Frauen werden im Alter unsichtbar, heißt es. Frei übersetzt bedeutet das: Sie werden nicht mehr als sexuelle Wesen wahrgenommen. Darin steckt zweierlei: Sie werden weder als sexuell attraktiv noch als sexuell aktiv eingestuft. Es ist in etwa die Logik, auf die Kinder beim Spielen reinfallen: Sie halten sich die Augen zu und weil sie selbst jetzt nichts mehr sehen können, meinen sie, auch nicht mehr von den anderen gesehen zu werden.
Parallel dazu denken einige Männer anscheinend, wenn sie eine Frau nicht mehr als Objekt ihrer Begierde sehen, hätte diese Frau auch selbst kein Begehren mehr. So ignorant, so dämlich. Aufmerksamkeit bekam dieser Trugschluss in den vergangenen Tagen wegen des Falls einer Frau aus Portugal, die wegen eines Ärztefehlers keinen Sex mehr haben kann. Gynäkologen verletzten bei einer Operation Mitte der 1990er Jahre einen wichtigen Nerv in ihrem Unterleib. In der Folge wurde sie inkontinent, hatte heftige Schmerzen und konnte nur noch schwer sitzen und laufen. An Sex war nicht mehr zu denken. Sie litt unter Depressionen, weil sie sich nicht mehr als vollwertige Frau fühlte.
Im Jahr 2000 zog sie deshalb vor Gericht. Dieses sprach ihr Schadenersatz zu und ein Schmerzensgeld in Höhe von 172.000 Euro. Die Summe berücksichtigte vor allem den schmerzhaften Verlust ihres Sexlebens. In zweiter Instanz wurde der Betrag drastisch reduziert. In dem Urteil von 2014 schrieben die Richter: „Es sollte nicht vergessen werden, dass die Klägerin zur Zeit der Operation bereits 50 Jahre alt war und zwei Kinder hatte. Das ist ein Alter, in dem Sex nicht mehr so wichtig ist wie in jüngeren Jahren, denn seine Bedeutung verringert sich mit zunehmendem Alter.“
Ein sexistisches Urteil
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kippte das Urteil jetzt. Die Richter verwiesen auf zwei frühere Entscheidungen in Portugal, in denen bei männlichen Patienten anerkannt worden war, dass der Verlust ihrer Potenz durch einen Ärztefehler für die Männer ein Schock gewesen sei – selbstredend unabhängig davon, wie alt sie waren oder ob sie bereits Kinder hatten. In diesem Kontext bedeutete das beanstandete Urteil von 2014: Die Bedeutung von Sex verringert sich mit zunehmendem Alter – für Frauen.
Das Urteil war damit nicht nur altersdiskriminierend, sondern auch sexistisch. Die portugiesischen Richter hätten die Bedeutung ignoriert, die Sexualität auch für Frauen im Hinblick auf ihre Selbstverwirklichung habe, hieß es nun aus Straßburg dazu. Diese Entscheidung des Menschenrechtsgerichtshofes ist eine Mahnung, Frauen und Männer gleichzubehandeln. Bei der Einschätzung war man sich allerdings auch hier nicht ganz einig. Zwei von sieben Richtern konnten keine Diskriminierung von Frauen erkennen. Die beiden Richter konstatierten, es sei schließlich nur um das Alter gegangen.
Altern tun wir alle, möchte man ihnen sagen. Mit dem Älterwerden von Frauen und Männern geht dabei oft auch eine Veränderung bei der Kleiderwahl einher: Die Trendfarbe wird irgendwann Beige, Camel oder Eierschale. Frauen – und auch Männer – sind damit weniger sichtbar. Für Frauen ist hier aber die Fallhöhe größer. Wurden sie zuvor stärker über ihr Aussehen definiert, scheint ihnen nun eine essenzielle Eigenschaft zu fehlen. Sie werden nicht mehr als „Frau“ wahrgenommen. Das Gleiche gilt zwar auch für ältere Männer. Allerdings trifft es sie später und mit weniger Wucht. Die gute Nachricht des Urteils lautet da: Kein Problem! Sex ist etwas zutiefst Menschliches. Sexualität sollte weder etwas mit dem Alter noch dem Geschlecht zu tun haben. Auch das Recht darauf sollte nichts damit zu tun haben. Und hier ist es wie so oft mit Gleichberechtigung: Sie kommt allen zugute.
Kommentare 8
Sie werden nicht mehr als sexuelle Wesen wahrgenommen. Darin steckt zweierlei: Sie werden weder als sexuell attraktiv noch als sexuell aktiv eingestuft.
Ja. Nein. Es lässt sich wohl sagen, dass die Sichtbarkeit älterer Menschen als sexuelle Wesen aus Perspektive junger Menschen auf Null reduziert ist. Und es gibt wohl auch eine Gruppe älterer und alter Männer, die sich mit dem Versuch lächerlich macht, in jugendlichen bis mittelalterlichen Gefilden zu wildern. Und sie machen sich lächerlich, gleichgültig wieviel Macht oder Geld dahinter steckt.
Darüber hinaus gibt es aber auch eine erkleckliche Menge alter Menschen, die sich in Einsicht ihres Status unter ihresgleichen umschauen, ein Umstand, der infolge ihrer generellen Unsichtbarkeit vom Rest der Gesellschaft weitgehend unbemerkt bleibt. Lässt sich ja auch werbetechnisch nicht so gut zu Markte tragen. Leider wird es diesen Menschen aber schwer gemacht, ihre Sexualität auszuleben, sobald sie staatlich oder privatwirtschaftlich organisierte Unterbringung beanspruchen müssen, sprich, sobald sie von ihren Familien abgeschoben werden und ihre Wohnungen nicht mehr selbst betreiben können.
Was den konkreten Fall betrifft, volle Zustimmung; nur glaube ich, dass das wenig mit Sexismus, dafür aber viel mit Ermessensspielräumen zu tun hat.
Wenn durch einen Ärztefehler die sexuelle Erlebnisfähigkeit eingeschränkt wurde, wäre das für beide Geschlechter ein Grund für eine gerichtliche Klage. Denn das Recht auf Sex ist dann wirklich beeinträchtigt, weil weder Selbstbefriedigung noch sexueller Verkehr möglich sind. Aber ein soziales "Recht auf Sex" erkenne ich nicht. Es gibt viele Menschen, ob jung oder alt, die aus den verschiedensten Gründen keine sexuellen Kontakte haben können.
Am Ende landet man dann wieder beim Ehepartner, der das "Recht auf Sex" von seiner Partnerin einklagen kann ... oder wie soll man das Ganze sonst verstehen?
Dass Frauen im Alter sexuell nicht mehr begehrenswert erscheinen, ist auch nicht ganz so. Nicht ohne Grund finden sich in Seniorenresidenzen immer wieder Paare sehr verliebt zusammen.
Überhaupt würde ich das "Recht auf Sex" eher in Das Recht auf erotische Zuwendung, auf Zärtlichkeit oder was auch immer umwandeln.
Es gibt ja diese Debatte um das Recht auf sexuelle Begleitung für Behinderte, die auch von den Kassen bezahlt werden soll: Auf deutsch: Das Recht auf eine Prostituierte. Aber, es hat was von Erschließung neuer Geschäftsmodelle für die "Branche".
Sie werden nicht mehr als sexuelle Wesen wahrgenommen. Darin steckt zweierlei: Sie werden weder als sexuell attraktiv noch als sexuell aktiv eingestuft.
Andeterseits: Werden Sie als sexuelle Wesen wahrgenommen, starten Sie einen Aufschrei.
Am Ende landet man dann wieder beim Ehepartner, der das "Recht auf Sex" von seiner Partnerin einklagen kann ... oder wie soll man das Ganze sonst verstehen?
Kann er ja nicht mehr einklagen. Nur das Recht auf keinen Sex ist einklagbar. Jeder hat aber das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Wie sieht der Kompromiß aus? Kann unter diesen Umständen "Ehebruch" noch ein Scheidungsgrund sein?
"Am Ende landet man dann wieder beim Ehepartner, der das "Recht auf Sex" von seiner Partnerin einklagen kann"
oder partner (männlich)
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/gerichtsurteil-in-frankreich-schadensersatz-fuer-ehe-ohne-sex-a-784600.html
Das ist für Sie Wahrnehmung als sexuelle Wesen, wenn einer was über die gut besuchte Bluse schwafelt? Männer, ich sags ja.... :)
Um eine Antwort auf meine Frage haben Sie sich gedrückt.
Ein bedauerliches Fehlurteil! Anachronistisch selbst für ein traditionell katholisches Land! Immerhin hat der EuGH die Sache geradegerückt. Einen Aufschrei provoziert das portugiesische Urteil bei mir nicht, da es eine Ausnahme darstellt. Der Rechtswandel ist in vollem Gange, der gesellschaftliche ohnehin. Es gibt zahlreiche Filme zu Sex im Alter, Reportagen, Begriffe, die in die Sprache Einzug halten. MILF, Cougar... "Cougartown", um eine sicher nicht pejorative Darstellung der sexuell aktiven älteren Frau zu erwähnen...