Aus alt mach neu im deutschen Kino - Vol.3

Film und Kino Seit Jahren verarbeiten nicht nur Hollywood ausländische Filme zu neuen Machwerken sondern auch die Deutschen. Besser werden die deutschen Versionen nicht. Teil 3.

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Teil 1: hier

Teil 2: hier

Das Original: PERFETTI CONOSCIUTI

Italien 2016, von Paolo Genovese, mit Giuseppe Battiston, Anna Foglietta, Marco Giallini, Edoardo Leo, Valerio Mastandrea, Alba Rohrwacher, Kasia Smutniak, Benedetta Porcaroli

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Drei Paare und ein einzelner Freund treffen sich zum Abendessen. Nach einer Unterhaltung über Beziehungen und Ehrlichkeit beschließen sie als Art Gesellschaftsspiel, alle Mobiltelefone auf den Tisch zu legen und jeden Anruf laut abzuspielen, jede Nachricht vorzulesen und alle Bildinhalte zu zeigen. Dabei werden verschiedene Geheimnise vom Ehebruch bis zur verschwiegenen Homosexualität aufgedeckt. Zwischenzeitlich wird auch eine Mondfinsternis an diesem Abend bestaunt.

Leider kenne ich den Film nicht und konnte mir kein Bild machen, da er in Deutschland noch nicht veröffentlicht wurde. Die DVD mit dem deutschen Zusatztitel „WIE VIELE GEHEIMNISSE VERTRÄGT EINE FREUNDSCHAFT?“ wird erst im Oktober erscheinen. Dabei haben wir eine gute Synchronbranche in Deutschland. Es wäre problemlos möglich gewesen, den Film synchronisiert oder auch mit Untertiteln ins Kino zu bringen. Aber es wurde entschieden, den Film neu zu drehen. Und diese Idee hatten nicht die Deutschen als Erste sondern die Franzosen.

Die erste Neuverfilmung: LE JEU

Frankreich 2018, von Fred Cavayé, mit Bérénice Bejo, Vincent Elbaz, Suzanne Clément, Roschdy Zem, Doria Tillier, Grégory Gadebois, Stéphane De Groodt

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Der Film ist auf NETFLIX abrufbar. Wir sehen keine Komödie sondern eher eine Tragikomödie mit lockerer Situationskomik, sehr ernsten Momenten und Handlungsabläufen, die zum Nachdenken über menschliche Beziehungen, freie Entfaltung der Persönlichkeit, Arbeit, Privatsphäre und Datenschutz anregen. Es ist kein weltbewegender Film aber eine gut gemachte Unterhaltung, bei der die Schauspieler*innen patent wirken.
Die aufgedeckten Geheimnisse, u.A. illegale Geschäfte und Fremdgehen sorgen für entsprechende Konflikte, die sehr spannend ausgetragen werden. Der einzelne Freund, der ohne Freundin erscheint, gibt im Lauf des Abends seine Homosexualität zu, nachdem er sie bisher verschwiegen hatte; deswegen hat er als Lehrer auch schlimme Probleme am Arbeitsplatz. Am Schluss wird es sehr irritierend. Eine der Frauen trennt sich von ihrem Lebensgefährten bzw. Mann, da er fremdgegangen war; sie verlassen die Gesellschaft und fallen sich schon wieder im Treppenhaus um den Hals. Man ist sich nicht sicher, wie viel der Handlung von den Teilnehmenden des Telefonspiels inszeniert oder manipuliert wurde. Interessant.

Die nächsten 16 Neuverfilmungen

Nach meinen Recherchen gab es nach Erscheinen des Originals weltweit tatsächlich 18 Neuverfilmungen über den gesamten Erdball und die 18. Neuverfilmung kommt aus Deutschland. Die Macher des Originals müssen über die Wiederverwertungsrechte mehr verdient haben als mit ihrem eigenen Film.

Die deutsche Neuverfilmung: DAS PERFEKTE GEHEIMNIS

Deutschland 2019, von Bora Daktekin , mit Jessica Schwarz, Wotan Wilke Möhring, Jella Haase, Elias M’Barek, Karoline Herfuth, Frederick Lau und Florian David Fitz

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Was ist neu und was ist anders:
Wir sehen am Anfang Videoaufnahmen der damaligen Jungs aus ihre Kindheit bzw. Jugend – nur von den Jungs, nicht von den Mädchen; das ist merkwürdig bis fragwürdig; der Eindruck, dass ein Geschlecht die Hauptrolle und das andere die Nebenrolle spielt, drängt sich auf. Über weite Handlungsstrecken wird die Handlung ohne Abweichungen nacherzählt. Sogar Szenenabläufe sind meiner Erinnerung nach fast identisch. Auch hier kommen durch die Veröffentlichung von Telefonaten und Text- und Bildnachrichten Geheimnisse, Lebenslügen und Ehebruch ans Tageslicht. Auch hier werden zwei Telefone getauscht, um das Verhältnis des einen Gastes geheim zu halten, wodurch der Andere verdächtigt wird.
Auch hier wird Pepe´s (Florian David Fitz) Homosexualität bekannt und auch hier wird er von den anderen Männern teilweise angefeindet, die sich nach Jahre langer Freundschaft betrogen fühlen. Allerdings ist das alles schleppend und öde inszeniert. Die einzigen bewegenden Szenen sind das öffentliche Telefonat von Gastgeber Rocco (Wotan Wilke Möhring) mit seiner Tocher, die auf einer Party von ihrem Beinahe-Freund sexuell belästigt wurde, und die Trennung von Bianca (Jella Haase) von ihrem Freund Simon (Frederick Lau). Das Telefonat mit der Tochter gab es auch schon in der französischen Kopie und Bianca versöhnt und küsst sich nicht nach Verlassen der Gastgeber-Wohnung im Treppenhaus mit ihrem Freund; die Trennung scheint endgültig zu sein und das ist die stärkste Szene und die einzige überzeugende Charakterentwicklung.
Die Besetzung trägt hier sehr zur Qualitätsminderung des Films bei. Regisseur Bora Dagtekin bringt hier als halbe Besetzung seine Stars aus den drei FACK-JU-GÖTE-Filmen mit: Jella Haase, Karoline Herfurth und Elias M´Barek. Dabei agieren die Ex-Lehrerin und die Ex-Schülerin aus FACK JU GÖTE als gleich alte Freundinnen und das ist seltsam. Karoline Herfurth inszenierte inzwischen drei Filme als Regisseurin; in den ersten beiden spielte Frederick Lau eine Hauptrolle, den sie hier anscheinend mitbrachte. Elias M´Barek und Frederick Lau spielten inzwischen gemeinsam in der Dating-Komödie NIGHTLIFE. Es ist schon nervig, in fast jedem deutschen Film die gleichen Gesichter zu sehen, die fast immer die gleichen Rollen mehr oder weniger gleich spielen. Christoph Maria Herbst und Uwe Ochsenknecht hätten ebenfalls in das Ensemble gepasst, hatten aber wahrscheinlich keine Zeit. Man könnte meinen, es gäbe in Deutschland keine 20 ausgebildeten Schauspieler*innen. Immerhin bleiben uns Til Schweiger und Mathias Schweighöfer erspart.
Was Jella Haase kann, konnten wir in KRIEGERIN sehen, wo sie eine 15jährige Neonazi-Braut spielt. Was Frederick Lau kann, konnten wir in DIE WELLE und im Kriegsfilm DER HAUPTMANN sehen. Leider wird er zu selten gefordert und gefördert und spielt fast immer die gleiche Rolle des verpeilt-sympatischen Verlierers. Auch Elias M’Barek sehen wir spielen, wie er es eigentlich in jeder mir bekannten Rolle ohne erwähnenswerte Abweichungen tut.
Über die Rollennamen (Leo, Pepe, Rocco) lasse ich mich gar nicht aus.
Neu ist auch eine späte Szene, in der die drei Freunde den Vater eines Schülers durch Prügel bestrafen, der den Lehrer wegen seiner Homosexualität angefeindet hatte. Durch diese zusätzliche Handlungsentwicklung entschuldigen sich die Freunde bei ihrem homosexuellen Freund für ihre eigenen Anfeindungen und alles ist gut; das Thema Schwulenfeindlichkeit wird dadurch leider bagatellisiert. Zum Schluss zelten alle vier Männer in der Natur und sind wieder beste Freunde. Freie Persönlichkeitsentwicklung, Persönlichkeitsrechte, so genannte soziale Netzwerke, Datenschutz und die Gefahren neuer elektronischer Kommunikationsmittel spielen keine Rolle und sollen es auch nicht.
Wie schon in den FACK-JU-GÖTHE-Filmen sehen wir zum Abspann einen Zusammenschnitt von Filmpannen und lustigen Versprechern, was nach der eigentlich ernsten und nachdenklichen Handlung über Freundschafts- und Beziehungsbrüche und Misstrauen total daneben wirkt.

Das Original: MÖRDERLAND (LA ISLA MINIMA)

Spanien 2014, von Alberto Rodriguez, mit Raúl Arévalo, Javier Gutiérrez, Antonio de la Torre, Nerea Barros, Jesus Castro

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Während der Anfangstitel sehen wir Landschaftsaufnahmen aus der sehr hohen Vogelperspektive, die wie Querschnitte durch Gehirnwindungen oder Mikroskopaufnahmen von Pflanzenblättern aussehen. Das ist ein faszinierender Einstieg mit eindrucksvoller Optik, der mich beim ersten Sehen sofort überzeugte und gefangen nahm.
Zwei unterschiedliche Polizisten Pedro und Juan aus der Großstadt sollen im schwül-heißen Sommer 1980 zwei verschwundene Mädchen an der Küste suchen. Der Vermisstenfall entwickelt sich zum Mordfall, als die brutal zugerichteten Leichen der beiden Mädchen gefunden werden, und zum Serienmordfall, als es Indizien zu weiteren Verschwundenen und mutmaßlichen Mordopfern gibt. Als besonderes Spannungselement entwickelte Regisseur Alfredo Rodriguez die unsichere politische Stimmung 1980, wenige Jahre nach der Franco-Diktatur. Die Gegend und die Menschen sind arm. Arbeiter in der Landwirtschaft und in einer der wenigen Fabriken wehren sich gegen Ausbeutung. Während der Ermittlungen stößt der jüngere Pedro auf Indizien und Beweise, dass der ältere Juan während der Franco-Diktatur als Mitglied der Geheimpolizei und an Folterungen und Tötungen von Demonstranten und Regimegegnern beteiligt war.
Der Film ist spannend und überzeugend geschrieben und inszeniert und hervorragend gespielt. Herausragend.

Die deutsche Neuverfilmung: FREIES LAND

Deutschland 2019, von Christian Alvart, mit Felix Stein, Trystan Pütter, Nora Waldstätten, Ben Hartmann, Ludwig Simon

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Der deutsche Regisseur Christian Alvart, der nach zwei Hollywoodfilmen auch Auftragsarbeiten mit Til Schweiger als TATORT-Kommissar über sich ergehen lassen musste, verfilmt nach „STEIG. NICHT. AUS.“, einer eingedeutschten Version von „ANRUFER UNBEKANNT“ („EL DESCONOCIDO“) zum zweiten mal einen spanischen Erfolgsfilm. In „FREIES LAND“ verlegt er die Geschichte vom schwülen Spätsommer in Spanien in den eiskalten Winter der mecklenburg-vorpommerschen Provinz und lässt sie wenige Jahre nach der deutschen Einigung spielen. Hier kommen die Frustration und die wirtschaftliche Verunsicherung der Nachwendezeit sehr gut zur Geltung. Alte Staatssicherheitsbedienstete spielen noch wichtige Rollen. Die einzige Fabrik in der Gegend wurde von einem westdeutschen Investor übernommen, der seinen Gewinn maximieren und den Arbeitern Lohnkürzungen zumuten will.

Christian Alvart übernimmt zahlreiche Szenen und Handlungsabläufe fast identisch, was bereits beim Vorspann mit der sehr hohen Vogelperspektive der Landschaft anfängt; auch Christian Alvart zeigt bei zahlreichen Gelegenheiten die Aufnahmen aus hoher Vogelperspektive. Er hat ein sehr gutes Gespür für Stimmungen, Architektur und Landschaften, das er sehr gut nutzt, und er macht sehr viel richtig.

Christian Alvart war am 14. Januar im Frankfurter Filmmuseum und stellte den Film persönlich vor. Alvart war auch der Chefkameramann und erzeugte bei seiner grau-braunen Optik eine durchgehende Stimmung der Verwahrlosung und des Verfalls; er wollte, dass alles verrostet aussieht. An einigen Stellen im Film denke ich, dass er auch sehr gut in schwarz-weiß funktioniert hätte. Darauf spreche ich Christian Alvart nach der Filmvorführung an und er antwortet, dass er den Film nicht in schwarz-weiß dachte sondern in grau-braun-verrosteten Farben, was überzeugend klingt; er weiß, was er will.
Gedreht wurde aus logistischen und finanziellen Gründen in der Ukraine und hier ausschließlich in dekorierten Originalkulissen. In den ostdeutschen Gegenden sind nicht mehr durchgehend die Landschaften vorhanden, die es 1992 gab; diese Landschaften sind laut Alvart jetzt so in der Ukraine zu finden. Dort kosteten die Dreharbeiten auch nur knapp über 2 Millionen Euro und dafür sieht der Film wirklich sehr gut aus.
Als Minuspunkte muss ich die teilweise sehr nervige Filmmusik mit raunenden Männergesängen sowie eine Sexszene zwischen dem jüngeren Poliziste und der Mutter der beiden Mordopfer aufführen, die sehr unglaubwürdig und überflüssig ist; in LA ISLA MINIMA gab es diese Erotikszene aus gutem Grund nicht.

„FREIES LAND“ hatte einen schweren Start. In der Startwoche ab 9. Januar lief er bundesweit nur in 13 Kinos, in Frankfurt gar nicht. In der zweiten Startwoche lief er in tatsächlich 30 Kinos bundesweit; in Frankfurt zeigte ihn in der zweiten Spielwoche ein Programmkino mit ca. 80 Plätzen eine Woche lang. Da hätte der insgesamt gelungene Film mehr verdient. Insgesamt gut – aber an das Original LA ISLA MINIMA kommt der Film nicht heran.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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