Hoffnung verraucht

Klimapolitik Die globale ­Klimapolitik kriselt. Nun gerät mit dem Emissionshandel auch noch die einstige Wunderwaffe in Schwierigkeiten

Mit Andrew Steer möchte man hier in Barcelona nicht gern tauschen. Der Ökonom ist seit vergangenem Sommer Sonderbeauftragter der Weltbank für den Klimawandel. Das Amt hat ihm eine undankbare Aufgabe beschert. Steer muss dem Publikum der „CarbonExpo“, einer Messe rund um Treibhauszertifikate, eine unbequeme Wahrheit verkaufen: Der Emissionshandel, einst als Wundermittel gegen den Klimawandel angepriesen, steckt in der Krise.

1997 wurde der weltweite Basar für Verschmutzungsrechte eröffnet, seither ist er stetig gewachsen. Vor Steer sitzen bei der Messe vor allem Menschen, die auf diesem Markt ein kommerzielles Interesse verfolgen: Projektentwickler, Investmentbanker, internationale Anwaltskanzleien. Für sie lief es bisher gut. Bis zum vergangenen Jahr. Da schrumpfte das weltweite Handelsvolumen erstmals um 1,5 Prozent. Schlimmer noch: Der globale Kohlenstoffmarkt ist eigentlich gar keiner. 97 Prozent des Marktgeschehens spielten sich 2010 innerhalb des europäischen Emissionshandelssystems ab.

Verschwundene Schönheit

Das ist ein ziemlich harter Schlag für die CarbonExpo-Gemeinde, die zum Teil noch glaubt, mit den Emissionszertifikaten ganz neue finanzielle Hebel in Bewegung setzen zu können. Steer weiß um die Enttäuschung, möchte den Leuten Mut zusprechen: „Sehen Sie, meine Tochter ist dieser Tage elf Jahre alt geworden, und ein wenig verhält es sich hier wie beim Kohlenstoffmarkt. Die frühe Schönheit ist verschwunden, aber über kurz oder lang wird der Optimismus zurückkehren.“

Der Kohlenstoffmarkt in der Pubertät? Steer ist nicht alleine mit dieser Einschätzung. Keine geringere als die resolute Chefin des UN-Klimasekretariats, Christiana Figueres, fragte bereits provokant, ob der gerade noch gefeierte Handel vielleicht schon eine Strategie der Vergangenheit sei. Und das liegt nicht nur an den immer wieder bekannt gewordenen Betrugsfällen: Erst vor einigen Monaten waren zwei Millionen Emissionszertifikate gestohlen worden, die Europäische Kommission setzte den Handel daraufhin vorübergehend aus.

Keine Frage, der Kohlenstoffmarkt hat, um in Steers Bild zu bleiben, ein paar fiese Pickel bekommen. Und das ausgerechnet zu einer Zeit, in der die Zukunft des globalen Klimaregimes mehr denn je zur Disposition steht. Derzeit sieht es nicht gut aus für die Fortführung des Kyoto-Protokolls, dem bisher einzig verbindlichen globalen Regelwerk. Der Petersberger Klimadialog am vergangenen Wochenende blieb mal wieder ohne Ergebnis. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel hat deutliche Worte gefunden: „Der Fortschritt ist bisher eher eine Schnecke.“ Dabei wird die Zeit langsam knapp: „Ohne größeren Willen bei den politischen Fragen besteht die Gefahr eines Scheiterns auf dem Klimagipfel in Durban“, warnt die Umweltorganisation Germanwatch. Kommt bis zum nächsten Treffen in Südafrika im Dezember keine Einigung zustande, läuft das Kyoto-Protokoll aus – und die Klimapolitik kehrt wieder stärker auf nationale Pfade zurück.

Das wäre schlecht für die Umwelt. Aber auch schlecht für den globalen Emissionshandel. Figueres’ Vorgänger Yvo de Boer, der mittlerweile als Klimaexperte bei der Unternehmensberatung KPMG arbeitet, bringt diesen Umstand auf eine äußerst populäre Formel: „Die Politikgemeinde hat ganz einfach ihren Job nicht erledigt.“ Was er damit auch sagen will: Von Seiten der Privatwirtschaft ist doch schon für alles gesorgt. Wir haben die Instrumente, das Wissen, die Investoren. Nur die Gegenseite liefert nicht.

Jene, die sich auf der „CarbonExpo“ treffen, finden den Handel mit CO2-Zertifikaten gerade deshalb anziehend, weil er scheinbar wenig öffentliche Intervention erfordert. Der Staat legt lediglich eine Obergrenze für Emissionen fest und verteilt diese dann an die hiervon erfassten Anlagenbetreiber. Und in deren freiem Ermessen liegt es, ob der Ausstoß von Klimagasen aus eigener Kraft reduziert wird oder lieber Verschmutzungsrechte von anderen Unternehmen hinzugekauft werden sollen, für die ein verminderter Treibhausgasausstoß zu geringeren Kosten zu leisten wäre.

Dieser Glaube, man könne den Klimawandel auf eine Weise reduzieren, welche die geringsten Kosten verursacht und zudem noch neue Wachstumsmärkte erschließt, ist in Europa nicht zufällig zu Beginn des Jahrhunderts entstanden. Es war der Höhepunkt des „New-Economy-Hypes“ – und vielen erschien es selbstverständlich, dass sich sämtliche gesellschaftlichen Probleme über die Finanzmärkte lösen ließen. Das Platzen der Blasen hat viele eines Besseren belehrt. Nur auf der CarbonExpo hat sich der Glaube bis heute gehalten. „Nimm mich mit zu Deinem nächsten Marktmechanismus“, steht auf den fröhlichen Buttons der Emissionshandel-Lobbyisten von der „International Emissions Trading Association“, welche die Weltbank gemeinsam mit Andrew Steers organisiert. Oder: „Glücklich auf Märkten zu handeln“. Nicht wenige der Besucher haben sich die nostalgischen Buttons ans Revers geheftet. Ganz unironisch.

Doch hier in Barcelona haben sich nicht etwa ein paar übrig gebliebene Marktapologeten eingefunden. Unter den Besuchern sind auch die Co-Architekten eines Marktes, der noch immer die dominante Herangehensweise im Kampf gegen den Klimawandel darstellt – und dessen zentrale Rolle von der Politik durchaus gewollt war: Der Markt werde es schon richten.

Hoffnung China

Weder in den Ausführungsbestimmungen des Kyoto-Protokolls noch in der EU-Richtlinie zum Emissionshandel finden sich detaillierte Regelungen, wie die Kohlenstoffmärkte eigentlich funktionieren sollen. Im Laufe der Jahre entwickelte sich eine Infrastruktur, deren Stränge in den globalen Finanzzentren London und New York zusammenlaufen. Während staatliche Institutionen noch zu Beginn die unterschiedlichen „Währungen“ der jeweiligen Handelssysteme festlegten, sprangen später internationale Anwaltskanzleien wie Baker McKenzie ein und bündelten die neuen Eigentumsrechte zu komplexen Derivaten. Großbanken gründeten eigene Abteilungen für den Kohlenstoffmarkt. Barclays Capital und die Deutsche Bank stehen bereit, den Markt mit Liquidität zu versorgen und ihre Kunden gegen Preisschwankungen abzusichern. Ratingagenturen bieten ihre Dienste an. Der Markt hat sogar seinen eigenen Informationsdienst: Point Carbon.

Der gehört inzwischen zum Medienkonzern Thomson Reuters und hatte noch vor drei Jahren prognostiziert, dass bis 2020 drei Billionen Dollar auf dem Kohlenstoffmarkt in Umlauf sein würden. Damals hatte sich der globale Marktwert binnen eines Jahres verdoppelt. Es machte sich Goldgräberstimmung breit. Doch mit der ist es vorbei. Schon 2009 waren die Wachstumszahlen überschaubar. 2010 dann erstmals ein Rückgang. Und in diesem Jahr? Die Händler projizieren ihre Hoffnung nun ausgerechnet auf die Volksrepublik China, die im neuesten Fünfjahresplan kryptische Signale in Richtung Emissionshandel aussendet. So weit ist es schon gekommen.

Der Markt, der doch alles allein richten sollte, braucht die Politik. Ohne eine Inwertsetzung durch den Staat wäre Kohlenstoff keine Ware, CO2 hat keinen Gebrauchswert, befriedigt kein Bedürfnis. Hinzu kommt, dass der Emissionshandel, gelinde gesagt, ein Imageproblem hat. Bis heute steht der Beweis aus, dass er in der Europäischen Union zu einer Reduktion des Treibhausgasausstoßes führt. Allerdings konnten wegen der kostenlosen Zuteilung der Zertifikate die Energieerzeuger in der ersten Handelsperiode von 2005 bis 2007 alleine in Deutschland geschätzte 6 bis 8 Milliarden Euro einstreichen. Fragwürdige Projekte in Schwellenländern zur Verbrennung klimaintensiver Industriegase haben sich als Zertifikat- und damit Gelddruckmaschinen erwiesen.

Eine Steuer? Warum nicht

Und nun auch noch die Betrugsfälle. Manch einer hatte nach dem großen Krach im Herbst 2008 die Hoffnung geäußert, der Kohlenstoffmarkt könne den ramponierten Ruf des Finanzsektors aufbessern. Hier werde schließlich etwas Gutes getan. Doch es kam genau andersherum: Die Praktiken des großen Bruders Finanzmarkt wurden einfach kopiert. Mehrwertsteuerbetrügereien und groß angelegte Hacker-Attacken sind dabei nur die spektakulärsten Fälle des großen „Klimabetrugs“.

Und was sagt die CarbonExpo-Gemeinde? „An Bernie Madoff ist der freie Markt nicht zugrunde gegangen, und auch der Emissionshandel wird diese Betrugsfälle überstehen“, sagt Martin Lawless von der Deutschen Bank. Und auf der Messe in Barcelona steht die rhetorisch gemeinte Frage eines Moderators im Raum: „Was sollen wir denn sonst machen? Etwa eine Steuer einführen?“

Warum eigentlich nicht? Louis Redshaw von Barclays ist eine einflussreiche Stimme in der Debatte. Er rät dem Rest der Welt entschieden davon ab, den europäischen Emissionshandel zu kopieren. „Noch ein weiterer Schock“, wurde er im Frühjahr zitiert, „und es wird keinen Emissionshandel mehr geben. Wir werden eine CO2-Steuer einführen.“

Er ist nicht der einzige in der Businesswelt, der genug vom Emissionshandel hat und nun eine Steuer bevorzugt. Die Vorteile liegen auf der Hand: endlich langfristige Planungssicherheit für Investitionen, die tatsächlich auch kohlenstoffarme Innovationen anstoßen können; eine fiskalische Komponente, welche die Politik wieder mitreden ließe; und schließlich: weniger Ideologie.

Die Ära des Emissionshandels, sie könnte schon nach einem knappen Jahrzehnt langsam wieder zu Ende gehen. Schade für das Klima wäre es wohl nicht. Nur hat man wertvolle Zeit im Kampf gegen den Temperaturanstieg verloren.

Martin Bitter ist Politikwissenschaftler und lebt in Berlin

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