Kurator statt Präparator

Volksbühne Berlin In Rostock muss Intendant Sewan Latchinian gehen, in Berlin soll Chris Dercon kommen. Was ist nun zu erwarten?
Ausgabe 15/2015
In der Kritik: Tim Renner und seine Personalentscheidungen
In der Kritik: Tim Renner und seine Personalentscheidungen

Foto: Reiner Zensen/Imago

Zwei gehen, einer könnte kommen: Innerhalb weniger Tage wurde Volksbühnen-Chef Frank Castorf und Volkstheater-Intendant Sewan Latchinian – dem Berliner mit Gnadenfrist, dem Rostocker ohne – der Stuhl vor die Tür gestellt. In der Hauptstadt beendete Kulturstaatssekretär Tim Renner die Ära des ewigen Frank, in Rostock strafte Oberbürgermeister Roland Methling einen integren Theaterleiter ab, der sich beim monatelangen Kampf gegen den politisch offenbar gewollten Tod seines Hauses zuletzt im Ton und in den Argumenten vergriffen hatte.

Wir handeln, lautet der Subtext beider Personalien. Komme, was und wer da wolle. In Berlin könnte es der 56-jährige Belgier Chris Dercon sein, derzeit Leiter der Tate Modern in London. Auf den proletarischen Bühnenberserker Castorf, längst zum Nachlassverwalter seiner selbst geworden, folgt ein distinguierter, bestens vernetzter Kulturmanager und Theaterwissenschaftler; am Rosa-Luxemburg-Platz deutet sich ein Stilwechsel an. Kurator statt Präparator.

Dass Renner die lokale Theaterszene, die an der Volksbühne, am Berliner Ensemble, am Deutschen Theater seit Jahren ihrer Musealisierung entgegentreibt, beleben und sich dabei nicht aus dem üblichen Kandidatenpool bedienen will, verdient Respekt. Der Ansatz stimmt, die Richtung nicht. Dercon ist in London darauf konditioniert worden, mittels gefälliger, keimfreier Events die Schatullen jener privaten und gewerblichen Sponsoren zu öffnen, ohne die es den angelsächsischen Kulturbetrieb nicht gäbe. Die Eignung zu mehr, zu anderem darf vorerst bezweifelt werden. Seine Interviews, sein Auftreten können diese Vorbehalte nicht auflösen. Die Volksbühne war in ihren besten Zeiten auch ein Labor für neue Ästhetiken und Vermittlungswege. Aber sie widerstand stets der Versuchung, gesellschaftliche Fragestellungen in den Strudel der Moden zu werfen, sich anzubiedern. Eine Volksbühne 2.0, bei der womöglich Banken oder Finanzdienstleister künftig die Theatermaschine schmierten, hätte ihre Existenzberechtigung verloren.

Singulär wäre diese theatrale Gentrifizierung in Berlin nicht. Unter dem ehemaligen Partybürgermeister Klaus Wowereit haben sich nicht nur Zeitpläne für Großprojekte, sondern auch kulturelle Prioritäten verändert. DT-Verweser Ulrich Khuon, nur in wenigen Intendanten-Findungskommissionen zwischen Flensburg und Freilassing ohne Sitz und Stimme, gilt inzwischen selbst ehemaligen Fürsprechern als Fehlbesetzung. Auf Claus Peymann und den trügerischen Glanz verblassender Triumphe wurde zu lange gesetzt. Sein designierter Nachfolger Oliver Reese hat zwar in Frankfurt das bestangezogene Premierenpublikum der Republik herausgebildet, taugt aber im Verbund mit Banaldramatiker Moritz Rinke kaum zur Reanimation des BE. Mehr Schein als Sein, beinahe überall.

Früher Erfolge, heute Folgen. Man muss Peymann, Teil des Problems, in seiner von verletzter Eitelkeit dominierten Fundamentalkritik an Renners Politik nicht devot folgen, um festzustellen: Berlin als vermeintlich genuine Bühnenhauptstadt hat seinen Rang eingebüßt. Mehr Glamour, mehr Internationalität, mehr Events wären von Dercon zu erwarten. Das ist viel und doch zu wenig. Tim Renner sollte es sich nicht zu leicht machen. In Rostock könnte er einen Theatermacher finden, der schon zweimal ein heruntergewirtschaftetes Haus belebt hat. Und nicht davor zurückscheut, anzuecken. Fraglich ist aber, ob Berlins Kulturpolitiker das wollen.

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