Filmfestivals für Langweiler

Hofer Filmtage 2013 Ein Festivalbericht über die 2013 Ausgabe des Filmfestivals, das früher mal wirklich richtig gut war ...

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Ihre Freitag-Redaktion

Einleitung

Es ist nicht einfach, einen Einstieg in den Kosmos der Hofer Filmtage zu finden. Mein erstes Filmfestival war in Hof. Und die Hofer Filmtage sind das einzige Festival, das ich immer wieder mit einem sehr guten Freund besuche.
Auszubildende Anfang 20 waren wir, als wir von einem Filmfestival im bayerisch-sächsischen Grenzgebiet lasen. Wir fuhren hin im Herbst 1988, ohne genau zu wissen, ob das Festival überhaupt stattfindet oder wo. Wenig Geld hatten wir – zu wenig für ein Hotel, also nahmen wir ein Zelt mit. Da uns die Polizei das Zelten verbot, nächtigte Harald in einer Betonkrabbelröhre auf einem Spielplatz, ich in meinem alten Ford Fiesta. Ein echtes Abenteuer war das noch.
1989 und 1990 kam etwas dazwischen und wir blieben Hof fern, bevor wir es ab 1991 über zehn Jahre regelmäßig wagten. Drei Jahre nächtigten wir noch gemeinsam im Fahrzeug – mittlerweile im gebrauchten Fiat Panda – ZU ZWEIT im Fiat Panda. Das zum Schlafplatz umfunktionierte Vehikel war dann nachts auf dem Parkplatz der
Hofer Freiheitshalle abgestellt. Aber in einem Jahr ging es nur begrenzt, da Thomas Gottschalk zu "Wetten dass" in die Hofer Freiheitshalle einlud – das einzige nennenswerte Kulturangebot neben den Hofer Filmtagen. Jahre lang wurde die Halle aufwändig saniert und umgebaut.
Wir hatten keine Wasch- oder Duschgelegenheiten und stanken wie mancher Obdachlose, nachdem wir mitten in der Nacht zum Schlafen kamen, um 7:00 Uhr am Morgen aufstanden, um nach Karten anzustehen.
Zwischenzeitlich verdienten wir das erste Geld und suchten eine preiswerte Unterkunft. Eine Pension im Osten von Hof wurde von einer alten Oma betrieben, die damit überfordert war. Das Haus befand sich im Umbau, der während unserer Jahre dort nie abgeschlossen wurde, und so lagerten abmontierte Deckenlampen auf Sofas und offene Wände warteten auf neuen Putz. Unsauber war es. In den Betten fanden wir fremde Schamhaare und dunkle undefinierbare Flecken, die wahrscheinlich Kaffee waren, aber nach etwas Anderem aussahen. Aber das Doppelbett mit Frühstück kostete nur DM 40,00; auf das Frühstück verzichteten wir nach den ersten Tagen aus hygienischen Gründen.
In den nächsten Jahren wechselten wir dann insgesamt zwei mal dauerhaft das Domizil. Wirklich gemütlich war es nirgendwo. Die beiden Pensionen haben den Vorteil der teilweise unmittelbaren Nähe zu den
Abspielstätten; es ist dann im fortgeschrittenen Alter möglich, bei uninteressanten Filmen oder kartenlosem Status ein Nachmittagsschläfchen einzuschieben. Was uns dann jeweils wieder zum Ortswechsel animierte, war im ersten Fall eine schimpfende Zimmerwirtin, die wir nach unverhältnismäßig langer Fahrt durch Stau um 23:00 Uhr aus dem Bett klingeln mussen, obwohl sowohl im Hotel- und Gaststättenverzeichnis der Stadt Hof als auch am Eingangsschild stand, die Rezeption sei bis 23:30 besetzt. Die Duschen gaben nur mit Glück und Mühe warmes Wasser ab. Harald sorge durch ein Versehen dafür, dass in einem Jahr die Dusche nicht richtig abgedreht war und das Wasser bis auf den Flur floss. Der Ärger der Zimmerwirtin war hier nachvollziehbar. Im nächsten Jahr wollten wir nicht wieder auftauchen wie die Bittsteller. Außerdem wurde das Haus – nicht wegen des Wasserschadens – renoviert und wir zogen um zu einem Wirt, bei dem wir uns immer fühlten als wolle er uns übers Ohr hauen. Bei Buchungen, die sich nicht über die gesamte Dauer der Hofer Filmtage zogen, berechnete er uns jeweils eine zusätzliche Nacht als Filmtage-Zuschlag. Dann mussten wir öfter feststellen, dass die Pension nicht voll mit Filmtagebesuchern ausbebucht war sondern teilweise mit Bauarbeitertrupps ergänzt war, die dort auf dem Weg in oder von der Tschechichen Republik waren. So hausten wir dort zum letzten mal 2004; seitdem waren wir nicht mehr gemeinsam in Hof – erst wieder 2009, 2011 und dieses Jahr.

Vor den Filmen und dem Drumherum verliere ich noch einige Zeilen über die Organisation der Hofer Filmtage, die bei allem Wohlwollen nicht wirklich professionell ist. So wir die Internetseite kaum gepflegt. Erst am Wochenende vor Festivalbeginn waren Spielplan und Filmbeschreibungen online. Wer von außerhalb anreist, ist sehr unflexibel in Anreise und Planung. Vorbestellungen im Internet sind utopisch und werden von niemandem erwartet, da dieses Stadium des Dillentantismus irgendwie zum gewissen Charme dazu gehört. Nun werden aber immer noch Karten verkauft, auf denen nur eine Filmnummer, der Wochentag und das Kino stehen – kein Filmtitel, keine Uhrzeit. Das alles änderte sich nicht seit unseren Anfängen. Lediglich ein Umbau des Central-Kinocenters in den späten 90er Jahren vom altmodischen und gemütlichen Kuschelkino im 70er-Jahre-Stil zum modernen sterilen Multiplex führte dazu, dass der Kartenverkauf von einem Kartenhäuschen im Eingangsbereich in einen Mehrzweck-Container in der Fußgängerzone verlegt wurde, wo die Schlangen der Kinogänger seitdem ungeschützt Wind und Wetter ausgesetzt sind. Oft sind Vorstellungen offiziell ausverkauft, weil Fachbesucher Karten vorbestellen, sich dann kurzfristig umorientieren und beispielsweise auf Filmparties gehen – und die ausverkauften Vorstellungen dann auch mal nur zu zwei Dritteln gefüllt sind. Bis einschließlich 2002 oder 2003 konnte man nur am frühen Morgen Karten für den jeweils aktuellen Tag erwerben; zwischendurch konnte man mit viel Glück und Durchhaltevermögen an zurückgegebene Karten kommen oder mit noch mehr Glück und noch mehr Durchhaltevermögen vor ausverkauften Kinos doch noch auf freie Plätze lauern. Erst seit den Jahren danach war es möglich, ab 18:00 Uhr Karten für Vorstellungen des darauffolgenden Tages zu erwerben. Karten für spätere Tage gibt es bisher nicht. Seit 2011 ist es tatsächlich so, dass von Anfang an Karten für das komplette Filmfestival gekauft werden können. Das ist für die Hofer Filmtage eine Entwicklung, der vergleichbar mit dem Sprung von Stummfilm auf Tonfilm oder mit dem ersten Farbfilm ist.
In den
Filmprogrammen sind keine Produktionsländer aufgeführt. Das erschwert zusätzlich die Auswahl an Filmen.
Die Retrospektive des Jahres ist dem aus Südafrika stammenden US-Regisseur
Michael Oblowitz gewidmet. Der Hauptgrund, warum Michael Oblowitz für eine Retrospektive eingeladen wurde, ist sicher, dass der regelmäßige Hof-Gast Rosa von Praunheim ihn von der Zusammenarbeit in einem Film in New York kannte. Michael Oblowitz bewegt sich häufig als Thriller- und Dramenregisseur im Independent-Millieu, arbeitet allerdings auch als Auftragsregisseur für Billig-Horrorfilme und Action-Gülle mit Stevan Seagal.

Insgesamt werde ich mich mit Reisebericht, Filmbesprechungen und Drum-herum eher kurz halten, denn das Festival und die meisten Filme waren es nicht unbedingt wert, viel Arbeit zum Schreiben zu investieren.

Wir hatten urprünglich vor, am Donnerstag früh zu fahren und am Sonntag nach der ersten Vorstellung abzufahren. In Hessen sind allerdings Herbstferien und die Urlaubssituation im Büro lässt es nicht zu, in dieser Woche zwei Tage freu zu nehmen. Daher disponieren wir um und beschließen, am Freitag Mittag zu fahren und am Montag früh zurück zu fahren.

Freitag, 25. Oktober:

Ich stehe um 5:00 Uhr auf, beginne meinen Arbeitstag um 7:00 Uhr, mache kurz nach 13:00 Uhr Schluss und treffe um 13:30 Uhr bei Harald ein. Die Fahrt von Frankfurt nach Hof ist ca. 350 km lang und ist unter normalen Umständen in drei Stunden zu schaffen.
Wir schaffen es nie in dieser Zeit. Neben diversen Baustellen hält uns eine Wanderbaustelle vor Bayreuth auf, die sich seit einigen Jahren dort oder davor oder dahinter befindet und streckenweise nur eine Geschwindigkeit von 20 km/h zulässt. Beim Wechsel von der A70 zur A9 bei Bayreuth überholt uns ein Asozialer rechts auf dem Standstreifen; wir erschrecken zu Tode. Um knapp 18:00 Uhr treffen wir in der Pension in Wölbattendorf ein, laden unser Gepäck ab und fahren in die Hofer Innenstadt. Zunächst besorgen wir uns einen Filmkatalog und Karten für die verbleibenden Karten im "großen" Central-Kino (275 Plätze).
Harald besteht immer darauf, hin und wieder im Pressecafé vorbei zu schauen. Zum Glück haben wir hier die Gelegenheit, unkontrolliert Einlass zu bekommen und nach einer kurzen Ansprache eines Verbandsvertreters von Filmschaffenden kostenlos essen und trinken zu können. Das Anstehen am Buffet dauert verhältnismäßig lange, da diverse Filmschaffende Bekannte und Kollegen ansprechen, umarmen und sich bei der Gelegenheit im Gespräch elegant vordrängeln; Personen, die mit beladenen Tellern zurück kommen, versperren dazu noch den Weg. Der Verband der Filmschaffenden - keine Ahnung mehr von wem und für wen - soll eigentlich seine Klintel bei Aufträgen unterstützen und beraten. Der Mann hinter mir in der Schlange sagt zu seinem Gesprächspartner, er habe von denen noch nie Hilfe bekommen sondern bei allen Gelegenheiten nur die Kommentare "Können wir nicht", "Machen wir nicht", "Haben wir nicht" oder "Geht nicht", aber die Buffets seien immer Spitze. Naja - kostenlos ... Über Umwege steckt in diesem Buffet sicher jede Menge Filmförderung und so bezahle ich für deses Essen per Saldo natürlich schon.

Auf ins Kino. Ich gebe die Filmbeschreibungen von der Internetseite der Hofer Filmtage an und ergänze mit weiteren Informationen und meiner Bewertung in Schulnoten von 1 (sehr gut) bis 6 (unzumutbar).

19:15 Uhr, Central 1 (275 Plätze):

Abus de faiblesse / Abuse of weakness

von Catherine Breillat, Frankreich, Originalfassung, französisch mit deutschen Untertiteln

Eines Morgens erwacht Regisseurin Maud nach einer Hirnblutung halbseitig gelähmt und in unvermeidlicher Einsamkeit. Trotz ihrer Bettlägrigkeit ist sie fest entschlossen, ihr neues Filmprojekt voranzutreiben. In einer Talkshow im Fernsehen entdeckt sie den Betrüger Vilko, dem Prominente auf den Leim gegangen waren. Er ist arrogant, anziehend und faszinierend. Maud möchte ihn in ihrem neuen Film haben. Sie treffen sich. Er bleibt. Er betrügt auch sie, indem er sich astronomische Geldsummen borgt. Er nimmt ihr alles, aber er gibt ihr Freude und eine Familie.

Die Regisseurin ist anwesen und kündigt an, nach dem Film mit uns zu diskutieren, wir dürften aber nicht schimpfen.
Der Film ist überwiegend schleppend erzählt und optisch nicht erwähnenswert, dabei ist die Geschichte nicht uninteressant. Isabelle Huppert spielt ihre Rolle allerdings sehr gut. Der männliche Hauptdarsteller macht seine Sache recht gut, wirkt aber an manchen Stellen indisponiert und führungslos. Zwischenzeitlich verpasse ich mehrere Szenen, da ich total übermüdet bin und einschlafe; ein großer Verlust ist es eher nicht. Nach dem Film ist die Regisseurin nicht anwesend; laut Ansagerin steckt sie angeblich im Gedränge vor dem Kino fest steckt.
Note = 3 -

21:45 Uhr, Central 1:

Das radikal Böse

von Stefan Ruzowitzky, Österreich, Deutschland 2013

Wie werden aus ganz normalen jungen Männern Massenmörder? Warum töten ehrbare Familienväter Tag für Tag, jahrelang, Frauen, Kinder und Babys? Rund zwei Millionen jüdische Zivilisten sind von den so genannten Einsatzgruppen ab 1941 mit Gewehren und Pistolen ermordet worden, in aller Öffentlichkeit. Wir hören die Gedanken der Täter aus Briefen, Tagebuchaufzeichnungen und Gerichtsprotokollen, sehen in junge Gesichter. Ergänzt mit den Aussagen renommierter Forscher wie Christopher Browning und den überraschenden Ergebnissen psychologischer Experimente führt dieses Nonfiction-Drama hin zu "dem radikal Bösen", einer Blaupause des Genozid.

Die Dokumentation ist eine Kombination aus vorgetragenen Tagebuch- und Brieftexten und Gerichtsprotokollen mit Ausführungen von Genozitforschern. Die gezeigten Gesichter, die wir sehen, sind die Gesichter von Schauspielern, die verbal nichts sagen, aber vom Ausdruck her durchaus einen guten Blick ins Seelenleben der Täter geben. Die sehr wissenschaftliche und teilweise distanzierte Herangehensweise an das Thema wird nicht allen Zuschauern gefallen. Die Kernaussage lautet: Das war nicht unmelschlich sondern absolut menschlich. Solche Verhaltensweisen gibt es in dieser zerstörerischen Wirkung nirgendwo im Tierreich.
Regisseur Ruzowitzky ist anwesend. Er drehte so unterschiedliche Filme wie die
Anatomie-Filme, Hexe Lily oder das KZ-Drama DIE FÄLSCHER; dafür gab es 2008 immerhin den Auslands-Oscar.
Sehr lehrreich. Note = 2+

Mitternacht, Central 1:

The Ganzfeld experiment aus der Michael-Oblowitz-Retrospektive

USA 2013, englische Originalfassung

Vier Psychologie-Studenten verbringen das Wochenende in einem einsam gelegenen Haus, um Ganzfeld-Versuche zu machen, mit denen sie ihre Fernwahrnehmungsfähigkeiten untersuchen wollen. Über diesen Experimenten verlieren sie allerdings den Kontakt zur Realität und können nicht mehr unterscheiden, was real ist und was nicht; ihre Sinne lassen sie im Stich, und schließlich fragen sie sich: Was passiert, wenn man das, woran man sich nicht erinnern konnte, nicht mehr vergessen kann?

Tja, ein eindeutiges Urteil können wir uns nicht erlauben, denn wir schlafen beide mehrfach ein. Bei den Experimenten kommen jedenfalls diverse Erinnerungen an Missbrauchssituationen in der Kindheit an die Oberfläche und eine Schwester scheint gestorben zu sein. Aufgelockert werden die Experimente durch einige heiße Sexszenen. Als zum Schluss fast alle Probanden tot sind, schnupft einer der beiden ermittelnden Kriminalbeamten ausgerechnet von der übrig gebliebenen Experimentaldroge; wie das weiter geht, erfahren wir leider nicht. Eine Hauptrolle spielt Rumer Willis, die Tochter von Bruce Willis.
Die Projektion ist äußerst schwach. Bei Szenen, die viele rote Elemente enthalten, sind die einzelnen Bildzeilen auf der Leinwand zu sehen. Bei Bildinhalten mit starken Helligkeitsunterschieden - z.B. Taschenlampen - verfärbt sich das Bild um die Lichtquelle unnatürlich blau.
Note = eine wohlwollende 3

2:30 Uhr: Bettwärts dann. Gut geschlafen. Keine besonderen Vorkommnisse.

Samstag, 26. Oktober

Um 8:00 Uhr bin ich wach und, döse noch etwas und dusche. Um 9:00 Uhr frühstücken wir. Um 10:00 Uhr sind wir bei einem gut gelegenen Parkplatz. Wir decken uns mit Karten ein, treffen einen Fußgängerzonen-Musiker, der bereits seit einigen Jahren hier sehr schräg singt. Dann haben wir noch fast zwei Stunden Zeit bis zum Beginn des ersten Films und gehen ins die Brasserie / ins Filmtage-Café und genehmigen uns noch eine Ration Koffein. Waren hier in unseren Anfangsjahren stets fast alle Plätze belegt und noch vor vier und zwei Jahren immerhin die Hälfte der Plätze mit Laptop-Gestalten besetzt, ist gähnende Leere; außer den Leuten am übernächsten Tisch sind wir die Einzigen.

12:15 Uhr, Scala (401 Plätze):

ENOUGH SAID

USA, englische Originalfassung

Eva ist geschieden und alleinerziehende Mutter einer Tochter, deren Weggang ans College bevorsteht, was Eva zu schaffen macht. Wenigstens ihre Arbeit als Masseurin lenkt sie ab, bis sie den lustigen und sympathischen Albert kennenlernt, der ebenfalls allein lebt und ihr wie ein Gleichgesinnter erscheint. Zwischen beiden beginnt eine wunderbare Romanze. Parallel freundet sich Eva mit Marianne an, einer ihrer neuen Kundinnen, die eine begnadete Dichterin ist, aber etwas zu viel über ihren Ex-Mann herzieht. Als Eva die Wahrheit über Mariannes Ex erfährt, beginnt sie ihre Beziehung zu Albert, die anfangs so perfekt schien, in Frage zu stellen…

Ohne zu viel von der Handlung zu verraten: Albert und Marianne sind ehemalige Ehepartner, was zu diversen Verwicklungen und teilweise sehr lustigen Dialogen führt. Der Film ist schon sehr unterhaltsam und kurzweilig, insgesamt aber nichts Besonderes. Wahrscheinlich kurz vor Weihnachten wird er regulär im deutschen Kino laufen; im Foyer hängen schon die deutschen Kinoplakate und das Zielpublikum der Feelgood-movies wird in die Programmkinos strömen - der leichte Rotwein wohl auch. Fast wäre der Film nicht erwähnenswert, würde Albert nicht mit einem herrlich brummbärigen Charme von James Gandolfini gespielt werden, dem ehemaligen Mafia-Häptling der Sopranos. Gandolfini starb im Juni mit nur 51 Jahren an Herzversagen. Das ist wahrscheinlich seine letzte Filmrolle und da wird schon sehr deutlich, wie sehr er als Schauspieler fehlen wird.
Note = 3+

Die Umgebung um das Kino kannten wir noch nie als besonders schöne Gegend. Längere Passagen der beiden umliegenden Straßen bestehen aus türkischen und russischen Ramschläden, in denen wir noch nie Kundschaft hinein gehen oder heraus kommen sahen. Zum ersten mal sehen wir eine Betreiberfamilie auf Klappstühlen vor einem Laden sitzen. Andere Läden dazwischen sind seit Jahren geschlossen. Auch ein ehemaliges Einkaufszentrum am Busbahnhof in Sichtweite ist so lange geschlossen, wie wir die Gegend kennen. Nur eines der ehemals gammeligen Häuser rechts neben dem Kinocenter wurde renoviert und dort befindet sich ein Café. Aber das Kino ist wirklich wunderschön und gemütlich.
Wir nehmen einen Mittagshappen bei einem der beiden direkt nebeneinander liegenden Döner-Läden ein. Hof hat wirklich eine im Vergleich zu anderen Städten und deren Migrantenanteil an der Bevölkerung einen überdurchschnittlichen Anteil von Dönerbuden.

14:30 Uhr, Scala-Kino

MARINA

Belgien, Originalfassung, flämisch und italienisch mit englischen Untertiteln

Italien, 1948: Der junge Rocco wächst in Kalabrien auf, bis sein Vater Salvatore eines Tages beschließt, nach Belgien zu ziehen, um dort sein Geld in den Kohlebergwerken zu verdienen. Schon bald holt er seine Familie nach, was Rocco über Nacht zu einem Einwanderer macht. Rocco möchte wie die anderen Gleichaltrigen sein, ein Ziel haben und etwas aus sich machen. Entgegen guter Ratschläge und den Wünschen seines Vaters sucht er einen Ausweg in der Musik und in der Liebe. Die Geschichte basiert auf den Kindheitserinnerungen des italienisch-belgischen Sängers Rocco Granata.

Sehr gut ausgestattet und mitreißend gespielt. Neben einer Lebensgeschichte, Herz, Schmerz und Musik gibt es auch eine gehörige Portion Sozialkritik. Rocco bekommt während seiner musikalischen Ambitionen klar signalisiert, dass Einwanderer Menschen zweiter Klasse sind. Bergarbeiterkinder aus Italien haben sich nicht durch Musik oder sonst wie selbst zu verwirklichen sondern Bergarbeiter zu werden. Der echte Rocco Granata spielt eine kleine Gastrolle als alter Akkordeonverkäufer.
Regisseur Stijn Coninx ist anwesend.
Erneut ist eine Eigenartigkeit bei der Programmplanung zu beobachten, die es dieses Jahr mehrfach gibt. Einen Tag vorher hatte MARINA Festivalpremiere im kleinsten Kino des Central-Centers (72 Plätze) und wird heute im größten Kino des Festivals (400 Plätze) wiederholt.
Note = 2

Wir haben über eine Stunde Zeit und genehmigen uns Kaffee und Kuchen in dem neuen Café nebenan. Das Wetter ist übrigens bisher mit fast 20°C und viel Sonne überdurchschnittlich warm.

18:00 Uhr, Regina (238 Plätze):

WESTEN

Deutschland, deutsche Originalfassung

Zwei Koffer und ein Kuscheltier – das ist alles, was Nelly und ihr Sohn Alexej mitnehmen in das neue Leben im Westen. Ein Volkswagen hält vor ihrem Haus in Ost-Berlin. Ein Westdeutscher bringt sie über die Grenze. Nelly gibt vor, ihn zu heiraten. Sie ist nervös. Es ist Sommer, Ende der 1970er-Jahre – drei Jahre nach Wassilijs Tod. Nellys Freund starb bei einem Autounfall. Seitdem will auch Nelly gehen. Raus aus der DDR, um die Erinnerungen und die Trauer hinter sich zu lassen. Um neu anzufangen. Auf der anderen Seite der Mauer geht das, denkt Nelly. Bei der Ausreise trägt sie ein Blumenkleid. Doch drüben im Westen kennt sie niemanden. Das enge Notaufnahmelager in West-Berlin ist ihre einzige Anlaufstelle, aber auch der Ort, wo die Alliierten Geheimdienste sie nun durchleuchten und ihre eigene Geschichte sie mit voller Kraft einholt. Nelly muss sich entscheiden, wie viel Raum sie der Vergangenheit gibt – denn sie hätte die Macht, ihre Zukunftsträume zu zerstören.

Nellys Freund war russischer Wissenschaftler und es werden von westlichen Geheimdiensten gezielt Gerüchte geäußert, er könne noch am Leben sein. Normale Leute, die selbstbewusst sind, werden also auch von westlichen Geheimdiensten traktiert. Die Ausstattung ist gut und überwiegend überzeugend. Bei der Kameraarbeit hätte man sich etwas mehr Mühe geben sollen, um von der herkömmlichen Fernsehspiel-Optik weg zu kommen. Die Hauptdarstellerin und besonders der Darsteller des Sohnes (in seiner ersten Rolle) spielen sehr gut und ausdrucksstark. Der große Vorteil des Films ist, dass Dialoge nicht überstrapaziert werden sondern viel mit Stimmungen und schauspielerischen Leistungen erzählt wird.
Note = 2-

Wir haben noch zwei Stunden Zeit bis zum nächsten Film und sind auf der Suche nach einem halbwegs guten Restaurant, in dem noch Plätze frei sind. Drei mal haben wir Pech; ohne Tischreservierung geht gar nichts. Der Platz, an dem bis 2004 ein sehr guter Chinese war, bei dem wir bis dahin oft und gerne und gut aßen, ist leer. 2009 hatte hier ein Tailänder ganz neu angefangen, bei dem wir fast eine Stunde auf unser Essen warteten, um zu erfahren, dass die Zutaten für unsere Vorspeisen aus waren. Nach einer halben Stunde fallen wir beim dritten Italiener ein und müssen uns an einen Tisch im Freien setzen, was aufgrund der verhältnismäßig milden Temperaturen kein großes Drama ist. Wir warten über eine 3/4 Stunde auf das Essen. Der Kellner macht einen latent arroganten Eindruck und wir kommen uns vor wie Bittsteller. Aber das Essen schmeckt.

22:00 Uhr, Central 1:

ILLUSION

von Roland Reber & Mira Gittner
Deutschland, deutsche Originalfassung

Acht Menschen, die unterschiedlicher nicht sein können, treffen in einer Bar aufeinander. Für eine Nacht entfliehen sie ihrem in Ritualen erstarrten Alltag und begeben sich auf eine Reise in ihre Gedankenwelt, zu ihrer ureigensten Lust. Unterdrückte Wünsche, sexuelle Phantasien und Ängste kommen zum Vorschein und längst vergessene Erfahrungen wieder ans Licht. Der Abend nimmt seinen Lauf… Bardame: "Schlimmer als jegliche Sehnsucht, ist, wenn man keine mehr spürt.

Fangen wir mit dem positiven Aspekt des Films an: Die Bildgestaltung und Kameraführung ist durchaus professionell, nicht fantasievoll oder innovativ oder visuell raffiniert, einfach relativ professionell. Es wurde eine Profi-Digitalkamara verwendet und für Kamerafahrten wurden Gleise verlegt und eine Kamerabühne verwendet, die Licht- und Farbgestaltung sind in Ordnung. Diese durchaus professionelle Bildgestaltung und und Kameraarbeit unterscheidet den Film letztendlich vom Heimvideo eines Swingerclubs. Das war´s dann auch schon mit dem Lob. Die oben beschriebene Handlung wird träge, zähflüssig und langweilig erzählt. Acht phlegmatische Schauspieler/innen, von denen vermutlich Antje Mönning als Einzige eine Ausbildung und eine gewisse Vielfalt von Theater-, Kurzfilm- und Fernsehrollen hatte, sagen wie Schlafwandler mit versteinerten Gesichtern absurde Dialoge auf, zwischen deren einzelnen Textzeilen jeweils Pausen von gefühlten zehn Sekunden liegen. Ehrlich gesagt kann ich mich an fast keine Einzelheiten der gezeigten Wünsche, sexuellen Phantasien und Ängste erinnern, was teilweise daran liegt, dass diese total langweilig, uninteressant, schleppend und stümperhaft erzählt sind. Teilweise schalte ich nach einer gewissen Laufzeit meine Aufmerksamkeit auch auf ein Minimum, um meine Aufmerksamkeit für die Nachtvorstellung zu schonen. Einmal sitzt einer der Männer als Clown verkleidet in einem Kreis aus beschädigten Autoscheiben in der Fabrikhalle; es soll sehr kalt gewesen sein. Einmal tanzen drei Frauen in Miniröcken vor dem FC-Bayern-Fan Udo oder Uli und am Ende des Tanzes steht auf ihren Pobacken Udo oder eben Uli geschrieben. Durch den Tanz ist das eine von zwei Szenen, in denen überhaupt so etwas wie Bewegung und Tempo auf der Leinwand wahrzunehmen ist. In der anderen sozusagen bewegenden Szene spielt Antje Mönning eine von ihr selbst erdachten Sexphantasien, in denen sie sich in Ketten legen, von den vier Männern in Teufels- und Schweinemasken im Akkord abwechselnd anal vergewaltigen und zwischendrin von zwei der anderen Frauen auspeitschen lässt. Antje Mönnig sorgte vor vier Jahren für einen so genannten Skandal, als sie bei den Dreharbeiten des damaligen Robert-Reber-Films vor der Kamera mit diversen Laiendarstellern kopulierte und dabei echte Orgasmen hatte oder zu haben vorgab. Wir sahen den Film damals, können uns allerdings nicht an tatsächliche pornographische Details erinnern, eher an den unfreiwilligen Humor. Frau Mönnig wurde zwar von ihrer Rolle als Nonne aus der Fernsehkomödienserie "Um Himmels Willen" exkommuniziert, aber die echten Orgasmen waren eine willkommene Werbung für den Film und wir vermuten, dass es von diversen Reber-Produktionen jeweils eine Hardcore-Version für den Heimkinomarkt gibt.
Vorsichtig geschätzt verlässt ungefähr ein Viertel des Publikums das Kino, ohne zurück zu kommen - überwiegend in Gruppen.
Regisseur Roland Reber ist nicht da sondern im Krankenhaus. Bei der Diskussion mit dem Publikum scheint mich Schauspielerin und Diskussionsmoderatorin Marina Eich von den Vorjahren zu erkennen und erwischt mich kalt, als ich die kritische Frage stelle, wer so etwas außerhalb von Hof anschauen soll - "Da ist wohl ein Insider". Wäre sie doch bei ihren schauspielerischen Darbietungen so spontan und schlagfertig aufgetreten.
Note = 6+ Das Plus ist für die relativ professionelle Kameraarbeit.
Jetzt müssen wir uns natürlich die Frage gefallen lassen, warum wir alle zwei Jahre in jeden Robert-Reber-Film gehen, der bei den Hofer Filmtagen läuft, obwohl wir seit 2009 wissen, wie schlecht die sind und dass wahrscheinlich jeder noch schlechter wird. Ein Filmfestival ist eben ein Feld zum Experimentieren. Hier geht es auch darum, neben den Filmen Begegungen und Erfahrungen mit anwesenden Filmleuten zu machen. Selbst bei schlechten und schlechtesten Filmen ist im günstigsten Fall der Unterhaltungswert enorm; 2009 neigte die Hälfte des Publikums, das im Kino blieb, bei aller unfreiwilligem Humor zum Dauerlachen. Nebenbei wird man als Festivalbesucher mit den Jahren bescheiden und weiß die wenigen guten Filme aus heimischer Produktion um so mehr zu schätzen.

Mitternacht, Central 1:

THE TRAVELLER aus der Michael-Oblowitz-Retro

USA 2010, englische Originalfassung

Der Traveller gesteht dem diensthabenden Polizisten Gulloy, dass er sechs Menschen ermordet hat. Daraufhin verhaftet Detective Alexander Black den Mann, kann ihn aber nicht identifizieren, da er keine Fingerabdrücke hat und sich auch weigert, einen anderen Namen als "Mr. Nobody" anzugeben. Als wenig später einer der Polizisten unter merkwürdigen Umständen im Revier ums Leben kommt, will unter den verstörten Beamten keine rechte Weihnachtsstimmung mehr aufkommen. Schließlich erinnert sich Deputy Hawkins, dass der Fremde dem langhaarigen Landstreicher ähnelt, den sie vor einem Jahr nach dem Verschwinden von Detective Blacks Tochter verhaftet hatten. Allmählich fällt ihnen auch wieder ein, wie sie den Verdächtigen gefoltert und bedroht hatten … Und Mr. Nobody pfeift weiterhin das "Lacrimosa" aus Mozarts Requiem …

Auf die Gefahr hin, zu viel zu verraten, falls sich jemand den Film auf DVD besorgen wollte: Der Typ ist ein Geist oder Wiedergänger des damaligen Folteropfers und quält seine damaligen Peiniger auf die Weise tot, die ihm vom Verursacher damals zugefügt wurde. Zwischenzeitlich wird es einige Male sehr blutig, aber der Film kann keinen durchgehenden Spannungsaufbau halten. Der ehemalige Hollywoodstar Val Kilmer (TOP GUN, BATMAN) spielt sämtliche Szenen (bei denen ich wach bin) mit dem gleichen Gesichtsausdruck und scheint sich bewusst zu sein, dass er in der dritten Klasse fest steckt. In seiner Filmografie ist TRAVELLER nicht mal aufgeführt.
Wie in der vorigen Nachtvorstellung ist die Projektion und Farbgebung teilweise sehr schlecht. Bei leuchtend roten Bildinhalten können wir aus 12 Meter Entfernung die einzelnen Zeilen auf der Leinwand erkennen. Um helle Lichtquellen herum sieht das Bild blau verwaschen aus. Wir nehmen wohlwollend an, dass Michael Oblowitz´ Kamerateams nicht aus Prinzip zur Schlampigkeit neigen. Es liegt offensichtlich an einer minderwertigen Projektionsanlage oder Digitalkopie des Films.
Note = 3

Sonntag, 27. Oktober

Früher gab es Sondervorstellungen ab 10:00 Uhr. Fehlanzeige. Unsere erste Vorstellung ist um 12:45 Uhr und alles davor überschneidet sich damit. Zunächst besorgen wir uns die Karten für den Tag und wollen dann die Zeit im Pressecafé tot schlagen. Das Pressecafé ist an diesem Sonntag bereits geschlossen; das gab es hier noch nie. Wir stromern ein bischen durch die Gegend und entdecken ein bischen abseits einen Chinesen, bei dem es Abendbuffet gibt und den wir für unser Abendessen aussuchen. Vor der Vorstellung wird es noch etwas sonnig und wir essen Apfelstrudel mit Milchkaffee im Freien.

12:45 Uhr, Central 1

OKTOBER NOVEMBER

von Götz Spielmann
Österreich, deutsche Originalfassung

In einem kleinen Dorf in den österreichischen Alpen steht ein ehemaliger Gasthof. Vor vielen Jahren, als es noch Sommerfrische gab, ein stattlicher Betrieb. Zwei Schwestern sind hier groß geworden. Sonja lebt nun in Berlin, sie ist Schauspielerin geworden, sehr erfolgreich, ein Fernsehstar. Die Karriere ging sehr schnell, sie ist erst Anfang dreißig. Sie hat viel erreicht in ihren noch jungen Jahren – doch etwas scheint ihrem Leben zu fehlen. Sie hält zu den Menschen Distanz, wie um sich zu schützen. Sie durchlebt Phasen von Traurigkeit. Außerhalb ihrer Arbeit und Professionalität wirkt sie immer ein wenig verloren. Heimatlos. Ihre Schwester Verena, etwas älter, hat das Dorf nicht verlassen. Nach dem Unfalltod der Mutter lebt sie mit Mann und Kind in ihrem Elternhaus, das nun viel zu groß ist für die wenigen Bewohner. Doch Verena ist nicht so genügsam, wie es scheint. In ihrer heimlichen Liebesaffäre mit dem Arzt der Gegend zeigt sich ungelebte Leidenschaft, Sehnsucht nach einem anderen Leben. Und auch der Vater der beiden Schwestern lebt in dem großen Haus. Ein alt und mürrisch gewordener Patriarch. Seine Frau gestorben, das Gasthaus seitdem stillgelegt. Es ist Herbst, ein schöner Oktober, die Blätter am Baum hinter dem Haus sind schon bunt verfärbt. Da bringt ihn ein schwerer Herzinfarkt in Todesnähe. Er überlebt, doch ab nun ist er ein kranker Mann. Und für Sonja ist es höchste Zeit, wieder einmal ihre Familie und den Ort ihrer Kindheit zu besuchen. Ein neues Kapitel beginnt, neue Ordnung kommt in alte Verhältnisse.

Hier stimmt so gut wie alles. Die Darsteller sind gut bis sehr gut und durchgehend überzeugend. Der Film entwickelt das richtige Tempo bei jeder Gelegenheit, ist stimmig und glaubwürdig erzählt und überzeugt durch eine sehr raffinierte Bildgestaltung. Lediglich Sebastian Koch - er schaffte es zwischenzeitlich sogar bis zu STIRB LANGSAM an die Seite von Bruce Willis - ist als hochdeutsch sprechender Alpen-Landarzt leider eine Fehlbesetzung, ohne etwas dafür zu können; als Akteur der Berliner Film- und Fernseh-Schikeria wäre er besser gewesen.
Note = 2

14:30 Uhr im Central 5

ROBERT TARANTINO

Dokumentarfilm, Österreich, deutsche Originalfassung, teilweise englisch mit deutschen Untertiteln

Robert Tarantino: No-Budget-Filmer und Wiener Original. Die Dreharbeiten zu seinem jüngsten Streifen BLOOD CITY MASSACRE sind für den schüchternen Arbeitslosen Lebensinhalt und Therapie. Sein engagiertes (Laien-)Ensemble avanciert zur Ersatzfamilie, Hauptdarstellerin Marie sähe er auch gerne privat an seiner Seite. Der Film folgt dem "Rebel without a Crew" bei Planung und Dreharbeiten. Eine Filmpremiere. Robert Tarantino begrüßt schüchtern das Publikum. Nach dem Upload des Trailers habe er bereits eine Einladung zu einem Underground-Filmfestival erhalten, verkündet er stolz. Die Premierengäste – Crew, Freund/innen, Trash-Aficionados – sind begeistert. Von hier aus geht Houchang Allahyari einen Schritt zurück: ins Privatleben Tarantinos, der im bürgerlichen Leben eigentlich Wolfgang heißt. Vor Jahren hat dieser seinen Brotjob gekündigt, um sich ausschließlich der Kunst zu widmen. Unter dem Pseudonym Wolfgang Morrison tingelt er seither als Liedermacher durch kleine Lokale. Seine Eltern haben diesen Traum ignoriert, eine Enttäuschung, die Wolfgang heute unter anderem in seinen Trashfilmen aufarbeitet: Filmemachen als Leidenschaft, Filmemachen als Therapie.

Wolfgang dreht seine Filme ausschließlich mit Laiendarstellern - darunter der von Kopf bis Fuß tätowierte Wiener Rummelplatz-Wrestler Humungus - auf Video in englischer Sprache. Die Ergebnisse sind außerordentlich primitiv und dilletantisch. Den letzten Charme des Dilletantismus raubt Wolfgang den eigenen Machwerken dadurch, dass er nicht im Wiener Dialekt dreht sondern seine österreichischen Hobby-Darsteller aus Gründen der internationalen Vermarktung (ha ha) unnatürliches Englisch sprechen lässt. Seine Pseudonyme Wolf Morrison bzw. Robert Tarrantino beziehen sich auf die Musiklegenden Jim Morrison (The Doors) und Van Morrison bzw. auf die Kult-Regisseure Robert Rodriguez - der nachweislich seinen abendfüllenden Erstling auf sehr professionelle Weise für insgesamt etwa 7.500 US-Dollar drehte - und Quentin Tarrantino. Wolfangs Filme kosten dann inklusive Material und Verpflegung der Darsteller um die 30 Euro und so sehen sie aus.
Der Dokumentarfilmer Houchang Allahyari, der diese Dokumentation drehte, ist ausgebildeter Psychiater und hat Wolfgang & Co. im übertragenen Sinn auf seiner Couch liegen, analysiert sie und führt sie vor. Da dürfen dann die Eltern erzählen, dass sie von ihrem Sohn enttäuscht sind. Sogar, als der selbst erklärte schüchterne Hobbyfilmer erzählt, dass er in seine Hauptdarstellerin verliebt ist, die inzwischen allerdings eine Beziehung mit einem Darstellerkollegen hat, kostet der Regisseur das aus. Anstatt ihn in einer solchen emotionalen Situation vor dem Publikum und vor sich selbst in Schutz zu nehmen, führt er ihn vor, opfert ihn und präsentiert ihn als größten Trottel und Versager. So etwas macht ein Dokumentarfilmer nicht mit seiner Hauptperson - außer mit z.B. Neonazis, korrupten Politikern oder Verbrechern.
Außerdem ist der Film viel zu lang. 20 Minuten bis 25 Minuten hätten gereicht. Alles, was wir darüber hinaus an Filmausschnitten, Interviews und Beobachtungen sehen, bring uns weder die Machart der Filme noch die Arbeitsweise des Filmteams noch die Menschen dahinter näher, sondern ist überflüssig.
Eine echte Enttäuschung. Note = 5-

In Hof ist verkaufsoffener Sonntag und nach als wir nach diesem Film kurz auf die Straße gehen, ist die Innenstadt dann endlich einigermaßen belebt.

16:45 Uhr, Central 3

FOREVER NOT ALLONE

Dokumentarfilm, Österreich, deutsche Originalfassung

Alice, Helene, Maira, Nani, Selin und Vera leben in Wien, sind 13 oder 14 und beste Freundinnen. Diese Freundschaft ist das Wichtigste in ihrem Leben. Als Jungs und Partys eine große Rolle zu spielen beginnen und das Ende der gemeinsamen Schulzeit naht, sehen sich die Mädels mit der Frage konfrontiert, was Freundschaft ist und wie viel Veränderung sie ertragen kann. Was ihnen bleibt, ist ein letzter gemeinsamer Sommer.

Wir sehen und begleiten die Mädchen beim Telefonieren, Internet-Chatten, Quatschen, Tanzen, Baden, sogar beim Schmusen und beim Küssen. Das alles kommt so ernsthaft und ehrlich, so echt und liebenswert und süß rüber. Die beiden Dokumentarfilmerinnen berichten anschließend, dass sie jeden Tag die gefilmten Szenen mit den sechs Mädchen sowie zwei weiteren Mädchen, die öfter mitwirken, durchsprachen und auf Wunsch alle Aufnahmen, welche die Mädchen nicht im Film haben wollten, löschten. Besonders im Vergleich zur davor gesehenen Dokumentation fällt auf, wie fair und verantwortungsvoll die beiden Dokumentarfilmerinnen mit ihren Hauptpersonen umgehen. Ihnen ist klar, dass sie es als Dokumentarfilmerinnen mit Schutzbefohlenen zu tun haben, zu denen sie ein Vertrauensverhältnis aufbauen müssen und nicht missbrauchen dürfen. Dabei gelingt es ihnen, die Kamera auf eine Weise in das Geschehen zu integrieren, dass die dokumentierten Menschen die Kamera außer bei Einzelinterviews nicht mehr wahrnehmen. Das ist wirklich die höchste Kunst des Dokumentarfilms. Und natürlich werden die Mädchen reifer und irgendwann erwachsen sein und sich in einigen Jahren darüber erschrecken, in welchen Situationen sie zu sehen sind - nehmen wir nur mal einen Rülpswettbewerb im Badezimmer.
Note = 1

Wir haben bis zum Beginn des nächsten Films noch fast drei Stunden Zeit und gehen zum Abendbuffet des Chinesen. Für € 10,00 können wir uns am Buffet bedienen so viel wir wollen. Harald isst irgend ein Fleischgericht mit Mischgemüse. Als Vegetarier habe ich zum Einstieg Eisbergsalat mit Gurken, Tomaten - mehr Rohkost steht nicht zur Verfügung - mit Fertig-Joghurtsoße sowie Standard-Frühlingsröllchen. Dann kann ich zwischen gedämpftem Reis, gebratenem Reiß und gebratenen Nudeln wählen und darf als einziges Gemüsegericht aufgetautes Tiefkühlgemüse mit Blumenkohl und Broccoli essen, dass in Öl schwimmt, versalzen ist und mir später schwer im Magen liegen wird. Die Einrichtung des Lokals ist ganz nett, aber das Essen ist Dreck, wirklich minderwertiger Dreck.
Als einziges Lokal in der Haupt-Einkaufsstraße der Stadt hat inzwischen nur noch das Lokal über dem Kinofoyer offen, das trotz allem gerade mal halb besetzt ist und seine Gäste mit übersteuerter Elektromusik bedudelt. Hier genehmigen wir uns Kaffee und schlagen die Zeit bis zum Film tot. Die Innenstadt ist zum Ende des bedeutendsten Kulturereignisses des Jahre wie ausgestorben und wir haben den Eindruck, dass nach einem bevorstehenden kurzen Halloween-Intermezzo die Bürgersteige bis zum Weihnachtsgeschäft hoch geklappt werden.

21:45 Uhr, Central 3

TEMPO GIRL

Schweiz, Originalfassung, deutsch und Schweizerdeutsch mit deutschen Untertiteln

Die junge Möchtegern-Schriftstellerin Dominique Piepermann lebt ein unstetes Leben in Berlins Hipster-Community. Als ein Verleger ihr Manuskript als unauthentisch ablehnt, flüchtet sie sich mit Kebabverkäufer Deniz in ein vergessenes Tal in den Schweizer Alpen, wo sie mit Liebe, Verlust und einem Fiat Panda-vernarrten Zuhälter konfrontiert wird. Verlassen, gedemütigt, aber inspiriert kehrt sie mit ihrem ersten Roman nach Berlin zurück: Tempo Girl – die Geschichte einer Generation.

Da kommen die Schweizer auf die Idee, ein so genanntes Road-Movie zu drehen und nehmen ala Hauptpersonen ausgerechnet zwei Berliner, die in der Schweiz landen. Hat seine Momente, ist aber wirklich nicht origiell.

Note = 3-

Es ist üblich, dass wir abends nach dem Kino noch einen Schlummertrunk zu uns nehme. Aber wir haben Pech, denn es ist wirklich keine enzige offene Wirtschaft mehr zu finden.

Bettwärts dann.
Gegen 2:00 Uhr kommen noch andere Gäste ins Hotel und machen eine Party mit viel Radau, die bis etwa 5:00 Uhr geht. Wir haben Schwierigkeiten einzuschlafen. Als wir am Morgen aufwachen, machen wir aus Rache möglichst viel Radau, um den Schlaf der Bande zu stören, sind aber eher erfolglos.

Heimfahrt. Lou Reed ist tot. Ich habe Velvet Underground auf dem mp3er und so hören wir nach unserer traditionellen U2-Zusammenstellung Velvet Underground. Es wird allmählich windig und stürmisch und eine Unwetterfront wird angekündigt. Auf der A3 überholen wir einen LKW, der plötzlich nach links schwenkt und uns fast an die Leitplanke treibt. Der Wind kann es nicht gewesen sein, denn der weht aus der anderen Richtung. Der Fahrer war vermutlich kurz eingeschlafen; vielleicht telefonierte oder onanierte er auch eben - wer weiß. Sonst: keine besonderen Vorkommnisse

Fazit: Zwölf Filme, davon drei recht gute Kinofilme, die sicher alle regulär im Kino starten werden und eine sehr gute Dokumentation. Das war es dann insgesamt doch nicht wert. Wir mussten freie Tage - Harald Urlaub - nehmen, insgesamt fast 300 Euro pro Person für Fahrt, Unterkunft, Essen und Karten bezahlen und hatten jede Menge Strapazen. Ein sehr schwacher Jahrgang.
Meine Meinung ist, bis zu den 50. Hofer Filmtagen auszusetzen und darauf zu hoffen, zum runden Jubiläum etwas Gutes und Besonderes präsentiert zu bekommen. Sollte es wieder schlecht werden, sollten wir uns meiner Meinung nach für immer von Hof verabschieden. Harald ist noch unentschlossen und tendiert weiter zum Zwei-Jahres-Rythmus.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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