Die besten Filme des Jahrzehnts: Vol. 2

Film und Kino Die Platzierungen 5 bis1

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Teil 1 mit den Platzierungen 10 bis 6 gibt es hier.

5. ICH SEH ICH SEH

Österreich 2014, von Veronika Franz und Severin Fiala, mit Elias Schwarz, Lukas Schwarz und Susanne Wüst

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Zwei zehn oder elfjährige Zwillingsbrüder spielen im Freien. Lukas und Elias. Die Mutter kommt nach Hause und trägt einen Kopfverband. Was passiert war, ob es eine Schönheitsoperation oder die Folgen eines Unfalls waren, erfahren wir zunächst nicht. Die Jalousien und Rolläden werden herunter gelassen. Mutter braucht Ruhe und viel Schlaf und ist lichtempfindlich. Die herunter gelassenen Jalousien sorgen in Kombination mit der sterilen, modernen und kühlen Einrichtung des modernen Landhauses für eine unangenehme und eisige Stimmung. Das Spiel der Jungs mit Kakerlaken im Einmachglas, einer lebenden und später toten Katze ist eklig und macht die Atmosphäre noch unangenehmer. Wir ahnen schnell, dass mit den Jungs irgendetwas nicht stimmt, aber nicht was. Ihr Verhalten ist merkwürdig. Die Mutter scheint einen der Brüder zu diskriminieren und vermeidet das direkte Gespräch mit ihm, erwartet vom anderen Bruder, sich von ihm fern zu halten. In manchen Szenen sitzt der diskriminierte Bruder abseits. Im weiteren Handlungsverlauf wird es immer gruseliger. Die unheimlichen Zwillinge sind mehr und mehr davon überzeugt, dass die Mutter in Wirklichkeit nicht ihre Mutter ist, und konfrontieren sie mit ihrem Verdacht, was zu körperlich sehr unangenehmen Folgen führt. Der Film schlägt in ein Entführungsszenario um.
Mehr wird nicht verraten. Nur noch so viel. Die Auflösung ist so nicht ganz neu, aber hier sehr überraschend.
ICH SEH, ICH SEH lief nur kurz in deutschen Kinos. In Frankfurt zeigte ein kleines Programmkino mit 80 Plätzen den Film in einer einzigen Augustwoche in der Spätvorstellung. Ich wollte den Film sehen, schaffte es aber nicht und holte ihn ein paar Monate später im Heimkino auf DVD nach. Ich war verblüfft. Ich war so verblüfft, dass ich die DVD nur einen Tag später noch mal schaute. Das Drehbuch, die Entwicklung der Geschichte ist wirklich genial. Es wird wirklich kein Fehler gemacht. Es stimmt alles bis zum verblüffenden und gruseligen Schluss.
Susanne Wüst, die Darstellerin der Mutter, ist hier offensichtlich die einzige professionelle Schauspielerin. Sie spielte bisher am Theater, im Kino und im Fernsehen und wird demnächst ihr internationales Debüt unter der Regie von Gore Verbinski (FLUCH-DER-KARIBIK-Trilogie) haben. Die Zwillinge Lukas und Elias Schwarz sind in ihren Debutrollen zu sehen und machen ihre Sache erstaunlich gut.

4. DIE LEICHE / THE BODY (EL CUERPO)

Spanien 2012, von Oriol Paulo, mit Hugo Silva, Jose Coronado, Aura Garrido und Belen Rueda

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Die erfolgreiche Geschäftsfrau Mayka ist tot. Vieles deutet auf Mord hin und ihr viel jüngerer Mann und Geschäftsführer Alex ist der Hauptverdächtige und er hat eine Affäre mit einer jungen Studentin. Dann verschwindet die Leiche aus der Gerichtsmedizin und verschiedene Wendungen bringen Alex an den Rand des Wahnsinns. Die Polizei verdächtigt Alex, Beweise zu beseitigen. Oder lebt Mayka etwa noch und rächt sich an ihrem Ehemann?
EL CUERPO ist bis zur letzten Minute spannend, logisch und glaubwürdig erzählt und überrascht mit einer Auflösung, die niemand erwartet hätte. Leider lief EL CUERPO nicht regulär in den deutschen Kinos. Auf dem Fantasy-Filmfest, wo der Film vor seinem Heimkinostart Deutschlandpremiere hatte, wettete die Festivalleitung um Freibier, dass niemand die Auflösung erraten könne – und gewann.
Und das ist der erste Kinofilm von Regisseur Oriol Paulo.

3. THE RAID II (THE RAID 2 – BERENDAL)

Indonesien 2014, von Gareth Evans, mit Iko Uwais, Arifin Putra, Oka Antara, Tio Pakusodewo, Alex Abbad, Yayan Ruhian, Kenichi Endo

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THE RAID II ist die Fortsetzung des 2011er Actionfilms THE RAID, in dem eine Polizeieinheit ein Hochhaus einnehmen will um einen Gangsterboss festzunehmen. THE RAID war ein hervorragender Actionfilm mit etwas schlichter Handlung. THE RAID II setzt nach dem Ende von THE RAID an, aber es ist kein Problem, den Vorgänger nicht zu kennen, da beide Filme unabhängig sind.
Als Polizist Rama vom Mord an seinem kriminellen Bruder erfährt, lässt er sich auf einen Undercovereinsatz ein und wird unter falschem Namen ins Gefängnis geschickt, um sich beim Gangster Uco beliebt zu machen. Der führt Rama nach dessen Entlassung bei seinem Vater Bangun ein, der mit der japanischen Mafia zusammen arbeitet. Uco möchte mehr Einfluss, intrigiert gegen seinen Vater und kooperiert dazu mit einem chinesischen Gangsterboss, was eine Reihe von tödlichen Racheaktionen auslöst.
THE RAID II ist ein komplexes Gangsterdrama mit fesselnder Handlung, gut entwickelten Charakteren und sensationellen Kampf- und Actionszenen. Die Gewaltszenen sind blutig und teilweise exzessiv, entwickeln sich aber alle aus der Handlung und sind nie Selbstzweck.
Mehrere Jahre war ein dritter RAID-Film geplant bzw. im Gespräch, der aber wohl leider nicht kommen wird. Hauptdarsteller Iko Uwais ist mittlerweile in den USA im Geschäft und Regisseur Gareth Edwards, ein gebürtiger Waliser, der in Indonesien hängen blieb, hat wohl nach eigener Aussage keine Zeit und keine Ideen für THE RAID III und er hat wohl ebenfalls vor, Hollywood zu erobern.
THE RAID II ist der moderne PATE II des asiatischen Genrekinos.

2. MAD MAX 4 – FURY ROAD

Australien 2015 von George Miller, mit Tom Hardy, Charlize Theron, Nicolas Hoult, Zoe Kravitz, Rosie Huntington-Whiteley und Hugh Keays-Byrne

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Eine Actionikone kehrt auf die Leinwand zurück: „Mad“ Max Rockatansky. Der Australier George Miller schuf mit MAD MAX zunächst einen Aufsehen erregenden Action- und Autorennfilm, der in der nahen Zukunft spielt, und dann den Prototyp des modernen Endzeitkinos, der unzählige male kopiert und nie erreicht wurde – bis 2014 / 2015. Nach einem weichgespülten dritten MAD-MAX-Film als Hollywood-Sprungbrett für Hauptdarsteller Mel Gibson kam 2015 eine Neuauflage, in der fast alles richtig gemacht wurde. Der Ur-MAD-MAX Mel Gibson war inzwischen Ende 50 und zu alt für die Rolle – und auch wegen antisemitischer Reden und anderer Eskapaden an Drehorten zu riskant. Die ikonische Rolle wurde vom Briten Tom Hardy übernommen, der mit seiner starken physischen Präsenz, gutem Schauspieltalent und trockenem Humor überzeugt.
MAD MAX wird von den degenerierten Schergen des Tyrannen Immortan Joe gefangen genommen und in eine Festung entführt. Dort residiert Immortan Joe mit einem Clan von Inzest-Mutanten in einer Oase, von der die Bevölkerung der Gegend u.A. durch rationierte Wasserabgaben kontrolliert wird. Max soll hier als Blut- und Organspender herhalten. Die Immortan-Joe-Vertraute Imperator Furiosa (was für Namen !) befreit inzwischen fünf junge Frauen, die als Sex-Sklavinnen und Nachwuchs-Produzentinnen gehalten werden, aus Immorten Joe´s Harem und will mit ihnen in eine Gegend flüchten, in der es besser sein soll. Bei einer Verfolgung kann Max entkommen und schließt sich den Frauen an.
MAD MAX FURY ROAD besteht mit kurzen Unterbrechungen im Wesentlichen aus mehreren Verfolgungsjagden. Hier beteiligen sich an den Verfolgungsjagden auch diverse andere Gruppierungen von degenerierten und deformierten Gestalten, von denen einer ein Kannibale Clanführer ist.
Der Film ist pures Tempo und pure Energie. Dabei kehrt Regisseur George Miller, der sich seit dem weich gespülten MAD MAX III – JENSEITS DER DONNERKUPPEL mit verschiedenen Hollywoodschnulzen und sogar mit den – zugegebenermaßen sehr süßen – SCHWEINCHEN-BABE-Filmen beschäftigt hatte, zu dem Irrsinn und zum Tempo der beiden ersten MAD-MAX-Filme zurück. Die Autojagden und Stunts sind geisteskrank bis selbstmörderisch und im Gegensatz zu den frühen Filmen auch teilweise mit Computereffekten umgesetzt, sehen aber auch echt aus. Die futuristischen Action-Vehikel sind mit skurrilem Volk besetzt, u.A. mit einer fahrbaren Band mit Trommelensemble und E-Gitarrist. Mit sechs OSCARS u.A. für Make-up, Ausstattung und Kostüme war MAD MAX FURY ROAD der Spitzenreiter bei den OSCARS 2015/2016. Die Rolle des monströsen Immortan Joe spielt übrigens Hugh Keays-Byrne, der schon im Ur-MAD MAX den Bandenführer Toecutter spielte. Während der Dreharbeiten wurde die australische Wüste durch starke Regenfälle in eine riesige Blumenwiese verwandelt und die Dreharbeiten mussten daher nach Namibia verlagert werden.

MAD MAX 5 ist im Planungs-und Vorbereitungsstadium.

SLEEP TIGHT (MIENTRAS DUERMES)

Spanien 2011, vom Jaume Balaguero, mit Luis Tosar, Marta Etura, Alberto San Juan, Iris Almeida

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So, wie unter den schlechtesten Filmen des Jahrzehnts fünf deutsche Filme enthalten sind – davon drei von und/oder mit Til Schweiger – so macht sich die hohe Qualität des spanischen Kinos bei denen bemerkbar, die es kennen, und ist mit zwei hervorragenden Filmen vertreten.

Cesar ist Hausmeister in einem Wohnhaus in einer nicht näher benannten spanischen Großstadt. Er ist aufgrund einer psychischen Erkrankung unfähig, glücklich zu sein. Damit seine Bewohnerinnen und Bewohner auch nicht glücklich sind, beobachtet und bespitzelt er sie und bringt sie in unangenehme Situationen bis hin zum unerkannten Psychoterror. Sein bevorzugtes Opfer ist die junge Clara, bei der sein Terror bis zu Kakerlakenbefall und sexuellem Missbrauch gehen. Nur die Tochter eines Bewohners erkennt Cesar´s Treiben und erpresst ihn.

Hauptdarsteller Luis Tosar kommt über uns wie ein Naturereignis und lässt uns für seinen gestörten Cesar Wut, Angst und Mitleid fühlen. Seit dieser Rolle ist Tosar für mich einer der besten aktiven Schauspieler des Universums. Ich kaufte danach einige seiner Filme ungesehen auf DVD und wurde nie enttäuscht. Herausragend.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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