Ohn´ TV geht´s au´

Medientagebuch Obwohl Pay-TV sich in Deutschland schwer tut, soll es bald mehr geben

Unspektakulär, aber gründlich wird der deutsche TV-Markt zur Zeit umgepflügt. Bekanntlich wurde der Kirch-Konzern neu aufgeteilt: die Free-TV-Sender gingen an den US-Amerikaner Haim Saban, das Bezahlfernsehen Premiere an ein Konsortium von internationalen Investmentfonds. Während die Saban-Sender bisher vor allem durch Pleiten, Pech und Pannen (Harald Schmidts Abgang, Reinfälle bei neuen Programmformaten) auffielen, verbreitet Premiere-Chef Georg Kofler autosuggestive Erfolgsmeldungen ("3 Millionen Abonnenten"). Doch so gut wie jetzt - angeblich schreibt er erstmals eine "schwarze Null" - wird es ihm nicht wieder gehen. Sowohl Saban als auch die Kabelnetzbetreiber versuchen derzeit selbst, Pay-TV-Angebote zu entwickeln.

Die Kabelnetze gehörten ursprünglich der Telekom, die sie aber aus kartellrechtlichen Gründen verkaufen musste. Das war für die Telekom kein schlechtes Geschäft, die Käufer der nach Bundesländern organisierten Netze mussten hingegen erkennen, dass sich damit nur nach erheblichen Investitionen etwas verdienen ließe. Mitten in der Branchenkrise war diese Erkenntnis so schmerzhaft, dass die meisten ihre Erwerbung wieder loswerden wollten. Mittlerweile gehören 13 der 16 Ländernetze erneut einer Gesellschaft, der Kabel Deutschland Gesellschaft (KDG), die wiederum einem Konsortium internationaler Investmentfonds gehört (ähnlich wie Premiere, aber in anderer Zusammensetzung). Der Kauf der restlichen drei Bundesländernetze wurde der KDG vom Bundeskartellamt verweigert. Die Fernsehsender hegten ihrerseits große Befürchtungen, in die Abhängigkeit eines Vertriebsmonopolisten zu geraten. Nun versucht die KDG, ebenso wie der NRW-Netzbetreiber ISH (Eigentümer sind mehrere Gläubigerbanken) mit einem eigenem Pay-TV-Angebot ans finanziell rettende Ufer zu kommen. Die Fernsehsender wiederum wollen, wie etwa in den USA üblich, von den Kabelnetzbetreibern in Zukunft Geld sehen, statt für die Einspeisung bezahlen zu müssen. Wenn beide Seiten dabei überhaupt zueinander kommen, dann auf jeden Fall auf Kosten der Zuschauerschaft. Ob die dabei mitmacht?

Das ist eher unwahrscheinlich. Wer braucht mehr als die 20 TV-Programme, die man bald bundesweit ohne Monatsgebühr über die digitale Ausstrahlung DVB-T empfangen kann? Zumal in einer wirtschaftlichen schwierigen Situation: Hartz IV steht vor der Tür, die meisten Tarifabschlüsse bringen keine Lohnerhöhungen, Wirtschaftsführer und Parteien drohen mit weiteren Einschnitten. Die Menschen halten ihr Geld zusammen. In so einer Zeit soll Bezahlfernsehen funktionieren?

Das einzige Land Europas, in dem Pay-TV sich durchgesetzt hat, ist Großbritannien und der Unternehmer, der davon profitiert, heißt Rupert Murdoch. Bezeichnenderweise hat sich Murdoch trotz globalen Engagements vom deutschen Fernsehmarkt immer ferngehalten. Zugkräftig ist vor allem der Sport: Die Briten sind fussballverrückter als alle Kontinentaleuropäer zusammen, was sich in der Bereitschaft äußert, für normale Ligaspiele Geld auszugeben. Davon sind wir als Fernsehvolk von Grundversorgten weit entfernt.

Außerdem: Es gibt Alternativen zum fernsehorientierten Leben! Eines Tages wollte der Kabelversorger meiner Wohnung für das gleiche Programmangebot elf Euro mehr haben im Monat. Er schickte Drückerkolonnen ohne verbindliche schriftliche Informationen, um zu seinem Geld zu kommen. Ich weigerte mich nicht nur der Erhöhung zuzustimmen, sondern meldete aus Verärgerung meinen Fernsehanschluss gleich ganz ab. Ein um die Privaten verkleinertes Programm erschien mir uninteressant, die öffentlich-rechtlichen Sender sollten auf diese Weise meine Kritik ebenfalls zu spüren bekommen. Fünf Prozent aller Haushalte leben ohne Fernsehen, das wollte ich auch ausprobieren. Wenn bei uns das digitale Fernsehen per Antenne käme, könnte ich meinen Anschluss ja wieder anmelden.

Mittlerweile zweifle ich, ob ich mein fernsehfreies Leben ändern soll. Meine Lebensqualität hat sich verbessert. Ich lese mehr. Die lobenswerte deutsche Le Monde diplomatique, die ich sonst immer für den Jahresurlaub gesammelt habe, schaffe ich nun im Erscheinungsmonat. Auch die wunderschöne Zeitschrift Slow der internationalen Slowfood-Bewegung, in der es nicht nur um Essen, sondern auch um globale Politik geht, muss ich nicht mehr vor dem Lesen stapeln.

Dümmer werde ich nicht dabei. Sogar die Tagesschau ist entbehrlich. Der Deutschlandfunk sendet um 20 Uhr zehn Minuten Nachrichten, seine Politikmagazine wie die der meisten ARD-Radiosender stellen Tagesthemen und heute Journal in punkto Vielfalt der Themen und Meinungen in den Schatten. Besonders markant ist der Unterschied im Bereich Kultur, die bei ARD und ZDF bis 23 Uhr nicht mehr vorkommt. Der Deutschlandfunk betreibt dagegen über den Tag verteilt gleich drei Kulturmagazine. Als einziges Probleme meiner Enthaltsamkeit bleibt der Sport. Bei großen Fussballturnieren ist es lösbar, weil mittlerweile jede Gaststätte, die etwas auf sich hält, zu Welt- und Europameisterschaften Leinwände aufstellt.

Leute wie ich heißen nach Peter Glotz "digitale Verweigerer", ein langsam, aber stetig wachsendes Gesellschaftssegment. Es war nie luxuriöser, kein Handy zu besitzen, also nicht immer erreichbar zu sein, als heute. Wer in seiner Wohnung weder Computer noch Fernsehapparat haben muss, der kann ganz bei sich sein. Die Mehrheit kann sich das nicht leisten. Oder meint das zumindest.


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