Slapstick

Medienpannen und Mediencoups Unabhängige Zeitungen werden immer seltener

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die deutschen Medienmacher mindestens so selbstbezüglich und abgehoben von den Interessen der Menschen agieren, wie sie es den Politikern gerne vorwerfen, dann ist er in der vorigen Woche erbracht worden. Da rüsten sich mehrere zehntausend Menschen zu montäglichen Demonstrationen gegen die Hartz-IV-Maßnahmen. Von verschiedensten Seiten, aber ausnahmslos Vertretern, die keine Probleme haben Zugang zu Mikrofonen zu bekommen, wird das ausgiebig kritisiert. Unabhängig davon, wie berechtigt diese Kritik sein mag: Ganz gegen ihre erklärte Absicht macht sie die Demonstranten erst richtig heiß und sorgt für vollere Kundgebungsplätze.

Mitten in dieser Phase ereilt die Frankfurter Rundschau ein geradezu slapstickhaftes Schicksal. Auf ihrer bundesweiten Druckausgabe war in der Titelunterzeile aus der Bezeichnung "unabhängige Tageszeitung" das "un" verschwunden. Wer den Schaden hat, muss für den Spott nicht sorgen. Die Konkurrenz, die sich schon darüber erregt hatte, dass die SPD-eigene Verlagsgesellschaft DDVG die FR vor dem Konkurs rettete, hat diese "Siehste"-Gelegenheit nicht ausgelassen. Dabei kommt gerade jetzt, bei der Beschreibung und Kommentierung der herrschenden deutschen Wirtschafts- und Sozialpolitik verstärkt die Frage auf, welches Massenmedium überhaupt noch "unabhängig" ist. Welches Blatt, das noch Aldi-Anzeigen erhält, hat denn über den Versuch berichtet, bei Aldi-Süd einen Betriebsrat zu gründen? Die Süddeutsche hat es vermutlich einen Millionenbetrag am Jahresumsatz gekostet. Die FR hat immerhin auf der Medienseite berichtet. Das war es.

Letzte Woche wartete die nur im Internet erscheinende Netzeitung mit einer Recherche über Spiegel-Chef Stefan Aust auf: Wie er, seine Verwandten und seine Freunde im Reiterverein ihren privaten Kampf gegen Windräder im Hamburger Umland kämpfen und Windenergie in seinem Nachrichtenmagazin darum auch keinen Platz findet, jedenfalls keinen guten.

Als wenn wir mit der Nase drauf gestoßen werden sollten, bildeten die Verlage Springer und Spiegel, zunächst auf einem Nebenschauplatz, nun eine demonstrative Handlungseinheit. Sie wollen die Rechtschreibreform nicht mehr mitmachen. Damit erkennen sie die Avantgarde-Rolle der Frankfurter Allgemeinen, das ist die mit der Frakturschrift, an, die die neue Rechtschreibung von Anfang an boykottiert hat. Man darf im Sommerloch, das immer auch ein Verkaufsloch für Zeitungen und Zeitschriften ist, unterstellen, dass es den beteiligten Blättern in erster Linie darum ging, aufzufallen. Das ist ihnen gelungen.

Auf billige Art und Weise haben sie auch Sympathien eingefahren. Die Demographie-Debatte hat uns gelehrt, dass die Alten mehr und die Jungen weniger werden. Die Alten sind lernfaul und wollen keine neuen Regeln lernen. Muss man erwähnen, dass sich hierbei viele berühmte Schriftsteller hervortun, von denen man sich jetzt intellektuelle Wortmeldungen zu gesellschaftlich bedeutenderen Auseinandersetzungen wünschen würde? Die Jungen, die jetzt gerade in den Schulen lernen, werden nicht gefragt. Sie sind auch keine Spiegel- oder Welt-Leser. Warum sollten sie?

Was haben wir in der Schule beim Diktat gelitten und geschwitzt. Die Angst war groß. Groß- und Kleinschreibung, zusammen oder getrennt, bei welchem "Infinitiv mit zu" kommt ein Komma, bei welchem nicht? Dann die Angst bei der Zensurenvergabe, die demonstrative Bloßstellung der Versager vor der ganzen Klasse. Was, wenn es einen selbst erwischen sollte? Diese Frage stellen sich Millionen jetzt bei Hartz IV wieder.

Wer schon mal Originalquellen in Geschichtsbüchern gelesen hat, der weiß, dass sich Sprache und Rechtschreibung fortlaufend weiterentwickeln und verändern. Das wird so bleiben. Was sich ändern müsste, ist, dass die Kinder in der Schule damit gequält werden.

Doch die Ich-Bezogenheit des Denkens soll ja angeblich gerade besonders zeitgemäß sein. Spiegel und Springer haben wir zu verdanken, dass sie uns vorbildlich darauf aufmerksam gemacht haben. Als wäre es ein makabrer Scherz, setzte sich der rechte FDP-Mann Helmut Markwort, im Hauptberuf Focus-Chefredakteur, flugs in Richtung Fortschritt ab. Sein Blatt versucht dem Spiegel den Jugendnachwuchs abzugraben: mit kürzeren Texten, mit mehr bunten Bildern, mit unpolitischeren und lebenspraktischeren Titelthemen und eben jetzt auch der neuen Rechtschreibung, jedenfalls solange sie offiziell gültig bleibt. Der Mann ist nicht nur rechts, sondern auch schlau.


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