Subversion ohne Bart

Netzfeminismus Die Autorin Stefanie Sargnagel soll eine moralinsaure Spaßbremse sein? Bitte genau hinschauen
Ausgabe 30/2017

Stefanie Sargnagel ist eine Autorin wie aus den feuchten Träumen eines Social-Media-Managers: flott, witzig, „fresh“. Und dann der Name! Sargnagel, die eigentlich Sprengnagel heißt, was nicht weniger schön ist, lässt sich toll vermarkten. Das rote Baskenmützchen gibt’s als als Markenzeichen gratis dazu. Andererseits ist sie natürlich auch der Albtraum für Marketingleute, weil sie auf eine böse und falsche Art unterhaltsam ist, und das nehmen ihr nicht wenige übel. Jetzt also sind ihre gesammelten Statusmeldungen aus Twitter und Facebook in Buchform erschienen und man kann sich lesend fragen: Hype oder literarische Versprechung?

Vielleicht ist sie ein Art Nietzsche fürs Social-Media-Zeitalter: Sie schaut in die Abgründe des Mediums und die gucken auch prompt zurück. Dass Stefanie Sargnagel im Medium das Medium selbst mitsamt den narzisstischen Spätfolgen seiner Nutzung kritisiert, gehört sich so. „Man tippt erschöpft ein paar Buchstaben, weil man sich doch ausdrücken will, weil man die Aufmerksamkeit mag, dann sackt man wieder zusammen für ein paar Stunden.“

Eigentlich wäre eine Sargnagel-Hotline, bei der sie auf Kommando etwas Grantiges im österreichischen Dialekt intoniert, eine feine Sache. Obwohl, die gibt es ja schon. „Rufnummernauskunft, Stefanie Fröhlich, was kann ich für Sie tun?“ Die täglich, stündlich, minütlich mit den gleichen Worten entgegengenommenen Anrufe im Callcenter sind eine zu Dada geronnene Telefonendloshöllenschleife. Im Callcenter sitzen ja nur deshalb Menschen, weil sie noch ein bisschen billiger sind als wirklich gute Spracherkennungssoftware, und weil diese die stotternden, zahnlos sprechenden Rentner ohnehin nicht verstehen könnte. Wobei die Sache mit der Rufnummernauskunft natürlich ein Anachronismus in sich ist: jemanden am Telefon – am Telefon! – nach einer Rufnummer zu fragen! Entschuldigung, haben die Menschen noch nie etwas vom Internet gehört? Rufnummernauskunfteien also sind so widersinnig wie Tweets in Buchform. Wobei, das stimmt nicht immer. Bei Donald Trump beispielsweise nehmen die ins Buch gesetzten Tweets grotesk-schillernde Dimensionen an, so wie Außenseiterkunst, also beispielsweise Kunst von Psychiatriekranken. Bei Sargnagel ist das anders; die Twitter- und Facebook-Sentenzen sind schon für sich genommen sehr komisch. Aneinandergereiht in einem Buch wirken sie beinahe tragikomisch, zum Heulen schön, wie ein Logbuch des Callcentergrauens. Man kann Statusmeldungen zur Hand nehmen, wenn man gerade mal wieder an der Welt leidet, was man ja im Allgemeinen ganz oft tut, und aufgeheitert werden oder noch trauriger sein will. Solange man ein Buch in der Hand hält, kann man sich wenigstens nicht die Pulsadern aufritzen.

Es ist übrigens ganz und gar traurig, dass man in Texten über Stefanie Sargnagel stets über die intellektuell Herausgeforderten, also beispielsweise die Kronen-Zeitung-Leser, die sie belästigen und bedrohen, schreiben muss. Falls Sie die Geschichte nicht kennen: Sargnagel ist eine Lieblingshassfigur der österreichischen Rechten; die Kronen-Zeitung inszenierte einen großen Skandal, weil die Autorin „subventioniert“ Marokko bereist und dabei gekifft hatte. Und dann wurden (mutmaßlich) auch noch Katzenbabys, Katzenbabys!!!!, getreten. Die neurechten Herren jedenfalls würden, wenn sie könnten, Sargnagels Bücher am liebsten verbrennen. Stattdessen bewerfen sie die Autorin mit verbaler, Pardon, Scheiße. Natürlich wäre es viel schöner, wenn man nur, also nicht nur, sondern ausschließlich über das literarische Ereignis Sargnagel schreiben könnte. Über das Granteln und den Wiener Schmäh, und die unerträgliche Schwere des Seins. Es heißt, dass die großen Humoristen der Geschichte, ob nun der Literatur oder des Films, Männer seien, von Groucho Marx über Woody Allen bis Seinfield.

Burschenschaft und Quote

Hier haben wir nun also eine Frau, die komisch ist, und auch so ein Clown, der depressiv in der Ecke sitzt. Denn das ist das zweite Klischee über humorvolle Menschen: Tief drinnen sind sie der Welt entfremdet, einsam, und nur deswegen können die so lakonisch-humorig auf die Welt schauen. Stefanie Sargnagel: „16.7.2015 Bis auf die täglichen Suizidgedanken bin ich ein sehr glücklicher Mensch.“ Diese Art von Humor mag nicht jeder. Viele nennen das pubertär. Ich möchte das entschieden zurückweisen, weil so ein Pubertierender überhaupt keinen Sinn für Selbstironie besitzt. So oder so, zur Hassfigur wird man auch mit pubertärem Humor nicht. Denn die Sargnagel tut ja niemandem was. Jedenfalls nix, außer zu schreiben. Und wenn das dann doch Rechte bis aufs Blut reizt wie sonst nur zu eng getragene Lederhosen, sagt das natürlich viel über die berühmt-berüchtigten österreichischen Abgründe. Stefanie Sargnagel legt etwas bloß. Und das darf man dann doch „subversiv“ heißen. Obgleich ihr die Feuilletonistin Hannah Lühmann eben diese Qualität kürzlich in der Welt absprach. Dazu muss man wissen, dass Lühmann eigentlich über Feminismus schrieb, in einem Text, der Warum die linke Besserwisserei auf Facebook nervt betitelt war.

Dass Sargnagel kurzerhand in eine Reihe mit berechtigt oder unberechtigt so bezeichneten linken, feministischen Besserwisserinnen gestellt wurde, verwirrte dann doch. Anders als vielleicht andere feministische Galionsfiguren vermittelt Sargnagel eben gerade nicht den Eindruck, dass sie andere belehren und zurechtweisen will. Ihr stehen andere Mittel zur Verfügung. Die Burschenschaft „Hysteria“, in der Sargnagel Mitglied ist und die unter anderem eine Frauenquote von 80 Prozent fordert, darf man als aktionistische Intervention verstehen, die dem Hass der Burschenschaftler gewitzt Paroli biete. Allzu weit hergeholt ist der Vergleich mit Christoph Schlingensief in diesem Kontext nicht. Der war ja auch ein Rechten- und Bürgerschreck.

Wir erleben gerade eine kleine Konjunktur von Texten, die sich lieber am vermeintlich antiliberalen Feminismus abarbeiten als an den offenkundig hasserfüllten Reaktionen auf ihn. In diesem Sinn heißt es bei Lühmann: „Sargnagel ist in den letzten Monaten und Jahren vor allem dafür bekannt, dass sie sich mit Rechten und Burschenschaftlern virtuell prügelt.“ Das klingt fast, als bereite es der Sargnagel einen Spaß, Vergewaltigungen angedroht zu bekommen, und als sei sie lediglich ein verbaler Prügelproll.

Feministische Wirkmacht

Es geht schon auch um symbolische Kämpfe im Feminismus. Auf dem aktuellen Titelbild des Missy Magazine ist Sargnagel zu sehen. Das Missy Magazine würde Frau Lühmann vermutlich als Hort des „linken Besserwisserfeminismus“ verstehen. Der zeigt sich natürlich mit Sargnagel solidarisch, weil das zu seinem Selbstbild gehört. Stimmt schon, der Netzfeminismus mag Opfer. Nun kann man noch so zynisch über diese Spielart des Feminismus schreiben und ihm die Hypermoral und den Sprachregelungszwang von zu vielen Stunden Gender-Studies vorwerfen: Wenn eine Frau, weil sie schreibt, wie sie schreibt, zur Zielscheibe von Hass wird, dann kann der Feminismus so überflüssig nicht sein.

Das könnte eine Einsicht nicht nur derer sein, die es eh wissen. Sondern auch von liberalen und vielleicht sogar konservativen Deutern und Kritikern. Die aber arbeiten sich lieber an feministischen Stimmen ab, statt eigene Akzente zu setzen. Hilft es, wenn man ihnen sagt, dass die empörte Kritik an der Empörung nicht eben souverän wirkt? Andererseits zeugt es ja nur von der Wirkmacht des Feminismus, wenn er das Blut in Wallung bringt. Wie eben bei Stefanie Sargnagel. Wer sie allerdings ungeniert in den Kontext des feministischen Aktivismus setzt, übersieht, was ihr wertvollstes, im Feminismus nicht allzu häufiges Kapital ist: ihr subversiver Humor.

Info

Statusmeldungen Stefanie Sargnagel Rowolt 2017, 304 S., 19,95 €

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden