Wo arbeitest du eigentlich?

Feminismus Unsere Autorin ist Schriftstellerin und Mutter. Ihre Verwandten meinen, das passe nicht zusammen. Woher kommt das Vorurteil, Künstlerinnen seien schlechte Eltern?
Ausgabe 45/2021

Vor Kurzem erzeugte ich in meinem Familienkreis helle Aufregung, als ich gute Nachrichten ankündigte. Eigentlich ging es um ein Buchprojekt, an dem ich schon lange arbeitete und das nun endlich fertig werden würde. Aber unisono gingen alle davon aus, die guten Nachrichten, die ich zu verkünden hätte, beträfen ein weiteres Kind.

Gut möglich, dass hierbei Wunschdenken der Groß- und Urgroßeltern im Spiel war. Die Sache schien mir aber auch bezeichnend, weil zwar auch entfernte Bekannte wahrnehmen, dass ich Kinder habe, aber kaum einer weiß, was ich beruflich mache. „Was machst du jetzt eigentlich?“, fragte jüngst die Lebensgefährtin meines Bruders, und ich glaube, dass ich sichtlich pikiert antwortete, dass ich noch immer das mache, was ich eigentlich immer mache: schreiben. Gut möglich, dass die Annahme vorherrscht, dieses ominöse Schreiben sei in Wirklichkeit nur eine Überbrückungshilfe, vielleicht komme ja irgendwann noch einmal eine richtige Karriere. Oder eben doch noch ein paar Kinder.

Umso erstaunlicher also, wenn gute Neuigkeiten einmal nicht meine Reproduktionsorgane betreffen. Gestern noch las ich ein schönes Interview mit Clemens Setz, in dem er erstaunlich offen über die Erwartungen ans Vatersein und die Aufregung vor der nahenden Geburt seines Kindes sprach. Ein besonders schöner Satz darin: Er und seine Freundin seien „(e)ine sehr kleine, kompakte Familie, die sich schon auf Kinder vorbereitet hat, bevor überhaupt welche da sind“. Man gehe zeitig schlafen und stehe zeitig auf. Das Leben ist – das sagt er nicht, das interpretiere ich – geregelt und regelrecht langweilig. Perfekte Bedingungen für Kinder also. Eine wundervollere Einsicht in die Wirklichkeit der Elternschaft habe ich bisher nirgends formuliert gesehen.

Vielleicht ist es auch diese Einsicht, die uns verrät, warum man landläufig der Meinung ist, Elternschaft und Künstlerschaft, das passe nicht zusammen: Hier das libertäre Leben eines Menschen, der sich treiben lässt und seinen produktiven Schüben jederzeit nachgeht – indem er sich etwa Nächte um die Ohren schlägt. Da das eher langweilige, weil in engen Bahnen der zeitlichen Taktung eines Familienalltags verlaufende Leben des Nicht-Künstlers, ein irgendwo zwischen Angestellten- oder Arbeitersein eingeklemmtes Leben. Nur ist das erstgenannte Bild vom Kreativen eben immer schon Verzerrung. Es mag den kafkaesken Schreibausfluss ja geben, bei dem in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eine Jahrhunderterzählung sich den Weg vom Gehirn aufs Papier bahnt. Aber auch bei den meisten Kreativarbeitern ist das Kreativsein eine erstaunlich geregelte Arbeit. Da muss man gar nicht erst an Thomas Manns legendäre Schreibroutinen denken. Wer produktiv ist, wer wirklich viel Ausfluss produziert (das klingt, ach nun ja, auch etwas unangenehm), der muss sich kontinuierlich an seinem Thema abarbeiten, das Werkzeug schärfen, die Methoden verfeinern.

Weil nun aber noch immer das Bild des eruptiv schaffenden, arbeitenden, manischen Künstlers vorherrscht, kommt es zu der Annahme, insbesondere Mütter könnten keine guten Kreativen sein. Noch neulich teilte eine mir sehr angenehme Künstlerin auf Facebook die Annahme, das mit der Mutterschaft und der Kunst sei nicht zusammenzudenken, und dachte dabei wohl vor allem daran, was ihre eigene Mutter für ihre Kinder hatte aufgeben müssen.

Aber solche als Erkenntnisse über die als Wirklichkeit getarnten Vorurteile machen die Arbeit der kreativen Mutter nicht leichter. Gut möglich, dass es kreative Väter mit wirklich langweilig-geregeltem Leben braucht, um dieses Vorurteil zu brechen.

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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