Wie sprach einst der große Rapperfürst Kollegah? „Willst du keine Arme wie’n T-Rex / Merk’ dir eins Bursche, von Salat schrumpft der Bizeps!“Wer im Fitnessstudio pumpen gehen wolle, der haue sich lieber ein Rumpsteak rein. Fleisch, Fleisch, Fleisch braucht es für den Aufbau von Muskelmasse. Eiweiß rein, riesiger Bizeps raus. Dass es auch anders geht, dass Bodybuilder und Kraftsportler auf tierisches Eiweiß verzichten können, das schien lange Zeit undenkbar. Doch vieles verändert sich, nicht nur in der Breite der Gesellschaft, in der der Fleischkonsum rückläufig ist und eine Firma wie Rügenwalder Mühle erstmals mehr vegetarische und vegane Produkte absetzt als konventionelle Fleischerzeugnisse. Auch im Kraftsport
Veganes Bodybuilding: Von Salat wächst der Bizeps
Kraftsport Die Vorstellung, ein Bodybuilder könnte auf Fleisch verzichten, ist fremd. Doch was wie ein Widerspruch klingt, ist nicht nur gesünder, sondern verspricht auch mehr Erfolg

Ob Donald Trump auch Gewichte stemmt?
Foto: Daniel Gebhart de Koekkoek/Connected Archives
ort gibt es Frauen und Männer, die aus ethischen Gründen den Fleischkonsum ablehnen und trotzdem auf hohem Niveau Wettkämpfe bestreiten – und gewinnen. Bodybuilderinnen wie Lara Uebelhart etwa.Die Schweizerin kam als Studentin eher zufällig zum Fitnesstraining und entdeckte schließlich das Bodybuilding für sich. Uebelhart widerlegt als vegan lebende Bodybuilderin gleich drei Klischees über diesen Sport: sexistische Klischees, wonach Frauen mit Muskelmasse unattraktiv und unweiblich seien, jene Vorurteile, die davon ausgehen, alle Bodybuilder würden sich mit Steroiden vollpumpen, um möglichst große Muskelberge aufbauen zu können, und nicht zuletzt das Klischee, Muskelaufbau sei nur auf Basis tierischer Proteine möglich.Auf der Bühne und bei Wettkämpfen erfüllt Uebelhart alle Erwartungen der sehr speziellen Bodybuilderinnen-Ästhetik: Alles Körperfett, so scheint es, wurde durch die harte Diät vor dem Wettkampf restlos verbrannt, was übrig bleibt sind Muskelgruppen, die wie aus Marmor herausgemeißelt wirken. Nur ist die Haut der Bodybuilderinnen nicht weiß wie Alabaster, sondern mit viel Selbstbräuner eingeschmiert. So wird noch jedes kleinste Äderchen, jeder vermeintliche „Makel“ unsichtbar, die Muskeln treten noch schärfer umrissen im Scheinwerferlicht zu Tage.Gesunder ProteincocktailUebelhart hat sich intensiv in das Thema Ernährung eingearbeitet. Das Problem für Kraftsportler sei weniger, tierische Proteine durch pflanzenbasierte Proteine zu ersetzen. Man müsse lediglich wissen, welche pflanzlichen Ersatzprodukte am besten dafür geeignet seien. „Ich nutze vor allem Produkte, die auf Soja- oder Erbsenproteinbasis hergestellt werden. Sojajoghurt, Tofu oder veganes Chicken (oder andere Fleischersatzprodukte mit hohem Proteingehalt) esse ich beispielsweise sehr gerne. Außerdem erleichtert man sich die Proteinzufuhr durch ein gutes veganes Proteinpulver. Da würde ich immer auf ein Mehrkomponentenprotein setzen, also eine Kombination aus verschiedenen pflanzlichen Proteinquellen.“ Das Pulver mischt die Bodybuilderin beispielsweise gerne in den Joghurt oder die Haferflocken. Der Bedarf an Proteinmenge unterscheide sich allerdings nicht oder nur minimal im Vergleich zu einer Ernährung, die hauptsächlich aus tierischen Proteinquellen besteht. Es gehe vielmehr um die Qualität der Proteinquelle. So haben beispielsweise Soja oder Erbse ein vollständigeres Aminosäurenprofil als Seitan, ein Produkt auf der Basis von Weizen. „Deswegen empfehle ich generell, einfach verschiedene pflanzliche Proteinquellen zu kombinieren, um sicher alle Aminosäuren ausreichend abzudecken.“Auch Uebelhart kennt die Vorurteile gegenüber veganer Ernährung, nicht nur innerhalb der Bodybuilding-Szene selbst. „Generell existieren im Fitnessbereich unzählige Ernährungsmythen, die teilweise haarsträubend sind. Auch im Bodybuilding gibt es Klischees wie ‚nur Fleisch macht Fleisch‘. Die sozialen Medien verstärken die Zirkulation dieser oft widersprüchlichen Ernährungstipps natürlich immens. Ich versuche, Aufklärung zu betreiben und Menschen aus diesem Strudel rauszuhelfen. Allerdings fühlt man sich manchmal auch etwas machtlos.“ Ernährung ist eben nie nur eine Frage der Wissenschaft; sie ist inkorporiertes Wissen („iss dein Schnitzel, dann wirst du groß und stark“), Gewohnheitsfrage und nicht zuletzt eine Frage der Philosophie.Das zeigt Patrik Baboumian, ein deutscher Strongman, der sich auch als „vegan badass“ bezeichnet. Baboumian trägt seine Koteletten lang – und nein, hier folgt nun kein Fleischwitz – und erinnert nicht ganz unbeabsichtigt an Marvels Wolverine. Wobei Baboumian deutlich mehr Muskelmasse besitzt als Hugh Jackman in seiner Rolle in dem gleichnamigen US-BlockbusterWer Fleisch isst, verliertBeim Strongman geht es – im Gegensatz zu Bodybuildern – um Kraft, weniger um die Definition einzelner Muskelgruppen. Es werden nicht nur große Gewichte gestemmt, sondern auch Baumstämme gehoben oder ganze Busse geschoben – alles für die Show der stärksten Männer, die ein wenig an alte Jahrmarktsgaudis erinnert, bei der die Strongmen im frühen 20. Jahrhunderts ihre atemberaubende Stärke vorführten. Baboumian errang den Titel „Stärkster Mann Deutschlands“ im Jahr 2011. Seither ist er auch Veganer – aus ethischen Gründen. Baboumian wirkte auch in der von James Cameron produzierten Doku The Game Changers mit, in der eine Reihe von Weltklasse-Athleten über ihre vegane Ernährung sprechen.Der Film zeigt unter anderem den veganen Ultimate Fighter Nate Diaz, der Conor McGregor seine erste Niederlage in der Ultimate Fighting Championship (UFC) bescherte. Er habe die Welt schockiert, sagt der Interviewer nach dem Kampf zu Diaz. „I’m not surprised, motherfuckers“, grinst Diaz zurück, der während des Kampfes heftig geblutet hatte und bereits wie der sichere Verlierer wirkte. Die Doku erläutert sogleich, dass am Ende die Ernährung den Unterschied im Kampf machte, obgleich sämtliche Wetten gegen Diaz standen. In der Doku sagt McGregor, er habe den Fehler begangen, vor dem Wettbewerb zwei Steaks pro Tag zu essen. Die Botschaft ist klar: Eine vegane Ernährung ist nicht nachteilig, im Gegenteil, sie führt sogar zu besseren Leistungen. Wer Fleisch isst, verliert. Die Doku, die auch wiederholt die Schädlichkeit von Fleischkonsum hervorhebt, bringt so eine umgekehrte Erzählung in Umlauf und zeigt, dass Veganismus sogar leistungsfördernd sein kann.Für Uebelhart ist Veganismus dagegen primär eine ethische Entscheidung. „Dass ich vegan bin und Bodybuilding mache, löst bei vielen Menschen eine Faszination aus, was ich oft gar nicht so nachvollziehen kann. Für mich haben die beiden Dinge tatsächlich überhaupt nichts miteinander zu tun.“ Sie wäre auch vegan, wenn sie kein Bodybuilding machen würde. Veganismus sei eine Lebenseinstellung, Bodybuilding für sie große Leidenschaft. „Ich würde auch niemals den Veganismus aus dem Fenster schmeißen für den Sport. Beides bedeutet mir sehr viel und ich bin sehr glücklich, dass es sich absolut problemlos und kompromisslos miteinander vereinbaren lässt.“Sowohl Bodybuilder als auch Strongmen müssen in der Massephase nicht nur viele Kalorien, sondern vor allem viel Protein zu sich nehmen. Massephase, Bitch, das ist rastlose Schlemmerei, so Kollegah. Und ob nun Veganer oder nicht, das geschieht zumeist durch Ergänzungsprodukte, die es erleichtern, auf die benötigten Mengen zu kommen. Dass etwa Patrik Baboumian als Kraftsportler Proteinpulver nutzt, gilt vielen Kritikern als Beweis, dass eine vegane Ernährung eben doch zu einseitig sei, um genügend Muskelmasse aufzubauen.Folgt man Baboumian auf Instagram, kann man nachlesen, dass Kritiker immer wieder auf diesem Punkt beharren. Dabei sind Proteinshakes für die meisten Kraftsportler ganz selbstverständlich Teil der Ernährung – egal, ob Fleischesser oder nicht. Tatsächlich sieht man insbesondere auf Instagram zahlreiche Fitnessmodels, Bodybuilder und Gewichtheber, die auf den Konsum von Proteinshakes und -pulvern schwören und dabei auf ganz traditionelle Produkte aus tierischem Protein zurückgreifen. Das hat auch damit zu tun, dass in Diätphasen die Menge der zu sich genommenen Kalorien radikal reduziert werden muss, bei stetig hoher Proteinzufuhr, um nicht an Muskelmasse zu verlieren, wie Lara Uebelhart erklärt. In der Massephase, in der die Menge der zu sich genommenen Kalorien stark gesteigert wird, kann es dagegen sogar anstrengend werden, viel zu essen. Auch hier helfen dann Proteinpräparate.Mehr als nur FleischverzichtNicht selten wird gegen Veganer ins Feld geführt, dass der Mensch nun einmal ein Allesfresser sei. Gewissermaßen ein biologistisches Argument, das allerdings ignoriert, dass große Teile der Weltbevölkerung selten Fleisch zu sich nehmen und eine vegane oder vegetarische Ernährung eher der Standard ist – jedenfalls außerhalb der westlichen Welt, wo das verfügbare Fleisch, von Antibiotika aus der industriellen Massentierhaltung belastet, nicht gerade gesundheitsförderlich ist Das Gesundheitsargument zieht also so wenig wie das biologische, denn Menschen haben sich auf allen Ebenen des täglichen Lebens weit von ihren biologischen Wurzeln entfernt.Die Missverständnisse und Ernährungsmythen, die Uebelhart und Baboumian zu entkräften suchen, betreffen Veganer im Allgemeinen. Das Risiko von Mangelerscheinungen sei groß, liest man immer wieder, und eine vegane Ernährung für Kinder sogar lebensgefährlich. Tatsächlich benötigen Veganer oft sehr viel mehr Ernährungswissen – und haben es auch. Außerdem ist es möglich, Vitamine wie B12 durch Nahrungsergänzungsmittel zuzuführen. Trotzdem hält sich das Bild vom Veganer als potenziell mangelernährtem, dürrem Schwächling. Eine Vorstellung, die sich mit einem einzigen Blick auf Baboumians Insta-Auftritt in Luft auflöst.Uebelhart entkräftet zudem das Bild des „nervigen“ Veganers, der allen seine Lebensweise aufdrängen will. Während Baboumian durchaus Sendungsbewusstsein besitzt – wie auch seine Kampagne im Verbund mit der Tierschutzorganisation Peta zeigt –, ist Uebelhart nicht von Bekehrungseifer getrieben, auch nicht bei der Arbeit im Fitnessstudio. „Ich bin immer für Fragen da und unterstütze Menschen, die sich mehr mit einer pflanzlichen Ernährung beschäftigen wollen. Ich spreche auch gerne über das Thema, denn ich bin aus Überzeugung vegan. Aber die Entscheidung für eine vegane Lebensweise muss immer von der Person selbst kommen. Und vegan sein bedeutet so viel mehr, als bloß auf tierische Produkte zu verzichten.“Es wird womöglich noch eine ganze Weile dauern, bis die Mythen rund ums „Pumpen“ beseitigt sind. Bodybuilding bei Fleischverzicht ist derzeit eher eine Ausnahme. „Wenn’s hochkommt, sind wir vielleicht bei fünf Prozent. Aber ich habe auch das Gefühl, dass das Bewusstsein für eine vegane Lebensweise gesamtgesellschaftlich und auch im Leistungssport wächst und immer mehr Menschen eine Umstellung in Betracht ziehen“, erklärt Uebelhart. Der Anteil von veganen Sportlern entspricht übrigens dem in der Gesamtbevölkerung in Deutschland.Bleiben zum Schluss noch die Männlichkeitsvorstellungen, die sich ins Ernährungshalbwissen mischen und Kollegah rappen lassen: „Na, du kleiner Rucksackrapper? / Wir füllen Eiweißpulver in die Butterfässer / Und tauchen dich hinein und dann heißt’s Hantelpumpen / Damit du groß und stark und mal a Mo wirst, Junge.“ Uebelhart jedenfalls benötigt kein Rumpsteak, um einen größeren Bizeps als Kollegah zu haben.