Gefälschte Studien, manipulierte Versuche, unterdrückte Erkenntnisse: Wurden in den letzten Jahren Fälle von Wissenschaftsbetrug publik, waren es meist Unternehmen aus den USA, Japan oder Indien, die willfährige Forscher und Universitäten für eigene Ziele eingespannt hatten. Selten war dafür individuelle Korrumpierbarkeit nötig, meist bedurfte es lediglich der institutionellen Unterfinanzierung eines Hochschulwesens, das ohne industrielle Drittmittel nicht existieren könnte. Auch in Deutschland stieg deren Anteil von 2000 bis 2010 um etwa 60 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro an. Noch in den 70er Jahren hatte es nur ein gutes Dutzend Stiftungsprofessuren gegeben, 2011 waren es gemäß dem Statistischen Bundesamt schon 1591 geworden. Zieht sich der Staat zurück, rücken Unternehmen nach.
Wie sich das auf die grundgesetzlich geschützte Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre auswirkt, wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Christian Kreiß, früher Investmentbanker und jetzt Professor für Finanzierung und Wirtschaftspolitik in Aalen, zieht in seinem neuen Buch Gekaufte Forschung eine verheerende Bilanz. Längst bestimmten Konzerne „einen nicht geringen und seit Jahren wachsenden Teil unserer Forschungsagenden“, daraus resultiere „gelenkte Forschung“: „Wir bekommen immer stärker ein geistiges Korsett angelegt, subtil, ohne Gewalt, einfach durch ein sehr einseitiges, aber klar ausgerichtetes Prämiersystem.“
Sinistre Machenschaften
Anhand bekannter Fälle aus dem Ausland beschreibt Kreiß detailliert, wie es Tabak-, Pharma- und Agrarindustrie mittels strategisch rekrutierter Wissenschaftler gelang, ihre Interessen durchzusetzen. Seine Rückschlüsse auf den nationalen Forschungsraum geraten hingegen weniger konkret, verlieren sich häufig im Allgemeinen. Mitunter scheint Kreiß dabei vom Eifer des Konvertiten getrieben. Dass in Deutschland intensiver über Elektroautos als über Alternativen zum Individualverkehr geforscht werde und die Deutsche Bahn „seit vielen Jahren einen schleichenden Niedergang“ verzeichne, während der Schienenverkehr in der Schweiz floriere, trifft zu. Verantwortlich dafür sind aber nicht, wie Kreiß suggeriert, sinistre Machenschaften der Automobilindustrie, sondern einerseits die volkswirtschaftliche Bedeutung und der technologische Nachholbedarf einer Branche, die nahezu allein den deutschen Außenhandelsüberschuss erwirtschaftet und bei der Elektromobilität von amerikanischen und japanischen Mitbewerbern abgehängt worden war, andererseits die mit deutschen Gegebenheiten nicht vergleichbare Verkehrsgeografie der Schweiz sowie die vom Privatisierungswahn verschonte Schweizer Bundesbahn.
Dem wachsenden Einfluss der Industrie, so Kreiß, könne nur mit gesetzlichen Regelungen begegnet werden. Vor allem direkte Geldflüsse von Unternehmen an Universitäten seien zu verbieten, zivilgesellschaftliche Organisationen zwecks größerer Transparenz einzubinden. Ein Werbeverbot an Schulen müsse kommen. Kaum glaubhaft, dass 16 Landtage – nur ein gemeinsames Vorgehen aller Bundesländer wäre erfolgversprechend – diesem Maßnahmenkatalog zustimmen würden. Das Problembewusstsein fehlt noch, woran auch Kreiß nichts ändert.
Wissenschaft als Ware
Das Buch hat einen Konstruktionsfehler: Indem der Autor immer wieder auf skandalträchtige Negativbeispiele aus anderen Ländern rekurriert, legt er die Latte zu hoch. Valide Belege für direkte, gar kriminelle Einflussnahme deutscher Stifter auf universitäre Forschungsergebnisse sucht man vergebens. Die Relation nivelliert das, was als alarmierend gedacht war, und lässt die Defizite des deutschen Hochschulwesens als Petitesse erscheinen. Zustände wie in den USA sind hierzulande nicht zu erwarten. Der Verweis auf eigene Befindlichkeiten vermag das nicht zu kaschieren. Dem Ruf auf eine Professur für Corporate Finance an der Hochschule München sei er „nach mehreren Nächten schlechten Schlafens“ nicht gefolgt, obwohl man ihm im direkten Gespräch keine inhaltlichen Vorgaben gemacht habe. Es hätte „wie selbstverständlich im Raum gestanden, dass man gegenüber dem Stiftungsgeber natürlich keine nennenswerte Kritik übt, jedenfalls keine irgendwie tiefer gehende Kritik“.
Dieser selbstreflexiven Argumentation – weil ich so empfunden habe, muss es anderen genauso gehen – lässt sich keine Allgemeingültigkeit abringen. Ungewollt benennt Kreiß damit aber eine Bedinung externer Wissenschaftsfinanzierung, ohne die sogar gesetzliche Regelungen nur kosmetischer Natur wären: Universitätsleitungen und Forschungspersonal dürfen sich nicht selbst in Geiselhaft nehmen, der finanziellen Abhängigkeit auf Zeit darf nicht die mentale folgen. Die Bereitschaft zum Konflikt kann kein Landtag vorschreiben. Geld von der Industrie? Ja, gerne. Aber zu unseren Bedingungen. Sonst droht die Wissenschaft zur Ware, die Förderung zum Danaergeschenk zu werden.
Info
Gekaufte Forschung Christian Kreiß Europa-Verlag 2015, 240 S., 18,99 €
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