IL MOSTRO DI NORIMBERGA

Kinoklassiker Ein Kino-Wochenende in "gelb"-rot mit klassischen italienischen Krimis und Horrorfilmen der Marke "Giallo" in Nürnberg. 23. bis 25. November. Ein kurzes Reisetagebuch.

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Auf dieses Festival mit "Giallos" - einer besonderen Sorte italienischer Kriminalfilme der 60er bis 80er Jahre - in Nürnberg wurde ich im Sommer aufmerksam, als Werbung im Frankfurter Filmmuseum lag. "Giallo" heißt gelb auf italienisch und ist nach der Farbe von Krimitaschenbüchern in Italien benannt.
Das Programm stand noch nicht fest und ich meldete mich nach einiger Zeit für eine Dauerkarte an. Als das Programm stand, merkte ich, dass ich fünf der neun Filme bereits kenne und teilweise auf DVD habe. Macht aber nichts. Es lohnt sich fast immer, so etwas noch mal in 35mm-Qualität auf der Leinwand zu sehen.

Freitag, 23. November

Ich reise sehr angenehm mit Nahverkehrszügen an. Die Fahrt geht über Würzburg, Schweinfurt und Bamberg, wo ich einmal umsteigen muss. Eine Fahrt mit dem teuren ICE lasse ich lieber bleiben, da ich hier weniger flexibel bin und geschätzte 70% der ICE-Züge gravierende Mängel haben. Schon bei der Ausfahrt am Frankfurter Hauptbahnhof bleibt ein ICE am Ende des Bahnsteigs stehen und mein Regionalexpress fährt in ein anderes Gleis ein, was ich noch rechtzeitig bemerke. Früher gab es Interregio-Züge, die ich günstig und sehr angenehm fand. Eine etwas langsamere Zugfahrt bot etwas von der Landschaft, war preisgünstig und brachte mich meistens ohne Umsteigen ans Ziel. In den 00er Jahren wurden die Interregions aber eingestellt.
Kurz vor 15:00 Uhr komme ich sehr pünktlich in Nürnberg an. Es fällt mir nicht ganz einfach, mich zu orientieren, da fast nirgendwo Straßenschilder sind. Schließlich finde ich zuerst das noch geschlossene Kino und mein Hotel. Das Zimmer ist bereit und ich inspiziere zunächst das sehr schön und liebevoll gemachte gedruckte Programmheft. Dann versuche, noch etwas zu schlafen, bleibe aber wach. Pech.
20:00 Uhr: Ich fand vor Antritt der Reise im Internet mehrere fränkische Bierlokale. Überall es es aber voll bzw. reserviert. Auf Nachfrage wird empfohlen, am Wochende eine Woche im Voraus zu reservieren. Und für Einzelpersonen werden schon gar keine Reservierungen vorgenommen, weil sich das nicht lohnt. Dann gehe ich zu einem türkischen Restaurant, das sehr gut und weit über Döner-Imbiss-Qualität ist.
21:00 Uhr: Ich komme im Kino an, bezahle meine Dauerkarte und bekomme als Bonus-Material ein Minifläschchen einer bekannten Whiskey-Sorte mit grüner Flaschenfarbe, gelbem Etikett und rotem Logo, die in Giallo-Filmen oft und gerne getrunken wird. Das soll mein Schlummertrunk werden. Ich bin schon begeistert. Die Dauerkarte kostet nur € 35,00 für geplante neun Filme. Als Bonusmaterial wurde zwischenzeitlich ald zehnter Film die Neuverfilmung von SUSPIRIA ins Programm genommen, die Dauerkarteninhaber/innen nichts zusätzlich kostet. Es ist sehr gut organisiert.

Das Kino ist mit 80 bis 90 Plätzen klein, aber fein und gemütlich.

Die Filme: Die Inhaltsangaben sind von der Internetseite des Kommkinos übernommen und fett, kursiv und eingerückt markiert. Danach folgen meine Kommentare.

21:15 Uhr:Der Killer von Wien

(Lo strano vizio della signora Wardh)
Italien/Spanien 1971 | 98 Min. | deutsche Fassung | 35mm (1:2,35)

Regie: Sergio Martino
Darsteller:
Edwige Fenech, George Hilton, Conchita Airoldi, Ivan Rassimov, Alberto de Mendoza, Bruno Corazzari
Drehbuch: Eduardo Manzanos, Ernesto Gastaldi, Vittorio Caronia
Kamera: Emilio Foriscot, Florian Trenker
Musik: Nora Orlandi

Die Ehe der attraktiven Julie Wardh (Edwige Fenech) steht kurz vor dem Aus. Gemeinsam mit ihrem Mann Neil (Alberto de Mendoza), einem älteren Börsenmakler, macht sie sich auf den Weg nach Wien, da dort wichtige Geschäftstermine anstehen. In ihrer Heimatstadt angekommen trifft Julie auf ihre alte Freundin Carol und lernt auf einer Party den Frauenschwarm George (George Hilton) kennen. Julie kann ihre Zuneigung zu George nicht lange unterbinden und sieht in ihm weit mehr als nur einen unbedeutenden Flirt. George scheint ein neuer Lichtblick in Julies Leben zu sein, abseits vom langweiligen Geschäfts-und Eheleben ihres Mannes. Während Julie und George ihre Affäre in vollen Zügen genießen taucht unerwartet Julies Ex-Liebhaber Jean (Ivan Rassimov) auf. Trotz der dunklen Vergangenheit beider, konnte sich Jean nie ganz von Julie lösen und umwirbt sie wo es nur geht. Die Nettigkeiten von Jean nehmen zu und umso mehr grauenvolle Gedanken an ihr damaliges sadomasochistisches Verhältnis kehren bei Julie zurück. Zur selben Zeit werden in Wien vermehrt hübsche Frauen von einem vermummten Serienkiller mit Rasiermesser getötet und auch Julie fällt in das Raster des scheinbar unaufhaltsamen Schlitzers. Wer ist der mysteriöse Killer? Ist es Jean? Julies Ehemann, der wegen dem Seitensprung seiner Frau durchdreht? Oder George, der Julie konkurrenzlos für sich alleine haben möchte? (filmArt) Ein Klassiker des damals noch jungen Giallo-Genres, veredelt durch erstklassige Schauspieler, die wunderschöne Musik von Nora Orlandi, deren suggestives Dies Irae den Kopf nicht mehr so schnell verlässt, die unauffällig-effektive Kameraführung von Emilio Foriscot, und ein klug aufgebautes und mit genau den richtigen Twists versehenes Drehbuch von Ernesto Gastaldi. Ein Muss für jeden Thriller-Fan, und für Liebhaber stylisher 70er-Jahre Settings (und von Frauen in Papierkleidern) erst recht.

Der Film ist ein Klassiker des Genres, ist gut erzählt und geschrieben und gefilmt. Die Figuren sind gut entwickelt und gespielt. Dabei ragt Edwige Fenech mit ihrem Charisma heraus, die bis dahin als Darstellerin herkömmlicher Klamauk und Softsexfilme bekannt wurde. Als typisches Giallo-Stilmittel sehen wir das tödliche Rasiermesser, das mit der Hand im schwarzen Lederhandschuh in Nahaufnahme zu bedrohlicher Musik geführt wird. Teile der Filmmusik von Nora Orlandi wurden von Quentin Tarantino für KILL BILL VOL.2 in der langen Dialogszene zwischen der Braut und Bill am Schluss verwendet, was sie sehr freute. Großartig.

23:15 Uhr: Das unheimliche Auge

(Le foto di Gioia)
Italien 1987 | 93 Min. | deutsche Fassung | 35mm (1:1,85)

Regie: Lamberto Bava
Darsteller: Serena Grandi, Daria Nicolodi, Vanni Corbellini, David Brandon, George Eastman, Sabrina Salerno, Capucine
Drehbuch: Luciano Martino, Gianfranco Clerici, Daniele Stroppa
Kamera: Gianlorenzo Battaglia
Musik: Simon Boswell

Ein Jahr nach dem Unfalltod ihres Mannes kehrt Gioia (deutsche und englische Fassung: Gloria) zurück zu dem Magazin das sie leitet: Pussycat, ein Hochglanzblatt für nackte und erotische Tatsachen. Alles ist wie gehabt: Die Damen planschen nackt im Pool, der schwule Fotograf porträtiert ihre Vorzüge und die Konkurrentin Flora versucht möglichst aggressiv das Magazin aufzukaufen. Das heißt, so ganz ist nicht alles beim alten, denn es geht ein Mörder um der die besten Models grausam tötet. Gioia hat schnell die Vermutung, dass sie das eigentliche Ziel der Mordserie ist, mögliche Täter mit möglichen Motiven gibt es in ihrer Umgebung mehr als genug und der Mörder metzelt sich mit beängstigender Geschwindigkeit näher… (Der Maulwurf) Bevor Lamberto Bava sich künftig vermehrt italienischen TV-Produktionen annahm, ließ er 1987 vorerst letztmalig einen vermummten Schlitzer im Kinoformat von der Leine, der es auf die Damenwelt im freizügigeren Modebusiness abgesehen hat. Parallelen zu »6 donne per l'assassino« (Blutige Seide, 1964), dem Klassiker italienischer Thrillerkunst, sowie zentrales Schlüsselwerk in der Filmografie seines Vaters Mario, sind daher nicht von der Hand zu weisen und man kann »Le foto di Gioia« durchaus als eine schrille Verbeugung vor dem Meilenstein deuten. Die 80er Jahre hinterlassen dabei markant ihre Spuren, was sich in dröhnender Rockmusik, bunten Outfits und einer erotischen Note bestätigt. Dazu würzt Bava sein seifenoperhaftes Whodunit mit zahlreichen fantastischen Elementen, verneigt sich ebenfalls vor Hitchcock & De Palma, stellt sicher, dass Serena Grandis Oberweite der eigentliche Star des Films ist und bedient sämtliche Achtzigerjahre-Klischees gekonnt, ohne dabei den Kitsch allzu unattraktiv wirken zu lassen. Die wahren Stärken von „Le foto di Gioia“ kommen allerdings zum Vorschein, wenn der Mörder in Aktion tritt. Dann verändert das Bild seine Farbe durch grelle Filter, die Musik peitscht die Dramatik laut voran, die Optik verschmilzt zu einem halluzinogenen Trip und macht dem internationalen Alternativtitel damit alle Ehre. Der Streifen ist bestimmt nicht Lamberto Bavas bester Film und von den Speerspitzen des Genres sicherlich weit entfernt, dennoch hebt sich dieser Beitrag dank vieler origineller Einfälle vom gelben Einheitsbrei ab und unterhält auf seine eigene Weise ungemein.

Filmspezialist Christoph Draxtra äußert in seiner Einführung, das sei einer der schlechteren Filme des sonst guten Regisseurs Lamberto Bava, den wir nach einem besseren Film des mittelmäßigen Regisseurs Sergio Martino sehen. Das sehe ich etwas anders. Lamberto Bava ist ein eher schwacher Regisseur, von dem ich keine wirklich sehenswerte Filme kenne. Der Film ist schlecht geschrieben und überwiegend schwach gespielt. Dabei wird das Trauma des Mörders mit intensiven roten Farbfiltern visualisiert. Das erste Opfer wird vor dem Mord mit einem Gesicht gezeigt, das nur aus einem riesigen Auge und einem kleinen Mund-Schlitz zum Rauchen besteht. Offensichtlich sehen wir hier eine Wahrnehmungsstörung oder psychische Störung des Täters, die zunächst eine gute Idee ist, die das Publikum fordert und verstört, allerdings nicht mehr wiederholt wird. So wird die eigentlich gute Idee zu einer schlechten Idee, die wie ein Versehen wirkt und ich frage mich, ob den Machern das Geld für die Maske ausging. Die einzigen guten Darstellerinnen, die sich mit Mühe gegen das schlechte Drehbuch behaupten können, sind Daria Nicolodi (Langzeit-Lebensgefährtin und Darstellerin von bzw. Dario Argento) und Capucine (DER ROSAROTE PANTHER). Hauptdarstellerin Serena Grandi sieht aus und spielt wie eine Fick-mich-Puppe. Sie soll angeblich eine gute Schauspielerin sein und in sehenswerten Rollen agiert haben. Dazu scheint aber ein guter Regisseur nötig zu sein, der seine Darsteller/innen leitet, führt, motiviert und antreibt. Und das geht über die Fähigkeiten von Mario Bava´s untalentiertem Sohn hinaus.

1:30 Uhr: Schlafenszeit. Ich trinke noch das Whiskeyfläschchen aus, das ich an der Kasse bekam. Dummerweise ist direkt unter dem Hotelzimmer ein Nachtlokal, vor dem die Gäste rauchen und sich sehr laut unterhalten. Es wird sehr laut gegrölt und auch Ghettoblaster mit Rap-hip-hop kommen zum Einsatz. Erst nach 4:00 Uhr kann ich einschlafen. Frühstück gibt es bis 9:00 Uhr. Danach ist es sehr ruhig, aber ich kann nicht einschlafen. Die erste Vorstellung wird um 14:00 Uhr beginnen und ich erkunde die Umgebung und den Hauptbahnhof etwas.

Samstag, 24.11.2018

14:00 Uhr: Die Mörderklinik

(La lama nel corpo)
Italien/Frankreich 1966 | 87 Min. | deutsche Fassung | 35mm (1:2,35)

Regie: Elio Scardamaglia
Darsteller: William Berger, Françoise Prévost, Mary Young, Barbara Wilson, Philippe Hersent, Harriet Medin, Germano Longo, Massimo Righi
Drehbuch: Ernesto Gastaldi, Luciano Martino
Kamera: Marcello Masciocchi
Musik: Francesco De Masi

Dr. Robert Vance (William Berger) betreibt eine Heilanstalt, in der Patienten mit angeschlagener psychischer Konstitution betreut werden. Da die Einrichtung sehr abgeschieden liegt, sollen seine Schutzbefohlenen von der vorhandenen Ruhe profitieren, jedoch wird durch diese Voraussetzung auch ein unheimlicher Frauenmörder angelockt, der seine Opfer mit einem Rasiermesser tötet. Doch es scheinen sich noch weitere Geheimnisse in dem alten Gemäuer zu verbergen. Aus dem oberen Stockwerk sind sehr beunruhigende Geräusche zu vernehmen. Als man der Sache auf den Grund gehen will, kommt es zu einer schauerlichen Entdeckung. Derweil mordet das Phantom weiter und in der Klinik scheint es von Verdächtigen nur so zu wimmeln... (Prisma) „Gothic Horror meets Giallo“ heisst die Devise in Elio Scardamaglias „Die Mörderklinik“ aus dem Jahr 1966. Mit der im frühen 19. Jahrhundert angesiedelten Geschichte und einem gotischen Kastell als Schauplatz wähnt man sich rasch in einem Gruselfilm der Hammer Studios; oder noch treffender einem von Antonio Margheriti in Farbe. Oben, versteckt in einer Dachkammer, haust eine unheimliche Frau in Schwarz und auf der Tonspur entfesselt Francesco di Masis klassisch-dramatischer Score eine Schauerfilmatmosphäre wie sie purer nicht sein könnte. Doch wenn schon kurz nach Vorspann ein Rasiermesser im schwarzen Handschuh aufgeklappt wird, eine gewissenlose Femme Fatale ihre erpresserischen Spielchen treibt und sich William Berger, Massimo Righi, Mary Young und Delfi Mauro im gepflegten Whodunit um die Wette verdächtig machen, wird sich in der düsteren Klinik des Dr. Vance auch der geneigte Fan mörderischer Mystery’all italiana schnell heimisch fühlen. Zumal das Drehbuch von niemand Geringerem als Ernesto Gastaldi stammt; der hat bekanntlich von „Der Killer von Wien“ bis „Death Walks at Midnight“ die Geschichten zu gefühlten hundert Giallo-Klassikern geschrieben. Zwar steht hier noch keine Flasche J&B auf dem Tisch, doch ist der kurz nach dem von Mario Bava eingeläuteten Genre-Urknall „Blood and Black Laceentstandene Film ein gediegenes, atmosphärisches Beispiel eines frühen Giallo, der gleichwohl als gotischer Schauerfilm funktioniert.

Der Film ist etwas altmodisch gemacht und ist nicht gerade zeitlos, aber sehr schön ausgestattet und gefilmt und überwiegend gut gespielt. Die Bildqualität ist einwandfrei. Insgesamt gute Unterhaltung.

16:00 Uhr: Der Tod trägt schwarzes Leder

(La polizia chiede aiuto)
Italien 1974 | 91 Min. | deutsche Fassung | 35mm (1:2,35)

Regie: Massimo Dallamano
Darsteller: Giovanna Ralli, Claudio Cassinelli, Mario Adorf, Franco Fabrizi, Farley Granger, Marina Berti, Sherry Buchanan
Drehbuch: Massimo Dallamano, Ettore Sanzò
Kamera: Franco Delli Colli
Musik: Stelvio Cipriani

Die 15-jährige Silvia wird erhängt auf einem Dachboden aufgefunden, alles sieht nach Selbstmord aus. Kommissar Silvestri findet jedoch schnell heraus, das der vermeintliche Selbstmord nur vorgetäuscht ist und man es mit einem Mord zu tun hat. Zusammen mit der Staatsanwältin Stori macht sich Silvestri an die Ermittlungen und stößt schon bald auf einen Verbrecher-Ring der sein Geld mit Kinderprostitution macht. Aber nicht nur der Kommissar macht Jagd auf die Verbrecher, auch ein mysteriöser, komplett in schwarzer Motorradkleidung steckender Unbekannter macht auf seine Art Jagd auf die Bande... (OFDb.de) Massimo Dallamano schuf mit »La polizia chiede aiuto« (übersetzt: Die Polizei bittet um Hilfe) einen Thriller, der sich nur bedingt in eine bestimmte Genre-Schublade pressen lässt, da hier bewusst zwischen mehreren Stilen italienischer Kriminalfilmstrukturen gependelt wird. Die notwendige Dramatik wird dabei keineswegs außer Acht gelassen. Doch so kalt der Plot und die Atmosphäre rund um Mailand auch sein mögen: Dallamano gelingt es eindrucksvoll das ermittelnde Dreiergespann um Giovanna Ralli, Claudio Casinelli und Mario Adorf als hell erleuchteten Gegenpol zu den tragischen Ereignissen im Schulmädchenmilieu, sowie den erbarmungslosen Hinrichtungen vonseiten des titelgebenden Phantoms einzuordnen und die Handlung, um sie herum zu zentralisieren. Ralli und Cassinelli erledigen ihren Part dabei routiniert wie eh und je, aber es ist Mario Adorf, der aus dem Trio heraussticht und die schauspielerischen Großmomente vom Rand aus unfreiwillig an sich zu reißen vermag. Ähnlich präsent ist der hier vorliegende Soundtrack von Komponistenlegende Stelvio Cipriani, der das Geschehen vehement vorantreibt, ebenfalls das Handlungsgerüst in etlichen Passagen verdunkelt und überhaupt zu eine der bekanntesten Musiken des italienischen Genrefilms vergangener Tage zählen dürfte. Es ist allerdings auch der intensiven Erzählweise Dallamanons geschuldet, dass man diesen Film nicht so schnell vergessen wird, denn das anstößige Thema – in ähnlichen Formen aus heutiger Sicht immer noch präsent – versteht zu fesseln und erschüttern zugleich. Dass Dallamano gerade bei diesem schwierigen Drahtseilakt das preschende Tempo öfters reduziert, stärkt den Aufbau ungemein und lässt »La polizia chiede aiuto« in seiner Gesamtheit betrachtet als einen der besten italienischen Thriller der Siebzigerjahre glänzen, der obendrauf auch keine Seitenhiebe in Richtung Politik und System scheut.

Starkes und dramatisches Thriller- und Drama-Kino. Der Spagat zwischen Thriller, Unterhaltung und dem schwierigen Thema Kinderprostitution gelingt sehr gut und die Bildqualität ist ausgezeichnet.

18:00 Uhr. Jetzt haben wir tatsächlich drei Stunden Zeit bis zur nächsten Vorstellung. Ich bin einigermaßen früh dran und schaffe es tatsächlich, einen Sitzplatz im fränkischen Bierlokal zu bekommen; ein freundlicher älterer Herr gewährt mir an seinem Stammtisch zwischen alten Kupferbraukesseln Asyl, da sich seine Bekannten verspäten. Die Käsespätzle schmecken, das selbst gebraute Bier noch besser.

21:15 Uhr: TENEBRAE - Unter den Augen des Mörders

(Sotto gli occhi dell'assassino)
Italien 1982 | 96 Min. | deutsche Fassung | 35mm (1:1,85)

Regie: Dario Argento
Darsteller: Anthony Franciosa, Christian Borromeo, Mirella D'Angelo, John Steiner, Lara Wendel, John Saxon, Daria Nicolodi, Giuliano Gemma
Drehbuch: Dario Argento
Kamera: Luciano Tovoli
Musik: Simonetti-Morante-Pignatelli

In Rom will der Autor Peter Neal sein neues Buch vorstellen. Sein Besuch wird jedoch von einem grausamen Mord überschattet. Das Opfer, eine junge Frau, wird mit durchtrennter Kehle und zerknüllten Seiten von Neals Roman im Mund gefunden. Die Polizei sucht nach einem Zusammenhang mit dem beliebten Autor, dieser hält das Ganze noch für einen Zufall. Doch als es zu neuen Opfern kommt und er selbst in den Fokus des irren Killers rückt, ändert sich seine Einstellung. Zusammen mit seiner Assistentin versucht er, dem tödlichen Treiben auf die Spur zu kommen und gerät dabei sehr schnell selbst in erhebliche Gefahr. Nachdem sich Dario Argento in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre von seinen gialloesken Wurzeln löste und mit „Suspiria“ und „Inferno“ auf den Pfaden des Horrorkinos wandelte, erwartete das Kinopublikum von „Unter den Augen des Mörders“ eigentlich den Abschluss der „Mütter-Trilogie“. Doch diese Erwartungshaltung wurde von einem kräftigen Axthieb niedergeschmettert, denn an die Stelle von Hexenkult und Gothic Horror traten die Ingredienzien eines Giallo-Thrillers. Einhergehend wich die antinaturalistische Farbgebung, die einen großen Anteil der gigantischen Atmosphäre (die „Suspiria“ und „Inferno“ transportieren) ausmacht, einer High-Key-Fotografie, welche die Farbe Weiß mit einer Allgegenwärtigkeit ausstattet, die die restliche Farbpalette nach allen Regeln der Filmkunst dominiert. Trotz der enormen Divergenzen ließ es sich Argento nicht nehmen, „Unter den Augen des Mörders“ mit einigen Verweisen (New York, Rom, Buch, Feuer etc.) in Richtung „Inferno“ auszustatten. Diese Momente lassen sich als geschickte Täuschungsmanöver entschlüsseln, welche die Betrachter auf manch falsche Fährte locken. Denn die angeblichen Spuren zur „Mütter-Trilogie“ verirren sich in einer Sackgasse, an dessen Ende ein Spiegel installiert ist, der dem Publikum seine Manipulierbarkeit entlarvend vor Augen führt. Der Zuschauer erliegt einer Fremdbestimmung, die ihn obendrein durch ein Rom leitet, welches die Präsentation antiker Bauwerke gänzlich ausklammert, sodass er inmitten von futuristisch wirkender Architektur wandelt. Eskortiert von einer extremen Helligkeit, die als gleichberechtigter Partner der Farbe Weiß agiert und den Betrachter zu der Frage bewegt, warum ein derart Licht-geflutetes Filmwerk ausgerechnet auf den Namen „Unter den Augen des Mörders“ getauft wurde? Wer nun dem unerträglichen Drang erliegt, dieses Rätsel dechiffrieren zu müssen, der sollte vorweg die Logik an der Kleidergarderobe ablegen! Also genießt Dario Argentos audiovisuelles Glanzstück, und freut euch auf den finalen Moment, in dem der Mörder wie ein Schachtelteufel aus der Box springt, denn wer kann schon von sich behaupten, dem „Tenebre-Killer“ innerhalb eines 35mm-Lichtspiels begegnet zu sein?

Gezeigt wird die deutsche Original-Kinofassung aus der Erstaufführungszeit. Die ist zwar in überwiegend guter Bildqualität zu sehen, aber böse gekürzt. Der Mörder geht zunächst mit dem Stil-prägenden Rasiermesser im schwarzen Lederhandschuh um und wechselt später zur Axt. Die Morde sind hier sehr grob und heftig und besonders in der Schlussphase ist eine Mordszene fast komplett gekürzt. Es ist nur der Ansatz eines Axthiebes zu sehen; woher dann die riesigen Blutspuren an der Wand kommen und wo die Leiche ist, bleibt uns hier verborgen und wirkt wie ein Anschlussfehler. Luciano Tovoli, der auch schon Argento´s SUSPIRIA-Original - einen der besten Horrorfilme aller Zeiten - mit leuchtenden Farben fotografierte, verzichtet hier auf märchenhafte Farbspiele und zeigt uns sogar nächtliche Park- und Gartenszenen in strahlendend-hellem und Stadion-tauglichen Flutlicht.

23:15 Uhr: Die Grotte der vergessenen Leichen

(La notte che Evelyn uscì dalla tomba)
Italien 1971 | 96 Min. | deutsche Fassung | 35mm (1:2,35)

Regie: Emilio Miraglia
Darsteller: Anthony Steffen, Marina Malfatti, Erika Blanc, Giacomo Rossi Stuart, Enzo Tarascio, Umberto Raho
Drehbuch: Fabio Pittorru, Massimo Felisatti, Emilio Miraglia
Kamera: Gastone Di Giovanni
Musik: Bruno Nicolai

Seit dem Tod seiner Frau Evelyn kämpft der wohlhabende Lord Alan Cunningham (Anthony Steffen) mit psychischen Auffälligkeiten. Er steht dermaßen unter dem Zwang seiner verstorbenen Gattin, dass er sich Prostituierte aussucht, die Evelyn ähnlich sehen, um sie schließlich in der Folterkammer seines halb verfallenen Schlosses sadistisch zu quälen, was auch Susie (Erika Blanc) schmerzhaft erfahren muss. Doch befreien kann er sich mit diesen Maßnahmen nicht von ihr, ganz im Gegenteil. So rät ihm sein Psychiater Dr. Timberlane (Giacomo Rossi Stuart) wieder zu heiraten. Auf einer Party lernt er die attraktive Gladys (Marina Malfatti) kennen, die er innerhalb von kürzester Zeit heiratet. Doch das Glück ist nur von kurzer Dauer, da sich unheimliche Dinge im Schloss ereignen, denn Evelyn ist bereits mehrmals erschienen und Alan droht endgültig den Verstand zu verlieren. So beschließt Gladys die Familiengruft aufzusuchen und macht eine entsetzliche Entdeckung. Der Sarg ist leer und seitdem geschehen bestialische Morde. Ist Eyelyn tatsächlich aus dem Grab gestiegen..? (Prisma) Mit „Die Grotte der vergessenen Leichen“ erwartet den Zuschauer ein ganz besonderer Giallo. Der Hauptprotagonist Lord Cunningham ist ein Frauenmörder. Doch obwohl es zu Anfang so aussieht, als ginge es um seine Taten, wechselt die Szenerie zu einem behandschuhten unbekannten Killer, der Lord Cunningham anscheinend in den finalen Wahnsinn treiben will. Geht es um Rache, um eine Erbschaft oder ist es gar doch der irre Lord selbst? Unwichtig, denn „Die Grotte der vergessenen Leichen“ bietet ein fast schon einmalig interessantes Wechselbad zwischen Sleaze, Spannung, Mord und mal verklärt, dann wieder schonungslos nackt fotografierten Bildern. Ein herausragender Soundtrack von Bruno Nicolai untermalt diese Mischung aus Giallo und Horror, und Hauptdarsteller Anthony Steffen sorgt mit seiner Gesichtsmimik gar für ein paar wohlwollende Lacher - bis am Ende alles in einem Inferno menschlicher Abgründe blutig untergeht. Viel Spaß mit einer hochkarätigen Besetzung in Form von Anthony Steffen, Marina Malfatti, Erika Blanc, Giacomo Rossi Stuart und Umberto Raho in „Die Grotte der vergessenen Leichen“. Die deutsche Kinofassung bietet eine leicht alternative Schnittfassung gegenüber der italienischen Originalfassung, ist aber deutlich länger als beispielsweise die US R-Rated-Fassung.

Der Film ist nicht besonders glaubwürdig und nicht überzeugend gespielt. Optik, Ausstattung und Filmmusik können aber überzeugen und der Film macht Spaß. Weder die im Titel angegebene Grotte noch lebende Leichen gibt es. Es ist ein Psychothriller, in dem der psychisch labile Schloßbesitzer in den Wahnsinn getrieben und um sein Vermögen gebracht werden soll.

Vor einer dieser Vorstellungen werden BLUE-RAYs verlost. Ein Anbieter, der Filme dieser Stilrichtung neu veröffentlicht, sponsert das Kino bzw. die Italo-Festivals und stiftet DVDs und BLUE RAYs zur Verlosung. Ich gewinne eine BLUE RAY von DAS SYNDIKAT aus den 70er Jahren mit Enrico Maria Salerno, Mario Adorf und – kein Scherz – Jürgen Drews.

1:00 Uhr. Bettwärts dann. Leider ist es auf der Straße wieder so laut, dass ich nicht einschlafen kann. Sogar durch das geschlossene Fenster ist der Radau zu hören. Kein Horrorfilm und kein Gewaltfilm kann solche Gewaltphantasien verursachen wie diese Ruhestörung. Erst nach 5:00 Uhr wird es ruhig genug, um schlafen zu können.

Sonntag, 25.11.2018

10:00 Uhr: Suspiria

Italien/USA, 152 Min., deutsche Fassung, digital, R.: Luca Guadagnino, D.: Dakota Johnson, Tilda Swinton, Mia Goth sowie Angela Winkler und Ingrid Caven

Die junge Amerikanerin Susie Bannion (Dakota Johnson) kommt 1977 zum renommierten Markos Tanzensemble nach Berlin. Während Susie unter der revolutionären künstlerischen Leiterin Madame Blanc (Tilda Swinton) außergewöhnliche Fortschritte macht, freundet sie sich mit der Tänzerin Sara (Mia Goth) an. Als Patricia (Chloë Grace Moretz), ebenfalls Mitglied des Ensembles, unter mysteriösen Umständen verschwindet, kommt der Psychotherapeut der jungen Tanzschülerin, Dr. Josef Klemperer (Lutz Ebersdorf), einem dunklen Geheimnis auf die Spur. Auch Susie und Sara ahnen, dass sich hinter der Fassade von Madame Blanc und ihrer Tanzschule unbarmherzige Hexen verbergen. Mit „SUSPIRIA“ ist Luca Guadagnino („CALL ME BY YOUR NAME“) ein brillantes Remake von Dario Argentos Klassiker gelungen. Mit einer exzellenten Besetzung und in unvergesslichen Bildern hat der Oscar®-nominierte Regisseur ein fesselndes Meisterwerk geschaffen, das einem sensationell den Atem raubt.

Eine Neuverfilmung von Argento´s SUSPIRIA. Skepsis war angebracht.
Es ist aber keine einfache Neuverfilmung sondern eine Weiterentwicklung des Stoffes, dem die ursprüngliche SUSSPIRIA-Geschichte lediglich als Inspiration dient.
Die Geschichte spielt diesmal nicht in der Münchner Umgebung sondern im West-Berlin der 70er Jahre. Deutschland befindet sich im mentalen Herbst der Nachkriegszeit und des Rote-Armee-Fraktion-Terrors und der politischen, territorialen und gesellschaftlichen Teilung. Die Tanzakademie befindet direkt neben der Berliner Mauer. Die Eingangshalle bietet eine Ausstattung in blassem pastell- und türkisfarbenem Marmor und erinnert optisch an die farbintensive Ausstattung von Argento´s SUSPIRIA und INFERNO. Sonst überwiegen Grau- und Brauntöne.
Mit Tilda Swinton (in einer Mehrfachrolle) Angela Winkler (Mutter Matzerath in der BLECHTROMMEL) und Fassbinder-Ikone Ingrid Caven ist der Film eindrucksvoll besetzt und dem Original-SUSPIRIA schauspielerisch eindeutig überlegen. Insbesondere Angela Winkler adelt den Film. Sie tritt kaum noch vor der Kamera auf sondern arbeitet überwiegend am Theater. Wen und was soll sie auch im Kino spielen – Schweighöfers Schwiegermutter … Sie spielt die Tanzlehrerin Tanner; im Original spielte sie die italienische Schauspiel-Ikone Alida Valli (DER DRITTE MANN), die damals ebenfalss den Film schauspielerisch adelte.
Tanz spielt eine wesentlich größere Rolle als bei Argento. Auch der Horror spielt eine bedeutende Rolle. In einer unglaublichen Szene wird eine Tänzerin durch die Tanzbewegungen der jungen Susan getötet, in dem der Körper durch eine Art Telekinise zerstört wird. Die Szene ist absoluter Körperhorror und sehr verstörend. Zum Abschluss sehen wir die Körper von gegnerischen Hexen regelrecht explodieren.
Männer spielen interessanterweise gar keine bzw. eine minimale Rolle. Nur zwei Polizisten, die in der Tanzakademie nachforschen, werden mit einem Manipulationszauber unschädlich gemacht. Sogar der alte Psychotherapeut – die einzige tragende männliche Figur – wird von Tilda Swinton gespielt, die auch die Hexenmutter Helena Marcos unter Pseudonym spielt. Und ich bin mir nicht sicher, ob auch eine weitere Hexe, die sich mit einem Stich in den Hals selbst tötet, von Tilda Swinton gespielt wird.
Insgesamt überraschend gut. Verstörend, rätselhaft, sehr sehenswert.

Dazu: "Hexenkult im Heißen Herbst" - Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger über SUSPIRIA, Original und Neuverfilmung im Vergleich. Deutschlandradio, mp3

13:00 Uhr: Exzess – Mord im schwarzen Cadillac

(Femmine insaziabili)
Italien/Deutschland 1969 | 93 Min. | deutsche Fassung | 35mm (1:1,85)

Regie: Alberto De Martino
Darsteller: Robert Hoffmann, Dorothy Malone, Luciana Paluzzi, Frank Wolff, John Ireland, Nicoletta Machiavelli, Ini Assmann, Rainer Basedow, Roger Fritz, Romina Power
Drehbuch: Alberto De Martino, Vincenzo Mannino, Lianella Carell, Carlo Romano
Kamera: Sergio D'Offizi
Musik: Bruno Nicolai

Der Journalist Paolo Sartori (Robert Hoffmann) liegt angezogen und verkatert auf seinem Bett, als plötzlich zwei Männer in sein Appartement in Los Angeles eindringen. Sie halten sich nicht lang mit Reden auf, sondern versuchen aus ihm heraus zu prügeln, wo sich „Lambert, the Smile“ befindet. Sartori ahnt nicht, dass damit sein alter Freund aus Italien, Giulio Lamberti (Roger Fritz), gemeint ist, den er schon seit Jahren nicht mehr gesehen hat, der aber plötzlich auf seiner Terrasse steht, nachdem die beiden Schläger wieder verschwunden sind. Lamberti, mit dem er sich früher auch politisch engagiert hatte, bleibt nur einen Moment, will ihn aber kurzfristig wieder treffen, um ihn über die Hintergründe seiner Situation zu informieren. Stoff für eine gute Story, wie Sartori seinem Chefredakteur Salinger (John Ireland) am nächsten Morgen mitteilt, der ihm die Bezeichnung „Lambert, the Smile“ erklärt. Lamberti ist das Werbegesicht eines mächtigen Chemie-Konzerns, auf dessen Plakaten er immer mit einem Lächeln zu sehen ist. Doch das dabei eine Titel-Story herauskommt, glaubt er nicht - bis Sartori, als er seinen Freund aufsuchen will, erfährt, dass er bei einem Unfall ums Leben gekommen ist… (Udo Rotenberg)
„Mord im schwarzen Cadillac“ entstand im Winter 1968/69 unter der Regie des verdienstvollen Genrefilm-Regisseurs Alberto De Martino und wurde in unseren Breitengraden erstmals am 14. August 1970 aufgeführt. Dabei handelt es sich um eine irrwitzige Giallo-Inszenierung, die zwar keinen vermummten, handschuhtragenden und mit hochglanzpoliertem Schneidewerk bewaffneten Täter vorweisen kann, dafür aber mit ganz anderen Qualitäten auftrumpft, die wiederum einen genregerechten Hochgenuss garantieren. Beeinflusst vom amerikanischen Noir-Kino vergangener Tage, schuf Alberto De Martino einen zeitgenössischen Kriminalfilm, der zudem die damaligen Grenzen vorzeigbarer Nacktheit auslotete; denn was der Regisseur in der Originalfassung des Films zeigt, dürfte einigen Moralhütern schwer auf den Magen geschlagen haben. Leider wurden diese expliziten Szenen weltweit in zahlreichen Schnittfassungen entschärft, worunter zwar auch die deutsche Kinofassung fiel, die aber nichtsdestotrotz immer noch ein hoch vergnügsames Filmerlebnis bereiten dürfte, zumal es sich bei der deutschen 35mm-Kopie um eine absolute Seltenheit handelt. Eine weitere Stärke dieses außergewöhnlichen Kriminalfilms resultiert aus dem bunt zusammengewürfelten Haufen an gut aufgelegten Schauspielern, von denen der Österreicher Robert Hoffmann die Rolle des hartnäckigen Journalisten verkörpern darf, den während seines investigativen Ermittlungsfeldzugs eine böse Überraschung nach der anderen erwartet. Ihm gegenüber steht der deutsche Schauspieler, Filmemacher und Fotograf Roger Fritz, der seinen Rollencharakter Dieter Lambert ebenfalls mit Bravour darstellt. Dabei entpuppt sich der Dressmann als ein Charakterschwein erster Güte, das dann nicht nur die Haupteignerin Vanessa Brighton (Dorothy Malone) eiskalt mit deren Tochter betrügt oder den Aktionär Frank Donovan (Frank Wolff) mit dessen Lasterhaftigkeiten erpresst, sondern auch noch dessen naive Sekretärin (Luciana Paluzzi) aufs Übelste vorführt. Die Tochter von Vanessa Brighton, Gloria, wird von der damals gerade erst siebzehnjährigen Romina Power verkörpert, wobei ihr hippiehafter Rollencharakter rein vom Äußerlichen her sehr stark an ihre Rolle aus dem italienisch-spanisch co-produzierten Giallo „Trumpet of the Apocalypse“ (I caldi amori di una minorenne) erinnert, der überraschenderweise gerade mal acht Tage nach „Mord im schwarzen Cadillac“ in den italienischen Kinos startete. Neben den US-amerikanischen Schauspielstars Dorothy Malone und John Ireland darf dann auch noch die deutsche Darstellerriege mit Ini Assmann, Rosemarie Lindt und Rainer Basedow ihr Können in kleineren Nebenrollen unter Beweis stellen. Wobei die energiegeladene Darbietung des Letztgenannten gerne ein wenig zeitintensiver hätte ausfallen können, denn Rainer mimt einen der beiden üblen Schlägertypen, der mit seiner unnachahmlichen Stimme kein Blatt vor den Mund nimmt. Abschließend gilt noch festzuhalten, dass jeder der beteiligten Charaktere ordentlich Dreck am Stecken hat, denn reine Westen sind in Alberto De Martinos Glanzstück sehr rar gesäht. Untermalt wird das abgründige Treiben von einer sensationellen Filmmusik, die der Soundtrackschmiede Bruno Nicolais entstammt. Bleibt jetzt nur noch zu fragen: Are you ready for the "exzess"?

Ganz nett anzuschauen, aber insgesamt nicht sehr sehenswert. Handlung und Spielorte in Kalifornien sind nicht besonders attraktiv. Ich fand es immer schade, dass die Italiener - wie übrigens auch die deutschen Genrefilmer - ihre Handlungen immer in die USA oder nach England verlagern, anstatt ihre italienischen Schauplätze und ihre reiche Geschichte in den Mittelpunkt zu stellen.

15:00 Uhr: Die Nacht der rollenden Köpfe

(Passi di danza su una lama di rasoio)
Italien/Spanien 1973 | 84 Min. | deutsche Fassung | 35mm (1:1,66)

Regie: Maurizio Pradeaux
Darsteller: Robert Hoffmann, Nieves Navarro, George Martin, Anuska Borova, Serafino Profumo, Simón Andreu, Anna Liberati, Rosita Torosh
Drehbuch: Alfonso Balcázar, Arpad DeRiso, George Martin, Maurizio Pradeaux
Kamera: Jaime Deu Casas
Musik: Roberto Pregadio

Ketty beobachtet zufällig durch ein Touristenfernrohr einen Mord an einer jungen Frau, das Gesicht des Mörders hat sie allerdings nicht gesehen. Weder ihr Freund Alberto noch die Polizei glauben ihr anfangs, aber dann wird tatsächlich die Leiche in der von ihr beschriebenen Wohnung gefunden. Ein Maronenverkäufer der den Mörder gesehen hat stirbt, genauso wie eine alte Frau die ihr Wissen um die Identität des Mörders an die Presse verkaufen möchte. Und da niemand weiß, dass Ketty den Mörder nicht erkannt hat, gerät auch sie in das Visier des Unholds. Könnte es ihr Verlobter Alberto sein, der gerne Messer in Stoffpuppen rammt? Oder die junge Journalistin Lydia, die für eine Schlagzeile und ihre Karriere absolut alles machen würde? Oder der Musiker Marco, der ein Tanzstück über Bildern von zerstückelten Puppen machen möchte? Oder Silvia, die allem Anschein nach alles und jeden hasst? (Maulwurf) "Die Nacht der rollenden Köpfe" wurde im Februar 1974 in die bundesdeutschen Kinos gebracht - übrigens durch den Jugendfilm-Verleih - um Anfang der 80er Jahre auf die Liste der jugendgefährdenden Medien gesetzt zu werden, wo er auch fünfundzwanzig Jahre verweilen musste. Die Wahl des deutschen Titels erscheint wie eine Allianz aus Kalkül und Wohlklang, immerhin lässt sich eine deutliche Anlehnung an gängige Formate und laufende Serien herausfiltern. Außerdem wirkt das Ganze bereits im Vorfeld äußerst verlockend. Entstanden in der Blütezeit des Giallo und in einem allgemein sehr produktiven Filmjahr, setzt der eher sporadisch in Erscheinung getretene Regisseur Maurizio Pradeaux auf die typischen Markenzeichen des gelben Films, um schließlich ein Ergebnis abzuliefern, das zwar einen vorgefertigten Weg ohne Risiken oder bedeutende Neuerungen einschlägt. Beim Stammpublikum weiß es aber umso besser anzukommen, da es sich an gängigen Sehgewohnheiten und dem beliebten Spannungskino orientiert. Obwohl gleich zu Beginn der Zufall bemüht wird, kommt es unter strikter Berücksichtigung bestehender Gesetze des Giallo zu einem bemerkenswert klaren Aufbau und fließenden Übergängen, die alle klassischen Attribute des Genres auf einem Silbertablett servieren. Es darf mysteriös, blutrünstig und atmosphärisch werden, aber vor allem spannend und ein Spritzer schwarzer Humor lockert das Geschehen obendrein noch effektiv auf. Die Charaktere sind erneut in Fraktionen aufgeteilt. Auf der einen Seite stehen die Sympathieträger und die Opfer ihres eigenen Pokerspiels, welche die Tanzschritte auf der Rasierklinge gut choreografieren. Auf der anderen Seite plustern sich hingegen krude und störrische Gestalten auf, die nicht nur Verwirrung stiften, sondern tatkräftig an einem angemessenen Whodunit-Effekt mitarbeiten. Wenn sich die nicht immer vorhandene Nacht dem Ende zuneigt und im übertragenen Sinn genügend Köpfe gerollt sind, darf man auf einen kurzweiligen Vertreter der Zunft blicken, der seinen Auftrag locker erfüllen kann.

Der deutsche Untertitel "Ein böser Film" sowie Teile der deutschen Synchronisation sorgen für große Heiterkeit im Publikum. Aber der Film ist wirklich richtig gut. Spannend erzählt und klug entwickelt und mit einer Auflösung, die nicht zu erwarten ist, kann der Film in jeder Beziehung überzeugen. Das Rasiermesser in der Hand mit dem schwarzen Lederhandschuh und die spezielle Wiskeysorte mit dem gelb-grünen Etikett dürfen nicht fehlen - als ob die Italiener keine eigenen Spirituosen hätten. Ich sah DIE NACHT DER ROLLENDEN KÖPFE in den 80er Jahren als DVD und habe ihn mittlerweile als DVD in guter Qualität.

17:00 Uhr: Der Todesengel

(La vittima designata)
Italien 1971 | 100 Min. | deutsche Fassung | 35mm (1:2,35)

Regie: Maurizio Lucidi
Darsteller: Tomas Milian, Pierre Clémenti, Katia Christine, Luigi Casellato, Ottavio Alessi, Marisa Bartoli, Alessandra Cardini, Enzo Tarascio
Drehbuch: Fulvio Gicca Palli, Augusto Caminito, Aldo Lado, Maurizio Lucidi, Antonio Troiso
Kamera: Aldo Tonti
Musik: Luis Bacalov

Der mit der reichen Luisa unglücklich verheiratete Grafiker Stefano Augenti lernt bei einem Venedig-Aufenthalt mit seiner Langzeit-Affäre den exzentrischen Graf Matteo Tiepolo kennen. Letzterer versucht, die Freundschaft Stefanos zu erlangen und ihn zu einem perfekten Verbrechen zu überreden - Stefano soll Matteos verhassten Bruder ermorden, im Gegenzug tötet der Graf Stefanos Frau. Als Stefano sich nicht so recht für den ihm unterbreiteten Pakt begeistern kann, wird er mithilfe eines perfiden Plans dazu genötigt... (Schattenlichter)
Gialli, wie man das Genre landläufig kennt: altbekannte Komponenten sind Rasierklingenmorde, schwarz behandschuhte Killer und eine so verrückte Story, dass diese gut und gerne einem Fiebertraum entsprungen sein könnte. Doch das alles gilt nicht für „Der Todesengel“. Bei diesem Thriller des Regisseurs Maurizio Lucidi handelt es sich nach Alfred Hitchcocks "Der Fremde im Zug" um die zweite Verfilmung eines Romans der Autorin Patricia Highsmith. Während die Credits noch über die Leinwand flackern und Stefanos Geliebte sich vor seiner imaginären Kamera räkelt, erhält man einen ersten Eindruck, wie stilsicher der Film fotografiert wurde. Mit viel Gespür für Ästhetik wurden die Drehorte (vor allem Mailand, Venedig und der Comer See) von niemand Geringerem als Luciano Tonti, der später ebenfalls für „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ als Kameramann fungierte, auf Zelluloid gebannt. Des Weiteren begeistert der Film durch die intelligent aufgebaute Geschichte, der eine nicht zu verleugnende düster-romantische Poesie innewohnt. Sie handelt im Wesentlichen von der tragischen schicksalhaften Verstrickung zweier verlorener Seelen und den zwischen neugierigem Interesse und Hass-liebe pendelnden Emotionen Stefanos (Tomas Milian) und Matteos (Pierre Clémenti). Tiepolo eröffnet ein intrigantes und grausames Psychospiel, das an Intensität und Spannung kaum zu überbieten ist. Milian und Cleménti, beide großartige Charakterdarsteller, ergänzen einander und konkurrieren zur selben Zeit auf darstellerischer Ebene. "Always searching, never finding, my shadow in the dark..." intoniert Tomas Milian selbst trübsinnig zu den Klängen der Prog Rock Band „New Trolls“. Es gibt keinen Song, der besser zu den Bildern des nebelverhangenen, mysteriösen Venedigs und dem Schicksal der beiden ungleichen Männer passen würde. Wer Venedig liebt und sich für gut inszenierte psychologische Geschichten begeistern kann, darf sich von "Der Todesengel" mitnehmen lassen auf den desaströsen Trip zwischen der geheimnisumwitterten Welt des Grafen Tiepolo (Venedig) und dem von der bitteren Realität gefärbten Mailand Stefanos.

Stark geschrieben, erzählt und gespielt. Allerdings neigt Pierre Clementi als exzentrischer Graf mit Mordambitionen und Todessehnsucht etwas zur Übertreibung. Die Bildqualität ist überwiegend gut. Die Schauplätze und besonders Venedig kommen sehr gut zur Geltung. Aber hier gibt es zahlreiche reparierte Filmrisse, denen auch Dialogpassagen zum Opfer fielen, und es ist eine Dialogszene gekürzt, die für das Verständnis der Handlung nicht unwichtig ist. Der Film wurde in der Vergangenheit brutal misshandelt und / oder sehr schlecht gelagert. Hier werden das Engagement und der Ehrgeiz der Kinobetreiber besonders deutlich. Denn so etwas fällt nur auf, wenn jede Filmrolle genau inspiziert und auf Materialfehler und Lücken geprüft wird. Vom Rechteinhaber der bevorstehenden DVD-Neuveröffentlichung bekommen sie den Film digital zur Verfügung gestellt und unterbrechen die 35mm-Vorführung, um die Szene digital zu zeigen und dann auf 35mm fortzusetzen. Das ist schon Filmarchäologie.

19:00 Uhr. Essenszeit.

In zwei Brauereilokalen ist wieder alles besetzt oder reserviert und ich kann kein fränkisches Bier mit Leckereien genießen. Also gehe ich zu einem Inder direkt neben dem Gebäude, in dem auch die Kinos sind und bei dem mein Deckel teurer sein wird als der Eintritt für alle Filme zusammen. Es dauert hier etwas länger und schmeckt ausgezeichnet. Die Portion des Hauptgerichtes ist so groß, dass ich Reis übrig lassen muss, um mich nicht zu überfressen. Ich habe als einzelner Gast genau so viel Reis in der Schüssel wie ein Männertrio und ein Damendoppel an den Nachbartischen. Am übernächsten Tisch geht ein Gast ziemlich übel mit dem Kellner um, den er duzt und beleidigt. Ich meine, den Gast vom Fernsehen her zu kennen. Es könnte ein ehemals teil-prominenter Musiker sein, der inzwischen als Jurymitglied oder Pate oder sonstwas durch die Musik-Casting-Shows lümmelt. Aber ich weiß es nicht. Der Kellner erträgt die Anfeindungen mit Geduld und bekommt hinterher nicht einmal Trinkgeld. Die beiden Frauen am Tisch neben mir reden während ihres Aufenthaltes vielleicht fünf Sätze miteinander, die ausschließlich von ihren Postings in asozialen Netzwerken und die Antworten Anderer dazu handeln. Als das Essen kommt, fotografieren sie sich gegenseitig beim Essen und stellen die Ergebnisse mit Kommentaren online. Zwischenzeitlich gehen beide nacheinander auf Toilette und nehmen ihre Mobiltelefone mit. Ob und in welcher Form die Ergebnisse des jeweiligen Verdauungsendprozesses ebenfalls online dokumentiert werden, weiß ich nicht. Zurück am Esstisch tippen Beide munter weiter auf ihren Mobiltelefonen und essen dabei mit den Fingern Nan (indisches Fladenbrot, sehr lecker). Die Telefone, die kurz davor vielleicht auf diversen Tiolettenkacheln zwischengelagert waren, sind wahrscheinlich mit so vielen Kolibakterien kontaminiert, dass sie jetzt auch unter die Klobrille greifen könnten, bevor sie Brot essen. Guten Appetit.

21:00 Uhr. Ich hoffe, endlich mein Schlafdefizit ausgleichen zu können. Festivalbesucher und Kinobetreiber meinten, der gemeine Nürnberger feiere gerne am Wochenende und in der Woche sei Ruh´ und der Sonntag gehöre schon zur Woche und da sei Ruh´. Ganz recht haben sie leider nicht, denn es gibt immer noch mehrere und längere Ruhestörungen, die ich durch das geschlossene Fenster höre, wodurch ich mehrfach aus dem Tiefschlaf aufwache. Um 3:00 Uhr ist längere Zeit nicht an Schlaf zu denken und ich packe mein Köfferchen. Bis um 7:00 kann ich danach noch etwas schlafen.

Montag, 26. November

Halb-8 Frühstück. 9:00 Uhr Auschecken. Kurz nach 10:00 fährt der Nahverkehrszug ab. Am gegenüberliegenden Gleis fährt ein Nahverkehrszug nach Hof, wo ich oft bei den dortigen Filmtagen war. Keine besonderen Vorkommnisse. Zwischen 15:00 und 16:00 Uhr komme ich zu Hause an und hole Schlaf nach.

Dienstag, 27. November: Bonusmaterial

Am Abend des anstrengenden Arbeitstages schaue ich mir die BLUE RAY von „DAS SYNDIKAT“ an. Stark und empfehlenswert. Neben dem Italiener Enrico Maria Salerno als Kommissar und Mario Adorf als Staatsanwalt wurde den Machern von den deutschen Co-Produzenten Schlagersänger Jürgen Drews untergejubelt und er spielt seine Rolle als Raubmörder und Entführer auf der Flucht erstaunlich gut und überzeugend.

Fazit

Ein großes Dankeschön geht an die Betreiber des Kommkinos. Es war ein anstrengendes aber sehr interessantes und gutes Festival. Nürnberg wird wieder eine Reise wert sein.

Inhaltsangaben und Plakatmotiv: Kommkino Nürnberg

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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