Ein Typus unserer Zeit

Carsten Maschmeyer in BILD, F.A.Z. und Wikipedia

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Während Christian Wulff von BILD über Wochen hinweg verfolgt wurde, bis er endlich zur Strecke gebracht worden war, erfährt einer seiner Freunde, Carsten Maschmeyer, dort die beste Behandlung. Tagelang wurden die belanglosen Spruchweisheiten aus seinem brandneuen Buch „Selfmade – erfolg reich leben“ in BILD vorabgedruckt. Da verriet er noch einmal, wie er es anstellte, die Kanzlerkandidatur Lafontaines zugunsten seines Freundes Gerhard Schröder (SPD) zu verhindern, und was er dazu beitrug, dass sein Freund Christian Wulff (CDU) niedersächsischer Ministerpräsident wurde. Ein Maschmeyer kennt nämlich keine Parteien mehr – nur Freunde, die ihm irgendwann einmal nützlich werden können. Von Reiner Diederich BILD, das Wulff verdammte und Maschmeyer kurz danach in den Himmel hob, verfährt bei korruptiven Verstrickungen von Politikern ganz nach dem altbekannten Schnittmuster: Die Politiker an den Pranger stellen, weil sie sich haben schmieren lassen – denn sie sind beim Volk ohnehin eher unbeliebt, man traut ihnen alles Mögliche zu. Diejenigen aber, die sie mehr oder weniger diskret unterstützt oder mit Geld gefördert haben, die Herren aus den Chefetagen, davon kommen lassen oder sogar für ihre Chuzpe bewundern – denn sie sind ja ebensolche notwendigen Stützen der „freien Marktwirtschaft“ wie der Springer-Konzern selber.

Überhaupt hat BILD stets mehr die „Ausländerkriminalität“ und die „Abzocke“ kleiner Leute bei Hartz IV und Sozialhilfe ins Visier genommen als die Wirtschaftskriminalität der Großen. Wenn die schon einmal ins Blatt kommt, dann als exotischer Einzelfall und nicht als etwas, das System hat und ins System passt. So wurde seinerzeit der Frankfurter Immobilienbetrüger Dr. Jürgen Schneider tagelang auf Seite 1 als Hassobjekt herausgestellt. Oder, passend zur wochenlangen Hetze gegen die „faulen Griechen“, ein griechischer Banker. Da schlug BILD dann gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Kriminell sind eben doch immer eher die Ausländer als unsere ehrlichen deutschen Unternehmer.

Jüngstes Beispiel: Am 11. April erschien BILD mit den Riesen-Schlagzeilen „Hartz-IV-Sauerei. Noch nie wurden so viele Drückeberger erwischt. 912 000 Stütze-Beziehern wird Geld gestrichen. In Berlin wird am meisten getrickst.“ Der Kommentar auf Seite 2 forderte ultimativ: „Stoppt die Drückeberger“. So etwas würde man in BILD nie lesen, wenn es darum ginge, einen Typus wie Maschmeyer auf seinem Weg nach oben zu stoppen.

Am 23. Juni dieses Jahres feiert BILD seinen 60sten Geburtstag. Zur Feier des Tages wird jeder deutsche Haushalt ein Freiexemplar zugeschickt bekommen, es sei denn, man schließt sich der Initiative an, die u.a. Campact und die NachDenkSeiten gestartet haben: Keine Bildzeitung in den Briefkasten!

Am Tag nach dem Geburtstag findet in Frankfurt am Main eine Matinee von Business Crime Control e.V. und KunstGesellschaft e.V. in Zusammenarbeit mit den NachDenkSeiten und mit freundlicher Unterstützung der Otto-Brenner-Stiftung statt: „Ein Imperium macht Politik! Wie BILD sich als Volksstimme inszeniert“ [PDF - 230 KB]. Eingeladen dazu ist Wolfgang Storz, der ehemalige, vom DuMont-Konzern gefeuerte Chefredakteur der Frankfurter Rundschau (24.6.2012, 11 Uhr, Café Alte Backstube, Dominikanergasse 7). Im letzten Jahr hat Storz zusammen mit Hans-Jürgen Arlt eine sehr lesenswerte Studie für die Otto Brenner Stiftung verfasst: „Drucksache ‚Bild’ – Eine Marke und ihre Mägde. Die ‚Bild’-Darstellung der Griechenland- und Eurokrise 2010“.

Während BILD seinen Leserinnen und Lesern die Illusion zu verkaufen versuchte, sie könnten durch die Anwendung der Tipps des „Drückerkönigs“ Carsten Maschmeyer für ein erfolgreiches Leben mehr Geld oder mehr Freunde gewinnen, fasste die F.A.Z. dessen Machwerk nur mit spitzen Fingern an. „Mach mal Pause!“ war die Rezension von Julia Encke ironisch überschrieben: „In Maschmeyers Buch … geht es an keiner Stelle um irgendwelche Haltungen oder Überzeugungen. Um Leidenschaften schon gar nicht. Bei Events sind die Pausen interessant. Irgendwo steht bestimmt jemand Prominentes herum, mit dem man sich fotografieren lassen kann…“ (F.A.Z., 18.3.2012) Maschmeyer sei nichts anderes als ein emporgekommener Handelsvertreter, der den „Einbruch des Halbseidenen in die Politik“ (Monika Maron) befördert habe. Das Entscheidende an dem Verriss des Buches in der F.A.Z. war aber, dass ebenso wie in BILD verschwiegen wurde, mit welchen Methoden Maschmeyer zu seinem Millionenvermögen gekommen ist.

Zur Info: Der Artikel über Carsten Maschmeyer bei Wikipedia.

Reiner Diederich war bis 2006 Professor für Soziologie und Politische Ökonomie an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Er ist Vorsitzender der KunstGesellschaft sowie Redakteur der Vierteljahres-zeitschrift BIG Business Crime. Reiner Diederich stellt einen Artikel aus BIG Business Crime 02/2012 zur Verfügungen. Die erste Online-Veröffentlichung erschien bei NachDenkSeiten - der kritischen Website. Im April 2009 moderierte Reiner Diederich eine Matinee mit Albrecht Müller und zuletzt die Matinee "Wie käuflich ist die Republik? Regeln für den Lobbyismus".

Reiner Diederich
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Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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