Filmfestivals für Fortgeschrittene 2016

Fantasy-Filmfest Alle Jahre wieder. Im Sommer findet das Fantasy-Filmfest statt. Das wird aber kein verkappter Werbeartikel.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Seit 1994 besuche ich regelmäßig das Fantasy-Filmfest. Vieles änderte sich seit meinem ersten Fantasy-Filmfest. Die wichtigste Änderung sind mehr oder weniger neue Medien wie DVD, Blue-Rays oder Video-Downloads aus dem Internet. War das Fantasy-Filmfestival in meinen ersten Jahren oft die einzige Möglichkeit, einen Film zu sehen, sind die Möglichkeiten des Heimkinos heutzutage fast unbegrenzt. Einen intensiven Blick in die Historie spare ich mir. Bei Interesse kann mein 2015er Bericht nachgelesen werden.

30jähriges Jubiläum und - wieder eine Nummer kleiner

Haben die Festivalgäste in anderen Städten teilweise die Gelegenheit, sich in luxuriösen Filmlounges mit Ledersesseln und Fußbänkchen auszubreiten, hausen wir erneut im ehemals Ratten-verseuchten Cinestar-Metropolis - bei einheimischen aufgrund des teilweise unangenehmen Publikums auch gerne "Mehmetropolis" genannt. Im 30. Festivaljahr werden wir außerdem in einem Kino einquartiert, das noch kleiner ist als in den vergangenen Jahren. Zum Vergleich: Unser Haupt-Festivalkino hatte im ersten Jahr in diesem Multiplex noch ca. 650 Plätze. Vor einigen Jahren wurden wir in ein kleineres Kino einquartiert, dass immerhin noch 350 Plätze hat. Dieses Jahr hatte das Kino nur noch 275 Plätze, was auch dem deutlich nachlassenden Publikumsinteresse entgegen kommt.

Die Filme

Dieses Festivaljahr war für mich von einem persönlichem Negativrekord an Vorstellungen geprägt. Wer als normaler Arbeitnehmer am Anfang des Jahres seinen Urlaub planen muss und sich an den Festivalzeiten der Vorjahre orientiert, wir hier immer öfter von Verschiebungen um mehrere Wochen desorientiert, kann demnach keine Mittags-, Nachmittags- oder Nachtvorstellungen besuchen und muss während der Sommerferien Urlaubsvertretung leisten.

Ein Blick in das Programmheft zeigt dann Fortgeschrittenen auch schnell, welche Festivalbeiträge bald im Heimkino erhältlich sein werden.

Dabei spare ich mir besonders bei heißem und sonnigem Wetter Standard-Horrorfilme und Action-Gülle aus den USA und konzentriere mich immer gerne auf Filme aus interessanten Kinoländern wie Asien, Spanien, Südamerika oder unserem kleinen Nachbarn Dänemark.

Die drei gesehenen Filme führe ich kurz auf, zitiere den Katalogtext und gebe eine kurze Bewertung mit Benotung analog der klassischen Schulnote mit 1 bis 6.

Eröffnungsabend: Donnerstag, den 1. September um 20:00 Uhr
SWISS ARMY MAN

USA, Originalfassung, englisch

Hank ist dabei seinem Leben ein Ende zu setzen. Seit einer Ewigkeit gestrandet auf einer pazifischen Insel, erträgt er die Einsamkeit nicht länger und legt sich gerade einen Strick um den Hals, als plötzlich eine Leiche an den Strand gespült wird. Neugierig unterbricht unser Robinson seinen Selbstmord und entdeckt in dem toten Körper einige hilfreiche Gase, deren enorme Schubkraft ihn rittlings auf der Leiche an fremde Ufer trägt. Die Rettung vor Augen, zerrt Hank seinen neuen Gefährten in den angrenzenden Wald und macht sich endlich auch mal mit dem Kadaver bekannt. Sein Lebensretter heißt Manny und scheint, obwohl er sich der Tatsache seines Todes durchaus bewusst ist, zumindest ein angenehmer Gesprächspartner. Für Hank ist sein Erscheinen eine Befreiung. Endlich kann er jemandem von sich und seiner Einsamkeit erzählen, von seiner Unsicherheit und von all dem, was in seinem Leben schief gelaufen ist. Im Gegenzug spendet Manny das in seinem Rachen gesammelte Wasser als Erfrischung, stellt provokante Fragen zu Masturbation und den Frauen in Hanks Leben, weist mittels seiner konstanten Erektion den Weg zurück in die Zivilisation und erweist sich auch sonst als Schweizer Taschenmesser für alle Fälle. Gemeinsam sucht das ungleiche Paar nach dem Heimweg. Direkt nach der Weltpremiere in Sundance war klar: A24 – die als Verleih auch schon den Überraschungshit THE WITCH zum Erfolg führten – hatten schon wieder ein untrügliches Gespür für einen Film, der international für Furore sorgen und sich mühelos einen festen Platz in den Kino-Annalen sichern wird. Daniel Scheinert und Dan Kwan (als Musikvideo-Regisseure unter dem Künstlernamen Daniels bekannt) gelingt mit ihrem Spielfilmdebüt ein Indiefilm von enormer Wucht. Die bittersüße, vor Fantasie berstende Fabel, die sich vielleicht noch am ehesten mit dem Stil von Michel Gondry oder Benh Zeitlin vergleichen lässt, erzählt ihre Geschichte derart originell und originär, dass der Zuschauer nur staunen kann. Kino mit Magie – wie rar das doch geworden ist. Natürlich werden in SWISS ARMY MAN mitunter die guten Manieren verletzt, was in den US-Medien bereits heiß diskutiert wurde. Aber im Kern ist die Story des Losers Hank eine großartige Parabel auf die Unsicherheit des Menschen in der modernen Gesellschaft. Im Gespräch mit Manny (auch bewegungslos ein fabelhafter Charakterdarsteller: Daniel Radcliffe) lernt Hank (Paul Dano, unvergessen als Alex in Denis Villeneuves PRISONERS) nicht zuletzt auch, sich selbst mit den Augen der anderen zu sehen. Ein Film zum Lachen, Weinen und Nachdenken. Ein wahrer Glücksfall für das Kino und einer der schönsten Eröffnungsfilme in unserer 30-jährigen Festivalgeschichte.

Viele Kommentatoren - z.B. hier - sind begeistert und euphorisch. Ich gehöre nicht dazu.
Als der Schiffbrüchige nach zehn Minuten Laufzeit die gefundene Leiche als gasbetriebenes Floß benutzt, um von seinen kleinen Eiland ans nächste Festland zu kommen, denke ich danach eine lange Stunde lang, dass der Film hier hätte enden sollen. Es wäre ein geiler, knackiger Kurzfilm geworden. Danach geht dem Film leider schneller die Luft aus als der pupsenden Wasserleiche. Ständig wiederholte Furzereien und das Erbrechen von Wasser an wechselnden aber ähnlichen Schauplätzen sowie merkwürdige Gespräche sind leider sehr ermüdend. Interessant wird es erst wieder, als die beiden Waldbesucher am Lagerfeuer von einem Bären überfallen werden, der mit explosiven Verdauungs- und Verwesungsgasen verjagt wird. Die Begegnung des Schiffbrüchigen mit seiner heimlichen aber verheirateten Liebe aus dem Bus wird dann zum Schluss sehr nachdenklich und merkwürdig.

Note: 4

Samstag, 3. September

Filme von Takashi Miike sind immer sehenswert. Dieser hier wird auf DVD erscheinen und so bevorzuge ich bei sonnigen 30°C eine Kinoveranstaltung im Freien. Gezeigt wird in einem Autokino im Rahmen eines Oldtimer-Treffens der makabere Filmklassiker HAROLD & MAUDE. Leider hat der Freund, mit dem ich diese Vorstellung und die Fahrzeuge bestaunen möchte, kurz vorher einen Autounfall. Alleine bin ich nicht in Stimmung und ich bleibe zu Hause.

Donnerstag, 8. September

Während der Fahrt mit vollbesetzten S-Bahn in die Innenstadt macht sich ein ca. 6 bis 8jähriger Junge einen Spaß daraus, mehrfach zu furzen und sich an den Reaktionen der benachbarten Fahrgäste zu erfreuen. Sicher war er nicht vom Eröffnungsfilm des Festivals eine Woche davor inspiriert. Darauf revangiere ich mich und sprühe ihn mit Deo ein, was ihn sehr überrascht.

21:45 Uhr: SEOUL STATION

Südkorea, Originalfassung, koreanisch mit englischen Untertiteln

Die rebellische Hyun-suen ist von zu Hause ausgerissen und lebt mit ihrem nichtsnutzigen Freund in einem kleinen Apartment, für das ihr mittlerweile das Geld ausgeht. Als der Freund plötzlich gewalttätig wird und sie zur Prostitution zwingen will, bleibt ihr keine Wahl, als erneut die Flucht zu ergreifen. Zeitgleich ist ihr sich sorgender Vater auf der Suche nach Hyun-suen, verpasst sie aber um Haaresbreite. Verzweifelt läuft er auf der Suche nach seiner Tochter durch das Herz der koreanischen Hauptstadt. Doch im Untergrund des großen Bahnhofs, dort wo das Elend kaum noch Steigerung kennt, regt sich plötzlich eine neue Gefahr. Eine Epidemie, die Horden von Untoten hervorbringt. YEON Sang-ho sorgte bereits mit dem animierten Bully-Drama THE KING OF PIGS international für Aufsehen. Und auch sein SEOUL STATION ist weitaus mehr als ein bloßer Horror-Anime für hartgesottene Erwachsene. Sicher, hier geht es beileibe nicht zimperlich zu und für zartbesaitete Seelen dürften so manche der zahlreichen Zombie-Attacken zu viel des Guten sein. Aber wie die besten Genrefilme verankert auch SEOUL STATION seine Botschaft tief in einem Kommentar zur sozialen Befindlichkeit der südkoreanischen Nation. Yeons Helden sind dabei die Entwurzelten, die Verzweifelten und Benachteiligten, die kaum eine Chance angesichts der Grausamkeit der Welt haben.

Dieser Animationsfilm ist sehr ordentlich und detailreich gezeichnet und überzeugt. Die Gewaltszenen sind durchaus drastisch und die Grundstimmung ist bedrückend und sehr sozialkritisch. Wie in allen guten Zombiefilmen sind nicht die Zombies die wahren Monster sondern die Menschen - hier z.B. Polizei und Militär, die auf eingeschlossene Menschen in Panik schießen, um sie an der Flucht zu hindern, sowie ein vermeintlicher Vater auf der Suche nach seiner Tochter.
Lediglich die Lamoyanz und das Pathos, das es oft im koreanischen Kino gibt, werden hier für meinen Geschmack sehr überstrapaziert.

Note = 3+

Nachdem hier eine Prostituierte die Hauptperson war, staunen die Fahrgäste der S-Bahn einschließlich während meiner Heimfahrt über eine echte Prostituierte aus Osteuropa, die in voller Lautstärke telefoniert und ungehemmt ihr Leistungsspektrum mit Preisen vorträgt.

Nächtliche Fahrten in vollen S-Bahnen sind manchmal unterhaltsamer als mancher Festivalfilm. Im Jahr davor wurde ich Zeuge, wie sich zwei sehr leicht bekleidete junge Frauen im Abteil gegenseitig an allen unbekleideten Körperstellen sowie unter der wenigen Kleidung streichelten und den anderen Fahrgästen ankündigten, sich zu Hause sofort gegenseitig die Mu***is zu lecken.

Freitag, 9. September

Auf dem Programm steht das japanische Krimidrama CREEPY. Der sehr gute und extrem spannende Film soll in der Nachtvorstellung laufen und daher verzichte ich nach einem anstrengenden und arbeitsintensiven Tag. Ich sah den Spitzenfilm bereits Ende Main beim japanischen Filmfestival NIPPON CONNECTION, bei dem sogar Regisseur Kiyoshi Kurosawa als Gast da war und mehrere seiner Filme präsentierte.

Samstag, 10. September um 20:45 Uhr

The Similars

Mexiko, Originalfassung, spanisch mit englischen Untertiteln

Der Wartesaal des Grauens! Tagelanger Dauerregen hat den Verkehr lahm gelegt. Minenarbeiter Ulisses und eine hochschwangere Frau sitzen in einem gottverlassenen Busbahnhof am Arsch von Mexiko fest. Die einzige Verbindung zur Außenwelt ist ein Radio, durch das beunruhigende Berichte über ein brutales Studentenmassaker (!) und das für Experten unerklärliche Wetterphänomen dringen. Da tauchen weitere Reisende auf: eine vor sich hin brabbelnde Schamanin, ein höchst aggressiver Medizinstudent und eine Frau mit einem kranken Kind. Alle wollen nur endlich weg von hier. Als urplötzlich verstörende Gesichtsmutationen ausbrechen, wächst die Panik unter den Eingeschlossenen. Ist es ein Virus? Stecken Außerirdische dahinter? Oder sind die Wartenden womöglich Testobjekte eines geheimen Regierungsprogramms? Wunderkind Isaac Ezban ist eine grandiose Liebeserklärung an die Science-Fiction-Horrorstreifen der 50er Jahre gelungen. Die Affinität des Regisseurs zu INVASION DER KÖRPERFRESSER ist nahezu greifbar. THE SIMILARS wirkt als hätte Alfred Hitchcock einen bizarren Gruselcomic als TWILIGHT ZONE Episode adaptiert. Kollektive Ekeltransformation, Paranoia und furchterregender Bartwuchs – alles da. Isaac Ezban hat dafür zu Recht den BLOOD WINDOW AWARD in Sitges gewonnen und sogar enthusiastisches Lob vom legendären Joe Dante eingeheimst!

Sehr intelligent werden hier die Geschichte und die Spannung aufgebaut. Optik und Akkustik erinnern an klassische Alien-Invasionsfilme. Dabei wird durchgängig auf blasse und matte Farben gesetzt, so dass der Film fast wir schwarz-weiß wirkt. Ein kompletter Verzicht auf Farben und der Einsatz von schwarz-weiß mit leichtem Sepia-Ton hätte Stimmung noch intensiver gemacht. Die Bedeutung eines kranken Jungen für die Szenerie und Geschichte steigert die Atmosphäre zum Ende in Richtung Irrsinn.

Sehr ordentlich. Note = 2+

Sonntag, 11. September

Die für mich interessanten Filme sind der neue Streifen von Alex de la Iglesia sowie ein koreanischer Exorzismusfilm. Barometer und Thermometer zeigen allerdings einen wolkenlosen Himmel und 32°C an und so entschließe ich mich, den Tag im Schwimmbad zu verbringen. Um 18:00 Uhr gönne ich mir im Frankfurter Filmmuseum allerdings noch das Erstlingswerk ABEL von 1992 des niederländischen Meisterregisseurs Alex van Warmerdam.

Brilliant und unglaublich komisch. Note = 1

Fazit:

Das Fantasy-Filmfest setzt immer noch hin und wieder interessante Akzente, hat seinen Zenit und sein große Bedeutung hinter sich. US-amerikanischer Standardhorror, Action-Gülle - dieses Jahr mit Dolph Lundgren - und die Funktion des Durchlauferhitzers für das Heimkinoangebot, dessen Vermarkter gerne mit der Marke "Der Pulikumshit vom Fantasy-Filmfest" werben, sind etwas wenig. Es ist weiterhin zu empfehlen, das Angebot sehr selektiv wahr zu nehmen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden