Zeigt her eure Nippel

Frauenkörper Nippel, Narben, Menstruationsblut: Noch nie war die Natur des weiblichen Körpers so omnipräsent in sozialen Netzwerken. Man muss kein Sexist sein, um das albern zu finden

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Was ist bloß los in den sozialen Netzwerken? Es vergeht kein Tag, an dem keine Bilder von weiblichen Körpern, die gegen Schönheitsstandards und Tabus ankämpfen, in meinen Newsfeed geschwemmt werden. Da wird gestillt und menstruiert, was das Zeug hält, und all das, um Frauen zu befreien.

Okay. Ich könnte ja aufhören damit, Artikel anzuklicken, in denen es um himmelschreiende Ungerechtigkeiten gegen Frauen geht, die damit bekämpft werden, dass man seine Nippel entblößt, seine Kaiserschnittnarben oder Menstruationsblut vorzeigt, denn die weibliche Menstruation ist ein wahnsinniges Tabu.

Wahrscheinlich haben Sie einen ganz anderen Newsfeed als ich; ich hoffe sehr, dass Sie kein Menstruationsblut begucken müssen, aber das alles wirft doch Fragen auf. Zuallererst: Warum?

Schon krass provokativ

Gut. Nacktheit und Dinge, die irgendwie eklig sind, erregen Aufmerksamkeit. Die Sache muss nur so richtig krass sein, am besten von Facebook oder Instagram gelöscht werden. Hauptsache, das unterdrückende, patriarchale System zeigt seine ekelverzerrte Fratze.

Es geht um die Befreiung des weiblichen Körpers, der Frau schlechthin. Und ist Facebook nicht bigott, wenn es Nazizeichen und rechte Gesinnung unangetastet lässt, aber Nippelbilder zwangsweise löscht? Natürlich erscheint das aus Sicht eines Europäers bigott; es hat eben etwas mit dem Heimatland von Facebook zu tun, der seltsamen amerikanischen Angst vor Sex und dem unbedingten Anspruch auf das Recht auf Meinungsäußerung. Fremde Länder, fremde Sitten. Geschenkt (wenn Sie einen ernsthaften Text dazu lesen wollen, dann machen Sie das doch bitte bei Nora Bossong).

Brustwarzenfreiheit

Trotzdem müssen wir einmal ganz grundsätzlich diskutieren, wie und warum wir den Nippel befreien sollten. Ich lese dazu immer wieder – zum Beispiel bei Miley Cyrus, die ja spätestens seit Auftritten in ihrem hautfarbenen Lackleder-Zweiteiler mit lüstern heraushängender Zunge eine (Achtung, jetzt kommt Ironie, da müssen Sie jetzt durch, es tut nicht weh, versprochen) feministische Ikone geworden ist - der Nippel solle entsexualisiert werden. Die weibliche Brustwarze unterscheide sich ja nicht von der männlichen, die bekanntermaßen unangetastete Freiheitsrechte genießt.

Abgesehen davon, dass männliche Brustwarzen sehr sexuell auf mich wirken: Wollen wir die weibliche Brustwarze tatsächlich entsexualisieren? (Bitte keinen Aufschrei an dieser Stelle! Nein, ich betrachte Frauen nicht nur als Sexobjekte.)

Wäre die Zwangsentsexualisierung der (weiblichen oder männlichen) Brustwarze nicht der letzte Schritt zur Abtötung jeglicher Erotik? Natürlich könnten wir alle unsere Nippel herzeigen, wer braucht dann noch Unterwäsche, oder überhaupt Kleidung? Eine Zeitlang galt es unter Stars ja auch als verwegen, „versehentlich“ den schlüpferlosen Unterleib beim Aussteigen aus einem Auto zu entblößen. Ist ja fast schon obszön, dass die Vulva vor der Brustwarze befreit wurde.

Und Nippelfreiheit hätte so viele Vorteile: Endlich müssten Frauen ihr hart verdientes Geld nicht mehr in schnöde, überteuerte Dessous investieren; der Nippel wäre frei und alle wären glücklich. Nur die Erotik säße heulend in der Ecke.

Übrigens berührt das Nippel-Dilemma auch das Thema Stillen, das ja durchaus eine (kulturell verdrängte) erotische Komponente besitzt, und das nicht nur bei der erotischen Laktation. Selbstverständlich muss man deswegen niemandem verbieten, in der Öffentlichkeit zu stillen.

Wobei ich neulich, als eine Frau ihren vierjährigen Sohn in der Bahn stillte, schon dachte, man müsste das nicht unbedingt öffentlich machen (oder überhaupt irgendwo machen). Ich versuchte hartnäckig, die Schmatzgeräusche zu ignorieren; aber dass der Kleine die unbenutzte Brustwarze seiner Mutter in seinen Fingern in alle Himmelsrichtungen zwirbelte, das war dann doch zu viel für mich.

Ach, was rege ich mich eigentlich auf? Wahrscheinlich bin ich einfach verklemmt.

Zeigt her eure Narben

Scheinbar sind auch Geburten und Schwangerschaft ein neues Social Media-Lieblingsthema. Auf Facebook posten Doulas Bilder von Müttern, die in der Natur gebären, ohne Hilfe. Das Kind poppt einfach so aus der Mutter heraus, während sie in irgendeinem Fluss in Kanada hockt. Das ist beeindruckend, aber auch beängstigend.

Ich persönlich muss keine Bilder von Gebärenden im Kreißsaal sehen, da benötige ich eine Triggerwarnung, wenn die Frau – noch mit gespreizten Beinen, Arzt und Hebamme bei der Wundversorgung – gequält lächelnd ihren Nachwuchs in die Kamera hält. Vielleicht hätte man ein paar Minuten warten können, zumindest, bis der Dammriss genäht ist? (no offense to anyone!)

Wenn die natürliche Geburt nicht glückt und ein Kaiserschnitt nötig wird, dann postet man eben die Bilder der Kaiserschnittnarbe. Die ist zwar nicht natürlich, gehört aber auch zum Frauenkörper-Befreiungsprogramm, wie jüngst im Falle der Fotografin Helen Aller.

Solche und ähnliche Bilder dienen häufig genug einem Mutterheroismus, der mir Unbehagen bereitet. Ganz gemäß dem Motto: „Guck mal, ich opfere mich und meinen Körper für das Leben meines Nachwuchses auf.“ Mütter werden mit Attributen wie „Heldin“ oder „Kämpferin“ versehen, besonders gern in den angelsächsischen Medien. Kaiserschnittnarben und Stretch Marks als „Patches of Honor“? Sorry, das ist mir zu nah am Mutterkreuz.

Übrigens hilft all das ja nicht wirklich irgendeiner Mutter dabei, sich in ihrem Körper wohler zu fühlen. Stattdessen frönt es einer seltsamen Fixierung auf den Mutterkörper, die irgendwo zwischen Marienverehrung und Körperwelten-Ästhetik schwankt.

Statt einen Körper, mit dem frau sich arrangiert, einfach nur zu haben, muss sie zeigen, dass jede Versehrung ja doch irgendwie schön ist, weil sie aus Schwangerschaft oder Geburt oder einem anderen „Frauending“ resultiert.

Zuletzt wird aus einem privaten Makel – ob nun Kaiserschnittnarbe oder Dehnungsstreifen – eine öffentliche Verwundung, die sie als Frau definiert. Aber wer will sich schon über Stretch Marks und Speckbauch definieren?

Menstruation ist überall

Richtig bizarr wird es aber, wenn Künstlerinnen/ Aktivistinnen Menstruationsblut zum Thema machen. Man muss kein Chauvinist sein, um das doch irgendwie eklig zu finden. Wer einen ersten Eindruck davon bekommen möchte, kann sich auf dem Tumblr-Blog Menstrual Moments umsehen, Bilder sammeln und teilen. Besonders beliebt, wenn auch eher fragwürdig in puncto Kreativität, ist die Identifikation der menstruierenden Frau mit der leidenden Madonna, einer Art Schmerzensfrau. Ob die Jungfrau Maria unter Periodenkrämpfen litt, wird derweil für immer ein Geheimnis bleiben.

Aber warum zum Teufel muss man Menstruation zum Thema machen? Eben weil sie tabuisiert werde, sagen die Aktivistinnen. Und sie werde tabuisiert, weil sie das Bild von perfekter, steriler Weiblichkeit gefährde. Ganz neu ist dieser Gedanke nicht. Bereits in den 70ern beschäftigte sich die Künstlerin Judy Chicago mit dem Thema, indem sie zum Beispiel den steril-reinen Weißraum des Badezimmers mit einem überquellenden Tamponkübel konfrontierte.

Die blutende Vagina ist offenbar das Gegenstück zur perfekt rasierten, leicht steril wirkenden "Pussy". Aber hier liegt womöglich das Missverständnis. Viele Aktivistinnen verrennen sich in der Vorstellung, man könne den optischen Perfektionswahn durch die möglichst drastische Darstellung der Realität herausfordern. Im Zweifelsfall bewirkt der Pussy Riot wohl eher das Gegenteil.

Rupi Kaur, die ein Bild von sich und ihrem Menstruationsblut postete, das von Instragram entfernt wurde, beschreibt es so:

„I bleed each month to help make humankind a possibility. My womb is home to the divine, a source of life for our species, whether i choose to create or not.“

Sie fragt, was an diesem Bild denn schlimmer sei als an den übersexualisierten, retouchierten, perfekten Frauenkörpern, die uns täglich in der Werbung begegnen.

Vermutlich nichts.

Aber auf bizarre Art wiederholt dieser Aktivismus die Reduktion der Frau auf das rein Körperliche. In Verbindung mit quasi esoterischer Berufung auf Heiligkeit und Schöpferkraft des weiblichen Körpers huldigt er einem Naturphantasma, wobei er ungewollt alte kulturelle Klischees bedient, die eine Frau (im Gegensatz zum männlichen Verstandeswesen) nur als Körper begreifen können. Als Gefäß also für weibliche Schöpferkraft, die offenkundig nur im Kreieren von Leben bestehen kann.

Körperkult

Alle Vorgänge im Frauenkörper sollen gemäß dieser Logik zelebriert und illustriert werden, weil sie natürlich sind, wobei niemand begründen kann, warum natürliche Vorgänge im weiblichen Körper erwähnenswerter wären als die im männlichen. Oder warum gut sein muss, was natürlich ist.

Wenn all das so natürlich ist, warum ist es dann überhaupt der Rede wert?

Ich habe noch nicht so häufig über meine Menstruation nachgedacht, und auf meiner Emanzipations-To-Do-Liste steht öffentliches Menstruieren nicht auf Rang eins. Das zwanghafte Sprechen über das "Normale" und "Natürliche" erhebt beides geradezu in den Rang des Besonderen.

Zudem verrennen sich einige Aktivistinnen in der Vorstellung, Sexismus sei die Ursache für das Entfernen blutiger Ekelbilder von Instagram- und Facebook-Accounts. Man muss sich ja nur für einen Moment vorstellen, ein Mann würde Bilder von seinem Ejakulat posten mit dem Kommentar, das illustriere lediglich seine natürliche Schöpferkraft. Ejakulation ist doch auch nur natürlich! Und echt tabuisiert.

Wenn wir all die Bilder von Nippeln und Narben und Blut als weiblichen Protest gegen deformierende und deformierte Körperbilder betrachten, dann ist das Unbefriedigende an diesen Versuchen, dass sie über den Körper nie hinausweisen.

Viel faszinierender wäre doch die Frage, warum wir den weiblichen Körper gerade nicht ausblenden können. So, ich mach's jetzt. Ich schaue einfach nicht mehr in meinen Newsfeed.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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