Bis zuletzt behielten die Medien im Prozess gegen den ehemaligen Frankfurter Polizeivizepräsidenten Wolfgang Daschner und einen mitangeklagten Kriminalbeamten ihre starke Rolle. Nicht erst Staatsanwalt Wilhelm Möllers griff in seinem Plädoyer vor zwei Wochen gleich mehrfach mediale Aspekte des Falles auf: Er zitierte etwa den Artikel von Gisela Friedrichsen, die im Spiegel 49/2004 gefragt hatte: "Brechen die Dämme des Rechtsstaates, wenn Daschner nicht oder nur symbolisch bestraft wird?" Die Spiegel-Gerichtsreporterin gab als Antwort: "Daschners Schicksal, die öffentliche Diskussion, die Vorverurteilung, sind Warnung genug." Staatsanwalt Möllers selbst warnte in seinem Plädoyer zwar vor eben diesem Dammbruch, beteiligte sich allerdings mit seiner milden Strafforderung selbst eindeutig am Öffnen der Schleusen. Der Staatsanwalt forderte für Daschner und den Kripobeamten lediglich eine Verwarnung mit Strafandrohung.
Möllers betrieb auch Journalistenschelte: Die massive Begleitung des Prozesses und damit auch die breite Berichterstattung habe den Angeklagten derartig ins Rampenlicht gestellt, dass die negativen Begleiterscheinungen der medialen Aufmerksamkeit zu Milderungsgründen würden. Möllers watschte die Süddeutsche und ihren Heribert Prantl ab, indem er dessen Formulierung von der "Daschnerisierung des deutschen Rechts" (Februar 2004) als Negativbeispiel der Berichterstattung aufgriff - obwohl oder weil Prantl sich deutlich gegen den aktuellen Trend zu "ein bisschen Foltern" ausspricht.
Dies ist bei weitem nicht das einzige Beispiel für die massive Verschränkung von Medien und Gerichtsverfahren im Fall Daschner. Auch im Prozess selbst wurden Artikel zum Bestandteil der Verfahrensführung. Die Vorsitzende Richterin Bärbel Stock zitierte am letzten Tag der Beweisaufnahme Aussagen Daschners aus zwei im Spiegel und in der Frankfurter Rundschau erschienenen Artikeln. Und dessen Verteidiger vervollständigte das Hin und Her um die öffentliche und veröffentlichte Meinung mit dem Hinweis, die fraglichen Aussagen habe Daschner teils gar nicht selbst gemacht.
Mediale Selbstreflektion steht derzeit nicht sonderlich hoch im Kurs, Konsequenz auch nicht. Ist es als Pluralismus oder als postmoderne Beliebigkeit zu verstehen, wenn das liberale Vorzeigeblatt Die Zeit in Nummer 49/2004 zugleich die Legende vom Helden Daschner zerbröseln will und den Herausgeber und Chefredakteur Naumann an den Bundespräsidenten appellieren lässt: Dieser solle Daschner begnadigen, zumindest aber "die strafrechtlichen oder beamten- und versorgungsrechtlichen Folgen eines Strafurteils beseitigen" - wohlgemerkt forderte Naumann dies bereits nach dem dritten Verhandlungstag. Noch im Mai hatte Arthur Kreuzer überzeugend dargelegt, weshalb Daschners Verhalten nicht zu rechtfertigen sei.
Dieses "anything goes" zog sich durch weite Teile der Medienlandschaft: Während zum Prozessbeginn nahezu einhellig eine Verurteilung Daschners bei gleichzeitiger Straffreiheit prognostiziert worden war, stand in den Schlagzeilen nach dem Plädoyer des Staatsanwaltes sehr häufig die Formulierung von der überraschend milden Strafforderung. Dabei entsprach der Strafantrag in seiner Tendenz genau dem, was gerade einmal vier Wochen zuvor gefordert wurde. Das Anfang dieser Woche gesprochene Urteil unterbot dann noch Möllers Forderung und führte als Teil der "massiven mildernden Umstände" auch den Erfolgsdruck seitens der Öffentlichkeit - der Medien - an, unter dem die Angeklagten gestanden hätten.
Angesichts der bei vielen Medien immer noch schwierigen wirtschaftlichen Lage wird eben publiziert, was sich verkaufen lässt - und je mehr verschiedene Zielgruppen angesprochen werden können, desto besser. Dieser Eindruck drängt sich leicht auf.
Die nun schon 22 Monate währende Kampagne, über die sich der Angeklagte Daschner oder dessen Rechtsanwalt wiederholt beschwert hatten und die ja letztlich auch der Staatsanwalt unterstellte, als er die mediale Aufmerksamkeit als Milderungsgrund anführte, war wohl eine zur Verkaufsförderung, so ließe sich überspitzt unterstellen. Dabei hat natürlich auch das Beklagen der Kampagne selbst schon wieder taktische Aspekte: Daschner hat sich schließlich mit seinen Interviews vom Februar 2003 auch daran beteiligt. Und warum Spiegel und andere kurz vor Prozessbeginn Spekulationen über die mögliche Rückendeckung Daschners wieder aufnahmen, die der Hessische Rundfunk bereits viel früher kolportiert hatte und über die sich Daschner im Prozess dann empörte, die er aber auch mit der Weigerung, Namen zu nennen unterfütterte, ist ebenfalls eine hoch interessante, aber leider unbeantwortete Frage. So wie auch die, ob deutsche Polizeidienststellen tatsächlich ein "Wahrheitsserum" kennen oder, warum jemand wie Daschner offenbar über Spezialisten verfügen kann, die anderen Schmerzen ohne bleibende Schäden oder sichtbare Spuren zufügen können. Und auch Fragen danach, warum eben nicht doch wegen des ungleich schwereren Tatbestandes der Aussageerpressung ermittelt und angeklagt wurde oder warum nicht per Vorladung der - wenigen - in Frage kommenden Ministerialbeamten versucht wurde, doch noch Licht ins Dunkel der Rückendeckung zu bringen. All dies hätte nicht nur der Staatsanwaltschaft, sondern auch der Medienlandschaft und ihrer Rolle als vierte Säule der Demokratie gut getan.
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