Vererbte Schuld

Mordserie D. B. Blettenbergs Farang ist zurück. Sein dritter Fall führt nach Thailand
Ausgabe 45/2018

Der Falke schwebt unheimlich über seiner Beute und beäugt sie. Sein Motiv scheint rätselhaft, nur was die Opfer verbindet, wird rasch deutlich. Und eines ist auch klar: Der „Falke“, der für eine Mordserie in Thailand verantwortlich zeichnet, ist den örtlichen Behörden ein Dorn im Auge. Ausgerechnet Deutsche sind die Opfer, und wer will schon die zahlungskräftigen Besucher verstören? Zudem könnte ein unbehelligter Mörder ein schlechtes Licht auf Bangkoks zuständigen Polizeichef werfen. Also übernimmt es dessen Schwester (Schwestern müssen bekanntlich öfters einmal die unerledigten Aufgaben der Brüder übernehmen), einen Gunman anzuheuern, der sich des Problems annehmen soll.

Farang heißt dieser Gunman. Er ist halb Thai, halb Deutscher, trägt also ein bisweilen schwieriges Erbe der Doppelidentität und noch dazu den tragisch durchschnittlichen Nachnamen Meier. Farang soll den Mörder möglichst geräuschlos beseitigen. Katharsis, Reinigung ist das Ziel. Farang ist, und das gehört gewissermaßen zum guten Ton des Kriminaltypus, mittelalter (fast) weißer Mann, etwas mürrisch, nicht sonderlich hightech-affin, er erledigt seine Arbeit ansonsten ziemlich geräuschlos. Auch dank seiner belgischen Geliebten, einer umgebauten Armeepistole. Von der Liebe zum kalten Schießeisen einmal abgesehen, verehrt der Mann seine Mutter. Ödipale Konstellationen werden in diesem Krimi noch oft aufscheinen.

Auch der mordende Falke, der seine in Griechenland begonnene Mordserie mysteriöserweise ausgerechnet in Thailand fortsetzt, gedenkt der verstorbenen Mutter täglich. Es wird die persönliche Geschichte der Mutter sein, die den Schlüssel zu den Rachefantasien des Falken liefert. In Thailand hinterlässt er geheimnisvolle Zeichen: Er schneidet den zielgenau exekutierten Opfern die Köpfe ab, schlitzt ihnen den Bauch auf und fügt je eine geheime Botschaft hinzu in Form von Episteln über „Phaulkon“, einen historisch verbürgten griechischen Glücksritter in thailändischen Diensten. Ödipuskomplex, Katharsis und Tragödie: Das altgriechische Einmaleins komplett durchbuchstabiert.

Blutige Rache für die Eurokrise

Schuld und Sühne sind die zentralen Themen dieses Romans. Opfer und Täter kommen nicht voneinander los – auch weil Folgegenerationen die Traumata längst vergangener Generationen ererben, als schrieben sie sich bereits im Embryonalstadium dem kindlichen Ich ein. Spätestens aber in den Erzählungen der Mutter werden die Schrecken der Vergangenheit lebendig und zum eigenen Trauma. Es erscheint dann also folgerichtig, dass der Falke sich für das an der Mutter verübte Verbrechen rächt. Es geht dabei, wie so oft, wenn Deutsche an einer Versuchsanordnung mit historischer Schuld beteiligt sind, um Naziverbrechen. Und mit dem Verbrechensort Griechenland rückt tagesaktuelle Politik in den Blick des Krimis: Gerade erst wurde auf EU-Ebene erneut über Zwangskredite, die den Griechen im Zweiten Weltkrieg aufgebürdet wurden, diskutiert. Im Krimi sind es die Hilfs- und Rettungsmaßnahmen der Eurokrise und die als Besatzung empfundene Troika, die den Racheimpuls im Falken wecken. So veknüpft Blettenberg in Falken jagen aktuell empfundene Ungerechtigkeit mit ferner unmenschlicher Grausamkeit.

Detlef Bernd Blettenberg schreibt seinem Helden Surasak „Farang“ Meier schon zum dritten Mal einen politisch aufgeladenen Plot auf den Leib. Die Farang-Serie wurde mit Farang 1988 eröffnet und 2003 mit Berlin Fidschitown fortgesetzt. Beide Romane erhielten den Deutschen Krimipreis. Im dritten Teil taucht der Autor ein in die dunstig-feuchte Hitze Thailands, die er selbst als Entwicklungshelfer in den 1980er Jahren erlebte. Dass der vielgereiste Autor neben Aufenthalten in Afrika, Lateinamerika und Asien dazu kam, ein Dutzend Romane zu schreiben, mag überraschen. Aber vielleicht ist er seinem Helden Farang nicht ganz unähnlich: Effizient und geräuschlos verlässlich.

Info

Falken jagen D. B. Blettenberg Pendragon Verlag 2018, 384 S., 18 €

Bilder des Spezials

Ben Zank wurde 1991 geboren, er lebt in New York City. Mit 18 entdeckte er die Fotografie, als er auf dem Dachboden seiner Großmutter eine Pentax ME Super fand. Eigentlich ist er Journalist, aber oft findet er mit der Fotografie besser zu seiner Sprache. Anzüge, das sind kühle Bilder voll monochromatischer Spannung, die ein diffuses Gefühl von Intrigen, Verlassensein und Ereignis hervorrufen. Die Figuren sind gesichtslos, anonym, ihre Aktionen choreografiert und undurchsichtig. Zank ist inspiriert vom Surrealismus René Magrittes, er verwendet die Symbole der Epoche – einen Hut mit breiter Krempe oder ein Fahrrad. Zu sehen ist eine Noir-Traumlandschaft, die Fragen nach der Art der eingesetzten Symbole aufwirft: Sind sie eine Allegorie? Zank sagt: „Jedes Bild ist ein eigener kleiner Roman, den jeder auf seine Weise lesen kann.“ Mehr Information auf benzank.com

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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