90 Jahre Stanley Kubrick, 50 Jahre „2001"

Film und Kino Am 26. Juli wäre der Ausnahmeregisseur Stanley Kubrick 90 Jahre alt geworden. 1968 hatte sein Meisterwerk „2001 – ODYSSEE IM WELTRAUM“ Weltpremiere.

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Das Frankfurter Filmmuseum würdigt ihn und sein Werk mit einer Ausstellung und einer Filmreihe.

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Mittwoch, 1. August um 20:30 Uhr

Die Rechnung ging nicht auf (THE KILLING)

USA 1956, mit Sterling Hayden, Coleen Gray, Vince Edwards. 85 Min. 35mm. Originalfassung, englisch mit deutschen Untertiteln

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Eine aus sehr unterschiedlichen Charakteren bestehende Gruppe Krimineller überfällt das Wettbüro einer Pferderennbahn. Doch ihr minutiös ausgetüftelter Plan scheitert an einer Reihe von Unwägbarkeiten, banalen Zufällen und der Habgier einzelner Bandenmitglieder. Bereits der von kühler Präzision und bitterer Ironie geprägte dritte Spielfilm Stanley Kubricks zeigt ihn als bestechenden visuellen Erzähler, der in diesem intelligenten und packenden Film noir die konfliktreiche Personenkonstellation in ausgeklügelte Bilder übersetzt.

Bereits als End-Zwanziger überzeugt Kubrick mit bestechender Schwarz-weiß-Optik und dynamischer Montage.

Samstag, 4. August um 20:30 Uhr

Wege zum Ruhm (PATHS OF GLORY)

USA 1957, mit Kirk Douglas, Ralph Meeker, Adolphe Menjou, Joe Turkel. 87 Min. 35mm. Originalfassung, englisch

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Der französische General Broulard beauftragt den ihm unterstellten General Mireau, eine von den Deutschen befestigte Stellung anzugreifen. Der besonnene Colonel Dax hat schwere Bedenken, beugt sich jedoch dem Druck seines Vorgesetzten. Die Operation endet in einem Fiasko. Realistisch und erschütternd glaubhaft schildert Kubrick die Verbrechen des Krieges und die Verfehlungen autoritärer Militärs. Während der Dreharbeiten lernte er in München Susanne Christian, geb. Christiane Susanne Harlan, kennen. Die junge Schauspielerin, die am Ende des Films das ergreifende Lied vom treuen Husaren anstimmt, wurde Kubricks dritte Ehefrau (1957-1999).

Eine erste Erkundungsmission der Franzosen in die deutschen Stellungen endet mit dem Tod von zwei Soldaten; die Leiche des Einen sehen wir in Großaufnahme mit qualmenden Einschusslöchern. Zur „Unterstützung“ des französischen Großangriffs ordnet General Mireau den Beschuss der eigenen Truppen an, um deren Rückzug in die eigenen Stellungen zu verhindern; ein Funker verweigert hier zunächst den Befehl. Nach dem Scheitern des Großangriffs ergeht der Befehl, drei sorgfältig ausgesuchte Soldaten wegen Feigheit vor dem Feind zum Tod zu verurteilen und hinzurichten. Dass einer der betroffenen Soldaten in früheren Schlachten für seine Tapferkeit ausgezeichnet wurde, spielt keine Rolle. Sogar einer der Verurteilten, der bei einer Auseinandersetzung im Gefangenenquartier einen Schädelbruch erleidet, wird ärztlich versorgt und bis zur Hinrichtung durchgepäppelt. Einen besonderen Kontrast sehen wir im Wechsel zwischen dem Blut, Dreck und Elend der Schützengräben und dem Prunk des Militärhauptquartiers, wo die Entscheider von Leben und Tod Croissants mit Marmelade von edelstem Porzellan genießen. Grauenhaft gut.

Sonntag, 5. August um 19:30 Uhr

SPARTACUS

USA 1960, mit Kirk Douglas, Laurence Olivier, Peter Ustinov, Jean Simmons, John Gavin, Charles Laughton, Woody Strode und Tony Curtis. 191 Min. 35mm. Originalfassung, englisch mit deutschen Untertiteln

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Der Betreiber einer Gladiatorenschule Lentulus Batiatus kauft den ungehorsamen, aber starken Sklaven Spartacus und lässt ihn zum Gladiator ausbilden. Doch mit Spartacus als Anführer rebellieren die Gladiatoren gegen ihre Ausbilder und proben schließlich den Aufstand gegen die römischen Herrscher. Ein schicksalhafter Marsch auf Rom beginnt. Stanley Kubricks bildgewaltiger Film basiert auf dem Sklavenaufstand im antiken Rom, wobei die historische Figur des Spartacus zu weiten Teilen fiktiv inszeniert wird. Zu sehen ist die Anfang der 1990er rekonstruierte, ungekürzte Originalfassung des Films, die reizvolle Details und Untertöne der Geschichte offenbart.

SPARTACUS war Kubrick´s erste und einzige Auftragsarbeit. Hollywoodprofi Anthony Mann wurde von Produzent Douglas nach wenigen Drehtagen gefeuert. Douglas, der von der Zusammenarbeit mit Kubrick in PATHS OF GLORY begeistert war, engagierte ihn für den Monumentalfilm. Kubrick lieferte erstklassige Arbeit, war aber selbst vom Endprodukt eher enttäuscht und entschied sich, nur noch in völliger künstlerischer Unabhängigkeit zu arbeiten. Zugegeben sind die Liebesgeschichte zwischen den Sklaven Spartacus und Varinia und die dazugehörige Filmmusik recht kitschig geraten. Es gab vier Oscars für Nebendarsteller Ustinov, Bildgestaltung, Ausstattung und Kostüme. Film, Regisseur und Hauptdarsteller Douglas waren trotz hervorragender Leistungen nicht mal nominiert. Das dürfte damit zu tun haben, dass Kirk Douglas als Drehbuchautoren Dalton Trumbo engagiert und unter seinem echten Namen genannt hatte, der auf McCarthy´s schwarzer Liste für kommunistische und unamerikanische Aktivitäten stand und daher keine Arbeit in Hollywood hatte. Eine der Szenen, die in der Ur-Fassung nicht enthalten war, ist eine Badeszene mit Crassus (Laurence Olivier) und Antoninus (Tony Curtis), die deutliche bisexuelle Untertöne hat und daher aus der Ur-Fassung gelöscht wurde: „I eat snails and oysters.“ – „Ich esse Schnecken und Austern, wenn ich sie bekomme.“ In der 1991 restaurierten Version ist die Szene enthalten.
Fantastisch. Es gibt keinen Bildschirm, der groß genug dafür ist.

Mittwoch, 8. August um 20:30 Uhr

LOLITA

Großbritannien/USA 1962, mit James Mason, Sue Lyon, Shelley Winters und Peter Sellers. 153 Min. 35mm. Originalfassung, englisch

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Humbert Humbert, ein alternder Literaturdozent, gerät bei der Wohnungssuche an die Witwe Charlotte Haze und verfällt hoffnungslos ihrer frühreifen Tochter Dolores. Um ihr nahe sein zu können, lässt er sich sogar auf die Heirat mit der Mutter ein – mit gravierenden Folgen für alle Beteiligten. Den berühmten Roman von Vladimir Nabokov, der selbst das Drehbuch verantwortete, adaptiert Kubrick mit eigenständigen Akzenten und großer Dichte. Grandios gelingt die Betonung der fast surrealen Tragikomik des Geschehens, die mit schwarzem Humor und lustvoll doppeldeutigen Dialogen entwickelt wird.

Als Charlotte ein Tagebuch ihres Mannes findet und liest, in dem die Liebe zur Tochter bzw. Stieftochter beschrieben wird, läuft sie aus dem Haus und wird von einem Auto überfahren. Humbert und Dolores ziehen durchs Land, aber sie verlässt ihn für den manipulativen Akademiker und Künstler Quilty. In der Eröffnungsszene kommt es zu einem sehr ironischen Dialog, als Humbert sein Gegenüber fragt, ob er Quilty sei und er antwortet „I am Spartacus!“ Peter Sellers ist in seiner kurzen Rolle als Quilty grandios und verblüfft Alle, die ihn sonst nur als schusseligen Inspektor Clouseau aus den Rosarote-Panther-Filmen kannten.

Samstag, 11. August um 20:30 Uhr

FULL METAL JACKET

Großbritannien/USA 1987, mit Matthew Modine, R. Lee Ermey, Vincent D’Onofrio. 116 Min. 35mm. Originalfassung, englisch mit deutschen Untertiteln

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Nach einer überharten, unmenschlichen Ausbildung in einem Trainingslager der US-Marines, die die Rekruten jeder Identität beraubt, kommt ein junger Soldat als Kriegsberichterstatter nach Vietnam. Dort erlebt er die chaotische Hölle eines Krieges, in dem Menschlichkeit und Werte längst keine Bedeutung mehr haben. Kubricks schonungslose Bestandsaufnahme der Schrecken des Krieges und der Entmenschlichung der militärischen Ausbildung besticht mit großartigen Schauspielerleistungen und einem erschreckend realistischen Blick hinter die dünne Fassade der Zivilisation.

Der Film ist in zwei Teile aufgeteilt. Zunächst sehen wir Rekruten bei der sadistischen und erniedrigenden Ausbildung unter Sergeant Hartmann. Der geistig behinderte und langsame Pyle „genannt Paula“ wird zur wandelnden Zeitbombe und erschießt zum Abschluss der ersten Episode den Sergeant und sich selbst. Im vietnamesischen Kriegsgebiet sehen wir abwechselnd Kampf- und Dialogszenen. Da werden vom Hubschrauber einfach aus Spaß einheimische Bauern und Wasserbüffel abgeknallt. Zum Schluss wird die Einheit von einer vietnmesischen Kämpferin dezimiert, bevor sie sie erschießen können.
Schauspieler Vincent D´Onofrio spielt als Soldat Pyle „Paula“ die Rolle seines Lebens, die in einem diabolischen Grinsen und der Doppel-Erschießung gipfelt. Sensationell ist der im April 2018 verstorbene R. Lee Ermey in der Rolle des Sergeant Hartmann. Er war damals echter Armeeausbilder und wurde als Trainer und Berater für den Darsteller des Sergeant Hartmann engagiert. Alle waren so begeistert von seinen Darbietungen, dass Kubrick ihm die Rolle anbot.

Von Trüffeln zu Schimmelpilzen: der französische Rache-Thriller REVENGE (Samstag, 11. August um 22:30 Uhr)

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Junge Frau macht Urlaub mit ihrem jungen und verheirateten Liebhaber in der Villa in der marrokanischen Wüste, führt sich selbst mit einem Blow-Job ein, wird am nächsten Tag von dessen Kumpel / Geschäftspartner vergewaltigt, dann fast ermordet und nimmt Rache. Unlogische Handlungsverläufe, nicht mehr zählbare Anschlussfehler und gigantische Blutspuren und Blutpfützen in Wüste und Villa, die eigentlich zum tödlichen Blutverlust hätten führen müssen, sorgen im Kino für unfreiwillige Komik. Aber das Filmdebut der Regisseurin ist ernst gemeint und wird bei Filmkritikern als Signal neuen femininen Selbstbewusstseins gefeiert.

Mittwoch, 15. August um 20:00 Uhr

BARRY LYNDON

Großbritannien 1975, mit Ryan O’Neal, Marisa Berenson, Patrick Magee, Dominic Savage, Leon Vitali, Murray Melvine, Leonard Rossiter, Philip Stone, Diane Krüger und Hardy Krüger. 177 min. 35mm. Originalfassung, english

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Auf die Frage, warum er den Roman „The Luck of Barry Lyndon“ von William Thackeray als Grundlage für seinen Film ausgewählt habe, antwortete Kubrick seinerzeit, er habe es wegen der interessanten visuellen Möglichkeiten des Stoffes getan. Der Regisseur hat diese Möglichkeiten in vollem Umfang genutzt: Er fängt genau und bildgewaltig die Welt des 18. Jahrhunderts ein, indem er die Geschichte eines irischen Abenteurers erzählt, der mit großem Ehrgeiz in der feinen Gesellschaft aufsteigt, um am Ende alles wieder zu verlieren. Ein Film, den man nicht oft genug sehen kann.

Von allen Meisterwerken des Meisters aller Klassen ist BARRY LYNDON der visuell schönste Film. Gedreht wurde ohne künstliches Licht sondern ausschließlich mit Tageslicht und Kerzenlicht, wobei besondere Kerzen mit Mehrfachdocht und das damals lichtintensivste Kameraobjektiv der Firma Zeiss verwendet, das von der NASA ausgeliehen wurde. Dafür bekam Bildgestalter John Alcott einen verdienten Oscar; weitere Oscars gab es für Ausstattung, Kostüme und Musikadaption. Film, Regisseur Kubrick und das Drehbuch wurden immerhin nominiert. Durch die Art der Bildgestaltung wirkt jede Einstellung wie ein bewegliches Gemälde. Großartig.

Freitag, 17. August um 20:30 Uhr

2001: Odyssee im Weltraum (2001: A SPACE ODYSSEY)

GB/USA 1968, mit Keir Dullea, Gary Lockwood, William Sylvester. 141 Min. 70mm. Originalfassung

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Kubricks achter Spielfilm gilt als bester Science-Fiction- Film aller Zeiten. 2001 revolutionierte nicht nur die Tricktechnik, Filmmusik und Erzählweise des Genres, sondern prägte für Generationen unser Bild vom Weltraum – und ist zugleich eine evolutionsgeschichtliche und kulturphilosophische Ergründung der Entwicklung des Menschen von frühzeitlichen Affen bis zur künstlichen Intelligenz der Zukunft. Zu sehen ist im August die kürzlich beim Filmfestival in Cannes vorgestellte neue 70mm-Kopie, die sich erstmals nach Jahrzehnten anhand einer neuen Umkopierung vom Originalnegativ dem ursprünglichen Look anzunähern versucht.

Die Handlung muss ich wahrscheinlich nicht zusammenfassen. Der schwarze Quader unbekannter Herkunft und Zusammensetzung beinflußt in der Wüste urzeitliche Affen, zu Fleischfressern und Mördern zu werden, strahlt 2001 merkwürdige Signale vom Mond aus und löst eine Forschungsmission zum Jupiter aus. Die künstliche Intelligenz HAL-9000 hat die gesamte Mission und die Leben der Besatzungsmitglieder in der nicht vorhandenen sprichwörtlichen Hand. Um das Scheitern zu verhindern, tötet HAL-9000 vier von fünf Besatzungsmitgliedern, bevor Kommandant Bowman ihn deaktivieren kann und auf den Monolithen und die außerirdische Intelligenz trifft.

70mm! Zu sehen ist eine sehr neue 70-mm-Fassung, die dieses Jahr in Cannes uraufgeführt wurde. In einer Eröffnungsszene kann ich aus der hintersten Reihe die einzelnen Haare der Affen erkennen. Fantastisch.
Der Meister aller Klassen Stanley Kubrick sah in den 60er Jahren Einiges voraus, was heute Alltag ist, z.B. erste Formen künstlicher Intelligenz, Vernetzung, Tablet-Computer. Nur die Pleite der Fluggesellschaft PAN-AM sah Kubrick nicht voraus.
Die menschlichen Akteure verhalten sich in allen Situation bis zur Lebensgefahr ruhig und rational, während der Bordcomputer menschliche Verhaltensweisen wie Verfolgungswahn und Todesangst entwickelt.
2001 – SPACE ODYSSEE: Ein Monolith der Filmgeschichte!

Trüffel und Schimmelpilze – Vol. 2: Pizza Margheriti (von Allem etwas)

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Am Freitag, den 24. August pausiere ich beim Meisterregisseur und schaue mir im Frankfurter Studentenkino Pupille eine Doppelvorstellung mit Filmen des italienischen Genrefilm-Regisseurs Antonio Margheriti alias Anthony M. Dawson an. Gezeigt werden JÄGER DER APOKALYPSE und ASPHALTKANNIBALEN als gut erhaltene 35-mm-Kopien. Einmal plumpe Nachahmung diverser Vietnam-Kriegsfilme aus Hollywood, einmal Vietnam-Kriegstrauma mit Kannibalen-Virus-Horror in der US-Stadt. Von der Machart sind sie einigermapen professionell und akzeptabel, inhaltlich aber teilweise sehr schlecht. In den 50er bis 70er Jahren machte Margheriti durchaus ansehnliche Genrefilme, die fast immer an populäre US-Vorbilder angelehnt waren. Er drehte drollige Weltraumfilme über außerirdische Invasoren mit Modellbaukulissen und sehenswerte Horror- und Thrillerfilme mit Atmosphäre und guter Ausstattung und prominenten Darstellern wie Klaus Kinski, drehte in den 80er Jahren aber nur doch Söldnerfilme und ähnlichen debilen Müll wie hier. Wenn in ASPHALTKANNIBALEN lebende Ratten in der Kanalisation mit einem Flammenwerfer angezündet werden, ist das jenseits von gut und böse und ich kann überhaupt nicht verstehen, warum Kultfilmer Quentin Tarantino Pizza Margheriti so abgöttisch verehrt und ihm sogar eine witzige Dialogszene in INGLOURIOUS BASTERDS widmet.
Es gibt aber nichts zu meckern, denn die Klassikervorführungen von Pupille sind oft richtig gut und haben meistens tolle Stimmung und es war interessant, diese beiden Machwerke mal zu sehen. Im Publikum sorgten beide Filme wegen ihrer mehr oder weniger absurden Handlung oft für Gelächter.

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Samstag, 25. August um 20:00 Uhr

Uhrwerk Orange (A CLOCKWORK ORANGE)

Großbritannien 1971. R: Stanley Kubrick
D: Malcolm McDowell, Patrick Magee, Michael Bates. 137 Min. 35mm. Originalfassung, englisch

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Popkultur trifft auf Ultra-Brutalität: Alex hört Beethoven, trinkt Milch und ist Anführer einer bizarren Jugendbande, die nachts mordend und vergewaltigend durch die öden Vororte einer englischen Metropole zieht. Als er in die Mühlen von Polizei und Justiz gerät, wird er versuchsweise einer neuen Therapie unterzogen, die ihn von allen Sex- und Gewaltgelüsten heilen soll. Einer von Kubricks größten Kultfilmen ist eine doppelbödige und bitterböse Abrechnung sowohl mit dem hysterischen Hedonismus der Konsumkultur als auch mit einem jede Individualität ausradierenden, den Menschen zum leblosen Gehorsam degradierenden bürokratischen Zivilisationsauswuchs.

Alex Delarge ist ein unglaublicher Soziopath, der ein widerlicher Charakter ist und trotzdem eine Anziehungskraft auf das Publikum ausübt. Bei der versehentlichen Tötung eines Opfers kommt es zum Machtkampf mit seiner Bande. Alex kommt ins Gefängnis und wird nach einiger Zeit einer Gehirnwäsche unterzogen, die nach Abschluss bei Andeutungen von Gewalt und Sexualität körperliche Schmerzen verursacht. Als Kollateralschaden werden diese Reaktionen auch bei Beethoven-Musik verursacht. Ironischerweise begegnet Alex nach seiner Freilassung in seinem wehrlosen Zustand einigen seiner früheren Opfer und seinen früheren Kumpels, die nun bei der Polizei arbeiten. Um einen politischen Skandal zu vermeiden, wird die Gehirnwäsche rückgängig gemacht.
Design, Dialoge, die stilisierte elektronische Musik von Walter Carlos, (später Wendy Carlos – zusammen mit Robert Moog der Erfinder des ersten elektronischen Tasteninstruments) und die brillianten Dialoge machen das zivilisationskritische Werk zu einer Meisterleistung der Filmgeschichte und zu meinem zweitliebsten Film.
Die Bildqualität ist hervorragend und der Filmführer antwortet mir stolz, dass die Kopie aus dem Besitz der Kubrick-Familie stammt. Seit einer riesigen Kubrick-Ausstellung 2003 hat das Filmmuseum sehr gute Beziehungen zur Kubrick-Familie.
Unglaublich und einen eigenen Film wert ist die Karriere des Hauptdarstellers Malcolm McDowell. Der damals 28jähre hatte seinen Durchbruch im Internatsdrama „IF…“, spielte nach UHRWERK ORANGE im Skandalfilm CALIGULA, der ohne Wissen der Hauptdarsteller von den Produzenten mit Hardcore-Pornoszenen angereichert wurde, und hatte bis in die 80er Jahre mehr oder weniger erfolgreich als Nebendarsteller in Hollywood-Filmen zu tun. Zwischendrin ermordete er immerhin noch Captain Kirk. Danach wurden die guten Rollen weniger und McDowell spielte überwiegend in Action-Schundfilmen mit, deren Tiefpunkte Darbietungen in Heimkino-Produktionen von Asylum oder dem SCY-FY-Kanal hatten. Seine letzte bedeutende Rolle hatte Malcolm McDowell 2003 als englischer Sprecher für die gigantische Kubrick-Ausstellung im Frankfurter Filmmuseum.

Mittwoch, 29. August um 20:30 Uhr

THE SHINING

Großbritannien/USA 1980. R: Stanley Kubrick
D: Jack Nicholson, Shelley Duvall, Danny Lloyd, Joe Turkel, Philip Stone. 146 Min. 35mm. Originalfassung

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Der Schriftsteller Jack Torrance zieht mit seiner Familie über den Winter als Hausmeister ins geschlossene Overlook-Hotel in den Bergen von Colorado. Das labyrinthische Hotel wird zunehmend zum Spukschloss, das Wahnvorstellungen, Identitätskrisen und Zwangshandlungen provoziert. Der Horrorklassiker nach Stephen King ist eine virtuos inszenierte Studie über die Wechselwirkung von Wirklichkeit und Schein sowie die traumatischen Abgründe, die sich beim Verlust eines rationalen Blicks auf die Welt auftun. Zu sehen ist die nie regulär in Deutschland gestartete US-Langfassung.

Die Handlung dürfte weitgehend bekannt sein. Schriftsteller Jack Torrance überwintert mit seiner Familie in einem riesigen stillgelegten Hotelkomplex, den er als Hausmeister vor Frostschäden schützen soll. Der Sohn hat paranormale Fähigkeiten und erschreckende Visionen von Toten und Blutfontänen im Hotelflur und kann über Gedanken mit dem Chefkoch kommunizieren. Durch Geister und seine eigene psychische Labilität und seinen latenten Alkoholismus langsam in den Wahnsinn getrieben versucht der Vater, seine eigene Familie zu töten, was schon ein früherer Hausmeister tat. Kubrick´s SHINING ist nicht nur ein Horrorfilm sondern ein Spiel mit den Wahrnehmungen der Zuschauer/innen. Es wimmelt vor Anspielungen auf die Ausrottungen der Indianer, auf deren ehemaligen Stammesgebiet das Hotel gebaut wurde. Der Berg Gepäck der Familie Torrance ist größer als der komplette VW-Käfer, der im Film gelb ist und nicht rot wie im Roman; dagegen sehen wir ein rotes Käfer-Wrack bei einem Verkehrsunfall - eine lange Nase des Regisseurs an den unzufriedenen Romanautor Steven King, der massiv versuchte, sich bei der Vorberreitungsphase und den Dreharbeiten einzumischen. Innerhalb einer Szene verschwindet ein Stuhl im Hintergrund und ist wieder da. In einem Fenster im Büro des Hotelmanagers sehen wir in verschiedenen Szenen verschiedene Motive von draußen, obwohl dieser Raum in der Architektur des Hotels gar nicht an einer Außenwand zu liegen scheint. Als der Sohn im Flur spielt, ist das Teppichmuster auf innerhalb von einer Szene um180° gedreht. Bei fast jedem anderen Filmemacher hätte ich Anschlussfehler durch Nachlässigkeit vermutet, nicht bei Kubrick. Man kann den Film immer wieder sehen und entdeckt immer wieder etwas Neues.

Auf dem Heimkinomarkt kursiert immer wieder eine inoffizielle Veröffentlichung dieser Langfassung, die als „Directors cut“ vermarktet wird. Dabei wurde die US-Langfassung von Kubrick persönlich für die internationale Veröffentlichung gekürzt und das war auch richtig so. Einige Szenen in der Langfassung machen durchaus Sinn, z.B. das Gespräch mit der Kinderärztin, in deren Verlauf sehr früh eine Misshandlung gegenüber seinem Sohn Danny thematisiert wird. Andere Szenen sind einfach in der Langfassung verlängert, ohne etwas zu bringen. Tiefpunkt ist eine kurze Einstellung, in der mumifizierte Skelette zwischen Spinnenweben sitzen, was wie Halloween-Dekoration aussieht und unfreiwillige Komik statt Grusel auslöst.
Zuletzt sah ich diese Version 2003 während der damaligen Kubrick-Ausstellung im Rahmen der damaligen Filmreihe. Es ist wieder interessant, diese Version im Vergleich zu sehen. Zu bevorzugen ist allerdings die offizielle internationale Kubrick-Version.

Samstag, 1. September um 17:30 Uhr

Ich schaue 2001 nochmal. Allerdings wird eine digitale Version mit deutschen Untertiteln gezeigt. In der dritten Reihe kann ich die einzelnen Haare der Affen nicht erkennen. Der Unterschied zwischen Digitalprojektion und echtem Film ist eindeutig. Dafür wird uns als Bonusmaterial eine Botschaft aus dem All angekündigt: Astronaut Alexander Gerst grüßt das Publikum des Deutschen Filmmuseums.

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Samstag, 22. September um 15:00 Uhr: Die Ausstellung

Am vorletzten Tag der Kubrick-Ausstellung schaffe ich tatsächlich noch, an einer stark besuchten und sehr kompetenten Führung teilzunehmen. Ausgestellt ist hier u.A. die Originalskulptur des Weltraumbabys aus der Schlusseinstellung. Hier erfahre ich z.B., dass die Tochter des NASA-Beauftragten Heywood Floyd, mit der er auf der Raumstation ein Videotelefonat führt, die jünste Tochter von Stanley Kubrick ist. Auch die Legende der des Computernamens HAL-9000, von der ich bereits wusste, wird unterhaltsam erläutert – gehen Sie bei jedem Buchstaben einen weiter und Sie haben IBM.

Sehr gelungen. Vielen Dank.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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