Heikles Demokratieverständnis

Bundestag Im Parlament möchte man einen AfD-Alterspräsident verhindern. Dafür wurde noch schnell die Geschäftsordnung geändert
Ausgabe 23/2017
Norbert Lammert hatte die Idee, nicht Lebens-, sondern Dienstjahre zu zählen
Norbert Lammert hatte die Idee, nicht Lebens-, sondern Dienstjahre zu zählen

Foto: John Macdougall/AFP/Getty Images

Sollte die AfD es im Herbst in den Bundestag schaffen, wird sie mit dem 77-jährigen Wilhelm von Gottberg den ältesten Abgeordneten stellen. Damit würde dann ein AfDler Alterspräsident des Parlaments werden – zumindest nach bislang geltender Regelung. Doch vergangene Woche wurde die Geschäftsordnung des Bundestages kurzerhand geändert. Der bisherige Bundestagspräsident Norbert Lammert, 76, hatte im März vorgeschlagen, den Alterspräsidenten nicht länger nach Lebens-, sondern nach Dienstjahren zu bestimmen. Am 1. Juni hat der Bundestag diese Änderung beschlossen. Damit sind die AfDler für den Posten raus – und voraussichtlich Wolfgang Schäuble drin. Der derzeitige Amtsinhaber Heinz Riesenhuber (CDU) tritt nicht mehr an.

Die Begründung für diese Änderung: Es solle sichergestellt werden, dass ein Abgeordneter mit ausreichend Erfahrung die konstituierende Sitzung leite. Regularien zu ändern, um politische Gegner in einem Amt zu verhindern, empfiehlt sich allerdings nicht, wenn man die Demokratie verteidigen will. Ohnhehin fühlen sich viele Menschen von der Politik betrogen, auch das treibt sie mittlerweile zur AfD. Da protestieren sie also mit ihrer demokratisch abgegebenen Wählerstimme, und kaum wäre einer ihrer Vertreter womöglich in der Lage, die Stimme zu erheben, werden vorsorglich die Spielregeln geändert. Das beißt sich leider brutal mit den demokratischen Prinzipien.

Es wäre wünschenswert, die Bürger hätten keinen Anlass, die AfD zu wählen. Aber sie sehen nun mal einen Anlass. Sie sind wütend, fühlen sich nicht repräsentiert. Wer die demokratische Idee schützen will, die er durch die AfD bedroht sieht, der tut gut daran, sich mit deren Wählern zu beschäftigen – und nicht mit der Geschäftsordnung des Bundestages.

Ja, es wäre heikel, wenn ein AfDler im Parlament die Eröffnungsrede hielte. Es ist im Grunde sogar absurd, dass die Demokratie auch dafür steht, dass Menschen ihre Stimme gegen demokratische Grundwerte und den freiheitlichen Geist erheben können. Und es ist durchaus gefährlich. Andererseits: Was kann ein Alterspräsident schon anrichten? Ob Miss Germany sich den Weltfrieden wünscht oder der Alterspräsident den Untergang des Abendlandes beschwört, daraus folgt: nie viel. Aber viele Bürger hätten ein besseres Gefühl, wenn sie bekämen, was ihnen versprochen wurde.

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