Natürlich ist das eine Provokation: Eine Querdenker-Demo im Zentrum von Leipzig. Aus ganz Deutschland reisen Protestierende an, trotz des Beherbergungsverbots. Mit dem Protest der Connewitzer Linkenszene ist ebenso zu rechnen, wie mit möglichen Angriffen von Hooligans und Neonazis, die schon im Vorfeld mobilisiert haben. Und die Polizei? Wird im Verlauf des Demotages mehrmals wie überrumpelt von den erwartbaren Krawallen wirken.
Samstag Mittag. Ich mache mich auf den Weg in die Innenstadt. Ankunft am Schillerpark, gleich beim Leuschner Platz, dem „Platz der friedlichen Revolution“. Friedlich ist hier schonmal nichts. Bereits aus der Ferne hat man eine Frau ins Mikro keifen hören. Auf der Bühne wirkt sie nun eigentlich recht harmlos, geradezu mütterlich. Es gibt einen Moment der Desorientierung. Ich weiß nicht, auf welcher Seite der Demo ich mich befinde. Für gewöhnlich ist das leicht zu erkennen – anhand der Kleidercodes, Transparente und Plakate. Aber vor mir stehen sowohl Menschen, die wie Gegendemonstranten aussehen, als auch ein Mann mit einem „Pegizei“-Plakat. Von Anfang an gewinnt man den Eindruck, dass die Polizei das Geschehen nicht gut im Griff hat, dass es kein Konzept gibt, die Gruppen voneinander zu trennen. Demonstranten, die zur Bühne am Schillerplatz wollen, bahnen sich ihren Weg durch die Gegendemonstranten. Es ist eine Art Walk of Shame, Frauen mittleren Alters werden von jungen Männern angebrüllt: „Wo ist die Maske? Ey, setz deine Maske auf!“
Ich frage einen der Polizisten, warum die Demonstranten, die dicht an dicht stehen, nicht zum Tragen einer Maske aufgefordert werden. Das falle nicht in seine Zuständigkeit, sagt der junge Mann, der etwas überfordert wirkt. Damit aber ist absehbar, dass die Veranstaltung bald aufgelöst werden muss.
„Komm, geh einfach“
Ich will zu den Demonstranten, der junge Polizist lässt mich durch, aber ein älterer Polizist hält mich auf. Ich dürfe nicht rein, weil er mich auf der Seite der Gegendemonstranten gesehen habe. Ich erkläre ihm, dass ich Autorin bin, über die Veranstaltung schreiben und Stimmen von beiden Seiten sammeln möchte. „Komm, geh einfach“, lautet die lapidare Antwort.
Auf der Bühne redet unterdessen ein Reichsbürger, der pathetisch seinen „Prinzen“ anruft: „Prinz, komm und regier uns wieder.“ „Ich habt den Krieg verloren“, schallt es ihm aus der Menge entgegen. Danach werden Protestsongs auf der Bühne angestimmt. We shall overcome. Ja, was eigentlich? Die Demokratie? „Du kannst nicht singen!“, brüllt ein junger Mann neben mir, ein Polizist vor mir muss lachen. Eine Sängerin intoniert: „Wir werden die zweite Welle sein!“ Man könnte meinen, sie wäre schon da. „Und noch viel dichter stehen wir zusammen.“ Das kann man wohl sagen.
Weil ich nicht vor die Bühne gelassen werde, laufe ich hinüber zum Augustusplatz. Der Weg führt über die Grimmaische Straße. Massen eher junger Männer kommen mir entgegen. Natürlich lassen sich große Menschenmengen auf einer engen Einkaufsstraße kaum voneinander trennen. Das ist auch der Grund, warum die Stadt Leipzig die Demo an den Stadtrand verlegen wollte.
Auch hier, auf der Grimmaischen Straße, ist nicht gleich deutlich, ob es sich um Demonstranten oder Gegendemonstranten handelt. Das einzige Unterscheidungsmerkmal bleibt die Maske, die die Demoteilnehmer ja offenkundig verweigern. Ansonsten sind es die Details, die verraten, wer wo hingehört: Schwarz-Rot-Weiß scheint die Lieblingsfarbkombi der jungen Männer zu sein; einer trägt eine Häkelmütze in den Farben, der nächste trägt einen QAnon-Button auf Reichsflaggengrund. Zwei Arten von Ständen auf der Straße sind gut frequentiert: die mit den Thüringer Rostern und jene, an denen Magazine wie Compact vertrieben werden. Auf dessen Cover sieht man den noch strahlenden Trump. Auch einige Männer tragen T-Shirts mit „Trump“-Schriftzug.
Herzchen und unterschwellige Aggression
Am Augustusplatz wehen Reichsflaggen. Zwei Männer und eine Frau recken sie in die Luft. Die Frau ist mausgrau – graue Haare, grauer Anorak. Eigentlich wirkt ihr Gesicht recht freundlich. Sie blickt mich sehr stolz an. Augenkontakt, ein Moment des großen Unverständnisses.
Beim Laufen über den Augustusplatz werde ich kritisch beäugt. Ich trage Maske, niemand sonst trägt hier eine. Die auf Plakaten am häufigsten zitierte Frau ist Sophie Scholl: „Der größte Schaden entsteht durch die schweigende Mehrheit…“ Von der Bühne erklingen Mahnungen. Die Maske sei Kindesmissbrauch. Die Zuhörer spenden Beifall. In Krippen und Kindergärten müssten Eltern ihre Kinder vor den Türen ablegen, weil sie die Räumlichkeiten nicht betreten dürfen. Abstruse Hirngespinste. Man müsste lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Es sind überdurchschnittlich viele Frauen mittleren Alters anwesend. Viele tragen einen „Umarmbar“-Aufkleber. Vielleicht verfängt die Mahnung, man möge doch an die Kinder denken, bei ihnen besonders gut.
Überhaupt ist die Stimmung seltsam: Einerseits wirken viele Menschen ausgelassen und entspannt, die Demo erscheint wie eine große Party. Gleichzeitig ernte ich immer bösartigere Blicke; so viele Herzen sind auf der Demo zu sehen, überall erklingt der Appell nach Nähe. Trotzdem ist eine unterschwellige Aggression spürbar.
Plötzlich stürmt ein Tross von zwei bis drei Dutzend jungen Männern auf den Platz. Sie sind in Schwarz gekleidet, wieder ist nicht klar, zu welcher Seite sie gehören. Die Polizei läuft ihnen hinterher. Demonstranten sind wütend: Skandalös sei das, die Polizei sehe mal wieder nur zu! Tatsächlich ist die Lage auch für die Polizei wohl mehr als unübersichtlich. Wir haben es eben nicht mit der klassischen Demo zu tun: Hier die Linken, dort die Rechten. Und das ist vielleicht die erstaunlichste Erkenntnis dieses Demotages: Ich habe nie eine Demo gesehen, die einen akkurateren Querschnitt durch die Gesellschaft abbildete. Abgesehen von den Über-Siebzigjährigen sind alle Generationen und sozialen Schichten vertreten. Männer mittleren Alters mit Hornbrille stehen neben jungen Männern mit Dreadlocks. Hippies, Punks, junge Mädchen, die man eher bei Fridays for Future verorten würde, stehen neben älteren Herren in Harley Davidson T-Shirts. Frauen, die, etwas bieder, wie klassische Behördenangestellte aussehen, gruppieren sich um mittelalte Frauen mit langen, aufgeklebten Gelnägeln und zweifarbig-gefärbtem Haar.
Sind das alles Spinner, Verschwörungstheoretiker? Tatsächlich haben wir es hier mit der „Mitte“ der Gesellschaft zu tun. Und das sollte uns nun wirklich Sorgen bereiten.
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