Im Benchmark-Korridor

Medientagebuch Was Unternehmensberatungen alles nicht beachten: Aus dem Rettungskonzept für die WAZ

Wer in diesen von Krisenstimmung durchsetzten Tagen nach einem Dokument der Gedankenarmut deutscher Zeitungsverleger sucht, der sei auf die Internetseite der Essener WAZ-Mediengruppe verwiesen. Dort hat der ansonsten öffentlich eher zurückhaltend agierende Konzern eine Powerpoint-Präsentation der Hamburger Unternehmensberatung Schickler abgelegt (Synergien! Kooperationen! cross-medial!), deren Botschaft an die Belegschaften der verschiedenen WAZ-Blätter (Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung, Westfälische Rundschau, Westfalenpost) lautet: Ihr seid viel zu teuer. Darum muss ein Drittel von Euch gehen. Wer nicht freiwillig geht, wird dazu genötigt.

Der Vorgang ist kein regionales Phänomen. In allen Verlagshäusern werden Produkte eingestellt, Redaktionen zusammengelegt, Einstellungsstopps verhängt, Planungen neuer Projekte abgebrochen. In einigen Häusern wird spektakulär agiert, in anderen ruhiger und unbemerkter, gern auf Konkurrenten verwiesen, die viel brutaler und grausamer agieren - die meisten Finger deutscher Verleger zeigen dabei auf David Montgomery, den Besitzverwalter der Berliner Zeitung, der jetzt in der Finanzkrise vielleicht als erster zusammenbrechen wird, weil er nicht auf ein milliardenschweres Familienvermögen zurückgreifen kann, wie die Familie Mohn (Bertelsmann, RTL, Gruner+Jahr), die WAZ-Familien oder der Kölner Neven DuMont-Clan (Frankfurter Rundschau, Kölner Stadt-Anzeiger).

Insofern ist es hoch interessant, einmal zu lesen, wie eine Unternehmungsberatung die Kontrolle der Krise verspricht. Die Firma Schickler gliedert ihre Untersuchung in die Kapitel "Wirtschaftliche Lage und Ausblick", "Gegenmaßnahmen Mantelredaktion" und "Gegenmaßnahmen Lokalredaktion". Für 2008 wird für die vier Tageszeitungen ein Jahresverlust von 11 Millionen Euro errechnet, für 2009 eine Ergebnisverschlechterung um weitere 20 bis 30 Millionen prophezeit. Die Auflage der im Ruhrgebiet erscheinenden Blätter sei in den letzten drei Jahren um 13 Prozent gefallen. Gründe dafür werden allerdings nicht analysiert.

Die Berater kreieren nun das Kriterium "Kosten pro Seite" bei jeder Zeitung. Als Bezugsgröße wählen sie für die Blätter der zukünftigen Kulturhauptstadt Europas Essen die Braunschweiger Zeitung ("anspruchsvoller Mantel") und die Thüringische Landeszeitung" ("Heimatzeitung"). Wer bisher glaubte, das Ruhrgebiet sei einer der größten Ballungsräume Europas und müsse sich doch wenn überhaupt mit London, Brüssel, Paris und Berlin vergleichen, wird spätestens an dieser Stelle verstummen und umstandlos die innere Emigration ins Auge fassen. Schickler errichtet einen "Benchmark-Korridor" zwischen 400 und 700 Euro pro Seite. Bislang wirtschafte annähernd so nur die "Heimatzeitung" Westfalenpost (752 Euro), die städtischen Blätter brauchen zwischen 1.080 und 1.676 Euro. In den Mantelredaktionen der drei Stadtblätter sollen gemäß Schickler 68 Stellen eingespart und die "Kosten pro Seite" einheitlich auf 929 Euro gesenkt werden. Erreicht werden soll die Vorgabe durch einen "Content-Desk" für alle drei Blätter inklusive deren Online-Angebot; die Einzelblätter sollen nur 12 Stellen plus Chefredaktion behalten.

Auch beim Blick auf die Lokalredaktionen geraten "Kostentreiber" und "Wirtschaftlichkeit" nicht aus dem Blick: "In vielen Regionen werden zwei Lokalausgaben parallel inhaltlich erstellt und produziert." In den siebziger Jahren war das einmal kartellrechtliche Voraussetzung dafür, dass die WAZ die NRZ (von der sozialdemokratischen Familie Oppenberg) und die WR (direkt von der SPD) überhaupt kaufen durfte. Kritiker, die damals kartellrechtliche Beschränkungen für "weiße Salbe" hielten, bekommen heute Recht - von Bodo Hombach persönlich, damals SPD-Landesgeschäftsführer, heute WAZ-Konzerngeschäftsführer.

Das Lösungsmodell für die Lokalredaktionen, das Schickler vorschlägt, entspricht im übrigen dem "Content-Desk" für die Mantelredaktionen. Es sollen 207 weitere Planstellen eingespart werden.

Das Bemerkenswerteste an dieser Untersuchung ist, was sie nicht untersucht: Wie gewinnen wir gute Autorinnen und Autoren? Wie bringen wir bessere journalistische Leistungen? Wie steigern wir unser Ansehen in der Bevölkerung, bei den Lesern? Wie müssen wir unsere Mitarbeiter fortbilden, damit wir mit der technischen Entwicklung Schritt halten? Wie wollen wir sie dazu motivieren? Oder kurz: Wie machen wir unsere Zeitungen besser? Offenbar wird stattdessen, dass von der Krise doch zuallererst das Denken einiger deutscher Verleger erfasst zu sein scheint. Oder: Wie gestalten wir die Beerdigung publizistischer Ansprüche möglichst billig?

Ein Link zum Papier der Unternehmensberatung Schickler mit zahlreichen Grafiken findet sich in dem Einführungstext http://www.derwesten.de/blogs/mediengruppe/stories/4370/

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