TERF-Debatte Während wir Feministinnen aufeinander einschlagen, stehen die Frauenhasser feixend am Spielfeldrand. Unserer Autorin Marlen Hobrack reicht es jetzt
Vielleicht ein Anfang: auf Framing einfach verzichten
Foto: bruce gilden/Magnum Photos/Agentur Focus
Wahrscheinlich begann es mit J. K. Rowling. Hier war sie, eine gefeierte Autorin, die politisch stets auf der richtigen Seite gestanden hatte und insbesondere in der LGBTQ-Community zahlreiche Fans hatte, sich aber plötzlich mit einer Welle von Hass konfrontiert sah, weil sie sich angeblich transfeindlich geäußert hatte. Es waren nicht mehr die rechten Männer, die Trolle, die üblichen Verdächtigen, nein, es war eine Feministin, die sich dem Vorwurf der Transfeindlichkeit ausgesetzt sah.
In Deutschland ist Alice Schwarzer längst Hassfigur vieler Queerfeministinnen, auch deshalb, weil sie weiterhin von der Existenz eines biologischen Geschlechts ausgeht. Schwarzer hatte mit ihrem im März erschienenen Buch Transsexualität heftige Kritik daran ge
heftige Kritik daran geübt, dass die Zahl der Mädchen und Frauen, die eine Geschlechtsangleichung anstreben, in den letzten Jahren regelrecht explodiert sei – und die Frage aufgeworfen, ob es hier nicht um ein Unbehagen an Geschlechterrollen und keineswegs um ein Unbehagen am Geschlecht selbst gehe. Viele trans Frauen erlebten aber gerade das als Entwertung ihrer eigenen Identität und belegten Schwarzer mit dem Label TERF.Der Streit gärt weiterTERF ist ein Akronym, es steht für Trans-Exclusionary Radical Feminist, was nach einem deskriptiven Terminus klingt, aber eine beleidigende, rufschädigende Dimension hat. Dasselbe gilt für den Terminus „Radfems“. Radikale Feministinnen begreifen Frauen als eine Klasse, aber auch hier stellt sich die Frage, inwieweit trans Frauen dieser Klasse angehören. Die als Radfems oder TERFs geframten Feministinnen gehören häufig der Generation des Zweite-Welle-Feminismus an, dessen Anliegen ganz wesentlich im Bereich der reproduktiven Rechte lag – und in diesem Sinne cis Frauen betraf. Diese Generation ist stark geprägt von Autorinnen wie Simone de Beauvoir, die die Trennung zwischen sozialem und biologischem Geschlecht etablierte – aber das biologische Geschlecht als Realität begriff. Das Problem ist nun, dass sich der Verweis auf das biologische Geschlecht immer auch als Hinweis auf die „Unnatürlichkeit“ von Trans-Identitäten lesen lässt. In diesem Sinne wurde etwa auch der umstrittene Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht zur binären Geschlechterordnung gedeutet.Der Streit zwischen vermeintlichen TERFs/Radfems und ihren queerfeministischen Schwestern (wenn man hier von Schwesternschaft sprechen möchte, dann nur in ihrer dysfunktionalsten Form) erfährt immer neue Zuspitzungen. Etwa als Vollbrecht nachlegte und ihre Thesen zum Geschlecht mit der Behauptung garnierte, trans Personen hätten sich der Verfolgung durch das NS-Regime leicht entziehen können, im Gegensatz zu homosexuellen Männern. Wenn es ihr doch um unleugbare biologische Tatsachen geht, warum dann die zynische Aufrechnung von Opferpositionen? Mediensoziologin Dana Mahr, die vehement gegen Vollbrechts These argumentierte, wurde zur Zielscheibe eines rechten Online-Mobs, musste sogar ihre Wohnung verlassen.Einen Wendepunkt der Debatte bildete der tödliche Angriff auf einen trans Mann am Rande des Christopher Street Day in Münster. Denn es ging nun nicht mehr um theoretische Fragen, sondern um die Sicherheit von Leib und Leben von trans Personen. Auch Feministinnen, die am Konzept des biologischen Geschlechts festhalten, seien an diesem Angriff schuld, konnte ich in meiner feministischen Bubble lesen. „Das f in Terf steht für Faschoooos“ postete etwa die Autorin Paula Irmschler auf Twitter.Dass der sinnlose Tod eines jungen Mannes Menschen emotionalisiert und aufwühlt, ist selbstverständlich. Aber glaubt man ernsthaft, der Täter sei durch das Lesen der Emma oder durch das Anhören des Vortrags von Marie-Luise Vollbrecht radikalisiert worden? Solch eine abstruse Vorstellung ignoriert die wahren Ursachen des Hasses, die unmittelbar im Antifeminismus und in Misogynie zu suchen sind. Die Gewalttat ist Ausdruck eines patriarchalen Denkens, das in Restbeständen in den Köpfen rechter Männer, religiöser Fundamentalisten und Erzkonservativer überdauert. Diesen Allianzen zwischen Rechtsextremen und fundamentalistischer Religion (die übrigens unter Christen wie Islamisten gleichermaßen zu finden ist, weswegen sich ein Fingerzeig auf „den Islam“ verbietet) gilt es den Kampf anzusagen. Stattdessen schlagen wir Feministinnen aufeinander ein, während Frauenhasser feixend am Spielfeldrand stehen.Vor einigen Jahren kursierten in den Social Media Bilder, auf denen Frauen bekundeten, warum sie Feminismus brauchen oder auch nicht. Feststehen dürfte aber, dass wir keinen Feminismus brauchen, der sich über die Frage des biologischen Geschlechts ideologische Grabenkämpfe liefert und im Hass auf die jeweils andere Gruppe erstarrt. Denn der Streit gärt auf allen Ebenen weiter.Jüngst zerlegte sich der Vorstand der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes wegen eines umstrittenen Positionspapiers selbst. Dieses Positionspapier definierte Frausein auch als biologische Realität, was Trans-Aktivisten als transfeindlich einstuften. Drei von vier Vorstandsfrauen sahen sich gezwungen, das demokratisch verabschiedete Positionspapier zurückzunehmen. Eine der Begründungen lautete, dass der Vorwurf der Transfeindlichkeit die Arbeit der Organisation unmöglich zu machen drohe. Inge Bell, die Vorstandsfrau, die sich gegen die Rücknahme des Positionspapiers wehrte, fährt nun eine Kampagne auf Facebook. Auch unter ihren Beiträgen zeigt sich die radikale Spaltung unter feministischen Akteuren: Einige Kommentatorinnen begrüßen die Rücknahme des Papiers, andere ermutigen Bell im Kampf gegen die Entscheidung des Vorstands. Doch in diesen Beiträgen offenbaren sich einige Kommentatorinnen als regelrecht aufgeputscht in ihrem Männerhass. Denn trans Frauen werden immer wieder als „Männer in Frauenkleidern“, als Gefährder in Stöckelschuhen und potenzielle Vergewaltiger geframt.Ich bekenne, dass ich die Geduld verliere mit einem Feminismus, der trans Frauen, die einen Penis besitzen, zur Gefahr für Frauen und Mädchen stilisiert – und damit in schlechtester radikalfeministischer Tradition den Penis als Waffe definiert. Ich bin aber eines Feminismus nicht minder müde, der jegliches Sprechen über Biologie verbietet, obgleich doch die Biologie der Frau in der Geschichte der Unterdrückung der Frau eine so zentrale Rolle spielt (man denke hier eben nur an den Bereich der reproduktiven Rechte). Was ist eigentlich so provokant an der Existenz von Gameten? Aber allein die Frage ist ja provokativ!Was auch immer Geschlecht auf biologischer Ebene ist oder nicht ist: Es steht außer Frage, dass die Qual einer Person, die an der Identifikation mit einem Geschlecht leidet, erst in der Konfrontation mit einer beurteilenden Umwelt entsteht.In meiner eigenen Online-Bubble erlebe ich zahlreiche cis Menschen, die die von der Bundesregierung geplante Abschaffung des Transsexuellengesetzes zwar begrüßen (weil es von den Betroffenen als demütigende Gängelei erlebt wird), aber doch an bestimmten Formen des Wissens über Geschlecht festhalten wollen. Eigentlich sind die Social Media nicht der Raum für gepflegten Diskurs und Aufklärung, aber es gibt eben Ausnahmen, und eine dieser angenehmen Ausnahmen ist Dorothea Zwölfer, Pfarrerin in Erding, die 2013 ihr Outing als Frau hatte. Auf Facebook erlebe ich sie als nüchterne, aufklärende Stimme, die cis Menschen, die mit Unverständnis etwa auf das Gesetzesvorhaben der Ampel-Regierung reagieren, geduldig aufklärt. Sie plädiert für ein radikal anderes Nachdenken über Geschlecht und dessen Verortung. „Auch beim Thema Geschlecht bahnt sich wissenschaftlich gesehen viel Neues an. In der Neurowissenschaft etwa sind seit circa 30 Jahren viele Aufsätze publiziert worden, die eine Ablösung eines genitalistischen Weltbilds durch ein neuronal geprägtes Weltbild mit sich bringen. Der Biologe Milton Diamond formulierte diese neue Sicht einmal so: ‚Das wichtigste Geschlechtsorgan sitzt zwischen den Ohren.‘ Und es braucht viel Geduld und Langmut, bis sich solche Ansichten in der Bevölkerung breit durchsetzen werden – dazu guten Wissenschaftsjournalismus, der über die vielen neuen Publikationen informiert.“Zu Zwölfers Ansatz gehört auch, sich nicht zu einzelnen Personen wie etwa Rowling zu äußern. „Mir geht es um Versachlichung und nicht um Argumentationen ad hominem“, bemerkt sie resolut. Und das ist vielleicht der zentrale Vorwurf, den man derzeit allen Feministinnen machen muss: Statt sich in der Sache zu streiten, eskaliert man Debatten in Richtung einer Diffamierung einzelner Akteurinnen, was jedenfalls medial wirkungsvoller erscheint als Theoriedebatten. Es gab im Feminismus einmal Fantasien über die Friedfertigkeit der Frau. Solche Phantasmen werden durch den hasserfüllten Schwesternzwist endgültig beerdigt.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.