Gemäßigte Muslime sollten den Diskurs prägen

Interview Am Samstag werden in Köln tausende Muslime gegen den islamistischen Terror demonstrieren. Ein Gespräch mit Lamya Kaddor, einer der Organisatorinnen

Der Freitag: Frau Kaddor, am kommenden Samstag wird in Köln ein Friedensmarsch von Muslimen gegen den Terror stattfinden, unter dem Motto "Nicht mit uns" werden 10.000 Menschen erwartet. Was ist die Botschaft, die Sie mit dieser Demonstration vermitteln wollen?

Lamya Kaddor: Wir wollen ein Zeichen setzen – gegen Gewalt und Terror und für ein friedliches Miteinander.

Heißt das, dass Sie bisher eine deutliche Ächtung islamistischer Attentate durch die muslimische Community vermisst haben?

Nein, Muslime haben sich schon immer dagegen ausgesprochen. Wie oft sollen wir noch schriftlich erklären, dass wir Gewalt und Terror verurteilen und uns eindeutig für eine offene Gesellschaft aussprechen? Wenn wir das 50 Mal machen, verliert es irgendwann an Glaubwürdigkeit. Darum ist es Zeit für eine andere Art von Zeichen.

Zuletzt wurde dieses Zeichen ja immer öfter von der muslimischen Community eingefordert – etwa nach dem Terroralarm bei "Rock am Ring" durch den Veranstalter Marek Lieberberg. Reagieren Sie mit der Demonstration auf diesen Vorwurf?

Aufgrund der zeitlich immer dichteren Abfolge von Attentaten hatten mein Mitstreiter Tarek Mohamad und ich ein Bedürfnis nach einer weiteren gesellschaftlichen Positionierung durch Muslime verspürt. Wir demonstrieren also auch, um der Gesellschaft zu zeigen, dass wir Muslime uns sehr wohl bewegen. Aber wir organisieren diesen Friedensmarsch nicht deswegen, weil wir uns dazu gedrängt fühlen, sondern weil wir ein Zeichen setzen wollen.

Sind Muslime besonders gefordert, sich von islamistischen Terroranschlägen zu distanzieren? Ist das nicht vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe?

Ganz klar, das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, aber die Muslime müssen sich ihren Anteil am gesellschaftlichen Diskurs zurückerobern. Wir haben es zu lange zugelassen, dass bestimmte Extreme den Diskurs dominieren. Die gemäßigten Muslime sollten stattdessen den Diskurs prägen. Es darf nicht sein, dass manche die friedliebenden Muslime immer noch als Minderheit in Deutschland darstellen können – und viele glauben dann wirklich, die Islamisten wären in der muslimischen Community in der Mehrheit. Das ist absurd. Es ist nicht nur Aufgabe der Gesamtgesellschaft, das zu verstehen. Es ist auch Aufgabe der Muslime, das immer wieder mal zu zeigen.

Was genau kann da eine solche Demonstration leisten?

Ich sehe das aus zwei Perspektiven. Aus der Perspektive der Mehrheitsgesellschaft geht es darum, dass wir uns hier eindeutig positionieren. Dass man versteht, wo wir stehen, nämlich mitten in der Gesellschaft, nicht am Rand. Muslime werden immer stärker zerrieben zwischen den Extremen: den radikalen Islamisten auf der einen Seite und den Islam-Hassern auf der anderen Seite. Und jetzt wollen wir primär diese radikalen Islamisten von uns wegschieben und ihnen eben zurufen: Nicht mit uns! Aus innerislamischer Perspektive geht es hier um Selbstvergewisserung und eine deutliche Abgrenzung von diese Gewalttätern.

Bekommen Sie von anderen Muslimen Unterstützung dafür?

Ich bekomme unheimlich viel Rückenwind. Aber der Islamrat will den Aufruf nicht unterzeichnen. Auch die türkische Ditib verweigert sich. Vom Zentralrat der Muslime aber kam die Unterstützung zum Beispiel sofort. Auch von anderen Verbänden und von den unorganisierten Muslimen – das ist mir ganz wichtig – kommt unglaublich viel Lob. Und das ist extrem wichtig. Wenigstens in dieser Frage brauchen wir eine starke muslimische Allianz. Diskussionen gibt es in jeder Religionsgemeinschaft. Aber in dieser Frage wünsche ich mir, dass wir Muslime in Deutschland uns eindeutig dazu verhalten.

Wie ist es, als Frau zu dieser Demonstration von Muslimen aufzurufen? Haben Sie deshalb auch Anfeindungen erlebt?

Ach, wenn man sich meine Arbeit der letzten Jahre ansieht, dann war ich nie Everybodys Darling. Es ist absurd: Ich ecke als Vorzeige-Muslimin bei Menschen an, die nichts für den Islam übrig haben außer Hass und Abscheu. Und auf der anderen Seite ecke ich bei Muslimen an, die mich als Abtrünnige betrachten. Ich glaube, man hat aber inzwischen verstanden, wie ich mich positioniere. Ich kritisiere bestimmte Dinge an Muslimen und am muslimischen Leben in Deutschland. Aber ich bin Teil der muslimischen Community. Ich sehe mich als gläubige Muslimin liberaler Prägung.

Hat es eine Bedeutung, dass der Friedensmarsch während des Ramadan stattfindet?

Gerade der Ramadan, der heilige Monat im Islam, wird von Islamisten dafür genutzt, brutale Anschläge und Attentate zu verüben. Und gerade aus der innerislamischen Sicht ist es deshalb wichtig, genau jetzt ein Zeichen zu setzen, weil der Ramadan für uns etwas völlig anderes bedeutet. Wir fühlen unsere Religion ja von Extremisten missbraucht. Wir empfinden das als völlige Pervertierung unseres Glaubens. Deswegen sage ich ja immer wieder: Terroristen sind keine Muslime. Damit meine ich nicht, dass wir es uns leicht machen sollen. Wir haben immer auch eine Mitverantwortung, wenn sich Menschen im Namen unserer Religion in die Luft sprengen. Und jetzt wollen wir uns eben ganz klar von ihnen abgrenzen.

Die Einladung zur Demonstration richtet sich aber auch explizit an Nicht-Muslime ...

Ja, unbedingt! Wir rufen die ganze Gesellschaft auf, am Samstag ein Zeichen zu setzen. Deshalb machen Tarek und ich das auch als Privatpersonen – als muslimische Bürgerinnen und Bürger Deutschlands, als muslimische Deutsche also. Wir alle hier haben etwas zu verlieren. Die Islamisten gefährden unser aller Zusammenleben.

Lamya Kaddor, 39, ist als Tochter syrischer Einwanderer in Westfalen geboren. Die Islamwissenschaftlerin ist Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes, muslimische Religionspädagogin und Publizistin.

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