Wie steht es mit den Medien und der Integration? Ist man vorangekommen oder tritt man auf der Stelle? Sind "die Türen zu" für Menschen mit Migrationshintergrund? Das kann mittlerweile wohl verneint werden. In kaum einer Politikerrede fehlt heute noch die Phrase vom "demographischen Wandel". Der bedeutet in den meisten deutschen Großstädten, dass die Hälfte aller Kinder, eher mehr als weniger, Migrationshintergrund haben. Das heißt auch: Medien, die deren Bedürfnisse nicht berücksichtigen, werden schnell Einschaltquotenprobleme bekommen. Die öffentlich-rechtlichen Sender bekommen das jetzt schon zu spüren. Privatsender kommen mit den Jungen besser klar, weil sie zwar seichter sind und weniger informieren, aber auch weil sie weniger langweilen und belehren. Und weil bei ihnen Personal mit Migrationshintergrund viel selbstverständlicher einsickert, als in den behäbigen öffentlich-rechtlichen Personalapparaten.
In den Apparaten, nicht nur in den Medien, herrscht immer noch die Sichtweise, Förderung von MigrantInnen sei so eine Art gutmenschliche Sozialarbeit, politisch bei den Multikultispinnern angesiedelt, moralisch vielleicht berechtigt, aber doch eine Belastung für betriebliche Effizienz. Diese Sicht ist jedoch ein Dokument von fundamentaler Unkenntnis. Die Türkei zum Beispiel hat derzeit Wachstumsraten wie China; Istanbul ist neben Barcelona die hippste Metropole Europas. Und die wachsende Wirtschaft der Türkei wird sich eben nach China, in die islamischen Länder und vorzugsweise in die ehemals sowjetischen Turkrepubliken wenden, wenn Europa weiter seine kalte Schulter zeigt. Wir in Deutschland, mit der weltweit größten türkischen Auslandscommunity hätten die größten Chancen, diese Potentiale mit zu erschließen. Wir müssten nur mit einem Minimum an Empathie und Enthusiasmus an die hier lebenden Türkinnen und Türken herantreten und sie bitten, uns dabei zu helfen. Die würden sich freuen.
ARD und ZDF gestehen hier durchaus Nachholbedarf. Im WDR ist das Radioprogramm Funkhaus Europa schon zu einer migrantenfördernden Kaderschmiede geworden. Das trimediale Arbeiten (Radio, TV, Internet), das der Sender seinen MitarbeiterInnen zunehmend abzuverlangen versucht, ist für diese flexiblen und mobilen MitarbeiterInnen kein Problem, sondern Karrierehilfe. Auch im ZDF, kündigt Chefredakteur Nikolaus Brender an, würden bald programmprägende Personen mit Migrationshintergrund vorgestellt, und es werde Ärger geben, weil andere dann zurücktreten müssten. Anlass dieser Äußerungen war die "Europäische Medienkonferenz" mit dem Titel Migration und Integration - Europas große Herausforderung - Welche Rolle spielen die Medien, die vergangene Woche in der Zeche Zollverein in Essen stattfand.
Viele MigrantInnen finden ihre Wirklichkeit in den Medien nicht wieder. In der Tat dominiert in der Berichterstattung die schlechte Nachricht, von Beschneidungen über Zwangsheiraten und Ehrenmorde bis zum Terrorismus. Die gute Nachricht, erfolgreiche Integration, die Normalität, ist dagegen meistens keine Nachricht. Hier stellen sich Anforderungen an Kreativität: wie ist das "Normale" interessant zu machen, ohne in Belehrung zu verfallen?
Beispiele aus befreundeten europäischen Ländern können da Optimismus vermitteln: "Lachen ist der Beginn der Kommunikation" hieß es im Workshop Unterhaltung und Fiction. Folgerichtig besucht in den Niederlanden der Regierungschef eine absolut schräge Comedy mit einem Moderator surinamesischer Herkunft, um das junge Publikum zu erreichen. In Frankreich müssen Minoritäten ihre Anwesenheit nicht mehr begründen, das Rassismusproblem ist aber nach wie vor ungelöst. Es gibt dort keine "Ethnoprogramme", stattdessen versucht man in den Mainstream vorzudringen, zum Beispiel mit der Daily Soap Plus Belle la Vie, in der Rassismusprobleme offen zur Sprache kommen - mit satten 20 Prozent Einschaltquote zur Primetime! Und das "Kleine Fernsehspiel" des ZDF hat zwar einen Sendeplatz, den man als Straflager empfinden muss (Montagnacht, nach 0 Uhr), hat sich aber als Talentschmiede für heute auch im Mainstream erfolgreiche Künstler, wie etwa Fatih Akin erwiesen.
Was bringen Quotenregelungen für MigrantInnen in den Medien? Ein schwarzer BBC-Mitarbeiter sagte, er wolle keinen Job wegen seiner Hautfarbe bekommen. Der weiße Niederländer Frans Jennekens, Vorsitzender der Diversity-Group in der Europäischen Rundfunkunion (EBU), meinte dagegen, bei der Quotenfrage gehe es schlicht ums Geld; daher sei eine Quotierung ein sinnvolles Instrument.
Nicht nur im Ausland tut sich was, auch hierzulande gibt es Bewegung. Ute Diehl, im westdeutschen Sendebereich als Regisseurin der Langzeitdoku Die Fußbroichs bekannt, hat nun einen Sieben-Teiler über Die Özdags abgedreht, eine türkisch-deutsche Großfamilie, die in der Kölner Keupstraße (dort auch als "Klein-Istanbul" bezeichnet) lebt.
Und auch Türkisch für Anfänger wird eine Fortsetzung bekommen. Die ARD-Vorabendserie hat zwar nicht die Quotenerwartungen der Programmdirektoren erfüllt, die dort vor allem ein gutes "Werbeumfeld" wünschen, wurde aber dafür mit guten Kritiken überhäuft. Dr. Bernhard Gleim, zuständiger Redakteur des koproduzierenden NDR, nannte als Credo "den Rollenmix der Realität abbilden" und "mit den Stereotypen spielen". Schön wäre es gewesen, wenn hier ein Vergleich mit der RTL-Comedy Alle lieben Jimmy hätte gezogen und diskutiert werden können. Doch leider blieben bei der Veranstaltung in Essen die öffentlich-rechtlichen Sender unter sich.
Das politische Signal der Essener Veranstaltung ist: "die Medien" und "die Politik" haben verstanden, dass Integration auf der Tagesordnung steht. Auch CDU-Politiker wie Rüttgers, Böhmer und Laschet wissen trotz allem "Leitkultur"-Gerede mittlerweile, dass sie mit der türkischen und islamischen Realität in Deutschland kommunizieren müssen.
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