Keine europäischen Höhen

Zuwanderungsgesetz Die Grünen trösten sich wieder einmal damit, einen "Einstieg" erreicht zu haben

Auch auf dem SPD-Parteitag in Nürnberg war die Einigung mit dem grünen Koalitionspartner in Sachen Einwanderung noch einmal Thema. Der Anfang November vorgelegte Entwurf sei "ein wichtiges Reformwerk", hieß es in einem Initiativantrag des SPD-Vorstands. Ausdrücklich erwähnt wurde dabei auch die Anerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung, die zu einem Abschiebeschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) führt. Während der Verhandlungen zwischen SPD, Grünen und Innenministerium war diese Neuerung lange Zeit umstritten und drohte am Widerstand des Innenministers zu scheitern - jeder Kompromiss musste Otto Schily mühsam abgerungen werden, der bis zuletzt die Hürden für eine Zustimmung der Union niedrig halten wollte.

Was nun vorliegt, ist ein Gesetz, dass die partielle Öffnung der Grenzen für ökonomisch nützliche Einwanderer vorzieht und damit die Tür für Einwanderung bestenfalls einen Spalt öffnet. Während der SPD-Innenexperte Ludwig Stiegler für die kommenden zehn Jahre keinen zusätzlichen Einwanderungsbedarf auf dem deutschen Arbeitsmarkt und daher keine Auswirkungen des Gesetzes auf die Zuwandererzahlen sieht, ist für die Grünen damit der Einstieg in die demografische Einwanderung verbunden. Wie beim Atomkonsens vertrösten sich somit die Grünen wieder mit einem Einstieg. Damit bleibt Rot-Grün jedoch selbst hinter den Erwartungen der Wirtschaft und den Empfehlungen der Süssmuth-Kommission zurück. Gleiches gilt bei der Integration: Zwar schreibt der rot-grüne Entwurf auch das Recht auf Integration fest. Die daraus abgeleitete Pflicht zur Integration, deren Nichterfüllung zum Entzug der Aufenthaltserlaubnis führen kann, wiegt jedoch um so schwerer, weil die Finanzierung der verordneten Integrationskurse nicht gesichert ist.

In vielen Bereichen wird Einwanderung zukünftig noch restriktiver reglementiert. So etwa beim Familiennachzug, auch wenn hier die Grünen Schily zum Nachgeben bewegen konnten. Dessen Ziel war es einmal, das modernste Einwanderungsgesetz Europas zu schaffen. Doch jetzt "liegt er immer noch weit hinter dem Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission, der ein Nachzugsalter von 18 Jahren vorsieht", wie die Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Barbara Stolterfoht, feststellte.

Zu europäischen Höhen ist man allerdings an einem Punkt emporgestiegen: Die Anerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Im Rahmen der Harmonisierung des Asylrechts innerhalb der EU stand hier allerdings früher oder später eine Neuregelung an, denn dem gemeinsamen Asylsystem der EU soll die GFK "uneingeschränkt und allumfassend" zu Grunde gelegt werden, wie auf dem EU-Gipfel in Tampere 1999 festgelegt worden war.

Darüber hinaus relativiert sich dieser uneingeschränkte Erfolg der Grünen, wenn man die Verschlechterungen für Flüchtlinge und bereits hier lebende Migranten berücksichtigt. Verschlechterungen, die mit der Reduzierung auf nur noch zwei Aufenthaltstitel und dem Wegfall des Duldungsstatus verbunden sind. Zudem ist der Erfolg die Grünen teuer erkauft. Denn die Einigung bei der Einwanderung erfolgte nur, weil die Partei zuvor Schilys Anti-Terror-Gesetzgebung zugestimmt hatten. Doch das Anti-Terror-Paket II beinhaltet zahlreiche Verschärfungen im Ausländer- und Asylverfahrensgesetz, den Ausbau des Ausländerzentralregisters und vieles mehr. Darüber hinaus sieht es auch eine drastische Verschärfung der Ausweisungstatbestände vor, bei denen zukünftig die aufschiebende Wirkung einer Klage entfällt.

Was wird von diesem Doppelpack Bestand haben? Für die Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes ist Rot-Grün im Bundestag auf die Stimmen der Union angewiesen. Zwar haben die von Großen Koalitionen regierten Länder Brandenburg und Bremen signalisiert, sie könnten unter Umständen dem Gesetz zustimmen. Bedingung seien aber Korrekturen in Richtung "Zuzugsbegrenzung", womit vor allem das Nachzugsalter für Kinder und der Abschiebeschutz bei nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung gemeint sind. Durchaus denkbar also, dass die Zugeständnisse an die Grünen beim Einwanderungsgesetz auf der Strecke und nur noch die Verschärfungen des Anti-Terror-Pakets II übrig bleiben.

Die Union droht, bei einem Scheitern des Gesetzes Einwanderung zum Wahlkampfthema zu machen, und die Wirtschaftsverbände drängen auf eine Einigung. Für die SPD zwei gewichtige Gründe, die Kuh vom Eis zu holen.

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