Zwei gehen, einer könnte kommen: Innerhalb weniger Tage wurde Volksbühnen-Chef Frank Castorf und Volkstheater-Intendant Sewan Latchinian – dem Berliner mit Gnadenfrist, dem Rostocker ohne – der Stuhl vor die Tür gestellt. In der Hauptstadt beendete Kulturstaatssekretär Tim Renner die Ära des ewigen Frank, in Rostock strafte Oberbürgermeister Roland Methling einen integren Theaterleiter ab, der sich beim monatelangen Kampf gegen den politisch offenbar gewollten Tod seines Hauses zuletzt im Ton und in den Argumenten vergriffen hatte.
Wir handeln, lautet der Subtext beider Personalien. Komme, was und wer da wolle. In Berlin könnte es der 56-jährige Belgier Chris Dercon sein, derzeit Leiter der Tate Modern in London. Auf den proletarischen Bühnenberserker Castorf, längst zum Nachlassverwalter seiner selbst geworden, folgt ein distinguierter, bestens vernetzter Kulturmanager und Theaterwissenschaftler; am Rosa-Luxemburg-Platz deutet sich ein Stilwechsel an. Kurator statt Präparator.
Dass Renner die lokale Theaterszene, die an der Volksbühne, am Berliner Ensemble, am Deutschen Theater seit Jahren ihrer Musealisierung entgegentreibt, beleben und sich dabei nicht aus dem üblichen Kandidatenpool bedienen will, verdient Respekt. Der Ansatz stimmt, die Richtung nicht. Dercon ist in London darauf konditioniert worden, mittels gefälliger, keimfreier Events die Schatullen jener privaten und gewerblichen Sponsoren zu öffnen, ohne die es den angelsächsischen Kulturbetrieb nicht gäbe. Die Eignung zu mehr, zu anderem darf vorerst bezweifelt werden. Seine Interviews, sein Auftreten können diese Vorbehalte nicht auflösen. Die Volksbühne war in ihren besten Zeiten auch ein Labor für neue Ästhetiken und Vermittlungswege. Aber sie widerstand stets der Versuchung, gesellschaftliche Fragestellungen in den Strudel der Moden zu werfen, sich anzubiedern. Eine Volksbühne 2.0, bei der womöglich Banken oder Finanzdienstleister künftig die Theatermaschine schmierten, hätte ihre Existenzberechtigung verloren.
Singulär wäre diese theatrale Gentrifizierung in Berlin nicht. Unter dem ehemaligen Partybürgermeister Klaus Wowereit haben sich nicht nur Zeitpläne für Großprojekte, sondern auch kulturelle Prioritäten verändert. DT-Verweser Ulrich Khuon, nur in wenigen Intendanten-Findungskommissionen zwischen Flensburg und Freilassing ohne Sitz und Stimme, gilt inzwischen selbst ehemaligen Fürsprechern als Fehlbesetzung. Auf Claus Peymann und den trügerischen Glanz verblassender Triumphe wurde zu lange gesetzt. Sein designierter Nachfolger Oliver Reese hat zwar in Frankfurt das bestangezogene Premierenpublikum der Republik herausgebildet, taugt aber im Verbund mit Banaldramatiker Moritz Rinke kaum zur Reanimation des BE. Mehr Schein als Sein, beinahe überall.
Früher Erfolge, heute Folgen. Man muss Peymann, Teil des Problems, in seiner von verletzter Eitelkeit dominierten Fundamentalkritik an Renners Politik nicht devot folgen, um festzustellen: Berlin als vermeintlich genuine Bühnenhauptstadt hat seinen Rang eingebüßt. Mehr Glamour, mehr Internationalität, mehr Events wären von Dercon zu erwarten. Das ist viel und doch zu wenig. Tim Renner sollte es sich nicht zu leicht machen. In Rostock könnte er einen Theatermacher finden, der schon zweimal ein heruntergewirtschaftetes Haus belebt hat. Und nicht davor zurückscheut, anzuecken. Fraglich ist aber, ob Berlins Kulturpolitiker das wollen.
Kommentare 1
Lieber Martin Eich,
es geht in dem unsäglichen Debattenwust nicht um "Kurator statt Präparator" - es geht um die willentliche Dekonstruktion einer selbst zur Kunst gewordenen (unmusealen!) Einrichtung: Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz hatte/hat ein ungeliftetes und also von profitgierigen Schönheitschirurgen (bisher) unangetastet gelassenes Gesicht, das zwar inzwischen etwas in die Jahre kam, aber noch immer zeitlos-wunderschön zu nennen ist. Zudem fühlt sie sich gottlob sehr schön links an; das allein schon müsste Ihnen als für'n Freitag schreibender Kollege hochsympathisch sein und Ihre insgesamte Position FÜR Castorf und sein Haus bestärken - aber Meinungen sind (wieder gottlob) hierzulande immer noch ganz frei...
Also: Der Renner, der erwiesner Maßen vom Theater (und vom Castorf) keine Ahnung hat, will einen generellen Schnitt, was das Profil der Volksbühne betrifft - als ob ihm dieser "Eingriff" jemals zustünde?! Und dann verlängert er Castorfs Vertrag ganz einfach nicht und schafft damit vollendete Tatsachen. Wäre Castorf jetzt von sich aus und abrupt zurückgetreten (à la "leckt mich alle am Arsch und macht doch, was ihr wollt"), wäre ein administrativer und also stadtkämmerischer Handlungsbedarf vonnöten gewesen - er tat es aber nicht. Also hat Renner ihn de facto gefeuert.
DAS ist der eigentliche Skandal, worum es geht.
Herzliche Grüße
Ihr Andre Sokolowski
Herausgeber und verantw. Redakteur von
KULTURA-EXTRA, das online-magazin
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