Alles längst geklärt

Bühne Dramatisch ist nur die Ausgangslage: Ferdinand von Schirachs „Terror“ engt in Frankfurt das Ensemble ein
Ausgabe 41/2015

Dürfen Unschuldige getötet werden, um Unschuldige zu retten? Gibt es einen moralischen Impetus der Relation? Die Fragen, die der Erfolgsautor und Rechtsanwalt Ferdinand von Schirach mit Terror vorgeblich aufwirft, sind eigentlich beantwortet. Straßen und Schulen heißen nach Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Georg Elser; beide nahmen bei ihren Anschlägen auf Hitler in Kauf, mit dem Diktator auch Kellner und Zuhörer, Protokollanten und Ordonanzen zu töten. Max Webers Verantwortungsethiker – und das darf als Kulturleistung gelten – ist längst mehrheitsfähig geworden und hat über den Gesinnungsethiker triumphiert.

Es mutet also seltsam gestrig an, wenn in dieser Spielzeit nach der parallelen Uraufführung am Schauspiel Frankfurt und am Deutschen Theater noch mehr als ein Dutzend Häuser Schirachs Bühnendebüt zeigen werden. Sein Plot: Eurofighter-Pilot Lars Koch hat sich über Befehl und Bundesverfassungsgericht hinweggesetzt und einen entführten Airbus mit 164 Menschen an Bord abgeschossen, den Terroristen auf 70.000 Zuschauer in der Allianz-Arena stürzen wollten. Mord, sagen Staatsanwältin und Nebenklägerin. Das kleinere Übel, entgegnen Pilot und Verteidiger. Entscheiden soll’s, meint Schirach, das zu Schöffen beförderte Publikum; zum Schluss wird abgestimmt und dann abgerechnet.

An der Spree verantwortet Hasko Weber die Produktion, am Main Intendant Oliver Reese. Zügig werden hier in naturalistischem Behördenchic die Schwächen von Vorlage und Inszenierung deutlich: Dramatisch ist nur die Ausgangslage, weil die ebenso determinierende wie schwache Konstruktion das Ensemble einengt und Reese der Wille zu formgebenden Eingriffen fehlt. Man redet nicht nur mitunter aneinander vorbei, sondern spielt auch so: Constanze Becker (Nebenklägerin) wähnt sich in einer Tragödie, Max Mayer (Verteidiger) in einer Komödie, Nico Holonics (Angeklagter) verortet sich mit situativer Akzentverschiebung dazwischen. Nur Bettina Hoppe (Staatsanwältin), Viktor Tremmel (Zeuge) und Martin Rentzsch (Richter) erreichen annähernd Normalform.

Wie beim Abgastest

Noch gravierender sind die inhaltlichen Defizite. Schirach wie Reese gaukeln mit akribischer Detaildichte – selbst das Verbandsabzeichen an Holonics̕ Uniform ist korrekt – eine So-könnte-es-jederzeit-bei-uns-passieren-Authentizität vor, der Plot aber ist wirklichkeitsnah wie mancher Abgastest. Jeder Realitäts-Check trägt diesen Bühnen-VW aus der Kurve: Die Entführer sind so freundlich, der Luftüberwachung frühzeitig ihre Absichten mitzuteilen, statt sich wie die erfolgsorientierten Kollegen vom 11. September in Schweigen zu hüllen; die Mitglieder des militärischen Lagezentrums revanchieren sich, indem sie das Stadion nicht – was, wir erfahren es minutiös, problemlos möglich gewesen wäre – räumen lassen; dieses Versäumnis wird offenbar erstmals in der Verhandlung thematisiert, und zwar von der Staatsanwaltschaft, nicht vom Verteidiger. Gut, dass Dummheit nicht strafbar ist. Die Gerichte in Schirachs Absurdistan hätten viel zu tun.

Sein Protagonist Lars Koch bleibt straffrei. Nach knapp zwei Stunden votieren die Zuschauerinnen und Zuschauer mit 240 zu 230 Stimmen für Freispruch. In Berlin, vermelden die Agenturen, war das Ergebnis (255 zu 207) noch deutlicher. Immerhin: Max Weber hätte sich gefreut.

Info

Terror Text: Ferdinand von Schirach, Regie: Oliver Reese Schauspiel Frankfurt

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