Deutsches Kino - sie können es einfach nicht

Film und Kino Die neue CINEMA ist da. Chefredakteur Heiko Rosner formuliert an zwei Stellen im Heft sein Bedauern, dass deutsche Filmemacher so etwas nicht hinbekommen. Ein Kommentar.

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Auf Seite 30 gibt Herr Rosner den Geheimtipp "SMALL TOWN KILLERS" aus Dänemark. Genre-Liebhaber kennen Regisseur Ole Bornedal bereits seit über 20 Jahren. Mit dem mörderischen Thriller "NIGHTWATCH" hatte Bornedal 1994 ein spektakuläres Debut, das er drei Jahre später selbst in Hollywood in einer schwächeren Neuverfilmung selbst inszenierte. Seitdem dreht er überwiegend in Dänemark und macht nur gelegentliche Abstecher ins US-Kino.
Dänemark ist eine meiner Lieblings-Filmnationen. Filmisch, erzählerisch und technisch auf hohem Niveau sind dänische Produktionen meistens mit kleinem Budget gedreht und dafür hoch professionell und sehr unterhaltsam. Ich freue mich auf den neuen Bornedal. Zum Schluss seiner Filmkritik fragt Chefredakteur Heiko Rosner:

"Warum nur bekommen deutsche Regisseure solche genial bösartigen Kommödien nicht hin?"

Die Deutschen können es einfach nicht.

Sie können es nicht. Oder sie wollen nicht. Oder sie dürfen nicht. Oder zwei von drei. Oder alles.
Deutsche Regisseure und Produzenten sind größtenteils unfähig und unwillig, interessante Kinofilme zu konzipieren. Interesse besteht neben Kinderkino und Problemfilmen nur an pseudoromantischen Kommödien nach dem gleichen Schema ohne jede erzählerische filmische oder erzählerische Rafinesse. Schweiger-Dillentantismus und affektierte Schweighöfereien. Ab und zu wird ein erfolgreicher Roman verfilmt, wobei man meistens unfähig oder unwillens ist, Teile des Romantextes in Filmsprache zu übersetzen, und dafür eingesprochene Monologe einspielt. Bebilderte Hörspiele.
Auf den Filmhochschulen wird Filmstudenten auch selten etwas Anderes beigebracht. Schon der Name "Hochschule für Fernsehen und Film München" zeigt, wo der Schwerpunkt liegen soll.

Die Deutschen wollen es nicht.

Kreativität und Mühe zahlen sich nicht aus. Viele Filmemacher sind auf das Fernsehen fixiert. Der 90-MinutenBaukastenfilm für das Öffentlich-Rechtliche Fernsehen gilt als lukrativer und als besseres Geschäft. Hier muss man sich keine Mühe geben, da visuelle Rafinessen auf dem Bildschirm nicht zu erkennen sind und ein anspruchsloses Publikum lieber mit mit Schmonzettendialogen zugetextet werden sollen. Diese Anspruchslosigkeit hat auch Auswirkungen auf Filme, die im Kino gezeigt werden. Auf Anhieb fällt mir die Generationenkommödie "WIR SIND DIE NEUEN" mit Heiner Lauterbach und und der langjährigen Polt-Partnerin Gisela Schneeberger ein. Die Co-Produktion des Bayerischen Rundfunks scheint eher als Publikumsberieselung für den Fernsehschirm konzipiert zu sein als für die Leinwand. Selbst die originellsten Einfälle gehen unter. Eine fast geniale Idee ist z.B. ein Stapel von Schuhkartons im Eingangsbereich einer Wohngemeinschaft; auf die Schuhkartons sind Fotos der Schuhe aufgeklebt, damit die Bewohner wissen, welche Schuhe in welchem Karton sind. Aber es ist fast nichts zu erkennen. Die Figuren werden abgefilmt, die Kamera steht einfach im Raum und unten in der Ecke sind irgendwelche weißen Kartons zu sehen. Anstatt darüber zu schwenken, die Besucher bei einem Erkundungsrundgang zu begleiten, Blicke austauschen zu lassen - so etwas verrät ohne Aufwand viel über alle Charaktere. Nein, die Kartons, für die sich ein Dekorateur wirklich viel Mühe gab, sind kaum zu sehen und danach gibt es einen zweiminütigen Dialog über die Schuhkartons mit den Fotos. Nur ein Beispiel. Das ist so schade, das ist so uninspiriert, das ist so unfähig. Aber Co-Produzent ist der BR und ein zu berieselndes Fernsehpublikum um 20:15, das sowieso nichts rafft, ist wichtiger als ein zu unterhaltendes Kinopublikum.
Viele Verfilmungen erfolgreicher Romane werden nicht für das Kino entwickelt sondern als Fernseh-Event in ARD, ZDF oder SAT.1. Filme wie "DIE BLECHTROMMEL" oder "DAS BOOT" würden heute nicht mehr regulär das Licht der Leinwand erblicken sondern als Event-Zweiteiler im Fernsehen laufen. Traurig aber wahr. Stellen wir uns bitte als Beispiel vor: DIE BLECHTROMMEL als Fernsehmehrteiler mit Heino Ferch und Veronica Ferres als Mazerath-Eltern und Iris Berben als Oma Anna. Nicht auszuhalten.

Sie dürfen es nicht

Neben den Verantwortlichen von Fernsehsendern ist es die Filmförderung, die den Rest von Kreativität und Mut auslöschen. Aus staatlicher Filmförderung durch Steuergelder und diversen Landesförderanstalten, die aus Verleihergeld finanuziert werden, entwickelten sich eine Form der Kultur- und Wirtschaftsförderung, die besonders intelligentes Genre-Kino unmöglich machen. Einer der letzten deutschen Filme, die mich erzählerisch und visuell wirklich aus dem Kinositz rissen, war "LOLA RENNT" und das war vor fast 20 Jahren. Ein weiterer interessanter Genrefilm war der Vampir-Horror "WIR SIND DIE NACHT". Man sieht dem Film in jeder zweiten Szene an, dass Regisseur Dennis Gansel gerne in Sachen Blut und Erotik weiter gegangen wäre, aber beim Drehbuch gebremst wurde. Jetzt dreht er in Hollywood.

Vive la France

Einen Artikel mit dieser Überschrift über die Qualitäten des französischen Kinos ab Seite 46 beschließt CINEMA-Chefredakteur Heiko Rosner mit der traurigen Feststellung:

"Wahrscheinlich können die Franzosen mit Emotionen einfach besser umgehen als die Deutschen. Man könnte fast neidisch werden."

Traurig aber wahr. So ziemlich jede Filmemacherin / jeder Filmemacher aus jeder Filmnation kann mit so ziemlich allem besser umgehen als die deutschen Filmleute mit Emotionen.

Die letzten deutschen Genrefilm-Produktionen, die mich wirklich beeindruckten, waren der verstörende Psychothriller "DER NACHTMAHR" und der von CINEMA verrissene "PLAN B - SCHEISS AUF PLAN A", der durch seine unbekümmerte und sorglose Machart mitzureißen weiß. Beide Filme floppten in den deutschen Kinos, wobei DER NACHTMAHR auf diversen Filmfestival begeistern konnte, hier aber nur in Sondervorstellungen und in Stadtrandkinos lief. Ansonsten laufen Krimis und Thriller nur im Fernsehen und vereinzelt auf Fernsehniveau im Kino. Horror und Science-Fiction kommen im Deutschen Kino nicht vor. Dabei war Deutschland einst die Geburtsstätte des Genrekinos. "NOSFERATU", "CALIGARI", "METROPOLIS" und "MABUSE" sind Filmgeschichte, an die sich deutsche Kinomacher nicht erinnern und nicht erinnern wollen.



Zitate: CINEMA, Europas größte Filmzeitschrift, 07/2017, Chefredakteur Heiko Rosner

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Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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