Zwei Millionen Deutsche haben ihren Fernseher abgeschafft. Fantasiemord und Zeitdiebstahl lauten die Vorwürfe an das Medium. Die Mehrheit dieser Minderheit gehört zu den Bessergebildeten. Für Kulturprogramm-Macher bei TV-Sendern ist das unvorteilhaft. Ihren Sendungen nämlich fehlt es so an Zuschauern. Keiner guckt zu - so lautet zumindest der Vorwurf, den sie sich von ihren Programmdirektoren vorhalten lassen müssen.
Jedoch bleiben bei dieser Rechnung noch 78 Millionen Menschen mit Fernsehanschluss übrig. Nicht nur Kulturproduzenten, auch viele Bessergebildete unter den Zuschauern klagen immer wieder, in den Medien würden Kulturprogramme abgebaut. So zutreffend das in vielen Fällen sein mag, warum werden die verbliebenen Sendungen so wenig geschaut? Wer kulturinteressiert ist, hat natürlich oft besseres zu tun, als vor der Glotze zu sitzen. Warum Theater im TV gucken, wenn man es "in echt" genießen kann? Es dürfte daher eine Gesetzmäßigkeit bleiben, dass Kulturprogramme keine Einschaltquotenbrummer sind. Aber so mancher Kritiker der Medien ist vielleicht auch einfach zu faul zum Blick in TV-Zeitschriften, zur Betätigung der Fernbedienung und zum Wechsel der Radiofrequenz. Neudeutsch: es fehlt ihm an Medienkompetenz. Darum im folgenden ein paar Anregungen.
In der bevorstehenden Programmwoche beginnt im Rheinland der Karneval. Der WDR setzt seinem Programm-Logo in dieser Woche eine Narrenkappe auf und behauptet frech, das sei authentische Landeskultur. Weil die Öffentlich-rechtlichen beim Fußball nicht mehr um die Senderechte mitsteigern können, kaufen sie beim Karneval, wo der regionale Filz noch über den globalen dominiert, breitflächig ein und sichern sich die Zuschauer ab 50 Jahre. Dass das alles in der Programmstatistik als "Kultur" verbucht wird - geschenkt.
Es bleibt noch einiges übrig. Denn es gibt nicht nur den Kulturreport (ARD, sonntags 22.45 Uhr) und aspekte (ZDF, freitags 22.15 Uhr). Jedes dritte Fernsehprogramm der ARD hat ein eigenes Kulturmagazin. (Bayern: Capriccio, Sa. 21.30 Uhr; Hessen: Hauptsache Kultur, Sa. 21.45 Uhr; Nord: Kulturjournal, Mo. 22.30 Uhr; WDR: WestART, Do. 22.30 Uhr; MDR: artour, Do., 22.05 Uhr; ORB: Querstrasse, Do. 21.30 Uhr; SWR: NachtKultur, Fr. 23.15 Uhr). Diese Angebote können nicht immer von einer gewissen Provinzialität freigesprochen werden. Und manchmal ähneln Premierenbesprechungen in ihren Bewertungen Beiträgen der Stiftung Warentest. Senderdirektoren nennen das "Serviceorientierung". Der Gebrauchswert für die eigene regionale Umgebung ist jedenfalls nicht zu bestreiten.
Wer sich mit seiner Fernbedienung auskennt, findet Alternativen. Auf Arte zum Beispiel läuft jeden Samstag um 21.40 Uhr Metropolis. Die Sendung profitiert davon, dass sie aus Deutschland und Frankreich beliefert wird. Die allerbeste Kulturversorgung liefert allerdings 3sat, das von ARD, ZDF, ORF (Österreich) und DRS (Schweiz) bestückt wird. Jeden Werktag zur besten Sendezeit wird um 19.20 Uhr ein ausgesprochen politisches Programm präsentiert. Hier wurde beispielsweise eine US-amerikanische Organisation vorgestellt, die mit einem Jahresetat von drei Milliarden Dollar versucht, Berufsverbote für WissenschaftlerInnen durchzusetzen, die nicht genug Begeisterung für Bushs "Krieg gegen den Terror" entwickeln; Vorsitzende ist die Gattin von Vizepräsident Cheney. Neben Politik kommt der Service nicht zu kurz. Das ist kulturelle Grundversorgung im wohlverstandenen Sinne. Warnung für Junkies: wer sich alle genannten Sendungen reinzieht, wird manche Beiträge mehrmals sehen. Das heißt heute "Synergieeffekt".
Das Augenmedium TV tötet die Fantasie? Dann hören wir doch Radio. Wer das Gerät nicht medienkompetent bedienen kann, ist natürlich verloren. Die meisten öffentlich-rechtlichen und privaten Programme sind "Formatradios". Das heißt: sie bestehen in erster Linie aus einem Musikteppich plus erheblich lauter ausgesteuerter Werbung, deren einziges Interesse ist, dass sich niemand gestört fühlt - ein Horror für jeden Kulturmenschen. Dennoch ist niemand gezwungen, sich von Supermarktmusik foltern zu lassen. In jeder Region gibt es mindestens ein Kultur-/Klassik-Programm und meistens zusätzlich noch eine reine Informationswelle. In Westdeutschland, wo sich der WDR nur mit einer privaten Konkurrenz (an der er auch noch mit 30% beteiligt ist) auseinandersetzen muss, schaffen seine Kultur- (WDR 3) und seine Informationswelle (Radio 5) zusammen mit Mühe 5 Prozent Marktanteil. Sein feuilletonistisches Politmagazin Kritisches Tagebuch (werktäglich 19.05 Uhr) und vor allem sein Kulturmagazin Mosaik (werktäglich acht Uhr) haben aber ohne Werbung über 30 Jahre jede Programmreform überstanden.
Enden soll diese kleine Führung mit einem Loblied auf den Mercedes unter den Radioprogrammen: dem bundesweit empfangbaren DeutschlandRadio/Deutschlandfunk. Von Werbung wird hier niemand belästigt; auf Berieselungsteppiche wird verzichtet. 60 Prozent sind Wortprogramm; die 40 Prozent Musik sind immer moderiert und redaktionell gestaltet. Die Wortbeiträge dürfen länger als 2´30 sein. Politiker dürfen einerseits ausreden, werden andererseits aber auch gezwungen, gestellte Fragen zu beantworten. Weniger bekannt, aber noch besser, sind die Kulturangebote des bundesweit empfangbaren Senders - hervorzuheben ist Kultur am Sonntagvormittag (9.30 Uhr), eine monothematische Gesprächssendung, die meistens über sechs Wochen um einen Problemkomplex kreist (zum Beispiel Rassismus oder Gentechnik). Hier findet noch Diskurs statt, es ist möglich, mehrere Sätze hintereinander und ganze Gedanken auszusprechen. Der nationale Horizont wird mit zahlreichen ausländischen Gesprächspartnern weit überschritten. Die kulturelle Grundversorgung liefert das Kölner DLF-Programm täglich um 17.30 Uhr mit einem musikfreien Journal und das Berliner DLR-Programm um 23.05 Uhr mit Fazit (Wiederholung im DLF um 0.05) - eine angenehme Begleitung für den Tagesausklang des vielbeschäftigten, kulturinteressierten Medienverächters.
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