And the OSCAR goes to ...

Film und Kino Gestern hatte ich endlich Gelegenheit, GREEN BOOK zu schauen, der kürzlich den Oscar für den besten Film des Jahres bekam. Na ja..

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Ein weiterer Oscar ging an das beste Originaldrehbuch, dass u.A. von Nick Vallelonga verfasst wurde, dem Sohn von Frank Vallelonga alias Tony Lip, den damaligen Fahrer (im Film Viggo Mortensen) und hier wurde wahrscheinlich Einiges durch die rosarote Brille gesehen.

Auch, wenn die deutsche Premiere bereits vor fünf Wochen war und die OSCAR-Verleihung heute vor einer Woche war, ist es eine gute Gelegenheit, einen kleinen Rückblick auf die OSCAR-Show und einen direkten Vergleich mit dem anderen Film über Rassismus zu machen: BLACKKKLANSMEN von Spike Lee.

Doctor Don Shirley ist nicht der typische afro-amerikanische Niedrigöhner und Slumbewohner sondern ein wohlhabender und exzentrischer Konzertpianist, der über der Musikhalle Carnegy mit indischem Butler in einem Luxusappartment voller wertvoller Antiquitäten und Vasen und Elfenbeinstoßzähne lebt. Hier tront er mit elegantem Gewand und Goldschmuck auf einem Podest, wenn er die Bewerber um einen Fahrer- und Leibwächter-Job zum Vorstellungsgespräch empfängt. Frank Vallelonga alias Tony Lip ist ein rüpelhafter Italoamerikaner, Türsteher und Rausschmeißer und selbst latenter Rassist, der zu Hause auch mal Gläser in den Müll wirft, aus denen die "Neger"-Handwerker tranken. Er soll den Job bekommen. Beide haben während der Konzerttournee ihre Konflikte und raufen sich zusammen, was phasenweise eher schleppend erzählt wird. Don Shirley ist bei Konzertveranstaltern der Gaststar des Abends, darf vor Ort aber nicht die Toillette im Haus benutzen und nicht im Restaurant essen, in dem er später auftreten soll. Beide werden Opfer bzw. Zeuge von Rassismus in den Südstaaten der USA. Don Shirley landet auch zwei mal im Gefängnis, u.A. weil er bei homosexuellen Handlungen erwischt wurde, was trotz der gesellschaftlichen Relevanz aber nur eine kurze Szenenfolge wert ist. Die beiden Probleme des Films sind, dass man einen leichten und etwas nachdenklichen Wohlfühlfilm machen wollte, der es allen recht machen und niemandem weh tun soll. Dabei bleiben viele Probleme für mich an der Oberfläche. Die Bürgerrechtsbewegung ist kein Thema. Das andere Problem ist, dass wir auch das Portrait eines herausragenden Musikers sehen, von dem wir im Film nur einen einzigen selbst komponierten Titel hören und ansonsten mit Konservenmusik bespielt werden. Aretha Franklin und Little Richard sind sicher gute Musiker, aber im Konzext ist die Musikfolge doch sehr gefällig. Einige Dialoge sind witzig. Hier ist die deutsche Synchronisation allerdings sehr eigenwillig; der ungebildete Tony verwechselt einmal Orpheus mit Opfer - auf englisch VICTIM. Schließich sind es jedoch einige sehr gute Dialoge und die beiden guten Darsteller, die den Film heraus reißen und vor der Banalität bewahren. Der Film ist insgesamt nicht schlecht, aber auch nicht besonders gut. Es ist nicht der beste Film der letzten zwölf Monate sondern mit viel Wohlwollen gehobenes Mittelmaß, an das sich in fünf Jahren niemand erinnern wird. Immerhin wurde Regisseur Peter Farelly nicht für die Regie nominiert, da er doch sehr brav und konventionell inszenierte. Seine größten Erfolge hatte er gemeinsam mit seinem Bruder Bobby Farelly, mit dem er DUMM UND DÜMMER mit Jim Carrey und Jeff Daniels und VERRÜCKT NACH MARY, in dem sich Cameron Diaz Sperma in die Haare schmiert, das sie für Haargel hält.

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Im Gegensatz dazu geht Spike Lee dahin, wo es wirklich weh tut. In BLACKKKLANSMEN infiltrieren ein afroamerikanischer und ein jüdischer Polizist den Ku-Klux-Klan. Der Polizist, der das damals erlebte, schrieb ein Tatsachenbuch darüber, nachdem die Ermittlung auf Veranlassung höchster politischer Kräfte eingestellt wurden, und Spike Lee verfilmte das. Hierbei konfrontiert uns Spike Lee direkt mit Alltagsrassismus in allen Lebenssituationen und sogar bei der Polizei: "Nigger, bring mir mal die Ermittlungsakte Soundso ..." Dabei wechselt er zwischen trockenem Humor, Stilmitteln des Blaxploitationkinos und Entsetzen, was sehr gut funktioniert und wirklich fesselt. Wenn am Schluss alles gut auszugehen scheint und wir eigentlich mehr oder weniger zufrieden das Kino verlassen könnten, zieht uns Spike Lee noch mal herunter und zeigt Nachrichtenaufnahmen von einem echten Autoattentat auf eine Gruppe schwarzer Demonstranten von 2017.
Für diese Erzählweise wäre für mich Spike Lee ein würdiger Oscar-Preisträger als Regisseur gewesen. Der Regie-Oscar an Afonso Cuaron geht aber auch in Ordnung - dazu weiter unten mehr. Einer der Höhepunkt des Films ist eine Parallelmontage zwischen einer Filmvorführung von David W. Griffith´s fragwürdigem Filmklassiker BIRTH OF A NATION beim Ku-Klux-Klan und der Erzählung eines alten Afroamerikaners über den grauenhaftem Lynchmord an seinem 17jährigen Freund - Gaststar ist der Mittneunziger Harry Belafonte. David W. Griffith war der Erfinder der Parallelmontage und wechselte hier zum ersten mal zwischen verschiedenen Szenen und schuf sehr fragwürdige Zusammenhänge zwischen angeblichen schwarzen Verbrechen und der Lynchjustiz an den Verdächtigen. Diese Szenenabfolge wird in der Parralelmontage von Spike Lee gezeigt; er kritisiert also die Erzählweise des Films und die Folgen und nutzt dabei die Stilmittel des David W. Griffith. Das ist so brilliant, dass es dafür den Oscar für die beste Filmmontage hätte geben müssen. Parallel bringt Spike Lee die Floskel "America first" durch den Ku-Klux-Klan sowie eine Liebesgeschichte und die Geschichte der schwarzen Bürgerrechtsbewegung ein. Der Mut und auch der Zorn des Spike Lee hätten für die erbrachte Leistung und auch wegen der aktuellen politischen Situation mit den Oscars für die beste Regie und den besten Film des Jahres belohnt werden müssen. Es blieb beim Oscar für das beste Drehbuch nach einer Vorlage.

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Bester nicht englisch-sprachiger Film: Das mexikanische Familiendrama ROMA in Breitwand und schwarz-weiß wurde deshalb so breit diskutiert und auch so gut besucht, weil der Film nach der Premiere bei den Filmfestspielen von Venedig von NETFLIX aufgekauft wurde und abgesehen von einigen Sondervorstellungen nicht regulär im Kino laufen wird. NETFLIX ließ dann einen limitierten Kinoeinsatz zu, um die Voraussetzungen für OSCAR-Nominierungen zu erfüllen. In Deutschland lief der Film nur in einigen wenigen Programmkinos und an drei bundesweit einheitlichen Terminen in Kinos der Cinestar-Gruppe, an denen ich keine Zeit hatte und was mich sehr ärgerte. Der NETFLIX-Faktor sorge allerdings dafür, dass der Film mehr Interesse verursachte und mehr Publikum anlockte als ein normaler Kinostart, der vielleicht nur wenige tausend Zuschauer/innen angelockt hätte. Insgesamt muss man NETFLIX sogar dankbar sein. Am Samstag vor der OSCAR-Show sah ich den zehnfach nominierten Film im ausverkauften Frankfurter Filmmuseum und bin begeistert. Zum zweiten mal nach SCHINDLERS LISTE vor 25 Jahren hoffe ich auf eine Rückkehr des Schwarz-Weiß-Films. Neben der Regie und der Auszeichnung als bester fremdsprachiger Film wurde Alfonso Cuaron auch für die beste Bildgestaltung ausgezeichnet, was sehr verdient ist.

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Alleine die Nominierung von Florian Henckel-von Donnersmarck´s WERK OHNE AUTOR ist eine Beleidigung für alle anderen nominierten Filme in dieser Kategorie und jeden guten Film überhaupt. Um es mit Quentin Tarrantino zu sagen: Das ist nicht das gleiche Spielfeld, das ist nicht mal der selbe Sport.
An einem heißen Samstagnachmittag im Oktober 2018 war ich in bei 27°C Frankfurt am Main in einer Sondervorstellung mit Herrn Henckel von Donnersmarck sowie Tom Schilling und Sebastian Koch. An der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film lernt man sehr gut, eine Show vor dem Kinopublikum zu präsentieren. Und so fielen sie sich "Schön, Dich wieder zu sehen" in die Arme, als hätten sie sich seit der Filmpremiere zum ersten mal gesehen; dabei hatte die Moderatorin vom Kino vor dem Film erzählt, das Trio sei noch bei einer Sondervorstellung in Aschaffenburg und treffe rechtzeitig zum Filmende in Frankfurt ein. Nun ja. Auch ich fand den Film nicht sehr gelungen und hatte phasenweise den Eindruck, einen Fernsehzweiteiler am Stück zu sehen. Immerhin hatte Donnersmarck einen Hollywood-Kameramann - oder wie man international sagt - Director of photography Caleb Deschanel, der hier zum sechsten mal für einen Oscar nominiert war und hier hinter den Möglichkeiten zurück blieb. Was hätte man aus der Optik der Gemälde und Installationen und ihrer jeweiligen Inspiration für einen Bildersturm inszenieren können. Aber Donnersmarck hat eher den Auftrag, die DEGETO (ARD)-Co-Produktion für die Bedürfnisse eines anspruchslosen Fernsehpublikums zu erfüllen. Und nebenbei möchte er wohl seine stockende Hollywoodkarriere wieder in Schwung bringen. Immerhin war seine größte Leistung, den quirligen Johnny Depp in THE TOURIST so zu inszenieren, das der sich deutlich sichtbar langweilte. Der Film floppte 2010 / 2011 und seitdem bekam Henckel von Donnersmarck dort keine Aufträge mehr. Auch hier gibt es eine Parallelmontage. Der Wechsel zwischen der Bombardierung Dresdens (über den sich ja heute noch Pegida & Co. aufregen) und den Behinderen und psychisch Kranken, die nachkt in die Gaskammern geschickt werden, ist sehr unglücklich und sehr ungeschickt. Die Hauptdarsteller spielen insgesamt nicht schlecht. Besonders Tom Schilling ist eigentlich ein guter Schauspieler, hat aber das Problem, mit Anfang 30 immer noch wie ein 16Jähriger auszusehen. Trotz einer Handlungsspanne von über 20 Jahren altert er optisch scheinbar gar nicht. Von geschichtlicher Genauigkeit scheint HvD nicht viel zu halten. Schon in seinem Kurzfilm TEMPLER ließ er die mutmaßliche Hexe direkt aus dem Wald auf den Scheiterhaufen schleppen und hätte wissen müssen und können, dass zur richtigen Inszenierung eines Hexenprozesses die peinliche Befragung mit Geständnis nach dem Hexenhammer gehört. Beim LEBEN DER ANDEN, den er vor Jahren im Frankfurter Filmmuseum vorstellte, konnten ein Freund und ich ihm mehrere Fehler nachweisen, z.B. Beobachtungsprotokolle in der Personalakte des Staatssicherheitsagenten, was sicher nicht vorkam.
In den Werbepausen während der OSCAR-Show wurde mehrfach der Trailer von WERK OHNE AUTOR gezeigt und auch der sah aus wie die Vorschau auf einen Fernsehzweiteiler, den wir in den nächsten Wochen zu sehen bekommen.
Phasenweise befürchte ich, dass WERK OHNE AUTOR den OSCAR bekommt, weil der Regisseur hier auch die gestellte Aufgabe seiner Auftraggeber so gut erfüllt. Doch so weit sollte es zum Glück nicht kommen.

Mehrfach nominiert und teilweise ausgezeichnet wurden zwei dieser unsäglichen MARVEL-Filme. Drei OSCARs gab es für Musik, Kostüme und Ausstattung von BLACK TIGER oder PANTHER oder PUMA oder SCHMUSEKATER - mir doch egal, der sogar als bester Film nominiert war. Kluge Marketing-Strategen wollten den afro-amerikanischen Kinogängern eine eigene Identifikationsfigur mit America-First-Attitüde geben und das Ergebnis - wie auch beim Effekt-nominierten AVENGERS - INFINITY WAR ist visueller, akkustischer und inhaltlicher Terror, der nur noch durch diese TRANSFORMER-Filme übertroffen wird.

Insgesamt war es ein enttäuschender Jahrgang. Interessante und mutige Filme werden sehr selten ausgezeichnet. Der letzte mutige Film, der mich erzählerisch und optisch wirklich umhaute und in Erinnerung bleiben wird, war Danny Boyle´s Indien-Drama SLUMDOG MILLIONAIRE und das war vor zehn Jahren.
Mutige und kreative Regisseure werden in den seltensten Fällen mit Oscars belohnt. Einige der bedeutendsten Filmemacher bekamen nie einen Regie-Oscar: Charles Caplin, Orsen Welles, Alfred Hitchcock und Stanley Kubrick. Ausgezeichnet werden dagegen oft brave Auftragsregisseure, die erfolgreiche Filme abliefern.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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