Barrington „Barry“ Jedidiah Walker ist ein Dandy, ein vor Sprachwitz und intellektueller Eitelkeit strotzender Mann in seinen 70ern, der seit fünf Jahrzehnten mit seiner Frau Carmel verheiratet ist. Innige Liebe ist es nicht, die Barry bei seiner gottesfürchtigen Frau hält. Soll man es die Macht der Gewohnheit nennen? Oder doch eher die Angst vor der Bloßstellung? Denn Barry ist schwul und unterhält seit Jugendtagen eine Beziehung zu seinem Freund Morris, der wie er und Carmel aus Antigua stammt. Morris nun konfrontiert Barry mit der Möglichkeit, endlich das Doppelleben aufzugeben und ein Coming-out zu wagen.
Das ist die heikle Ausgangssituation in Bernardine Evaristos neuestem Roman Mr. Loverman. Hierin erzählen Barry und Carmel, im Wechsel un
Wechsel und jeweils mit einem ganz eigenen Sound ausgestattet, ihre Seite der Geschichte. Zunächst begegnen wir Barry und Morris in einem Schwulenclub beim Tanzen. Bereits hier zeigt sich die Stärke der von Evaristo gewählten Erzählkonstellation: Barry erzählt sehr verächtlich von seiner Frau, ist ihrer mehr als überdrüssig und kann doch nicht aus seiner Haut. Nicht nur die Homophobie seiner karibischen Community hat er verinnerlicht. Auch die Idee, seine Umwelt könnte ihn als alternden schwulen Mann statt als verführerischen Frauenheld wahrnehmen, behagt ihm nicht.Obgleich er nichts lieber täte, als Carmels Nörgeln dauerhaft stumm zu schalten, weiß er sehr wohl, was er an ihr schätzen muss. Sie kocht himmlisch und ist immerhin die Mutter seiner Kinder. Mit anderen Worten: Barry ist nicht nur Opfer der homophoben Herkunftsverhältnisse, sondern selbst nicht gerade sympathisch in seiner misogynen Haltung.Carmel, aus Barrys Perspektive geschildert schlicht unerträglich, erhält die Chance, ihren Teil der Geschichte zu erzählen. Auch für sie ist die Ehe mit einem Mann, der ihr verwehrt, was einer Frau ihrer Meinung nach zusteht – sexuelles Begehren –, alles andere als ein Zuckerschlecken. Im konservativen Frauenbild ihrer Herkunft verfangen, begreift sie es als ihren Job, für die Bedürfnisse ihres Mannes zu sorgen, scheitert aber an seinem Widerstand. Es gelingt ihr, durch ein Studium in der gesellschaftlichen Hierarchie aufzusteigen, sie emanzipiert sich, doch das scheint die Ehe nur in noch rauere Gewässer zu führen. Beide sind Gefangene einer patriarchalen, homophoben Weltsicht, die Barry dazu trieb, eine Frau zu heiraten, um dem Verdacht der Homosexualität zu entgehen, und zugleich dafür sorgt, dass Carmel in einer sexuell wie emotional frustrierenden Beziehung verharrt. Dabei ist Barry immerhin besser als ihr Vater oder Großvater, die ihre Frauen krankenhausreif schlugen.Die britische Autorin greift mit ihrer Erzählung über die Windrush-Generation – karibische Einwanderer, die in den 1950er bis 1970er Jahren als Arbeiter nach Großbritannien kamen – ein brisantes Zeitthema auf. Denn noch immer wartet diese Generation, die man als „Gastarbeiter“ verstand, auf gesellschaftliche Anerkennung. Zugleich erzählt Evaristo atmosphärisch dicht von der einerseits beengenden, andererseits paradiesisch anmutenden Inselatmosphäre. Man fühlt den Schweiß, der den Protagonisten, jedenfalls in ihrer Erinnerung, allenthalben vom Körper rinnt, geradezu beim Lesen.Emanzen, politisch unkorrektWas ein wenig nach einem identitätspolitischen Manifest klingt, bricht allerdings mit Erwartungen. Und das auf angenehme Weise. Barry wirft mit sexistischen Bemerkungen um sich. Die strenggläubigen Freundinnen seiner Frau, denen er Prügel androht, werden dann zu Wiedergängerinnen von „Hitler und Himmler“. Auch seine Tochter Donna kommt nicht gut weg: „Donna ist ein faules Stück. Ihr Leben lang isst sie schon die Mahlzeiten ihrer Mutter, revanchiert sich aber nie. Futtert Chinafraß und McDoof. Meine Tochter gehört eindeutig zur zweiten Emanzengeneration.“Überhaupt ist Barrys von Metaphern, Analogien und einem Hang zu Shakespeare’schen Phrasen gesättigter Sound urkomisch und alles andere als politisch korrekt. Etwa wenn er feststellt: „Alle erstarren, bis auf Carmel, die an der Spüle einen derartigen Radau veranstaltet, dass es klingt, als hätten die Lancaster-Bomber ihr Kriegsziel getroffen – eine Dresdner Porzellanmanufaktur.“ Furios übersetzt hat den Roman übrigens Tanja Handels. Carmels Erzählstimme wiederum erinnert an den für Evaristo so typischen gefühlvoll-lyrischen Klang, den man aus ihrem preisgekrönten Roman Mädchen, Frau etc. kennt.Wie dort destabilisiert Evaristo auch in Mr. Loverboy vereinfachende identitätspolitische Sichtweisen. Stets lassen sich ihre Figuren auf den ersten Blick wie Klischees aus dem intersektionalen Diskursbaukasten lesen, offenbaren auf den zweiten Blick jedoch Ambivalenzen, die in identitätspolitischen Debatten unausgesprochen bleiben. Etwa dass Schwarze Frauen homophob und schwule Männer misogyn sein können und dass auch Feministinnen Sexismus internalisiert haben können. Evaristo macht es weder sich noch den Lesern leicht. Aber sie amüsieren sich köstlich.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1