Mein Kinofavorit des Jahres 2015

Kinorückblick 2015 Mein persönlicher und subjektiver Lieblings-Kinofilm des Jahres 2015 kommt aus Österreich: „ICH SEH, ICH SEH“

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Neben manchen guten und viel schlechten Filmen, überwiegend aus Hollywood, aber auch unzumutbaren Kommödien aus dem filmischen Entwicklungsland Deutschland, neben Vollkasko-subventioniertem Baukastenkino Marke Schweiger und Schweighöfer, neben unzähligen Neuverfilmungen und Fortsetzungen ging in der deutschen Kinolandschaft der Geniestreich ICH SEH, ICH SEH fast unter.

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Zwei zehn oder elfjährige Zwillingsbrüder spielen im Freien. Lukas und Elias. Die Mutter kommt nach Hause und trägt einen Kopfverband. Was passiert war, ob es eine Schönheitsoperation oder die Folgen eines Unfalls waren, erfahren wir nicht. Die Jalousien und Rolläden werden herunter gelassen. Mutter braucht Ruhe und viel Schlaf und ist lichtempfindlich. Die herunter gelassenen Jalousien sorgen in Kombination mit der sterilen, modernen und kühlen Einrichtung des modernen Landhauses für eine unangenehme und eisige Stimmung.

Das Spiel der Jungs mit Kakerlaken im Einmachglas, einer lebenden und später toten Katze ist eklig und macht die Atmosphäre noch unangenehmer.

Wir ahnen schnell, dass mit den Jungs irgend etwas nicht stimmt, aber nicht was. Ihr Verhalten ist merkwürdig. Die Mutter scheint einen der Brüder zu diskriminieren und vermeidet das direkte Gespräch mit ihm, erwartet vom anderen Bruder, sich von ihm fern zu halten. In manchen Szenen sitzt der diskriminierte Bruder abseits.

Im weiteren Handlungsverlauf wird es immer gruseliger. Die unheimlichen Zwillinge sind mehr und mehr davon überzeugt, dass die Mutter in Wirklichkeit nicht ihre Mutter ist, und konfrontieren sie mit ihrem Verdacht. Der Film schlägt in ein Entführungsszenario um.

Mehr wird nicht verraten. Nur noch so viel. Die Auflösung ist so nicht ganz neu, aber hier sehr überraschend.

ICH SEH, ICH SEH lief nur kurz in deutschen Kinos. In Frankfurt zeigte ein kleines Programmkino mit 80 Plätzen den Film in einer einzigen Augustwoche in der Spätvorstellung. Ich wollte den Film sehen, schaffte es aber nicht und holte ihn kürzlich im Heimkino auf DVD nach.

Ich war verblüfft. Ich war so verblüfft, dass ich die DVD nur einen Tag später noch mal schaute. Das Drehbuch, die Entwicklung der Geschichte ist wirklich genial. Es wird wirklich kein Fehler gemacht. Es stimmt alles bis zum verblüffenden und gruseligen Schluss.

Susanne Wüst, die Darstellerin der Mutter, ist hier offensichtlich die einzige professionelle Schauspielerin. Sie spielte bisher am Theater, im Kino und im Fernsehen und wird demnächst ihr internationales Debüt unter der Regie von Gore Verbinski (FLUCH-DER-KARIBIK-Trilogie) haben. Die Zwillinge Lukas und Elias Schwarz sind in ihren Debutrollen zu sehen und machen ihre Sache erstaunlich gut.

Auch die sehr wenigen anderen Rollen – ein Tiefkühl-Lieferant, ein Pfarrer und sein Küster und zwei Spendensammler vom Roten Kreuz sind offensichtlich Laiendarsteller. Man sieht es, aber es funktioniert gut. Bei den Spendensammlern kann ich mir sogar vorstellen, dass sie echte Rot-Kreuz-Aktivisten sind, die für eine Spende ihre kleinen Laienrollen spielten. Technisch, optisch (35mm im Breitwandformat 1: 2,35!) und natürlich erzählerisch ist das Werk auf höchstem Niveau.

Fazit: großartig.

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Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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