnung.) Ich hätte Emanzipation mit der Muttermilch aufgesaugt, hätte meine Mutter mich denn gestillt anstatt mich dem herzlosen DDR-Erziehungssystem auszusetzen (hat’s mir geschadet?!). Nein, ich reibe mich bisweilen an dem Feminismus (jaja, den Feminismen!), weil es mir darin manchmal an Liberalismus im positiven Wortsinne mangelt, an ein bisschen laissez faire.
Ekel hat mich allerdings nie getrieben. Ich bin da ganz und gar frei von Ekel. Der überkommt mich tatsächlich nur angesichts von Herren und Damen, die ganz unverhohlen die gute alte Zeit heraufbeschwören wollen, in denen Mutti in Küchenschürze und Pumps backt und kocht und auch ansonsten sehr servil ist. Klar, ich könnte da liberaler sein. Wo bleibt da mein laissez faire? Nun gut, auch ich habe meine Grenzen, vor allem wenn es um Familienbilder à la AfD geht, da will ich die Grenzen sehr dicht machen, da verstehe ich keinen Spaß.
Feuilleton und Feminismus
In der Zeit stritten in den letzten Wochen Sabine Rückert und Mariam Lau darüber, wer von beiden nun das fortschrittlichere oder furchtbarere Frauenbild habe. Bei allem Zwist in der Sache waren sich aber beide einig, dass der Feminismus ziemlich viel kaputt gemacht habe. Und zwar weil er Frauen zu einer Art Turbo-Autonomiestreben verführt habe, das sie letztlich nur in trauriger Einsamkeit enden lasse. Zudem gebe der Feminismus im Grunde immer den Männern die Schuld an allem, so Sabine Rückert, die verzweifelt feststellt: „Ich suche in den feministischen Debatten inzwischen die Antwort auf die Frage: Woran bin ich eigentlich noch selbst schuld?“ Hm… daran, dem Feminismus die Schuld zu geben?
Ist diese Schuldfrage nicht eigentlich eine reine Feuilleton-Spaß-Inszenierung, ein typisches Beispiel für den endlosen Prozess der Verhandlung über das richtige Frauenleben mit oder ohne Kind, mit oder ohne Partner, mit oder ohne Karriere? Muss man da nicht herzhaft lachen, wenn sich beide Autorinnen vom Feminismus und seiner Bevormundung abgrenzen und beide gleichermaßen Texte schreiben, in denen sie jungen Frauen einen Rat - oder besser: eine Lektion - erteilen wollen? Seit Jahren nun debattieren wir (auch ich bekenne mich schuldig), ob der Feminismus alles richtig gemacht habe oder nicht, ob nun der West- oder Ost- oder Neo- oder Netzfeminismus die richtigen Fragen stelle oder gute Antworten gebe?
Schon vor zwei Jahren stellte Mariam Lau anlässlich des Weltfrauentages die Frage "Was will das Weib?" und gab Antwort, dass der Feminismus es jedenfalls nicht wisse. Nun gut, könnte man sagen, solange jede Frau es für sich selbst weiß, ist doch schon einmal allen Frauen geholfen! Wirklich schade ist dabei eher, dass eine kluge Frau wie Frau Lau glaubt, es sei ausgerechnet der Feminismus, der den Frauen den Mut nehme, Beziehungen einzugehen oder gar Kinder zu haben. Wenn man mich nun fragt, warum ich ein Kind habe und nicht etwa fünf, dann käme mir nicht unbedingt in den Sinn, dem Feminismus die Schuld zu geben. Übrigens auch nicht den Männern. Mir käme eher die Länge einen durchschnittlichen Arbeitstages oder der Gedanke an meinen Rentenbescheid in den Sinn.
Wo waren wir? Ja, also der Feminismus ist schuld. Die Behauptung lautet ungefähr so: Frauen wollen dank feministischer Erzeihung autonom sein und sich nicht länger in Beziehungen verlieren. Gleichzeitig aber verspüren sie eine tiefe Sehnsucht eben danach, die natürlich von Hollywoodromanzen gefördert wird. Folglich fühlen sie sich zerrissen, unglücklich, scheitern irgendwo zwischen gewünschter Realität (= Autonomie) und idealisierter Vorstellung von romantischer Liebe (= Hollywoodklischees). Am Ende sind sie einfach nur fertig.
In Mariam Laus Text taucht die Serie Girls als Schreckbild auf, weil die Mädels in der Serie irgendwie gar keine ernsthaften Beziehungen mehr eingehen können. Girls wird gerne als die Serie der Frauen meiner Generation betrachtet. Ich kenne gar kein Girl meines Alters, das Girls mag. Ich auch nicht, was vor allem daran liegt, dass diese bemitleidenswerten Girls ständig schlechten Sex haben. Girls, das als die ehrlichere und realistischere Alternative zu Sex and the City gilt, zeigt in Wahrheit Frauen, die permanent frustrierende sexuelle Erfahrungen machen. Vor allem weil sie selbst ziemlich unfähig sind. Und hier müssen wir doch einmal den Feminismus loben: Schließlich stellte er einst die Frage nach dem weiblichen Orgasmus. Und gab die passenden Antworten. Der Feminismus mag also an vielem schuld sein, an schlechtem Sex aber wohl nicht. Gott sei Dank. Haben wir doch noch etwas gefunden, an dem wir selbst schuld sind!
Kommentare 14
Der Feminismus ist nicht an schlechtem Sex Schuld.Da verweise ich auf Erica Jong und ihre Bücher.Einige Bestrebungen und Rechthabereien im Feminismus,meiner Meinung nach,haben aber dafür gesorgt,daß frühere männliche Unarten feministisch daherkamen,es aber nicht waren.Jetzt gibt es sicher Schelte.
"Seit Jahren nun debattieren wir (auch ich bekenne mich schuldig), ob der Feminismus alles richtig gemacht habe oder nicht (...)"
Echt? Wenn allerdings frustrierte Frauen, gescheiterte Ehen und Kindermangel als Ursachen beim Feminismus verortet werden, dann muss man wohl schon einiges eingeworfen haben oder vielleicht AFD/CSU-Wähler sein.
Ansonsten wäre es angebracht den Fokus auf die Ursachen zu werfen, die tatsächlich den Feminismus berechtigen, nämlich die Strukturen der ökonomisierten Gesellschaft.
Da fehlt es allerdings noch an einer Männerbewegung (nicht wegen der Gleichberechtigung!), sondern einfach aufgrund der banalen Erkenntnis, wie blöde das ganze Getriebe doch ist, was als Erfolg und Wert so „verkauft“ wird und das alles für ein paar Jahre Lebenszeit.
Inhaltlich bewegt sich übrigens der Kontext im Milieu ausgetretener (geformter) männlicher Klischees, denen sich Frauen einfach nicht mehr stellen sollten. Aber vielleicht will die Autorin genau daraufhin sensibilisieren.
Witzig übrigens: "Erotik kann ja nur glücken, wenn einer bereit ist, sich auf den Rücken zu legen."
Interessanter fände ich mal einen Streit zwischen dem Feminismus, der noch eine Kapitalismuskritik mit sich führt, und den Strömungen, die diese zugunsten von schichtspezifischem Empowerment ausblenden. Bei manchen Online-Plattformen und populären Repräsentanten drängt sich der Eindruck auf, dass es sich um Karrierenetzwerke handelt, auf denen ein Feminismus der Mittelschicht verhandelt wird. Der darf vieles sein und treiben, vor allem Popkultur, aber keinesfalls schmutzig werden. Hier würde für mich die Frage nach der Schuld des Feminismus erst interessant werden.
Diese unzähligen Schlachtfelder, auf denen aus Chauvinismus heraus diskreditiert wird oder sich jeder seinen eigenen (selten theoretisch reflektierten) Feminismus bäckt, so wie Tante Emily eben Erdbeerkuchen, sehe ich eher als Trash-Talk. So wie damals die Aufregung um Ronja von Rönne. Interessant wird es mir erst dann, wenn wir mit und durch dieses Denken auch Herrschaftsstrukturen reflektieren und verhandeln. Sie tangieren das kurz mit Arbeitstaglänge und Rentenbescheid. Ich denke dabei an so Beispiele, dass im Bürogebäude meines Arbeitsplatzes nur Frauen mit Migrationshintergrund putzen. Ob da welche von einen Doktortitel haben könnten, wie die überhaupt leben, das habe ich noch nie in einem Artikel der letzten Jahre problematisiert, seltenst touchiert gefunden. Feministisches Denken ist mir heute nur allzu oft zur Pose und Laune erstarrt. Als Befreiungstheorie scheint er mir eher überwunden. Auch Lauren Penny ist hier ein interessantes Phänomen, ihre popkulturelle Vereinnahmung, die seichte Gegenwehr, als wäre das am Ende doch der Traum des Feminimus 2.0. Feministische SciFi schreiben und als Celebrity in Berlin leben.
Und anscheinend gibt es da kaum ein tieferes Unbehagen. In den Metropolen scheint sich der Feminismus sehr mit sich wohl zu fühlen. Er wird nicht mehr unter der Ladentheke, sondern schick im Bahnhofsbuchhandel verkauft und es scheint vielen Männern und Frauen Spaß zu machen, über ihn zu schreiben. Weniger mit ihm zu arbeiten und durch ihn die Gesellschaft verändern zu wollen. Heraus kommen dabei sehr skurrile Phantasien. Ausnahmslos interessiert sich für Rassismus, aber nicht für Kapitalismus. Eine Armlänge Abstand. Oder auch Inszenierungen von Schuld & Sühne. Ich frage mich manchmal, ob viele den Feminismus darum nicht mehr ernst nehmen, weil er sich selbst nicht mehr ernst nimmt bzw. zwischen einer Gewerkschaftsformation einerseits und einem Lifestyle-Phänomen andererseits erstarrt ist. Ich verfolge einige Netzfeministinnen auf Twitter und finde deren Selbstdarstellung dort schon ziemlich bezeichnend. Wofür sich diese Frauen interessieren. Und mehr noch, wofür nicht.
Da haben Sie den Finger tatsächlich in die Wunde gelegt! Tatsächlich fehlt die Ebene des Ökonomischen in den feministischen Debatten weitestgehend. Es gibt sie auch. Aber sie wird nicht annähernd so ausführlich diskutiert wie beispielsweise das Thema Körperbilder. Vielleicht muss man einfach zugeben, dass die feministischen Strömungen auch deshalb diesbezüglich untrebelichtet sind, weil der Background derjenigen, die das ganze professionell betreiben, eben meist auch ein geisteswissenschaftlicher Hintergrund ist. Zudem lassen sich öknomische Debatten einfach nicht Instagram-tauglich inszenieren.
Vielleicht ist der Feminismus in eine Art Sackgasse geraten, weil seine Protagonistinnen eben sehr gleich - sehr weiß, sehr Mittelschicht - zu ähnlich sind und bestimmte gesellschaftliche und ökonomische Realitäten nicht ins Auge fassen.
Ich verstehe zum Bsp bis heute nicht, warum es eim Elterngeld keinen Aufschrei gab. Es ist für mich eines der krassesten Beispiele der Benachteiligung von Frauen der unteren gesellschaftlichen Schichten. Das Elterngeld zeigt, dass eine "frauenpolitische" Maßnahme keineswegs gleichermaßen positiv für alle Frauen wirkt, sogar extreme Nachteile für eine große Gruppe von Frauen bringen kann, die aber keine Lobby haben, weil die Frauen, die für die Politikteile der Zeitungen schreiben, jener Schicht angehören, die vom Elterngeld profitiert. Und das ist nur ein Beispiel.
Umgekehrt muss man in den Blick nehmen, dass ein großer Teil von Frauen sich auch ganz einfach nciht für Debatten um Achselhaar und Menstruationsblut, wie wir sie im Instagram-Feminismus finden (ich überspitze mal), einfach nciht interessieren. Diese Frauen erleben den Feminismus - oder die Feminismen - einfach als irrelevant.
Falls denn Feminismus eine Glaubenssache gewesen sein sollte, kann auch ruhig mal die "Schuldfrage" gestellt werden... ;-)
(Gern gelesen!)
The next Generation:
https://www.freitag.de/autoren/meyko/kindermund-frauen-tun-immer-nur-so
Vielen Dank an Filou und Marlen für die sehr schönen, kritischen Beiträge.
Gegen Ende der 1910er Jahre, auf dem politisch wirksamen Höhepunkt angekommen, rief der BDF (Bund deutscher Frauenvereine) immer mehr Hausfrauenvereine zur Mitgliedschaft auf und politischere und radikalere Gruppierungen bzw. Personen gingen aus diesem Verbund. Die Stoßrichtung des BDF veränderte sich entsprechend. Mit der Einführung des Frauenwahlrechts wurde zudem deutlich, dass die meisten Frauen stark allgemein politisch agierten, statt sich den Parteien zuzuwenden, die dezidiert eine Frauenagenda im Programm hatten.
Und so ist es heute wieder eindeutig sichtbar, dass es nicht DEN Feminismus gibt, sondern Strömungen. Da mit der Neoliberalisierung insgesamt eine eher Gering- bis Entsolidarisierung stattgefunden hat, verwundert mich der geringe Aufschrei bei der Einführung des Elterngeldes nicht, obwohl auch ich damals mächtig enttäuscht war. Die Frau ist und bleibt in erster Linie Mensch, nimmt sich eventuell viel eher so wahr, und vertritt ihre Gesamtinteressen und nicht nur die weiblichen und die der anderen weiblichen Personen der Bevölkerung.
Bei der Einführung des Elterngeldes war ich aber auch über die Slogans von selbsternannten Feministen verärgert - das Abtun der Kindererziehung als Herdprämie fand ich mehr als geschmacklos und reihte sich nahtlos in das neoliberale Diktat - alle für den Arbeitsmarkt, dass dieser überquillt für geringere Lohnaussichten - ein. Für mich ist der Feminismus heute deshalb kaum relevant, weil solche beleidigenden, andere Lebenswelten und -anschauungen diffamierenden Äußerungen von einigen, die besonders laut- und verbalstark sind, kein vertretbarer Ansatz darstellt. Die internen Debatten um solche Anschauungen sind entweder zu gering und deshalb nicht wahrnehmbar oder werden medial unzureichend weitergeleitet.
Meiner Meinung nach braucht es heute eh keinen Feminismus mehr, sondern Menschismus. Alle Teile der Gesellschaft müssten, um adäquate Lösungsansatze vertretbar zu machen, in den Blickpunkt rücken und nicht unnötige Scheinantagonismen (Mann versus Frau) hergestellt werden, die nur neue Ungleichheiten und Kämpfe nach sich ziehen. Für mich wäre also ein Feminismus akzeptabel, der von Frauen mit Selbstreflektion ihres Geschlechts in der Gesellschaft, die unterschiedlichsten Gruppenebenen auf den Feldern betrachten und daheraus Konzepte entwickeln, bzw. zunächst die Schwachstellen offen legen.
In den vergangenen Jahrzehnten war der geisteswissenschaftliche Hintergrund aber doch gerade die "Superkraft", mit der Theorie und Praxis vermittelt wurden, der Feminismus sich als eine nicht mehr hintergehbare Reflexionsperspektive etablierte. Butler & Co. Ich habe ein Problem, wenn ich Margarete Stokowskis Missy Artikel über "Meine Wampe gehört mir" mit den Frauen übereinzubringen suche, bei denen ich studiert habe. Und Stokowski ist Geisteswissenschaftlerin. Nun möchte ich nicht bestreiten, dass dieser Gefälligkeits-Feminismus nicht seine Berechtigung hat. Auf meiner Arbeit gibt es einen schönen dunklen Weg zur U-Bahn, der Arbeitgeber sponsert das Mitnehmen von KollegInnen nach den Spätschichten zur Bahnstation. Das ist wichtig, anscheinend auch keine noch zu erstürmende Festung. Aber mir erwächst da heute eine Maginot-Linie, so als wäre Frau ein fragiles Wesen, immer noch und wieder das arme, schutzlose Lamm und Diskursadressat dann die chauvinistische Horde (woraus immer die ansonsten besteht) und nicht das System und seine Strukturen.
Sie führen das hier mit der Elterngeld-Problematik ja aus, dass dem Feminismus eine systemische und solidarische Wirkungsmacht eignet, wenn er sie denn kritisch und politisch auch so wahrnehmen will. Man muss genau differenzieren, zwischen dem Mut einer Lann Hornscheidt, die unsäglichen Hass auf sich zieht, aber diesen gleichzeitig immer wieder in den Diskurs einschreibt und reflexiv theoretisiert. Die sich also als Person versucht herauszunehmen, eben im Unterschied zu einem Feminismus, in dem sich Personen theoretisch drapieren und vermarkten (meist für die Medien und PR). Bei letzterem werden dann nämlich auch Schnitte vollzogen, man sortiert und portioniert sich, geht mit den Erwartungen des Marktes konform und macht sich (und seinen Feminismus) konsumierbar. Feminismus als Kolumnismus funktioniert so.
Und hier wird dann eben auch der Chauvinismus in Stellung gebracht. Aufschrei, Ausnahmslos arbeiten mit Männerbildern als Drohkulisse, die ich für fragwürdig halte und in jedem Fall für theoretisch unterreflektiert. Der Netzfeminismus hat sich einen willfährigen und wohlfeilen Watschenmann-Chauvinismus zum Gegner erwählt. Dieser produziert (täglich) unendlichen Stoff, und damit Vorlagen, ihn dann wiederum medial aufzubereiten. Diese Kommunikation läuft aber fortwährend leer und lässt die auf systemische Konfrontation abzielenden Themen außen vor. Sehr oft kneift der populäre Feminismus, wenn es um heikle Themen geht. Verteilungsfragen, Solidarität mit den Prekarisierten, Frauen, die sich den Konservatismus, Romantizismus oder die Religiösität zum Lebensglück erwählen.
Keine Repräsentantin des Netzfeminismus hat z.B. versucht, ihre mediale Vermarktung zu konterkarieren, die Chance bei Jauch & Co genutzt, um die mediale Blödmaschinerie und deren Anti-Gender-Agenda zu entlarven. Eine Maschinerie, die unablässig billige Stereotype reproduziert, egal zu welchem Thema und gleichzeitig den ihr gefährlich werdenden Feminismus nicht zur Kenntnis nimmt. Überhaupt werden die Medien gar nicht analysiert und kritisiert, sondern man steigt auf und ein wie auf ein Schiff, das einen schon zum Ziel bringen wird, wenn man nur selbst mit an Board ist. Ein Anleitungs- und Beratungsbuch zum Thema macht sich dann zeitgleich veröffentlicht natürlich gut. Auch dann, wenn es nur wiederkäut, was andere schon gedacht und geschrieben haben. So läuft das Biz nun mal. Mit ein Grund, weshalb sich dann aber der "Vorwurf" stellt, hier würden Personen als Ware vermarktet und Fetische inszeniert.
Meine Kritik richtet sich dabei weniger an die Wieczoreks, Stokowskis usw. Sondern an die anderen Frauen (und Männer). An die "Class Matters"-FeministInnen und all jene, denen klar ist, dass wir heute so etwas wie eine soziale Bewegung der 68 brauchen, eine Bewegung, die die progressiven Kräfte versammelt, um überhaupt wieder eine übergreifende Befreiungstheorie (statt Klienteltheorie) zu entwickeln, die unserer Zeit gemäß wäre und Strahlkraft besitzt. Eine Befreiung jedoch, die ihre Gegner nicht in der BILD, Brüderle oder den Menschen sucht, die sich früher am Büdchen bepinkelt haben, heute eben hinter dem PC sitzen und Gender-AktivistInnen, Flüchtende, Queers, ALG2-Bezieher dissen. Feminismus wird heute in den Medien als Randgruppenthema oder im Dienste des Sensationalismus vermarktet. Dagegen müsste ein befreiungstheoretischer Feminismus als erstes aufbegehren. Hegel schrieb irgendwo, die Aufgabe des Philosophen sei es, sich nicht sich am schwächsten Glied seines Gegners zu vergnügen, sondern sich dessen stärkstem Argument zu stellen. Um darüberhinaus zu gelangen...
Dieser Tage z.B. frage ich mich täglich, wo denn der Aufschrei angesichts der Asylgesetzverschärfung und Europas Tanz am Abgrund bleibt? Was läuft falsch, dass das keinen interessiert (erregt)? Dass man z.B. als Frau lieber an einer Ärztin kränkelt, die einen zum Dickerchen erklärt, als über Frauen und Kinder (und Männern) empört, die da im griechischen Schlamm siechen. Womit sich der Kreis dahin schließt, dass wir wirklich eine umfassenden Begriff von Befreiung brauchen, damit der einen Befreiung nicht der Andere (Levinas) zum Opfer fällt.
"Bei allem Zwist in der Sache waren sich aber beide einig, dass der Feminismus ziemlich viel kaputt gemacht habe."
Die Emanzipation, welche auch immer, ist in den Augen der Systemkonformisten/innen und Verlautbarungsschranzen von der ZEIT immer an allem Schuld. Ich hab mir das etwa 5 Jahre lang angeschaut - von 2006-2011. Ein Gruselkabinett sonder gleichen. Ihr Spezialaität ist es diesen grottenschlechten Diskurs und "Ansatz" als intellektuelle Debatte zu tarnen. Leider fallen darauf immer noch akademische Verwaltungsangestellte und ähnliches Bodenpersonal herein ... wie lange noch?
Interessanter Beitrag.
Ich denke auch, dass der Feminismus völlig aus dem Ruder geraten ist und nichts mehr mit ökonomischer Kritik zu tun hat.
Ökonomische Kritik ist es nicht zu fordern, dass Männer und Frauen das gleiche verdienen sollen oder Elterngeld. Ökonomische Kritik ist gleichzeitig auch Gesellschaftskritik, wie es möglich ist als Frau und als Paar alle anforderungen unter einen Hut zu bekommen. Im Kapitalismus geht es nicht, da der Feminismus nur dazu benutzt wurde den Arbeitsmarkt auf der Nachfrageseite für Arbeit zu bedienen. Autonomiebestrebungen waren dann die Antwort. Dabei wurde völlig vergessen, dass es nicht darum gehen sollte, dass Frauen 3 mal soviel können wie Männer. Aber in diesen neoliberalen Sog haben sie sich ziehen lassen und sind systemtreu einfach der Möhre hinterhergelaufen, wie es sich im Kapitalismus gehört.
Feminismus ist heute nur noch ein Thema für Mittelschichtsfrauen, die sich Autonomie leisten können. "Normale" Frauen werden nicht mehr erreicht. Geisteswissenschaftliche Ergüsse von Feministinnen bringen dann eben der "normalen" Frau nichts mehr, wenn sie und ihr Mann oder alleinerziehend über die Runden kommen müssen.
Der Zeitpunkt wurde in den 70ern udn 80ern verpasst, als es noch möglich war, dass einer arbeiten geht und der andere sich um Familie kümmerte. Es hätte gleich von vornherein zur beruflich erfolgreichen Frau der Hausmann präsentiert werden müssen als Idealbild. Dann wäre man heute nicht in so eine Schieflage gekommen. Versuche gab es dazu und zeigte sich bei strickenden Männern bei den Grünen. Aber irgendwie funktionierte es eben doch nicht. Sachzwänge des Kapitalismus haben den Feminismus in seiner ursprüngichen Form als Emanzipation im umfassenden Sinne aufgefressen und ad absurdum geführt.
Das haben heute immer noch viele nicht verstanden.
Eigentlich müsste es jeder Frau klar sein, dass nur ein Feminismus als umfassende Emanzipation über den Antikapitalismus gehen kann. Aber davon sind Frauen, die sich Feministinnen nennen weit entfernt. Entfernter als je zuvor.
Heute gibt es für Feministinnen nur noch einen linken Neoliberalismus als Identitätspolitik, was sich Gendermainstream nennt, aber mit einer ökonomischen Kritik als Gesellschaftskritik absolut nichts mehr zu tun hat.
Deshalb sind wahrscheinlich auch Frauen, die sich heute Feministinnen nennen für viele Männer einfach uninteressant geworden und wenden sich wieder dem "bewährten" Rollenmuster zu. In der Unterschicht sowieso, aber mittlerweile auch wieder in der Mittelschicht. (es kommen schlechte Zeiten für Frauen, die nicht kochen können/wollen ;-))
Ich denke, man kann den Feminismus für nichts verantwortlich machen, was die Mehrheit der Frauen betrifft, denn dafür ist der Anteil von Feministinnen unter der Frauen viel zu gering.
Persönlich habe ich in bald 50 Jahren vielleicht eine Handvoll getroffen, vielleicht weniger. Die meisten Frauen, die ich kenne, wollen schlicht und einfach Gleichberechtigung und den gleichen Respekt, den auch Männer in der Gesellschaft erhalten. Das ist für mich noch kein Feminismus, sondern die ganz natürliche Schlussfolgerung, auf die man kommt, sofern man nicht an eine Religion glaubt, die Gegenteiliges behauptet.
Was nun die unschönen Seiten der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse betrifft (es gibt durchaus auch schöne, nicht nur für Frauen): Das meiste davon liegt wohl wirklich an der Durchökonomisierung der Gesellschaft, an der Fixierung auf Konsum und Geld.
Ohne Frauen wäre die Welt heute gar nicht denkbar und völlig sinnlos.
Fein, wenn auch noch Frauen das Sagen haben werden bei "the big crash"
@ Uebung's und @Ruediger Heescher's Kommentare könnte ich unterschreiben. Ich habe noch nie verstanden, was der Mehrheit der Frauen das Anpreisen von Elterngeld, Krippenplätzen und Co im Dienste des Kapitalismus gebracht hätte, ausser( noch) mehr Erwartungsdruck.
Mehr Magengeschwüre und Burnouts vielleicht, ganz im Sinne Gleichberechtigung.
Am Anfang mögen immer here Absichten stehen, was am Ende dabei rauskommt, ist wohl oft neoliberal verseuchtes Zeug, das die Menschen krank macht, ihre Beziehungen vergiftet und die Gesellschaft spaltet.