Aus dem Gleichgewicht gebloggt

Meinungsfreiheit Der DFB-Präsident fühlt sich von einem Sportjournalisten beleidigt und verliert darüber zwei Prozesse

DFB-Präsident Theo Zwanziger ist ein verdienstvoller Mann. Das ist nicht ironisch gemeint. Zum Beweis seien seine bedeutendsten Verdienste kurz aufgezählt. Er hat uns von seinem Vorgänger und zeitweiligen Mitpräsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder erlöst. Zwanziger setzt sich für eine Stärkung des Frauenfußballs ein. Er hat das Engagement des DFB gegen rechtsradikale Tendenzen verstärkt (auch wenn hier noch einiges an Arbeit für die Zukunft bleibt). Den Dialog mit Fangruppen, die in diesem Kampf Vorreiter sind, hat er intensiviert. Ebenso will er in glaubwürdiger Weise gegen die verbreitete Schwulenfeindlichkeit im Fußball vorgehen.

Das alles sind keine Kleinigkeiten, vor allem für einen, der vor seiner DFB-Karriere den linearen Lebenslauf eines rheinland-pfälzischen CDU-Juristen vorzuweisen hat. Ohne Scherz und Häme heißt das: Zwanziger ist ein Mann, der seine Fähigkeit zu interkulturellem Lernen unter Beweis gestellt hat.

Umso rätselhafter erscheint es, wa­rum und vor allem wie er in den letzten Wochen und Monaten gegen den Sportjournalisten Jens Weinreich zu Felde gezogen ist. Es begann mit einer recht normalen Meinungsverschiedenheit. Bei einer Veranstaltung, der Weinreich beiwohnte, regte sich Zwanziger über die Haltung des Bundeskartellamtes zur Vergabe der Fernsehrechte an der Fußball-Bundesliga auf. Weinreich bezeichnete ihn daraufhin in einem Beitrag für das kritische Fußball-Blog direkter-frei­stoss.de als "unglaublichen Demagogen". Zwanziger fühlte sich diffamiert, weil er sich dadurch mit den Nationalsozialisten auf eine Stufe gestellt sah. Wäre das die einzig gültige Definition des Begriffs Demagoge, Oskar Lafontaine könnte sich in deutschen Gerichtssälen einen Zweitwohnsitz nehmen. Warum regt sich Theo Zwanziger über den zweifellos polemischen Vorwurf also derart auf?

Vielleicht muss man sich das Leben eines DFB-Präsidenten ähnlich dem eines Feudalherren vorstellen. Er kann viel bewirken. Und weil einer wie Zwanziger das auch tut, und das auch öffentlich gelobt wird, schwindet womöglich das Verständnis, wenn er, der Modernisierer, dennoch weiterhin hart und polemisch kritisiert wird. Wie in vielen Feudalsystemen fehlen anscheinend die kritischen Berater, die ihm beratend zur Seite stehen. In zwei Instanzen vor Berliner Gerichten hat Zwanziger gegen Weinreich verloren. Im dritten Versuch wollte er es in Koblenz probieren. Das ist besonders peinlich deshalb, weil er dort selbst als Richter schon tätig gewesen ist, auch wenn es formal naturgemäß möglich ist, Internet-Verbrechen überall zur Anzeige zu bringen. Zwanziger und seine Berater haben damit aber einen gehörigen Image-Schaden produziert.

Statt den zu begrenzen, setzte ein alter Kämpe des Sportjournalismus wie DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach, der sein Handwerk beim Sport-Informationsdienst gelernt hat, sogar noch einen drauf. Er ließ nicht nur eine zweifelhafte Pressemitteilung es DFB zu dem Fall passieren, sondern verbreitete außerdem noch eine Email an Politiker und andere wichtige Multiplikatoren, mit der Weinreichs berufliche Existenz, würde das Schreiben von den Empfängern für bare Münze genommen, wohl Schaden nähme.

Man muss in diesem Fall nicht Partei für den "David" Weinreich nehmen, um zu rätseln, wie einem milliardenschweren und mediengestählten, normalerweise mit allen Fährnissen der Public Relations vertrauten Verband, den zudem Jürgen Klinsmann auseinandergenommen und durchreformiert haben soll, so schwere handwerkliche Fehler passieren können.

Im Blog, in dem alles begonnen hatte und das der Gießener Wissenschaftler Oliver Fritsch betreibt, der mittlerweile von traditionellen Medien als Fachautor gebucht wird, vermuten einige Diskutanten, dass den DFB-Profis die Öffentlichkeit, wie sie sich im Internet darstellt, irgendwie unheimlich sein könnte. Etwas selbst überschätzend ist von der "Verschiebung der tektonischen Platten" die Rede. Aber doch - genau so scheint man es beim DFB zu empfinden, schaut man auf die panische Überreaktion des Apparats.

Eine Erosion der Kräfteverhältnisse im Sportjournalismus gibt es tatsächlich. Und der eingefahrenen Pressestellenmechanik in Verbänden und Vereinen, die es unten nicht besser können und sich oben an ihren Millionenumsätzen weiden wollen, passt das gar nicht: Es hat sich ein "Sportnetzwerk" gebildet, das sich vom Verband der Sportjournalisten abgespalten hat und Kritik am Selbstbild des Sportjournalisten als schreibendem Fan übt. Dazu gehören eher die jungen Sportreporter, wenig fest angestelllte und viele "freie". Sie berichten kritisch und finden dafür zugleich neue Verbreitungswege wie das Internet.

Im Sinne Konrad Adenauers ("Man muss doch auch mal das Positive sehen!") ist der Affäre Zwanziger also einiges abzugewinnen. Nämlich - mit welch einfachen Mitteln ein solch machtvolles Schwergewicht wie der DFB aus der Fassung zu bringen ist.

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