Wählen ja, aber bloß nicht die Falschen?

Wahl 2017 Selten wurde so massiv für eine Wahl mobilisiert, droht doch der Einzug der AfD in den Bundestag. Aber Aufrufe zum (Nicht-Rechts-)Wählen sind mehr als paternalistisch

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Foto: Sean Gallup/Getty Images

Falls Sie an diesem Wahltag Facebook nutzen, haben Sie vermutlich ganz ähnliche Bilder in Ihrem News-Feed gesehen wie ich: Bilder von Freunden, die soeben ihre Stimme abgegeben haben und ihre Freunde dazu aufrufen, es ihnen gleichzutun. Manche halten sogar Schilder in die Kamera. Weil visuelle Botschaften das Hirn eben viel nachhaltiger beeinflussen. Vielleicht haben Sie auch einen ganz und gar anderen Feed als ich. Oder gar keinen. In der letzten Woche jedenfalls häuften sich mit dem Näherrücken des Wahltermins die Appelle von Freunden, Politikern und Journalisten, doch um Himmels Willen wählen zu gehen! Diejenigen, die so nachhaltig zum Wählen aufforderten, fügten ihrer Botschaft zumeist hinzu: Jeder Nichtwähler gibt seine Stimme der AfD. Die AfD ist damit endgültig zum blondgelockt-blauäugigen Beelzebub mutiert.

Obgleich ich keine Sympathien für die AfD hege, und die Aussicht darauf, die Neo-Alt-Right-Ewiggestrigen-Hitler-Verehrer in den nächsten vier Jahren mit meinen Steuergeldern zu alimentieren, wenig prickelnd finde, bin ich doch einigermaßen schockiert über meine mahnenden Freunde, die das Recht für sich beanspruchen, anderen die Wahl einer zur Bundestagswahl zugelassenen Partei auszureden. Das ist im besten Falle paternalistisch, im schlechtesten Fall herablassend-elitär, oder vermutlich beides. Wie immer schwingt in der ausgesprochenen Wahlwarnung das wohlgesättigte Gewissen derer, die schließlich wissen, was gut und richtig ist, mit.

Angesichts solcher Empfehlungen bekam ich kurz vor der Wahl ein wenig Lust, schon aus Prinzip nicht zu wählen. Aber das wäre ja albern, regelrecht infantil. Und überhaupt wird meine Stimme, abgegeben oder nicht, nicht viel ändern daran, dass die AfD mit einem vermutlich guten Ergebnis in den Bundestag einziehen wird. Wie konnte es nur dazu gekommen? Ich meine nicht den AfD-Parlamentseinzug. Alle europäischen Nachbarländer haben angesichts von Euro- und Flüchtlingskrise in nicht geringer Zahl rechte Parteivertreter in ihre Parlamente gewählt. Seit Jahrzehnten wissen wir, dass mindestens zehn bis fünfzehn Prozent der Deutschen rechte Ressentiments hegen, nur wurde das bei den Parlamentswahlen nie sichtbar. Allenfalls in Landtagswahlen, zum Beispiel in Sachsen, aber nicht nur hier, zogen wahlweise NPD und später AfD regelmäßig in die Hohen Häuser ein. Und dort wurden sie wahlweise zur Quelle von Fremdscham oder steten Empörungslieferanten. Nur als Parlamentarier machten sie nicht auf sich aufmerksam.

Nennen Sie mich defätistisch, aber im Grunde kann ich es kaum erwarten, dass die AfD ihre Reden unterm Bundesadler hält. Vielleicht sehen wir dann von links bis (nicht ganz) rechts einen Schulterschluss der Parlamentarier im Plenum. Überhaupt hat die AfD in den letzten drei Jahren so erfolgreich außerparlamentarisch Opposition betrieben, den vermeintlichen stillen Widerstand der „schweigenden Mehrheit“ lautstark wirksam gemacht und Debatten über Debatten beherrscht, dass es schlimmer nun auch nicht mehr kommen kann. Denn entgegen der Warnungen werden wir kein zweites Weimar erleben. Die AfD wird sich auch keinen demagogischen Österreicher zum Parteiführer wählen, obwohl das Nachbarland diesbezüglich personell so einiges zu bieten hätte.

In ihrer bis zur Hysterie gesteigerten Angst vor der AfD wiederholt die deutsche Politik offenkundig, was schon David Cameron das Genick brach: Man lässt eine kleine braune Partei Themen und Debatten bestimmen, bis jede politische Äußerung sich nur noch in der Abgrenzung, uns sei es auch um ein My, beschränkt. Weil aber das professoral-mehrfachgebärend-lesbische Führungspersonal der AfD im Grunde nur damit beschäftigt ist, abwechselnd den Brutus zu spielen, müssen wir uns über tatsächliche Gesetzesinitiativen gar keine Sorgen machen. Reicher gefüllte Pfründe und zusätzliche lukrative Posten dürften die intriganten Messerstechereien nur befördern.

Demobilisierung ist okay, solange sie den Richtigen dient?

Und überhaupt: Es ist doch auffällig, dass jene Parteien, die ansonsten viel dafür tun, den Wähler zu demobilisieren, plötzlich, wenn eben jene Demobilisierung ihnen zum Nachteil gereicht, mobilmachen. Insgeheim bewundern die zu Kleinstparteien geschrumpften CDU-Konkurrenten doch seit Jahren Merkels „asymmetrische Demobilisierung“ (ein Politbegriff wie aus dem Partisanenkampf!) und täten es ihr nach, wenn sie doch nur die Mittel und Hebel hierfür fänden.

Überhaupt fährt das Land doch gut damit, dass all die Arbeitslosen und Mini- und Unterbeschäftigten und Kleinstberenteten nicht allzu lautstark aufbegehren und am Wahltag den radikalen Kräften nicht allzu viele Stimmen schenken. Wie war das noch, als die Hartz IV-Betroffenen jeden Montag zu Demos aufbrachen? Herrschte da in den politischen Eliten Hochstimmung angesichts des demokratischen Partizipationswillens des Volkes? Und müsste man sich nicht schäbig vorkommen, nun, da der Einzug der AfD in die Parlamente den eigenen Abgeordneten nicht wenige, gut alimentierte Sitze kosten wird, an jene entfremdeten, selten beachteten, allenfalls mit Schmähungen bedachten (spätrömische Dekadenz!) Abgehängten und Ausgegrenzten zu appellieren?

Entschuldigen Sie meinen wütenden „Rant“, wie man neudeutsch neuerdings so schön sagt. Er ist, natürlich, populistisch. Gewiss fristen nicht alle AfD- und Nichtwähler prekär-verlebte Existenzen, gewiss gibt es in allen Parteien seit Langem Stimmen, die für Partizipation werben. Und doch, und doch: Die im Wahlvolk herrschende Lähmung und das Desinteresse für politische Vorgänge, die sich ja nicht nur im Nichtwählen zeigen, müssten langfristig, und eben nicht erst kurz vor dem drohenden Wahltag, bekämpft werden. Zum Mündigsein gehört auch das Recht, sich gegen das Wahrnehmen eines Rechts zu entscheiden. Oder gar Rechte zu wählen. Den Nicht- und Rechtswähler wie ein ungezogenes Kleinkind zu schelten, sollte man sich jedenfalls lieber verkneifen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marlen Hobrack

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Marlen Hobrack

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