Filmfestivals für Fortgeschrittene ...

Fantasy-Filmfest2014 Alle Jahre wieder. Im Sommer findet das Fantasy-Filmfest statt. Das wird aber kein verkappter Werbeartikel.

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Rückblick

Was 1987 in einem Hamburger Programmkino als Spartenfestival für Fans des Besonderen begann, entwickelte sich innerhalb von wenigen Jahren zum Tourneefestival für Fans und ist mittlerweile ein bundesweites Kommerzfestival. Mein erstes Fantasy-Filmfest war 1994. Seitdem änderte sich viel beim Festival, beim Spektrum der Filme und in der Medienlandschaft allgemein.
Innerhalb von Frankfurt wechselte das Festival bereits zweimal das Kinocenter; seit 2004 wird es im Frankfurter Metropolis gezeigt, welches zum Cinestar-Konzern gehört. Der Gang in dieses Kinocenter ist mittlerweile ein eher ambivalentes Vergnügen, was unter anderem je nach Zeit der Vorstellung an einem sehr unzivilisierten und unangenehmen Publikum liegt und dem Kino in Anlehnung an einen brüchtigten jugendlichen Straftäter mit Migrationshintergrund den Kosenamen "Mehmetropolis" einbrachte (ist nicht meine Idee). Außerdem gab es in den vergangenen Jahren diverse
Probleme mit Brandschutz und Hygiene - ein Besucher will sogar eine Maus im Kino gesichtet haben - und das Kino wurde von der Frankfurter Bauaufsicht geschlossen.

Bis einschließlich 2008 musste es als positiv gewertet werden, dass zu den beiden Festival-Sälen einer der beiden größten des Kinocenters gehörte; in dem Riesenkino mit ca. 650 Plätzen saßen zu manchen Nachmittagsvorstellungen nur wenige Festivalgäste und durch einen zwischenzeitlichen Wechsel hätte das Kino eventuell mehr Geld verdient, indem dort einer der aktuellen Blockbuster gezeigt worden wäre. Dieses Lob entfiel seit 2009. Abgesehen vom Eröffnungsabend wurden wir in zwei kleinere Kinos mit ca. 350 Plätzen bzw. ca. 250 Plätzen abgeschoben. 2012 wurde es erheblich besser. Der Eröffnungsabend wurde in einem der beiden ganz großen Kinos gespielt an den anderen Tagen wurde in zwei nebeneinander liegenden Kinos mit gleicher Größe und wenigen Sitzplätzen Unterschied gespielt. Durch die beiden gleich großen Kinos entstand auch eine Art Gleichberechtigung und nicht der Eindruck einer Vorstellung erster Klasse und einer Vorstellung zweiter Klasse.

Alles neu!

Neu ist, dass die Festivalmacher das Festival von Eröffnungsabend plus sieben volle Tage (Mittwoch bis Mittwoch) auf Eröffnungsabend plus elf volle Tage (hier Donnerstag bis übernächster Montag) ausdehnen, nur noch in einem einzigen Kino spielen und Platzkarten einführen.
Bei den Platzkarten bin ich längere Zeit skeptisch. Es kann Vorteile und Nachteile haben. Die Vorteile sind ein fester Sitzplatz, den man auch bei knapper zeitlicher Ankunft im voll besetzten Kino hat und den man sich natürlich vorab sehr sorgfältig aussuchen muss. Der Nachteil ist möglicherweise ein sehr unangenehmes Publikum, in dessen Nähe man Tage lang jeden möglichen Unfug ertragen muss.

Es wird durchgehend in Kino 9 (ca. 350 Plätze) gespielt. Für Konfusion sorgt, dass zunächst im Internet als auch im gedruckten Programmheft Kino 8 (ebenfalls etwa 350 Plätze) ausgewiesen wird und dann sehr kurzfristig Kino 9 ausgewählt wird.

Noch ein kleiner Rückblick

Bei meinen ersten Fantasy-Filmfesten ging ich in jede mögliche Vorstellung. In meinem ersten Jahr gab es keine Dauerkartenmehr. Ich kaufte 1994 also Einzelkarten für alle Filme. Das kostete damals ca. DM 300; eine Einzelkarte kostete nach meiner Erinnerungen DM 8,00. In den drei folgenden Jahren sicherte ich mir rechtzeitig Dauerkarten. Die erste Dauerkarte 1995 kostete DM 160,00 oder DM 170,00; ein Jahr später kostete die Dauerkarte bereits DM 200,00. In den letzten Jahren kostete die Dauerkarte € 200,00 und eine Einzelkarte kostet € 9,00. Die Dauerkarte kostet nun in den meisten Städten inzwischen € 250,00 - unter dem Aspekt, dass zwar zwölf anstatt 7 1/2 Tage gespielt wird, aber nur ein Kino reserviert werden muss.
Bereits 1998 ging ich wieder dazu über, Einzelkarten zu kaufen und achtete mit der Zeit darauf, mir die Filme genau auszusuchen. Seit 1997 leistete ich mir 2011 zum ersten mal wieder eine Dauerkarte. 2012 entschied ich mich nach einer durchwachsenen Saison 2011 wieder zu Einzelkarten und einer sehr selektiven Auswahl. 2013 besorgte mir wieder eine Dauerkarte. Dieses Jahr war ich lange unentschlossen und ließ es dann mit der Dauerkarte bleiben.

Beim Stöbern auf der Internetseite des Festivals ist angegeben, für welche Städte die Dauerkarten ausverkauft sind. Demnach waren in Stuttgart und Nürnberg zwei Tage vor dem dortigen Festivalbeginn noch Dauerkarten erhältlich, in Köln neun Tage vor Festivalbeginn. Inzwischen sind die Links deaktiviert, was vermutlich organisatorische Gründe hat; die Dauerkarten sind dort allerdings nicht als ausverkauft gekennzeichnet. Das ist alles sehr ungewöhnlich; in früheren Jahren waren die Dauerkarten in Frankfurt geschätzte drei Monate vor Festivalbeginn ausverkauft.

War das Fantasy-Filmfest noch bis in die 90er Jahre oft die einzige Möglichkeit, einen Film zu sehen, der dann bei Gefallen nur unter hohem finanziellem und logistischen Aufwand aus dem Ausland zu importieren war, ist das Festival heute ein Durchlauferhitzer für die Videotheken- und Kaufhausregale und ein paar DVD-Börsen. Bei Studium des Programmheftes erkennt man mit etwas Erfahrung, welche der Filme demnächst im Kino bzw. auf DVD / Blue-Ray veröffentlicht werden. Da ist dann als Verleih eine Kinovertrieb, ein DVD-Anbieter - oder wie 2013 auch mal eine ZDF-Tochterfirma - angegeben. Früher war es noch besser zu erkennen; dann stand im Programmheft "Verleih" für eine kommende Kinoauswertung bzw. "Vertrieb" für eine kommende Heimkino-Veröffentlichung. In solchen Fällen ist es die Überlegung wert, den Film vier, sechs oder acht Wochen später für € 1,80 am Tag aus der Videothek zu holen - bzw. mittlerweile bei einem Online-Anbieter herunter zu laden und dafür auf ein ggf. nerviges Publikum zu verzichten. Schöne und sonnige Tage könnten dann mit anderer Freizeitgestaltung verbracht werden und man kann sich auf die Filme konzentrieren, die (noch) keinen Verleih oder DVD- bzw. Online-Vertrieb haben - dann steht im Programmheft "WORLD SALES", also kein deutscher Rechteinhaber.

Es ist – falls keine Dauerkarte vorhanden - auch empfehlenswert, nicht für alle Filme Karten im Vorverkauf zu besorgen. Mitte der 2000er Jahre schwenkte die Festivalleitung trotz vorheriger Ansage, alle Karten könnten umgetauscht bzw. zurückgegeben werden, um und bereits gekaufte Karten wurden weder umgetauscht noch zurückgenommen; das war 2004. Das sorgte für viel Ärger unter den Festivalbesuchern und hinterließ den Eindruck: Das ist kein Festival mehr für Filmfans sondern ein rein kommerzielles Festival zum Geld Verdienen. Allerdings wurde in dieser Hinsicht die Geschäftspolitik radikal zum Positiven geändert; 2012 hatte ich aus Versehen gekaufte Karten zu Hause vergessen und bekam vom Vertreter der Festivalleitung versprochen, diese Karten umzutauschen, wenn ich mir neue kaufe; es klappte einwandfrei.

Die gastronomischen Gelegenheiten in unmittelbarer Umgebung zum Kinocenter sind durchaus gut und preiswert. Es gibt im Gebäude des Kinocenters zwei Cafés bzw. Bars. Direkt auf den anderen Straßenseiten rund um das Kinocenter gibt u.A. eine Nudelbar, einen sauber wirkenden Imbiss, ein indisches Restaurant und zwei Türken.

Jetzt kommen gleich die Filmbesprechungen.

Alle Filme werden in der jeweiligen Originalfassung gezeigt. Filme, die nicht in englischer Sprache gedreht sind, werden mit englischen Untertiteln gezeigt; in wenigen Ausnahmen werden Filme, die bereits auf anderen deutschen Festivals liefen, mit deutschen Untertiteln gezeigt. Für viele Kinobesucher ist das immer noch gewöhnungsbedürftig, daher ist die Bezeichnung "Filmfestival für Fortgeschrittene" nicht unberechtigt.

Hieß Kino bzw. Filmfestival noch vor wenigen Jahren tagsächlich Film, ist inzwischen ein größerer Trend zu Digitalprojektionen zu beobachten. Was manchen Festivalbesuchern nichts ausmacht, wird von Anderen mit Skepsis und Ärger zur Kenntnis genommen und auch entsprechend kommentiert. Die Bildqualität war viele Jahre auch im hochauflösenden Digitalformat DCP nicht immer optimal und in der Bildqualität unter der einer 35mm-Filmprojektion. 2012 wurden nur noch 4 Filme auf 35mm - also auf Filmrolle - gezeigt und alle Anderen im Digitalformat; im Programmheft gab es noch einen Hinweis für Nostalgiker. Ab 2013 wurde offensichtlich alles digital gezeigt. Aus geschäftlichen Erwägungen heraus sollte berücksichtigt werden, dass eine Digitaldatei kopiert werden kann und selbst der besten Verschlüsselungs- und Kopierschutztechnik wird früher oder später ein entsprechender Kopierschutzknacker folgen; der finanzielle Schaden für Filmvertreiber und Festivalorganisatoren wäre immens. Eine Ansagerin der Festivalleitung erzählte 2011 Jahr vor Filmbeginn, dass ein Filmvorführer in Hamburg aus Versehen einen Film von der Festplatte gelöscht hatte, herzlichen Glückwunsch. Zu beglückwünschen sind natürlich die Filmvorfüher, die keine Filmrollen von bis zu 30 kg Gewicht mehr zu den Kinos schleppen müssen.

War ich fauler Sack Jahre lang noch mit dem Auto am Festivalkino, kam zeitlich manchmal knapp oder sogar zu spät, fand nur mit Problemen Parkplätze und erhielt so maches Strafzettelchen, fahre ich inzwischen seit einigen Jahren mit dem Fahrrad und/oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Eine Wochenkarte für das Frankfurter Stadtgebiet kostet € 24,80, was im Vergleich zu einem Einzelfahrschein (€ 2,60) günstig ist und und es ermöglicht die Mitnahme des Fahrrades. Nach neun Fahrten ist die Wochenkarte amortisiert

Zunächst gebe ich

den Text der Filmbesprechung aus dem Programmheft

wieder, dann kommentiere ich, gebe Zusatzinformationen und vergebe Bewertungen analog von Schulnoten (1 = sehr gut; 6 = unzumutbar).

Eröffungsfilm: Donnerstag, 28. August 2014 um 20:00 Uhr, Kino 9

Ich bin etwas spät dran, da eine S-Bahn Verspätung hat. Dann dauert es noch verhältnismäßig lange, bis ich im Nudellokal zu meinem Essen komme. 20:20 Uhr ist es, als ich schließlich durch eine Besucherschlange ins Kino komme. Es war perfektes Timing. Eben ist die Laudatio zu Ende und nach nur einer Minute werden Festivaltrailer und Eröffnungsfilm gezeigt. Der feste Sitzplatz ist ein Vorteil; ich sitze weit hinten am rechten Rand am Gang und habe sowohl gute Sicht als auch gute Beinfreiheit. Die Luft im Kino ist eher stickig und warm

THE ROVER

Australien 2014, australisch-englische Fassung mit deutschen Untertiteln

"Du solltest deine Opfer nie vergessen", gibt die namenlose Hauptfigur, die wir guten Gewissens nicht "Held" nennen wollen, seinem Begleiter an einer entscheidenden Stelle von THE ROVER als Lebenslektion mit. "Das ist der Preis, den du dafür zahlst, dass du ihnen das Leben genommen hast." Wer das sagt, hat schon eine Menge durchgemacht. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit haben die zwei Charaktere in den vorangegangenen Szenen des Films nicht gerade Händchen gehalten und Kirchenlieder gesungen. Richtig, THE ROVER, der bei einem umjubelten Midnight-Screening in Cannes Weltpremiere feierte, ist ein harter Knochen.
Nichts anderes hatten wir auch erhofft nach David Michôds furiosem Regiedebüt, dem Gangsterepos ANIMAL KINGDOM, des fünften Kontinents abgefuckte Antwort auf GOODFELLAS. In den Adern des Australiers fließt heißes Blut und cooles Zelluloid. So beweist auch sein zweiter cineastischer Volltreffer, dass er in direkter Ahnenlinie steht mit George Miller und John Hillcoat. Michôd verpflichtet sich hier zwei klassischen Vorbildern des 20. Jahrhunderts: MAD MAX 2 und POINT BLANK. THE ROVER vereint die nihilistischen und existenzialistischen Ansätze dieser beiden Filme zu einem atavistischen Roadthriller durch das Niemandsland, das sich menschliche Seele nennt. So wie auch seine Hauptfigur die monomanische Halsstarrigkeit und unendliche Traurigkeit der Protagonisten Max und Walker in sich vereint.
Guy Pearce spielt diesen Mann und sieht dabei aus, als hätte er drei Jahre nicht geschlafen und sich ebenso lang nicht mehr gewaschen. Stoisch geht er seinen Weg, weiter und weiter; steht ohne Murren wieder auf, wenn er am Boden ist. Sein Ziel: Er will sein Auto zurück, das ihm von einer Bande auf der Flucht entwendet wurde. Auch wenn dieser Kampf bedeuten sollte, dass er alles verlieren wird, in einer Welt, in der schon alles verloren ist – seit dem "Kollaps" vor zehn Jahren, wie eingangs erklärt wird. Wohin sich unser Blick richtet, liegt eine staubtrockene, ausgebombte Kriegszone. Eine triste, glücklose Einöde ohne Zuflucht. Aber es gibt auch Momente der Menschlichkeit, das leise Aufglimmen einer Art Hoffnung. Denn Pearce hat den geistig etwas langsamen Rey an seiner Seite (gespielt von Robert Pattinson in seiner bisher besten Leistung). Eigentlich ist der Junge nur Mittel zum Zweck, die Gangster aufzuspüren, doch die zwei Außenseiter gewöhnen sich aneinander. Wortkarg peitscht Michôd sie auf ihrer quälend langen Reise voran, bis an die Grenze des Erträglichen. Blut. Schweiß. Ein paar Tränen. Was für ein Auftakt für das Fantasy Filmfest.

Ja, gleich am Anfang werden wir durch eine Schrifteinblendung darüber aufgeklärt, dass wir uns in Australien befinden, zehn Jahre nach dem Kollaps. Danach sind bei einer verhältnismäßig großen Erwartungshaltung groß, immerhin sind die ersten beiden MAD-MAX-Filme DIE Klassiker des Endzeitkinos und des australischen Kinos insgesamt. Die Eröffnung ist dann noch recht gelungen. Wir sehen einen spektakulären Unfall des Gangsterquartetts teilweise aus dem Auto heraus, teilweise aus dem Inneren einer versifften Kneipe heraus, in dem "der Held" etwas trinkt, durch das Fenster. Danach wird es langatmiger und eher uninteressant. Die Momente mit MAD-MAX-Aura sind dann auch sehr sparsam und sehr kurz. In einem herunter gekommenen Laden verkauft der Inhaber die brauch- und essbaren Reste der früheren Zivilisation. Eine Tierärztin, bei und von der Rey seine Schussverletzung am Bauch behandeln lässt, hält die Hunde, die bei ihr ausgesetzt wurden, in Käfigen, damit sie nicht gestohlen und gegessen werden. Und am Straßenrand sehen wir in sicherer Entfernung Kreuze mit aufgehängten verrottenden Leichen.
Ansonsten stromern "der Held" und Rey durch die Gegend auf der Suche nach dem gestohlenen Wagen und dessen Dieben. Der Anführer der Autodiebe ist übrigens Rey´s älterer Bruder, den "der Held" gegen seinen Wagen auszutauschen bzw. vor dem Bruder umzubringen plant. Hier verrate ich keine Auflösung. Die Zuschauerin / der Zuschauer erfährt es gleich am Anfang. Dass in der Filmbeschreibung davon nichts steht, ist ein Indiz daführ, dass die Autorin / der Autor den Film vorher gar nicht sah und sich - wie so oft - auf unangemessene Vergleiche mit anderen Filmen konzentriert.
"Der Held" Guy Pearce ist mittlerweile auch Mitte 40 und sieht hier aus wie über 60. Seinen Durchbruch hatte er vor 20 Jahren als junge Drag-Queen in der hinreißenden australischen Tragikommödie PRISCILLA - KÖNIGIN DER WÜSTE. Robert Pattinson ist sicher allen bekannt als Romantik-Vampir in der Twilight-Kinoserie, und das Spielen seiner "bisher besten Leistung" ist keine große Kunst, denn er hat ein - wohlwollend formuliert - sehr limitiertes schauspielerisches Talent und spielte bisher seine Rollen meistens mit dem selben Gesichtsausdruck. Er ist mit kurzgeschorenen Haaren und verdreckt und verschwitzt kaum wieder zu erkennen und ist nach seiner Zusammenarbeit mit Regie-Altmeister David Cronenberg scheinbar dazu in der Lage, eine Rolle mit bis zu drei Gesichtsausdrücken zu interpretieren. Es wird ein bischen verfolgt. Ein paar mehr oder weniger Unbeteiligte werden erschossen - u.A. ein zwergwüchsiger Waffenhändler und eine Zimmerkellnerin. Zum Schluss bekommt "der Held" sein Vehikel wieder, um den Kofferraum zu öffenen und seinen toten Hund herauszuheben und zu begraben - das ist schon ein rührendes Ende, das nach längeren eher ermüdenden Passagen noch ein mal die Aufmerksamkeit weckt, aber insgesamt keinen lohnenden Eröffnungsfilm beendet.

Zum Vergleich. Letztes Jahr hatte die inhaltlich und visuell beeindruckende Zukunftsvision THE CONGRESS ein fast ausverkauftes 650-Plätze-Kino erstaunt. Vor 18 Jahren sorgte Alex de la Iglesia´s irrsinnige Horror-Komödie EL DIA DE LA BESTIA im ausverkauften großen 550-Plätze-Kino des alten Turm-Palastes für Stimmung.

Note = 4

Die Entscheidung, auch die Filme des Eröffnungsabends nicht in einem größeren Kino zu spielen ist nachvollziehbar. Das Konzept der Platzkarten wäre so kaum zu organisieren gewesen. Und nicht einmal der Eröffnungsfilm ist ausverkauft. Vorsichtig geschätzt 50 Plätze sind frei.

Den zweiten Film des Abends spare ich mir und höre später, dass er absoluter Müll für die hintersten Kaufhaus-Grabbeltische sein soll.

Freitag, 29. August

Ich spiele lange Zeit mit dem Gedanken, in den dänischen Film ON THE EDGE zu gehen. Dänisches Kino ist fast immer professionell und sehr sehenswert und dieser Film hat noch keinen deutschen Vertrieb. Um kurz nach 14:00 Uhr bin ich auf dem Weg, nachdem es überwiegend bewölkt war. Dann lösen sich die Wolken auf und ich fahre heim, um im Garten die Sonne zu genießen.
Der nächste Film aus Indonesien / Japan ist äußerst sehenswert. Eine Auswertung für den Heimkinomarkt steht bereits fest. Wer das Programmheft durchschaut, wird unter den Werbeseiten der Heimkino-Anbieter auch die Killer finden. KILLERS lief bereits vor drei Monaten bei NIPPON-Connection, dem japanischen Filmfestival. Daher entschließe ich mich, ihn nicht noch mal auf der Leinwand zu sehen, sondern mit die DVD zuzulegen.

Samstag, 30. August

15:00 Uhr: STARRED UP

Großbritannien 2013, englische Origialfassung mit deutschen Untertiteln

Als stets gewaltbereiten Teenager kennt man Jack O'Connell schon aus THIS IS ENGLAND und EDEN LAKE. Mit 300: RISE OF AN EMPIRE konnte er sich zur gestählten Kampfsau mausern. Im eindringlichen wie ungewöhnlichen Thriller STARRED UP vereint er nun geballte körperliche Präsenz mit differenzierter Charakterdarstellung. Dabei inszeniert David Mackenzie (HALLAM FOE, PERFECT SENSE) die superben Schauspieler in seinem ersten echten Genrefilm mit fast dokumentarischer Härte; serviert die eskalierende Brutalität derart knochentrocken und schafft ein so dichtes Milieu omnipräsenter Bedrohung, dass man fast zu atmen vergisst. Erst 19 Jahre ist Eric Love und so unkontrollierbar aggressiv, dass ihn die Justiz als hoffnungslosen Fall abhakt und kurzerhand vom Jugendknast in den Erwachsenenvollzug verlegt. Seines zarten Alters ungeachtet ist Eric bestens präpariert für diese feindliche Umgebung. Gewalt ist seine Muttersprache, sein Körper seine Waffe. Seine ausgeprägte Angriffslust macht weder vor Mitinsassen noch Wärtern halt. Die Konfrontation mit seinem entfremdeten Vater, dem hartgesottenen Neville, der im gleichen Zellenblock lebenslang einsitzt, lässt den Jungen wie das berüchtigte Tier im Käfig nur noch wilder aufbegehren. Der Gefängnistherapeut Oliver versucht indes zu Eric durchzudringen und mit seiner Anger-Management-Gruppe den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen. Doch gewisse Fraktionen in der Gefängnishierarchie setzen alles daran, dass Eric auf dem Weg der Besserung scheitert …

Vor mittlerweile fast drei Jahren hatte ich Glück und Gelegenheit, die Filme des Schotten David Mckenzie im Rahmen einer Retrospektive bei den Hofer Filmtagen zu erleben. Er ist ein großer Könner und hat ein feines Gespür für Charaktere, Details und Orte. Da fällt es mir nicht schwer, seinen aktuellen Film zu sehen. Das Knastdrama ist offensichtlich mit sehr wenig Geld gedreht und der Drehort könnte durchaus ein echtes Gefängnis sein. Gezeigt werden das Schicksal des jugendlichen Gewalttäters und ein deprimierender Knastalltag mit entwürdigenden Ritualen, Psychospielen, Gewalt und einem Anti-Gewalt-Training. Schauspielerisch überzeugt er auf ganzer Linie und der junge Hauptdarsteller Jack O´Connell kommt mit seiner intensiven Leistung über das Publikum wie eine Naturgewalt.

Absolut überzeugend. Note = 1

17:30 Uhr: Der Sitzplatz, für den ich eine Platzkarte habe, ist besetzt. In dieser Situation könnte ich einfach meinen reservierten Platz verlangen und den Mann verjagen oder verjagen lassen. Das möchte ich allerdings gar nicht, denn dieser Mann sieht verwildert und verwahrlost aus und riecht aus mehreren Metern Entfernung so, als ob er ewig nicht gebadet hätte und erst kürzlich aus einem vollen Klo gezogen wurde. Zwei Reihen dahinter nehme ich Platz und nehme immer noch Fäkaliengestank wahr.

The Fall Of The House Of Usher

Frankfreich 1928, Stummfilm mit englischen Untertiteln

Das Fantasy Filmfest präsentiert die brandneu restaurierte Fassung des großen Stummfilm-Klassikers. Doch nicht nur visuell ist das Meisterwerk damit im digitalen Zeitalter angekommen: Musikalisch erfährt es mit der Begleitung von DJ Shahaf Thalers Set (Deep House, Nu Disco) eine aufregende Variation. "Tales of the Grotesque and Arabesque" ist der Titel der Sammlung von Erzählungen, in der Edgar Allen Poe den berühmten Text 1840 in seiner endgültigen Form veröffentlichte: "Der Untergang des Hauses Usher". Grotesk und arabesk – das beschreibt auch ganz vortrefflich die allererste von den vielen folgenden Verfilmungen der Literatur-Vorlage. 1928 hat sich der polnische, in Frankreich lebende Surrealist Jean Epstein der wehmütigen Todessehnsucht über Wahnsinn, Besessenheit und Zerfall angenommen, und damit einen der letzten wirklich großen Stummfilme des fantastischen Genres geschaffen, der in einem Atemzug genannt werden muss mit Wienes DAS CABINET DES DR. CALIGARI, Murnaus NOSFERATU und Dreyers (fast stummen) VAMPYR. Weil die Betonung schon bei Poe auf Atmosphäre und weniger auf Handlung liegt, entspricht der Text so ganz den Bedürfnissen des Stummfilms, mit Bildern Stimmungen zu erschaffen, die sich ganz unmittelbar auf den Zuschauer übertragen. Selbst einige Meisterwerke der vergangenen Ära mögen heute antiquiert wirken, gestelzt, gar langweilig. Auf Epsteins USHER trifft das nicht zu. Der Film schlägt einen sofort in seinen Bann, weil er fern von Zeit und Realität – genau wie Poe in seinem Werk – Urängste mit ganz puren künstlerischen Mitteln lanciert. Zu Beginn des Projekts hatte Epstein noch eng mit seinem Assistenten und Autor Luis Buñuel gearbeitet, der zeitgleich sein Debüt L'AGE D'OR vorbereitete. Obwohl es alsbald zum Zerwürfnis zwischen den beiden Männern kam (angeblich weil sich Epstein für Buñuels Geschmack zu weit vom Originaltext entfernen wollte) ist Buñuels Handschrift unverkennbar, wie eben auch der Einfluss von Wiene und Oscar Wildes "Dorian Gray". Und doch ist es vor allem Epstein, der die disparaten Einflüsse zu einer homogenen Vision zusammenfügen kann. Sein LA CHUTE DE LA MAISON USHER ist ein Werk aus einem Guss, das den Erzähler und Helden der Geschichte in eine Welt im Schwebezustand entführt, vor der er eingangs eindringlich gewarnt wird. Und doch setzt er die Reise zu seinem sonderlichen Freund Roderick Usher fort. Ein Porträt von Ushers Frau soll er malen, welches ihr im Entstehungsprozess mehr und mehr Lebenskraft zu rauben scheint. Bis schließlich nicht mehr gewiss ist, was Gemälde ist und was Mensch. Das ist Horror pur, nur mit den Mitteln des Surrealismus erzählt. Und Epsteins Kinobilder wirken auch heute noch erschreckend unbehaglich – wie sie schon vor 85 Jahren empfunden wurden.

Ich weiß nicht genau, was ich über diesen Film schreiben soll - außer, dass er ein außergewöhnliches, einzigartiges Meisterwerk der Kinogeschichte ist, das glücklicherweise sehr aufwändig und pennibel restauriert wurde. Man kann den Festivalmachern eigentlich durchaus danken, dass sie diesen Film zeigen; ein Amateur-Zombiefilm für dein Heimvideomarkt hätte wahrscheinlich mehr Zuschauer gebracht. Allerdings ist es wahrscheinlich nicht so wie die Ansagerin uns erklärt, dass sie keine Kosten und Mühen scheuten und wer weiß wen überreden mussten, um diesen Film für das Festival zu gewinnen. Wir dürfen vermuten, dass die Cinematique Francaise jede Gelegenheit wahrnehen wird, um auf ihre Arbeit aufmerksam zu machen und den Film in Cannes unter die Interessenten bringt, um ein paar Euro Einnahmen für ihre für kommende Restaurierungen zu erwirtschaften.

Was absolut daneben geht, ist die musikalische Neuinterpretation durch einen Elektromusiker, die nicht nur unpassend und unangenehm laut ist, sondern auch noch durch diverse Passagen mit englischem Gesang das Lesen der englischen Untertitel und die gesamte Konzentration auf den Film erschwert. Diese Musik ist zu diesem Filmmeisterwerk nicht weniger als akkustische Körperverletzung.

Film = 1. Musik = 6-

Ich gebe einem Mitarbeiter meine Kinokarte und mache ihn auf die Situation des stinkenden Mannes und des Kinosessels aufmerksam und bitte um eine Reinigung des Sitzes bzw. um ausreichend viele Mülltüten für die kommende Vorstellung - falls kein anderer Platz frei sein sollte.

19:00 Uhr: GO GOA GONE

Indien 2013, Originalfassung, hindi und englisch mit englischen Untertiteln

Freundin weg. Job weg. Geld haben sie sowieso noch nie gehabt. In dieser ausweglosen Situation gibt es für die Kiffer-Kumpel Hardik und Luv nur eines: Paaaarrrrrtttttyyyyy!!!!! Am besten auf einer abgeschiedenen Tropeninsel mit vielen süßen Babes, bunten Pillen, der Russenmafia – und Zombies. Wir haben es ja schon immer gewusst: Techno + Drogen = Hirntote. Jetzt kommen auch noch Untote dazu. Nach Großbritannien (SHAUN OF THE DEAD, COCKNEYS VS. ZOMBIES), Norwegen (DEAD SNOW) und Kuba (JUAN OF THE DEAD) legt nun auch Indien seine kultige Zombedy vor. Mit viel Wortwitz und (selbst-)ironischer Situationskomik, überdrehten, zugleich grundsympathischen Charakteren sowie schrägen Splatter-Einlagen zaubert uns GO GOA GONE ein ganz dickes Grinsen auf die Backen. Und das ohne Bollywood-übliches Gesinge und Getanze! Dafür wartet der Film mit den schönsten Schauplätzen seit Langem auf: Gedreht wurde im indischen Feier-Mekka Goa und auf Mauritius. Ja, GO GOA GONE macht Lust auf Urlaub! Und nach zwölf Tagen Fantasy Filmfest habt ihr dafür dann ja auch wieder Zeit.

Am Anfang verpasse ich aufgrund eines sehr kurzen Zeitfensters zur Nahrungsaufnahme die ersten Minuten des Films. Es scheint zum Geschäftskonzept zu gehören, am Abend wenig Zeit zum Essen zu lassen und so hungrigen Kinogängern Popcorn- und Nachofraß zu verkaufen.

Auf den Kinositz, der für mich reserviert ist, setze ich mich lieber nicht. Es riecht zwar tatsächlich dezent nach Reinigungsmitteln, aber für Hygiene ist dieses Kinocenter ja tatsächlich nicht bekannt. Es ist noch genug Platz. Letztes Jahr saß ich bei heißen Sommertemperaturen mit kurzer Hose und kurzen Armeln in einer Abendvorstellung und bekam einen heftigen Juckreiz an den Stellen, die ungeschützten Kontakt zum Sitz hatten. Hier werden wahrscheinlich nicht jede Woche die Sitze mit dem Staubsauger behandelt. Einige Tage später sauste deutlich sichtbar eine Maus oder Ratte durch Kino 9.

Ja, auch die Inder wollen ins Zombie-Film-Geschäft einsteigen und sie kombinieren genretypische Elemente mit ihren heimischen Zutaten des albernen Romantikklamauks. Das funktioniert gut und alle haben Spaß. Dazu ist der Film noch sehr gesundheitsorientiert. Immer, wenn jemand raucht, ist am Bildrand unten rechts eingebledet "Smoking cigarettes injures your health" ("Rauchen schadet Ihrer Gesundheit") - machmal Minuten lang. Die Zombieseuche wird durch eine Partydroge in Tablettenform unter die Leute gebracht.

Note = 3+. Kein Meisterwerk, aber gute Unterhaltung.

Sonntag, 31. August, 13:00 Uhr

PATEMA INVERTED

Japan 2013, Originalfassung, japanisch mit englischen Untertiteln

Die Welt steht Kopf ... und zwar auf beiden Seiten: Tief unter der Erde verstecken sich die Menschen nach der alles vernichtenden Katastrophe in einem verschachtelten Tunnelsystem. Darunter das kleine Mädchen Patema, das immer wieder in der verbotenen Zone der unterirdischen Stadt herumforscht. Als sie eines Tages auf einen der sagenumwobenen Fledermaus-Menschen trifft, stürzt sie in einen Schacht, an dessen Ende der Oberflächenbewohner Age auf sie wartet und mit ihm eine große Überraschung: Auf Ages Seite der Welt wirkt die Schwerkraft auf Patema genau entgegensetzt und plötzlich steht für sie und den Zuschauer alles Kopf. Schnell finden die zwei Gefallen aneinander und an der verrückten Situation, die jedoch nicht ganz ungefährlich ist. Denn nur ein einziger falscher Schritt genügt und Patema würde in die unendlichen Weiten des Himmels hinauffallen. Eng umklammert befinden sich beide auch schon bald auf der Flucht vor Ages Mentoren, denn in seiner Welt, die rein funktional und technisiert angelegt ist, gelten die sogenannten Inverts als Sünder. Yasuhiro Yoshiuras stimmige Parabel setzt sich aus wundervoll detaillierten Bildebenen zusammen. Die sympathischen Figuren und die philosophische Botschaft stehen dabei ausgewogen dem verspielten Aspekt der umgekehrten Anziehungskraft entgegen.

Ein unglaublicher Film. Wir sehen nicht nur einen phantasievollen Wissenschaftsthriller sondern auch eine Freundschafts- und Liebesgeschichte in Variation zu Romeo und Julia - nicht nur mit verfeindeten Familien, deren Kinder sich lieben lernen, sonden mit Jugendlichen zweier unterschiedlicher Zivilisationen, die sich gegenseitig nicht kennen oder sogar hassen - und eine dezente aber kritische Abhandlung über eine totalitäre Diktatur. Inhaltlich und visuell ist PATEMA herausragend, mit einer romantischen bis dramatischen Orchestermusik begleitet und ich würde ihn tatsächlich fast mit dem Anime-Klassiker AKIRA vergleichen, dessen visuelle und emotionale Wucht noch eine Spur stärker ist.

Note = 1

Montag, 1, September um 17:00 Uhr

Ich komme mit einem ausreichenden Zeitfenster. Im Kinofoyer steht allerdings eine Schlange von vorsichtig geschätzt 80 Zuschauern/innen an der Kasse, der genau je eine Kassiererin und ein Kassierer gegenüber sitzen. So stehe ich fast eine halbe Stunde an und verpasse die ersten Minuten des Films. Ausgerechnet in solchen Vorstellungen beginnen sie pünktlich mit dem Film.

THE DIVINE MOVE

Südkorea 2014, Originalfassung, koreanisch mit englischen Untertiteln

Es ist ein Naturgesetz: Die Südkoreaner machen die besten Rache-Thriller! Chan-wook Parks Trilogie (bestehend aus SYMPATHY FOR MR. bzw. LADY VENGEANCE und OLDBOY), A BITTERSWEET LIFE, BEDEVILLED oder I SAW THE DEVIL: Sie alle verfügen über inhaltliche Raffinesse, stylische Bildsprache und zwiespältige Charaktere. Nicht zu vergessen die superb choreographierten, extrem blutigen Gewalteruptionen. THE DIVINE MOVE reiht sich ein in diese Schar außergewöhnlicher Revenge-Stories. Denn auch wenn sich alles um das Spiel mit den schwarzen und weißen Steinchen dreht, verliert Regisseur Beom-gu Cho zwei Dinge nie aus den Augen: Die perfiden Ränkespiele der Antagonisten und handfeste Action! Verlieren ist nie schön, aber besonders tragisch, wenn es um viel Geld in einem Spiel gegen brutale Schurken geht, die einen obendrein beim Betrügen erwischen. Tae-seok ist Profi-Spieler der asiatischen Schach-Variante Go und ihm widerfährt genau dieses Schicksal. Sein Bruder findet in der Folge den Tod und er sich im Knast wieder. Dort bildet der schmächtige Brillenträger seine Go- und vor allem Kampfkünste aus. Nach seiner Entlassung kennt er nur ein Ziel: Vergeltung! Mit einer illustren Schar an Mitstreitern – u.a. ein blinder Go-Meister namens Drinking Jesus und ein armamputierter Tischler – wirft er sich in die illegale Gambling-Szene. Schon bald geht es den Gangstern in ihren schwarzen Maßanzügen an den gestärkten Kragen.

Hier werden in der Filmbeschreibung wieder Massen von Titeln anderen koreanischer Gangster- und Rachefilme aufgeführt, von denen sie vor Jahren die meisten Filme mal selbst im Programm hatten; ein anderer Zweck wird nicht erfüllt. Denn die aufgeführten Filme - soweit ich sie kenne - sind untereinander nicht vergleichbar und auch mit diesem Film nicht vergleichbar; selbst die Filme der so genannten Rachetrilogie von Park Chan-wook sind abgeschlossene und völlig unterschiedliche Werke.

Nun. Das Brettspiel Go wird mit unzähligen weißen und schwarzen Bonbon-förmigen Steinen gespielt. Die Strategie ist, irgendwie den Gegner zu umzingeln und dessen Steine aus dem Spiel zu nehmen. Insofern ist Go eher eine fernöstliche Variante von Mühle oder Dame und nicht von Schach. Mehr kann ich dazu nicht beschreiben. Die Regeln sind mir - wie sicher den meisten westeuropäischen Zuschauern/innen - total unbekannt. Ein nicht unerheblicher Teil der Handlung bringt das Spiel und seine Strategien sowol visuell als auch im Dialog in den Mittelpunkt und das ist unverständlich für uns. Das ist für den westlichen Zuschauer ein Nachteil, den ich dem Film und den Machern aber nicht zum Vorwurf machen kann; es ist einfach Pech. All das und auch die Strukturierung der Handlung, die Bildgestaltung und Austattung und die Filmmusik sind äußerst professionell und gelungen. Es passt alles gut zusammen. Auch die Kampfszenen sind hervorragend choreografiert und fotografiert. Schauspielerisch können alle bis in die Nebenrollen ihr Bestes geben.

Note = 2

Beim Abspann solcher Filme stelle ich mir oft vor, wie das Ergebnis wohl im filmischen Entwicklungsland Deutschland aussehen würde: Matze Schweighöfer als Berufsspieler mit Racheambitionen hätte es mit dem Gangster Heino Ferch oder Heiner Lauterbach zu tun. Als Spielclub-Hostesse würde ein pubertierendes Girlie aus dem Seifenopern-Vorabend-Programm in die Kamera glotzen und als Kette-rauchende Kassiererin im Spielclub würden uns Katja Riemann oder Vroni Ferres (eben noch als Bundeskanzlerin) das Gruseln lehren. Und alle würden in sauberer Fernsehoptik realitätsferne Dialoge aufsagen, die so nur auf deutschen Filmhochschulen und den nachfolgenden Drehbüchern gesprochen werden. Es würde sich natürlich niemand die Mühe Machen, das ins Kino zu bringen sondern es würde als Event-Movie der Woche im ZDF oder auf SAT.1 abgespielt werden.

19:30 Uhr: Nachdem zwei Moderatoren DVDs und Blue-Rays verlosen und Fragen nach einem früheren Heimvideo eines Regisseurs, das auf dem Festival lief, oder dem Titel des Konsolenspiels, welches Grundlage für irgend ein anderes Heimvideo war, das irgend wann mal auf dem Festival lief, beginnt der Film mit 20 Minuten Verspätung. Wie wäre es mal mit Fragen für echte Kenner:

  • Welchen Film drehte Alfred Hitchcock zwei mal unter dem gleichen Titel? Nennen Sie die beiden Hauptdarsteller der Neuverfilmung.
  • Für welchen Film wurde Charles Chaplin mit dem Oscar ausgezeichnet und in welcher Kategorie? Was ist die Besonderheit dieser Auszeichnung in dem betreffenden Jahr?
  • Welches Objekt trägt den Namen Rosebud, den der Regisseur und Hauptdarsteller Orson Welles in dem Film Citizen Cane sagt?

THE BABADOOK

Australien 2014, englische Originalfassung

Mister Babadook ist die Schreckensgestalt aus einem Kinderbuch, das der kleine Sam seiner Mutter Amelia zum Vorlesen gibt. Er trägt einen schwarzen Umhang, einen verbeulten Zylinder und hat Hände wie MurnausNOSFERATU, fast sieht er aus, als wäre er aus Edward Goreys Werken entwichen. Amelia klappt das Buch entsetzt zu. Doch wenn Babadook erst mal da ist, lässt er sich nicht mehr vertreiben. So steht es geschrieben. Die Australierin Jennifer Kent hat auch das Drehbuch für ihren ersten Film geschrieben und nimmt sich zunächst Zeit, die Beziehung von Mutter und Sohn zu veranschaulichen. Der turbulente Siebenjährige ist von Gewalt fasziniert und bastelt gemeingefährliche Waffen aus seinen Spielsachen, weil er seine Mutter beschützen will. Denn: "Mein Vater ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als er meine Mutter zu meiner Geburt ins Krankenhaus brachte", erzählt er bei jeder Gelegenheit. Die überforderte Mutter hat den Verlust ihres Mannes selbst noch nicht verkraftet. Essie Davis brilliert als Sympathieträgerin, auch wenn sie an ihrer Mutterrolle zu scheitern droht und sich mit dem nervigen Kind abplagt, das überall aneckt und eigentlich nur Verständnis sucht. Ein erschreckend wirksamer Horrorthriller mit psychologischem Tiefgang, der mit seinen zahlreichen Anspielungen an die Meister des Horrors bis zurück zu George Méliès erinnert, dabei Urängste wachruft und mit Finesse ein Kaleidoskop von Gefühlswelten über Liebe und Schmerz entfaltet.

Die größte Qualität des Films ist, dass eine ganze Stunde völlig unklar ist, ob der Dämon Babadook tatsächlich existiert und Mutter und Sohn terrorisiert oder ob er ein Produkt der kindlichen Phantasie und dann einer Psychose der Mutter ist. Zunächst flippt der junge Sam mehrfach aus, neigt zu Besorgnis erregenden Verhaltensstörungen und verletzt sogar andere Schulkinder. Dabei bringt der sehr junge Darsteller seine Angstatacken mit entfesselten Schreikrämpfen und Tobsuchtsanfällen zum Ausdruck. Umwerfend. Dann hört die Mutter immer öfter seltsame Geräusche und glaubt, etwas in den Schatten dunkler Ecken zu sehen. Hierbei entwickelt sie sich nach und nach zu einer unglaublichen Furie, die später nicht einmal davor zurück schreckt, mit dem Messer auf ihren Sohn los zu gehen. Und sogar als Babadook in Erscheinung tritt und dabei zwei mal die Gestalt des tödlich verunglückten Familienvaters annimmt, rätseln wir, ob es eine echte Heimsuchung oder die Halluzination einer schweren psychischen Erkrankung ist.
Dass Mutti auf dem Höhepunkt dem total süßen Hund das Genick bricht, ist der erste große Minuspunkt, das Einführen und spätere Töten von Haustieren ist eines der überflüssigsten Klischees des Horror- und Thrillerkinos. Als wir dann sicher sein können, dass Babadook tatsächlich im Haus ist und die Familie terrorisiert, verfliegt ein großer Teil der Spannung. Der finale Kampf gegen Babadook dauert dann auch eine knappe viertel Stunde und wird zu einem unnötigen
Poltergeist-Spektakel aufgeblasen. Zum Schluss sehen wir Mutter und Kind in harmonischer Zweisamkeit im Garten und bei der alten Nachbarin. Und die Auflösung - Verzeihung, ggf. hier nicht weiterlesen - ist, dass Babadook im Keller gefangen gehalten und mit Würmern gefüttert wird. Hier blitzt mir noch kurz die Phantasie auf, dass der verunglückte Ehemann vielleicht noch am Leben ist und im Keller gefangen gehalten wird. Aber dieser finale geniale Kniff bleibt uns erspart. Überflüssig ist auch die Szene, in der sich er Junge vor Angst in die Hose pinkelt.

Nach einem tollen Start und einer phänomenalen Steigerung möpselt er sehr im Abgang und es gibt leider nur eine Note 3.

Zu den zahlreichen Anspielungen des Genres gehört übrigens auch ein Ausschnitt aus Mario Bava´s Meisterwerk "DIE DREI GESICHTER DER FURCHT".

Nach der knapp 20minütigen Verspätung bleibt mir nur eine knappe 1/4 Stunde Zeit zum essen und ich kalkuliere eine vergleichbare Verspätung für die folgende Vorstellung ein. Pech gehabt. Der Film beginnt pünktlich bzw. weniger spät und ich verpasse den Anfang.

21:30 Uhr: UNDER THE SKIN

Großbritannien 2014, englische Originalfassung

Eine geheimnisvolle Alienrasse ernährt sich vorzugsweise von männlichen Singles und hat den Großraum Glasgow zum Jagdrevier erklärt. Der Köder hat sich die Optik von Scarlett Johansson geliehen, welcher ja bekanntlich kaum jemand widerstehen kann. Verdammt, sind die clever! Als Femme fatale in knappem Outfit fährt Scarlett fast wortlos und in hypnotischen Bildern durch die Nacht und gabelt einen Typen nach dem anderen auf. Nach erfolgreichem Smalltalk lockt sie die paarungswilligen Herren in ein psychedelisches Verlies und beginnt mit der Verdauung der Beute. Die Killerin in High Heels scheint allerdings noch nicht das Ende der Nahrungskette zu sein. Ein dubioser Motorradfahrer ist ihrem Treiben stets dicht auf den Fersen. Um die Frage, die abertausende Internetforen seit der Uraufführung von UNDER THE SKIN förmlich zum Glühen brachte, gleich zu beantworten: Zieht Scarlett in Jonathan Glazers Thriller wirklich blank? Aber hallo! Zum Glück für diese Indie-Perle, welche ihre filmischen Reize dadurch vermutlich an deutlich mehr Publikum ausspielen kann. Zum Beispiel den paralysierenden Sog, den Glazer der rauen Landschaft Schottlands und den heruntergekommenen Gassen der Hauptstadt Glasgow abgewinnt. Oder den Kunstgriff, dass in UNDER THE SKIN mit nur minimalem Einsatz von Dialog gegruselt, gerätselt und geschockt wird. Düsternis und Stille lassen dabei ebenso Raum für Interpretation wie Johanssons behutsames Mienenspiel. Stanley Kubricks elegische Kraft der Inszenierung trifft hier auf Woody Allens letzte Muse. Hardcore-Cineast, was willst du eigentlich mehr?

Die Aussicht, Scarlett Johannsson knapp bekleidet oder sogar nackt zu sehen, füllt das Kino tatsächlich bis fast auf den letzten Platz.

Scarlett Johansson ist meistens nicht knapp bekleidet sondern trägt bis zum Pelzmantel eine Kleidung, die dem nassen Herbst in Schottland angemessen ist. Als sie die Kleidung einer Leiche klaut, ist sie tatsächlich kurz nackt zu sehen und danach in zwei sehr verklausulierten Szenen, die den Vorgang des Männer Fressens zum Ausdruck bringen sollen, zieht sie sich bis auf die Unterwäsche aus. Sie schreitet dann auf einer öligen Flüssigkeit voran wie Jesus auf dem Wasser, während ihre nacken Opfer versinken. Davor und danach fährt sie mit dem Wagen durch die Gegend, hält Ausschau nach potentiellen Opfern, fragt diese nach dem Weg wer weiß wohin und lässt die meisten von ihnen ziehen, da zu viele andere Leute in der Gegend sind. Zuzuschauen, wie Farbe an der Wand trocknet, könnte nicht uninteressanter sein. Im Kino ist es außerdem stickig und warm. Dann schlafe ich länger Zeit ein, was fas jedes Jahr mal vorkommen kann, in den meisten Fällen nicht am Film liegt, hier aber durchaus einen ursächlichen Zusammenhang hat. Scarlett ist immer noch auf der Fahrt und auf der Suche und ich verlasse das Kino und fahre heim.

Die Bewertung entfällt.

In der recht voll besetzten S-Bahn kommt ein Trio deutscher, sehr betrunkener und ungepflegter junger Männer auf einen jungen Schwarzen - oder wie sagt man da völlig politisch korrekt? Afro-Deutscher, Maximal-Pigmentierter ... - und macht ihn auf das Schlimmste an. Hier ist sofort klar, dass sie Streit suchen. Ihre Beleidigungen gehen zusammen gefasst ungefähr so: Was Du wollen hier Neger? Du wollen nicht lieber gehen zurück in Savanne oder Dschungel, wo Deine Mama Dich füttern mit Bananen. Eigentlich muss man da etwas unternehmen. Aber ich unternehme nichts, wofür ich mich auch schäme. Aber alle anderen Fahrgäste, welche die Situation verfolgen, unternehmen auch nichts; da befinde ich mich in guter oder eher schlechter Gesellschaft. Allerdings kann so etwas sehr gefährlich werden und ich habe wirklich etwas Angst. Inzwischen denke ich darüber nach, zur Notbremse zu gehen und sie zu betätigen. Da antwortet der junge Mann dem Abschaum in akzentfreiem Hochdeutsch "Sie sollten erst einmal lernen, richtig Deutsch zu sprechen, sonst wird es Ihnen nie gelingen, sich hier zu integrieren." Die drei sind sprach- und reaktionslos und das halbe Abteil einschließlich mir selbst beginnt sofort, herzhaft zu lachen. Die S-Bahn hält an der nächsten Station und zum Glück betreten an der nächsten Tür zwei Sicherheitsleute der Bahn das Abteil, worauf die der Abschaum die S-Bahn verlässt. Ein Glück - das hätte noch hässlich werden können.

Dienstag, 2. September 2014, 13:00 Uhr: Frankfurt Fahradhelm-Massaker - Teil 1

Der Türsteher verweigert mir den Zutritt zum Kinobereich, ich dürfe den Fahrradhelm nicht mit hinein nehmen. Die Gefahr sei zu groß, dass ich den Helm als gefährliche Waffe einsetzen könnte. Ich diskutiere einige Minuten mit ihm. Er kann mir keine eindeutige Regel nennen, die das Mitnehmen eines Fahrradhelmes verbietet, schaut in der Hausordnung und in den Jugenschutzrichtlinien, findet alles Mögliche zu Aufzeichnungsgeräten, Rädern, Tretrollern, brennbaren Flüssigkeiten und Waffen, aber nirgendwo sind Fahradhelme erwähnt. Er bestimmt es einfach und verweigert mir den Einlass. Ich verlange den Geschäftsführer zu sprechen, ja, das könne zehn Minuten dauern, bis er da ist. Es entwickelt sich zum Machtspiel, in dem der Türsteher seine Autorität nicht verlieren möchte. Wir einigen uns darauf, dass ich die gefährliche Waffe im Rucksack verstaue, den er nur oberflächlich durchsucht. Wie grotesk die Situation des eingepackten Helmes ist, muss ich nicht näher erläutern. Unten an Kino 9 spreche ich den dortigen Angestellen an, der sich mit der Vertreterin der Festivalleitung unterhält, und warne ihn vor dem Mitführen eines gefährlichen Fahrradhelmes in meinem Rucksack. Alle Umstehenden sind köstlich amüsiert, der Kollege müsse sicher neu und etwas übereifrig sein. Es ist kein Problem, den Helm mit ins Kino zu nehmen. Sollte es Tote oder Verletzte geben, sei ich als Hauptverdächtiger bekannt und könne der Polizei übergeben werden. Den Helm packe ich im Kino sofort wieder aus. Erstens ist der Reiverschluss des Rucksacks total überdehnt und könnte kaputt gehen. Außerdem komme ich so besser an meine Messersammlung, die Handgranaten und die Dose mit Nervengas.

Vom Film verpasse ich die ersten Minuten, was mich sehr ärgert.

DAS HAUS AM ENDE DER ZEIT

Venezuela 2013, Originalfassung, spanisch mit englischen Untertiteln

Seit Dulce, die Mutter zweier Kinder, mit ihrem Mann in das geheimnisumwitterte, alte Kolonialhauses irgendwo in Venezuela gezogen ist, geschehen dort seltsame Dinge. So wie es sich für Spukhäuser gehört. Eines Tages findet sie ihren Mann erstochen auf und als kurz darauf ihr kleiner Sohn Leopoldo von dem finsteren Kellergewölbe regelrecht verschluckt wird, hat sie bei der Polizei ein Glaubwürdigkeitsproblem. Was ihr jahrzehntelange Haft einbringt, die sie unschuldig verbüßt. Und sie schließlich mit der unerschütterlichen Absicht in das Gemäuer zurückkehren lässt, dessen Rätsel endgültig zu lösen. Noch kann sie nicht ahnen, wie sich ihr Schicksal erfüllen wird an diesem rätselhaften Ort – dem Haus, das Anfang und Ende vereint. Hidalgo gelingt das Kunststück, spannendes Gruselmärchen, erschütternde Familientragödie und paranormalen Thriller zu vereinen und dabei den Zuschauer immer tiefer in die unergründliche Geschichte hineinzuziehen, die alle Genre-Fesseln so mühelos sprengt. Gäbe es ein Ranking aller kleinen Sensationen nach ihrer Remake-Eignung, Alejandro Hidalgos unheimlicher südamerikanischer Thriller stünde auf Platz eins. Dem Jungfilmer mag für seinen Debütfilm kein Geld für Spektakel oder Effektzauber zur Verfügung gestanden haben, aber daraus entwickelt er eine Tugend, die vollen Respekt verdient.

Wir erleben den Film in zwei verschiedenen Zeitabschnitten vor ca. 30 Jahren und in der Jetztzeit, die sich permanent abwechseln. In den frühen Szenen erleben wir das Auseinanderbrechen der Familie. Der jüngere Sohn wird beim Spielen Opfer eines tragischen Unfalls, den er nicht überlebt. Für Verunsicherung sorgt davor und danach eine handschriftliche Notiz, Leopoldo solle seinem Bruder drei Tage aus dem Weg gehen und auf keinen Fall mit ihm spielen. Die Ehe geht auseinander und der Vater entwickelt immer mehr gewalttätige Verhaltensweisen. Die junge Dulce wird im Haus von einer mysteriösen alten Frau verfolgt, die zunächst unerkannt bleibt und deren Identität noch ungeklärt ist. Aufmerksames Publikum ahnt aber bereits, wer dahinter steckt. Die Auflösung ist unglaublich raffiniert und der Auftakt für mehrere spannende und überraschende Wendungen.

Die Geschichte ist wirklich genial konstruiert und absolut logisch aufgebaut. Die Bildgestaltung, eine sehr detaillierte und liebevolle Ausstattung, die dynamische Montage und die schauspielerischen Leistungen sind sehr überzeugend. Und es hat übrigens nichts mit Geistern zu tun. Die Auflösung verrate ich aber nicht - in der Hoffnung einer Veröffentlichung auf DVD.

Einen geringen Punktabzug gibt es für eine Szene, in der Leopoldo verfolgt wird und sich vor Angst in die Hose pinkelt. So etwas ist überflüssig und muss nicht sein.

Note = 1-

15:00 Uhr: Frankfurt Fahrradhelm-Massaker - Teil 2

Am Eingang zum Kinobereich steht ein anderer Mitarbeiter, den ich über das Mitführen meines Fahrradhelmes im Ruchksack aufkläre, der andere Kollege habe mir zwei Stunden vorher nicht gestattet, diese gefährlichen Waffe mit ins Kino zu nehmen. Der Mitarbeiter ist sehr irritiert und versteht wahrscheinlich auch nicht genau, worum es geht. Es sei kein Problem, einen Fahrradhelm mit zu nehmen; im Zweifelsfall solle der Kollege am Einlass des Kinos entscheiden. Der Kollege am Einlass hat immer noch kein Problem und verdreht dann auch etwas genervt die Augen, als ich ihm die gefährliche Waffe zeige. Bei allen Festivalbesuchern, die ich etwas vom Sehen kenne und die beide Teile der Posse erleben, sorgt der Fall für viel Heiterkeit.

DIE BRUDERSCHAFT DER TRÄNEN

Belgien, Frankreich, Luxembourg 2013, Originalfassung, französisch mit englischen Untertiteln

Gabriel Chevalier hat nichts mehr zu verlieren – der trinkende Ex-Cop hat gerade seinen Hilfsjob als Fensterputzer verloren, Stress mit der Ex-Frau und die pubertierende Tochter in seiner Obhut machen sein Leben nicht gerade leichter. Da kommt ein dubioses Angebot gerade recht: Für einen todsicheren Job soll er nichts tun als in einem leeren Büro sitzen, mysteriöse Anrufe entgegennehmen und verschlossene Koffer transportieren. Einzige Anweisung: Keinesfalls die Koffer öffnen! Zuerst folgt Chevalier gehorsam allen Anweisungen und wird dafür fürstlich belohnt – ein neuer Porsche, teure Anzüge und Shopping-Touren mit der Tochter lenken zunächst ab vom nagenden Verdacht, dass an der Sache etwas richtig faul sein muss. Denn natürlich bergen die Koffer ein furchtbares Geheimnis und Chevalier wird es noch bitter bereuen, dass er sich auf den ominösen Deal eingelassen hat … Jean-Baptiste Andrea, Regisseur des klaustrophobischen Auto-Horror-Klassikers DEAD END, inszeniert THE BROTHERHOOD OF TEARS als schwindelerregende Fahrt in den Abgrund – volle Sicht und keine Bremsen. Genrefreunde können sich außerdem über eine gehörige Dosis Fantastik freuen, denn das Mysterium, das Chevalier und die Zuschauer erwartet, ist wahrlich bizarr.

Die zweite Perle des Tages wird hier im Mittags- bzw. Nachmittagsprogramm versteckt. Spannend, immer im richtigen Tempo, sehr gut gespielt und mysteriös und toll gespielt. Das Filmland Belgien ist fast immer ein Auge wert.

Die Auflösung ist in der Tat etwas obskur, allerdings ist es durchaus möglich, dass sich manche Leute mit sehr viel Geld so etwas oder so etwas Ähnliches leisten, und das ist dann schon beängstigend.

Note = 1-

17:00 Uhr: DIE BEHANDLUNG

Belgien 2014, Originalfassung, flämisch mit englischen Untertiteln

Zwei Jungen spielen an der Bahntrasse. Ein älterer Herr kommt dazu. Alles scheint harmlos, bis der Mann den Jüngeren im Indianerkostüm plötzlich packt und mit sich zieht. Es sollte damals das letzte Mal gewesen sein, dass Inspektor Nick Cafmeyer seinen kleinen Bruder sah. Nun wirft die schreckliche Entführung einer Familie, und der barbarische Tod ihres auf eine Astgabel gefesselten Kindes, Jahrzehnte später neues Licht auf den Cold Case von Cafmeyers Bruder, was den Ermittler emotional an seine Grenzen treibt. Doch für private Trauer und Wut bleibt keine Zeit, schon schwebt eine weitere Familie in Lebensgefahr. Wer ist der unheimliche "Troll", auch genannt "der Beißer", vor dem sich die Kinder der Umgebung fürchten? Cafmeyer muss tief in das kriminelle Untergrund-Netzwerk der Entführer vordringen und droht sich darin zu verlieren … Hans Herbots legt in seiner düsteren Verfilmung von Mo Hayders gleichnamigem Bestseller Schicht um Schicht grauenvollere Ereignisse frei und wenn man gerade aufatmet, setzt er einen noch böseren Twist obendrauf. Explizite Gewalt hat dieser erstklassige Thriller nicht nötig, um bis ins Mark zu erschüttern.

Belgien und Kindermord - das ist schon ein sehr ambivalentes Thema, dass ein Drehbuch und eine Inszenierung mit sehr viel Fingerspitzengefühl erfordert. Hier misslingt nach einer gelungenen Einführung und trotz mehrerer nicht unklug entwickelter Handlungsstränge leider Einiges. So wird das Opfer des vermissten und dann tot aufgefundenen Jungen nur mit Unterhose bekleidet in Großaufnahme auf dem Seziertisch gezeigt und von seinen Fesseln befreit. Wir sehen die Spuren mehrerer Misshandlungen in Großaufnahme. So etwas geht bei CSI & Co., hätte aber bei einer Kinderleiche wesentlich zurückhaltender inszeniert werden müssen. Später sehen wir einen Schwimmlehrer und mutmaßlichen Päderasten im Schwimmbecken die Kinder, die er betreuen und unterrichten soll, befingern. Der eigentliche Haupttäter wird dann schon in seinen ersten Szenen als total Geistesgestörter mit merkwürdigem Hormontick eingeführt, der in einem Aquarium und hunderten von Flaschen Urin sammelt, den er zwischenzeitlich überall an seinen Tatorten großzügig verschüttet. Auch Opfer, die wehrlos gefesselt in ihren Wohnungen liegen, werden diverse male geigt, wie sie sich voll urinieren. Das ist außerordentlich unappetitlich und die Opfer werden auch durch die Filmemacher zu wehrlosen Opfern degradiert. Der ermittelnde Kommissar Cafmeyer wird auch leider mit einigen zwanghaften Handlungen gezeigt, die weniger gut entwickelten Klischees des überarbeiteten durchgeknallten Polizeiermittlers entsprechen; so zieht er sich nach einer Auseinandersetzung mit Kollegen auf das Klo zurück und gönnt sich einen Tobsuchtsanfall.

Note = 5

Den ganzen Tag hatte ich Lust auf etwas Hessisches, Grüne Soße oder etwas Ähnliches - mit Apfelwein; das geht nach diversen Urinorgien natürlich nicht mehr.

Mittwoch, 4. September um 17:00 Uhr

Erneut erscheine ich sehr zeitig um 16:30 Uhr. Über 100 Gäste stehen Schlange und von acht Kassen sind zwei geöffnet; zur Halbzeit werden zwei weitere Kassen geöffnet und es entspannt sich etwas. Trotzdem komme ich nach über einer halben Stunde Anstehen wenige Minuten zu spät.

MAN ON HIGH HEELS

Südkorea 2014, Originalfassung, koreanisch mit englischen Untertiteln

Koreas Unterwelt nennt ihn ehrfürchtig den 6-Millionen-Dollar-Mann, denn sein vernarbter gestählter Körper ist mit zahlreichen Stahlseilen zusammengeflickt. Der smarte Yoon ist DIE Kampfmaschine der Seouler Polizei. Für Verhaftungen braucht er weder Kugeln noch Handschellen. Ohne Rücksicht auf Verluste setzt er nur seine Fäuste ein – oder was ihm sonst gerade unter die Finger kommt. Doch den härtesten Kampf trägt er mit seinem bislang unterdrückten Inneren aus: Ausgerechnet der ultracoole Macho sehnt sich danach, eine Frau zu werden. Als er für die teure OP den Dienst quittiert, wittert der skrupellose Bruder eines inhaftierten Bandenchefs die Chance seines Lebens: Er will sich nicht nur gnadenlos an die Spitze der Unterwelt morden, sondern auch den in Geldnöten steckenden Yoon auf seine Seite locken. Zur Sicherheit hat er eine weitere geheime Schwachstelle des nach außen unantastbaren Ex-Cops ausgelotet und sich als Druckmittel gesichert ... Starregisseur Jin Jang reizte der messerscharfe Ritt auf der Rasierklinge: mit voller Wucht einen ultraharten Neo-Noir-Thriller auf das Tabuthema Transgender der Machogesellschaft Korea prallen zu lassen, und dazu ausgerechnet Frauenschwarm und Action-Ikone Seung-won Cha für die herausfordernde Rolle zu besetzen. Der meistert die extrem gegensätzlichen Facetten seines Charakters mit Bravour und hinreißender Eleganz. Ein genresprengendes, in bester BITTERSWEET-LIFE-Manier fotografiertes Meisterwerk, das kompromisslos bis zum Showdown blutige Funken schlägt.

Hier wird sogar nicht nur eine Geschichte erzählt sondern drei. Neben einer spannenden und fesselnden Polizei- und Mafia-Geschichte und der gefühlsmäßigen, seelischen und sexuellen Orientierung eines Menschen sehen wir in Rückblenden auch die Geschichte einer tragischen Jugendliebe. Die unerfüllte Liebe zwischen zwei Jungs kann nicht funktionieren und endet im Selbstmord des Anderen, denn er eine Junge ist gefühlt eigentlich ein Mädchen und der andere Junge ist schwul.

Nebenbei wird der Polizist wegen der vielen Einstichstellen am Arm des Drogenmissbrauchs verdächtig, dabei bekommt er Hormonspritzen.

Äußerst positiv ist anzumerken, wie ernsthaft und respektvoll der Film mit den Schicksalen und Situationen seiner transsexuellen Charaktere umgeht. Dabei werden auch humorvolle Situationen gezeigt, ohne die Figuren herab zu würdigen oder lächerlich zu machen, z.B. wenn unser Superbulle in Frauenkleidern ausgehen möchte und im Aufzug seinen Nachbarn begegnet, von denen einer an seine Erektion stößt.

Die Actionszenen sind ausgezeichnet choreographiert und stilvoll, aber ohne Mätzchen inszeniert. Ein Stilmittel sind sehr schnelle und blutige Messerstechereien im strömenden Regen. In einer Kampfszene werden die Gegner ausgerechnet mit einem Motorradhelm nieder geprügelt - da kann ich ja noch etwas lernen ...

Note = 2

Der nächste Film liest sich nach echtem Schund und ich spare mir sogar die Zeit, einen Link zu setzen. In der freien Zeit ziehe ich durch ein Kaufhaus und gehe essen.

21:15 Uhr: METALHEAD

Island 2013, Originalfassung, isländisch mit englischen Untertiteln

In den 1990ern waren Metal-Fans hauptsächlich eines: suspekt. In dieser Zeit spielt das wunderbar melancholische Kleinod METALHEAD aus Island. Der Sohn der Bauernfamilie Karlsdottir wird vom Trecker überfahren. Jedes Mitglied hat seine eigene Art, nicht mit dem Verlust fertig zu werden. Tochter Hera schmeißt die Kleinmädchenklamotten weg und das Motörhead-Leibchen des großen Bruders über, und taucht ein in die schwermetallische Subkultur. Ein einsames Unterfangen in dem abgeschiedenen Dörfchen, das ihre Provokationen zusehends genervt hinnimmt. Auch als junge Erwachsene passt sie sich nicht an, sondern dreht im Kuhstall den E-Gitarren-Verstärker auf elf. Hier ist sie ganz eins mit ihren Idolen Judas Priest, Iron Maiden, Megadeth und Slayer. METALHEAD ist ein kleines Wunder: Der Film nimmt Heavy Metal ernst und porträtiert ihn gleichermaßen als Realitätsflucht und Ventil für tiefe Emotionen. Dabei durchbricht er mit leiser Ironie das oftmals schwarz-weiß-gefärbte Weltbild der Szene. In erster Linie aber ist METALHEAD ein zutiefst feinfühliges Psychogramm eines traumatisierten Mädchens – acht Awards und zehn weitere Nominierungen beim isländischen Filmpreis 2014 sprechen Bände. Denn METALHEAD wärmt die Seele – auch die Schwarze.

Ganz klar. Dieser Film ist ein Drama um eine schlimme Familientragödie und eine traumatisierte junge Frau und verirrte sich eindeutig auf dieses Festival. Vermutlich sah jemand im Prospekt die schrill geschminkte Hardrocker-Visage und dachte - den müssen wir haben. Dann war das Programm gedruckt und sie mussten ihn behalten.

Kurz zum Film: Der Sohn bzw. Bruder wird nicht einfach vom Traktor überfahren sondern stürzt beim Überfahren einer Unebenheit in die Erntemaschine, bleibt dabei mit seinen schulterlangen Haaren hängen und bekommt die gesamte Kopfhaut abgerissen. Als der skalpierte zuckende Körper des Schwerverletzten zu sehen ist, gibt es tatsächlich aus einer Ecke Gelächter und Jubel. Die Tochter entwickelt mit der Zeit aus Trauer immer stärkere Verhaltensstörungen und zündet sogar aus Trotz die Kirche an - der Pfarrer ist übrigens selbst ehemaliger Headbanger und immer noch Fan der Musik. Sie büchst aus und zieht sich mit einem Teil ihrer Musiksammlung in eine Gebirgshütte zurück - scheinbar, um dort zu sterben. Nachdem sie sich beruhigt und sich ihr Zustand normalisiert, tauchen die Betreiber eines kleinen Musikverlags auf, um Hera´s Demomusik mit einer Mischung aus Schwermetallmusik und Kuhgeräuschen zu vermarkten und gemeinsam mit ihr vor Ort aufzutreten.

Nach einigen Hängern in der ersten halben Stunde kommt der Film durchaus in Fahrt, ist stimmungsvoll inszeniert und fotografiert und gut gespielt. Die Figuren sind sympatisch inszeniert und werden genau wie die spezielle Musikrichtung ernst genommen.

Note: 2-

Donnerstag, 4. September um 21:15 Uhr

Längere Zeit überlege und besorge mir trotz aller Skepsis und Befürchtungen eine Karte für

EXTRATERRESTIAL

USA 2014, englische Originalfassung

Eigentlich ist Kleinstadtpolizist ein ganz entspannter Job. Der Sheriff des beschaulichen Echo Lake muss sich in letzter Zeit allerdings mit einigen ungewöhnlichen Vorkommnissen herumschlagen. Nachts fliegt plötzlich eine Telefonzelle samt panischer Anruferin in die Luft und kommt Augenblicke später nur in Einzelteilen zurück. Die Farmer der Umgebung beschweren sich über seltsam sauber abgetrennte Teile ihrer Zuchttiere und eine schwer verletzte Frau warnt vor außerirdischen Entführern. Was der Sheriff zunächst nicht wahr haben will, prophezeit der örtliche Tankwart schon im Opener: "That shit was out of this world!" Ausgerechnet in besagtem Echo Lake richtet sich eine fröhliche Clique auf ein partyfreudiges Wochenende in einer Hütte im örtlichen Wald ein. Doch ungebetener und garantiert nicht wohlgesinnter Besuch aus dem All schickt sich an, den Freunden ihren Ausflug gehörig zu vermiesen ... Die Vicious Brothers liefern nach den beiden GRAVE ENCOUNTERS-Teilen mit EXTRATERRESTRIAL klassischen Alien-Horror, berstend vor liebevollen Zitaten an die Spielberg- und Carpenter-Blockbuster der 80er-Jahre. Im Gegensatz zu ihrem Debüt kann das Regie-Duo hier auch mit einer aufwändigeren Produktion und erstklassigen Spezialeffekten punkten. Angereichert mit allem, was das Herz des Verschwörungstheoretikers begehrt und einer guten Portion Selbstironie macht die Hetzjagd auf irdische Versuchskaninchen in EXTRATERRESTRIAL bis zum letzten Erdling Spaß.

In nostalgischer Weise soll an Alien-Invasions-Filme der 80er Jahre erinnert werden, die abgesehen von den im Katalog erwähnten Spielberg- oder Carpenter-Filme teilweise schon nicht gut waren. Elemente aus DAS DING, UNHEIMLICHE BEGEGNUNG DER DRITTEN ART und AKTE X werden ideenlos verquirlt. Da gibt es dann Tierverstümmelungen, Entführungen und eine Analsonde, einen wirrköpfig redenden Tankwart und den Dorfsheriff, von dem wir erwarten, dass er zum Schluss die Welt rettet soll, sich aber überraschend unter Gehirnkontrolle der Außerirdischen erschießt - ja, tatsächlich eine Überraschung. Für den Nostalgiefaktor wird bei solchen Gelegenheiten auch gerne mal ein B-Movie-Veteran aus einer Ritze gekratzt, der sonst nichts zu tun hat und Geld braucht: Hier ist es der arme alte Micheal Ironside (SCANNERS, TOTAL RECALL, STARSHIP TROOPERS) als Vietnam-Veteran und Drogengärtner. Anstatt ihm Zeit und Raum zu geben, um sein Charisma und schauspielerisches Potential zu entfalten, wird er nach zwei fünfminütigen Szenen von den Aliens abgemurkst. Die übrigen Darsteller agieren unkoordiniert bis hysterisch und ihre Figuren sind nicht interessant genug, um Angst um sie zu haben. Kurz vor Ende gibt es eine wirklich böse Wendung, die Vieles von dem Film hätte retten können, aber mir einer sehr misslungenen AKTE-X-Parodie vermurkst wird. Auch Plagiat und Zitat müssen gekonnt sein und das ist hier nicht der Fall.

Note = 4-

Frankfurt-Fahrradhelm-Massaker - Teil 3: Vor dem Kino beginnt bereits der Einlass für die folgende Veranstaltung. Der Kartenabreißer ist mein Bekannter mit Sturzhelm-Phobie: "Haben Sie es mal wieder geschafft." Ich schlage ihm vor, die Sache mal im Stuhlkreis mit seinen Kolleginnen und Kollegen und der Festivalleitung zu besprechen. In seiner Antwort wird klar, dass die Sturzhelm-Affäre im Kollegenkreis eine ziemliche Lachnummer ist.

Freitag, 5. September

Ich bekomme leichtes Halsweh und befürchte, eine richtige Erkältung zu bekommen. Der Wechsel zwischen milden Außentemperaturen, eher warmen Temperaturen im Kino oder auch mal kühlen Kinos und noch kühleren Nachttemperaturen im Freien geben mir den einen und anderen kleinen Klimaschock.

Es läuft ein Film, der mich außerordentlich interessiert. Und die Regisseure sind an dem Abend auch noch anwesend. Ihr voriger Film AMER war ein faszinierendes Filmerlebnis. Aber das muss ich bei einer anderen Gelegenheit oder auf DVD nachholen, denn ich habe für diesen Abend Karten für die Kabarettveranstaltung des Jahres. In der Frankfurter Jahrhunderthalle treten Urban Priol, Georg Schramm und Joachim Malmsheimer gemeinsam auf - "Aus der Anstalt entsprungen". Die Vorstellung ist als endgültige Verabschiedung von Georg Schramm in den Ruhestand gedacht und einfach genial; lediglich einige Ausführungen von Schramm´s Charakter des Presseoffiziers Sanftleben zu den aktuellen Waffenlieferungen in Krisengebiete vermisse ich. Auch in der Halle ist es unangenehm warm und ich betrete nach der Veranstaltung das kühle Freie.

Den Japaner R100, der im Katalog recht interessant klingt, lasse ich sausen. Ich sah ihn schon beim japanischen Filmfestival NIPPON CONNECTION vor drei Monaten und war sehr enttäuscht.

Samstag, 6. September: Ich fühle mich krank und habe unangenehmen Husten. Zwei Filme, die am Nachmittag laufen interessieren mich sehr. Ein spanischer Thriller wird schon demnächst für das Heimkino veröffentlich und der koreanische Polizeithriller hat noch keine Vertrieb in Deutschland. Die Versuchung ist sehr groß, aber ich fühle mich etwas schwach und die Sonne sorgt für sonnige 26°C und dafür, dass ich den Nachmittag im Garten verbringe.

Sonntag, 7. September

19:00 Uhr: AMONG THE LIVING

Ich besorgte mir Karten für diesen Festivaltag im Vorverkauf und komme mit ausreichendem Zeitpolster.

Frankfurt-Fahrradhelm-Massakter - Teil 4: Der Mann am Einlass zum Kinobereich sieht auf den Sturzhelm, der an meinem Ruckack baumelt und schmunzelt. Eine Minute später warnt einer der beiden Kartenabreißer vor dem Kino den Anderen: Vorsicht, er ist schwer bewaffnet - oder so ähnlich.

Frankreich 2014, Originalfassung, französisch mit englischen Untertiteln

Der letzte Sommertag vor den Ferien. Eigentlich wartet nun draußen vor dem Fenster das große Abenteuer auf Victor, Dan und Tom – zu dumm, dass die drei Freunde nicht gerade Musterschüler sind und ausgerechnet heute nachsitzen müssen. Flugs wird jedoch ein Fluchtplan geschmiedet, und nur wenig später sind die Jungs unterwegs über sonnenheiße Wiesen und Felder, hin zu dem alten verfallenen Studiogelände, dessen marode Attraktionen einen aufregenden Nachmittag versprechen. Ihr unbeschwertes Spiel findet ein jähes Ende, als die Drei plötzlich zu Zeugen eines grausamen Verbrechens werden. Im Schatten der verlassenen Bauten lauert etwas unsagbar Böses, ein unheimliches Phantom, das den Jungs auf ihrer panischen Flucht bis nach Hause folgt. Und hier erst, im vermeintlichen Schutz ihrer Familien, beginnt mit Einbruch der Nacht für Kinder und Eltern ein blutiger Kampf ums Überleben ... Ihr aufsehenerregender Debütfilm INSIDE wurde zum heiligen Gral der neuen französischen Splatter-Welle, und mit dem bizarren Nachfolger LIVID erinnerten Julien Maury und Alexandre Bustillo anschließend liebevoll an die großen atmosphärischen Euroschocker der 60er und 70er. AMONG THE LIVING, ihre dritte gemeinsame Regiearbeit, ist nun erneut eine Kehrtwendung – ein nostalgiegetränkter Tribut an die 80er-Jahre und an das blendend weiß umzäunte Vorstadtamerika in den Blockbustern von Steven Spielberg und John Hughes, dessen nach außen so geordnete Mittelstandsbürgerlichkeit plötzlich von archaischen Urinstinkten durchbrochen wird. Wie in Stephen Kings ultimativen Coming-of-Age-Schocker ES weicht folgerichtig auch hier die sommerliche Unbeschwertheit, die dem Film zu Beginn aus jeder Pore tropft, schnell purem Entsetzen, denn Maury und Bustillo machen wie immer keine Gefangenen. Ihre tabubrechende Ode an die Kindheit ist düster und grausam, ihre Konsequenz schmerzhaft und blutig. Das ist nicht selten eine verstörende Kinoerfahrung: Die beiden gallischen Genre-Extremisten kennen ihre Vorbilder sehr genau und zitieren mit bemerkenswerter Stilsicherheit die Leinwandikonen ihrer Jugend. Es bleibt jedoch nicht bei einer schlichten Rückbesinnung auf die goldenen Jahre des Entertainments – gepaart mit einem atemberaubenden Soundtrack treiben Maury und Bustillo ihre überzeugenden Jungdarsteller nämlich aus dieser Ausgangssituation in ein bestialisches Szenario, dessen Intensität eben hauptsächlich den Einflüssen des modernen Splatterkinos geschuldet ist. STAND BY ME meets THE HILLS HAVE EYES: AMONG THE LIVING ist ein Film wie ein Traum(a) und ein Erlebnis, über das noch lange geredet werden wird.

Zunächst sehen wir die fast 50jährige Beatrice Dalle mit hochschwangerem Kugelbauch. Ihr Mann oder Lebensgefährte schaut im Fernsehen eine Art Reportage, in der es um den Zusammenhang zwischen Giftgas und Deformierungen bei neu geborenen Kindern geht. Als kurz der lange Arm eines vermutlich deformierten Kindes im Bild auftaucht, schneidet sich die Mutter im Rahmen einer lautstarken Diskussion zuerst den Bauch und dann den Hals auf. Danke.

Im alten Fernsehstudio stoßen die drei Jugendlichen auf den Vater vom Anfang mit seinem gestörten Sohn. Das Baby, das den unfreiwilligen Kaiserschnitt nicht überlebte, ist im Einmachglas untergebracht. Der Besuch, den sie haben, ist eine hysterische entführte Frau.

Die Jungs werden entdeckt. Einer pinkelt sich vor Angst in die Hose, was sich zu einem sehr unschönen Trend dieses Festivaljahrgangs zu entwickeln scheint. Dann werden die Familien der Reihe nach von dem glatzköpfigen, nackten und entstellten Sohn der Reihe nach heimgesucht und mehrheitlich ausgerottet. Giftgas verursacht also nicht nur körperliche Verunstaltungen sondern scheinbar auch geistige Behinderungen und ausgerechnet diese geistig Behinderten werden wohl zwangsläufig zu Serienmördern. Ziemlich dumm.

Der dritte Junge überlebt mit seiner Mutter und seiner kleinen Schwester nach einem längeren Todeskampf und weint an den Gräbern seiner beiden ermordeten Freunde und seines ermordeten Vaters.

In der Schlusszene sehen wir den Vater mit dem ungesunden Erbgut, der Frauen hinterher schaut und im Selbstgespräch plant, eine neue Familie mit ihnen zu gründen.

Die Darsteller sind wirklich überaus gut, insbesondere die drei Jugendlichen. Das alles hat als negatives Gegengewicht, dass die Handlung ziemlich sinnlos ist und vorwiegend auf demonstrative Schocks und Grausamkeit ausgerichtet ist.

Note = 5+

21:15 Uhr: HOUSEBOUND

Neuseeland 2014, englische Originalfassung

Haunted-House-Horror geht einfach immer. Vor allem, wenn das eiserne Genre-Korsett durch einige originelle Ideen gelockert wird. Von diesem erfrischenden Prinzip profitiert auch HOUSEBOUND. Nervenaufreibende Szenen, in denen die Gefahr in jedem Zimmer vermutet wird, wechseln sich hier mit äußerst trockenem Humor ab. Diesen belegt schon das Ausgangsszenario: Kylie kann das augenscheinlich verfluchte Haus ihrer Mutter leider nicht verlassen, da ein Richter sie zum Tragen einer elektronischen Fußfessel verdonnert hat. Der Grund dafür ist der misslungene Versuch, einen Geldautomaten zu knacken. Übler gestraft als mit Einzelhaft sitzt sie nun also wieder in ihrem alten Kinderzimmer fest, wird tagsüber von ihrer nörgelnden Mutter und einem schleimigen Seelenklempner traktiert, während ihr nachts unerklärliche Ereignisse den Schlaf rauben. Könnten Kylies entnervte Blicke töten, wäre hier bereits nach 20 Minuten niemand mehr am Leben. Zu unserem Glück ist dem aber nicht so und die wahre Bedrohung tritt erst nach einigen gelungenen Story-Twists ans Licht. HOUSEBOUND ist entwaffnend unterhaltsam. Mit leichter Hand kombiniert Regisseur Gerard Johnstone Thriller-, Horror- und Komödienelemente, ohne dabei in Klamauk abzudriften. So wird Kylie bei Recherchen um die grausame Vergangenheit ihres Elternhauses von Security-Mann Amos begleitet. Der soll eigentlich dafür sorgen, dass die junge Straftäterin nicht das Grundstück verlässt, entpuppt sich aber obendrein als Hobby-Parapsychologe. Das ist nicht nur absurd-witzig, sondern für Kylie auch genauso praktisch wie eine Küchenreibe als effektive Waffe im Kampf gegen einen Killer.

Ja, insgesamt gelungen. Die Schauspieler agieren mit Energie und Spaß bei der Sache. Die Geschichte ist gut entwickelt, hat Tempo aber im Mittelteil ein paar Hänger. Die Bildgestaltung ist gut und dynamisch.

Note = 3

Heimfahrt mit der S-Bahn. Nach sommerlich-angenehmen Temperaturen ist es jetzt um ca. 23:00 Uhr nicht mehr so besonders warm. An der Hauptwache steigt mit mir eine Gruppe junger Leute ein. Zwei stark alkoholisierte Mädchen von 18, höchstens 20 Jahren in sehr kurzen Jeans-Höschen und sehr knappen ärmellosen Blusen setzen sich auf den einzigen freien Sitzplatz gegenüber von der Stelle, an der ich mit dem Fahrrad stehe. Die eine sitzt auf dem Schoß der Anderen. Beide fangen schnell an, sich zu küssen und gegenseitig an den Beinen und unter den Blusen zu streicheln. Die Blicke - wahrscheinlich aller, einschließlich mir - männlichen Fahrgäste werden mit der Ankündigung beantwortet, dass zu Hause erst ein mal Mu***is geleckt werden. Manchmal ist S-Bahn-Fahren unterhaltsamer als mancher Kinofilm.

Montag, 8. September um 21:45 Uhr: LIFE AFTER BETH

USA 2014, englische Originalfassung

Wie es sich wohl anfühlen mag, wenn alles vor die Hunde geht? Wird es eine plötzlich auf uns hereinbrechende Apokalypse mit ordentlich Tumult, bei der Hochhäuser einstürzen, Menschen schreiend durch die Straßen rennen, der Himmel brennt? Oder wird es subtiler passieren, unmerklich gar? Weil wir eigentlich mit unserem eigenen Leben und den alltäglichen Problemen darin beschäftigt sind und gar keine Zeit für die Hölle auf Erden haben. Vielleicht auch weil sich das Ende der Welt ganz ohne Paukenschlag ankündigt. In seinem furiosen Regiedebüt hat sich "I Heart Huckabees"-Autor Jeff Baena für diese zweite Variante entschieden. Fast schon aufreizend ist die Normalität, in die LIFE AFTER BETH anfangs eingebettet ist – von Untoten und Untergang erst einmal keine Spur. Der junge Zach versucht zu verkraften, dass seine Freundin Beth an einem Schlangenbiss gestorben ist. So oft es geht besucht er ihre Eltern, die ihm näherstehen als die eigenen. Denn Zuhause wird Zachs extremer Trauer mit einem gewissen Unverständnis begegnet. Dass Beth aber plötzlich wieder da ist (von Daddy vorsorglich im Keller weggeschlossen), ist zunächst weniger beunruhigend, als vielmehr eine Überraschung, eine Art ersehnte Fügung des Schicksals. Auch wenn sich die Gute an wenig erinnert, an eine Beerdigung schon gar nicht. Doch dann erscheinen Risse an der Oberfläche: Das Mädchen wird von wüsten Aggressionsschüben gebeutelt, und wenn im Radio Smoth Jazz von Kenny G läuft, beginnt sie sich in wilder Ekstase zu winden. Und nicht nur Beths Verhalten wird zunehmend erratischer. Tatsächlich ist es ein bisschen wie in einer außer Kontrolle geratenen Komödie mit Louis de Funès wie sich das geordnete Leben allmählich im Chaos aufzulösen droht – nur dass hier Untote mitmischen, Gewalt in der Luft liegt und sich der ultimative Kampf der Menschheit anbahnt.

Ob die Schreiberin oder der Schreiber dieses Textes jemals in ihrer oder seiner Jugend Louis de Funès-Filme schaute, kann ich nicht beurteilen. Der Vergleich ist sehr theoretisch, hatte es Louis de Funés in seiner Parraderolle als Gendarm von St. Tropez zwar sogar ein mal mit Außerirdischen zu tun, aber nie mit Untoten. Oder hier tippte wieder jemand in die Tasten, die oder der den Film gar nicht kannte. Die tote Beth wird nämlich nicht so schnell, wie es hier im Katalogtenst den Eindruck macht, von Daddy im Keller weg geschlossen, sondern in einem sehr späten Stadium der Handlung in der Küche an den Backofen gefesselt. Beth und diverse andere Tote, die mit der Zeit auftauchen, machen sich durch ein sehr launisches Verhalten, seltene Gewaltausbrüche bemerkbar und sind nahezu unverwüstlich; Fensterstürze und das Überfahren mit dem Auto schaden nichts. Aus unerfindlichen Gründen lieben sie es, sich auf dem Dachboden aufzuhalten.

Die positiven Seiten des Films sind die Spielfreude aller Beteiligten, wobei die Darstellerin von Beth in manchen Szenen absolut hemmungslos und entfesselt spielt, sowie ein Inszenierungsstil, der den Darsteller/innen viel Raum zu Eigeninitiative und scheinbar auch Improvisation gibt. Die Negativseite sind Brüche in der Handlung und einige Logiklöcher. Beth geht am Anfang joggen und wir erfahren dann einfach, dass sie tot ist. Den Schlangenbiss als Handlungselement gibt es nicht; wir sehen nur später ein mal eine geschminkte Stelle am Oberschenkel. Beth´s Vater (John C. Reilly) verschwindet plötzlich ohne Vorwarnung spurlos aus dem Film und wir erfahren im Dialog, dass er von Beth aufgefressen wurde; es macht auf mich den spontanen Eindruck, dass John C. Reilly keine Lust mehr hatte und die Dreharbeiten für immer verließ und den Filmemachern keine andere Idee einfiel. Später tauchen in der Familie von Zach dessen Großvater sowie die früheren Eigentümer des Hauses wieder auf, die kein bischen verwest sondern bloß blau und schwarz geschminkt sind. Aber auch bei diesen Zombies hilft ein Kopfschuss, um sie endgültig zu töten.

Na ja. Das alles wirkt nach einem sehr originellen Beginn doch sehr konfus.

Note = 3-

Fazit:

Mit neuem Organisationsschema funktioniert das Festival nicht optimal. Manchmal vermisse ich die Option, in einen parrallel laufenden Film zu gehen. Und die festen Sitzplätze haben für Dauerkarteninhaber/innen sicher Vorteile, für Einzelkartenkäufer/innen nicht nur; hier kann es eher nervig sein, sich lieber einen Platz der eigenen Wahl auszusuchen und dann in einem halb leeren Kino vom rechtmäßigen Besitzer verjagt zu werden.

Es gibt einige wirklich gute bis sehr gute Filme zu bestaunen, allerdings auch einige eher schwache bis ärgerliche Filme. Dabei werden einige der interessantesten Beiträge aus weniger bekannten bis exotischen Filmländern wie Dänemark, Korea oder Venezuela am Mittag und Nachmittag vor wenig Publikum gespielt und am Abend läuft das B-Movie-Kino aus den USA und Kanada, das wir in wenigen Wochen in den Regalen der Kaufhäuser und Elektronikfachmärkte werden finden können. Die Durchschnittsqualität der Filme scheint wieder zu sinken. Dafür wurden die Amateur-Zombie-Filme, die noch vor zwei bis drei Jahren inflationär im Programm untergebracht wurden, gücklicherweise wieder gestrichen.

s. auch:

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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