Krebsgang

linksbündig Vom schwierigen Weg zu Dialog und Integration

Die einen, wie zum Beispiel Mark Terkessidis vom WDR-Funkhaus Europa, kritisieren den "Integrationsgipfel" der Bundesregierung als rein symbolische Veranstaltung, die, verbunden mit ihrer praktischen Folgenlosigkeit, einem gehörig auf den Zeiger gehe. Die anderen, wie zum Beispiel Eberhard Seidel in der taz, zeigen sich erfreut über den Paradigmenwechsel in der Bundesregierung und kritisieren die grüne Opposition, die doch selbst in ihrer Regierungszeit einiges zu Wünschen übrig gelassen habe. Beide haben Recht.

MigrantInnen in Deutschland erbringen längst in millionenstarker Zahl Integrations- und Assimilationsleistungen. Das haben sie den meisten Eingeborenen voraus, die sie darüber hinaus mit ökonomischer und kultureller Vielfalt bereichern. Gleichzeitig müssen sie erleben, dass sie nach 50 Jahren zäher Bemühungen immer noch keine politische Gleichberechtigung bekommen, sondern ihnen im Gegenteil gesellschaftliche und kriminelle Misshelligkeiten anderer Leute vorgehalten werden, wie es sich die Urdeutschen nicht gefallen lassen würden. Dass deutsche Politiker damit Talkshows vollquatschen und demagogische öffentliche Diskurse entfalten, kann die Mehrzahl dieser Menschen nur anwidern.

Beispielhaft war die Reaktionsweise der rot-grünen Bundesregierung: Eine verlorene Landtagswahl in Hessen 1999 genügte, ihr soviel Schrecken einzujagen, dass sie jeglicher Mut in Sachen Antidiskriminierung, Gleichberechtigung, Integration und Flüchtlingsschutz verließ. Nun schauen sie verdutzt, wie Angela Merkel einen Kurswechsel vollzieht, der nur schwer zu kritisieren ist ("nicht genug", "nicht glaubwürdig", "Symbolik" usw.). Auch die Unterschriftensammlung von Roland Koch 1999 in Hessen ("Wo kann ich gegen Ausländer unterschreiben?") war nur Symbolik, hatte aber erhebliche praktische Folgen für das rotgrüne Regierungshandeln.

So könnte es auch diesmal sein. Merkels Symbolik könnte einen praktischen Kurswechsel nach sich ziehen und gleichzeitig zu schwerwiegenden strategischen Verwerfungen innerhalb der CDU führen. In deren Innenleben hat die reaktionär-katholische Stammtischfraktion immer noch eine große Bedeutung. Sie will die traditionelle (Klein-)Familie retten und die christliche Religion in ihrer Interpretation durch die Kardinäle Ratzinger und Meißner als Leitkultur durchregieren. So verbreitet dieses Denken immer noch an der CDU-Basis ist, so sicher wäre der jahrzehntelange politische Machtverlust für die Partei, wenn sich Merkel darauf einließe.

Bis heute ist es ein listiges Rätsel der Geschichte, warum die reaktionären Kräfte im Christentum die große strategische Chance nicht erkannt haben, die die wachsenden reaktionären Kräfte im Islam für sie bereit halten. Um es etwas gemäßigter und realpolitischer zu beschreiben: die konservativ-islamische türkische Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Erdogan wäre eine idealtypische Schwester für die CDU/CSU, mit dem Unterschied, dass sie eine stabile Mehrheitsbasis in der türkischen Wählerschaft hat, während es für die CDU/CSU seit Helmut Kohl kontinuierlich abwärts geht.

Ganz realpolitisch und wenig fundamentalistisch ist dabei die türkische Anleitung der in Deutschland agierenden Organisation Ditib ("Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V."), die nach eigener Darstellung 70 Prozent aller in Deutschland lebenden Muslime vertritt. Wer Ditib vor Ort trifft, hat es bisweilen mit außergewöhnlich sprach- und politikkundigen Männern und besonders zahlreichen "modern" auftretenden Frauen zu tun. Die größten Moscheeprojekte in Deutschland werden von dieser an Mitgliedern und Finanzen gut ausgestatteten Organisation entwickelt. So wie der türkische Fußballverband schon lange in Deutschland aufwachsende Fußballtalente für seine Nationalmannschaft abfischt, so hat auch die AKP-Regierung über ihr "Amt für Religionsangelegenheiten" Deutschland als strategisch wichtiges Land für die Organisation gesellschaftspolitischer Diskurse in Europa identifiziert.

So, wie die türkische AKP sich aus der früheren fundamentalistischen "Wohlfahrtspartei" entpuppt hat, könnte es nun auch der CDU passieren. Sie hat bereits kluge Integrationsminister im Amt, wie zum Beispiel Armin Laschet in NRW. Bleibt abzuwarten, ob dieser dialogorientierte Kurs gegen Koch und Stoiber durchkommt. Es würde für die MigrantInnen in diesem Land noch nicht viel verändern, aber für die politische Kultur dieser Republik wäre es ein Gewinn.



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