Viel Kopulation um nichts

Bühne Roland Schimmelpfennigs Fukushima-Stück „An und Aus“ läuft nach Tokio nun in Mannheim
Ausgabe 02/2016

Aus gegebenem Anlass zwei Vermutungen. Bloß vage bleiben, dröhnte es in Roland Schimmelpfennig. Prima, ein neues Werk eines namhaften Autors, das zieht Kritiker in meine Dramatik-Gruft, durchdrang es Mannheims Schauspielchef Burkhard C. Kosminski. Das Ergebnis: ein schwebendes Stück, das hängt. An und Aus heißt es. Alles aus wäre treffender.

Fukushima ist gemeint, so dräut es von der Papierwand auf der leeren Drehbühne, die Zahlen 11. 3. 2011 verraten es. Japan wollte es so. Um genau zu sein: das New National Theatre in Tokio. Nicht die Katastrophe, das Katastrophenstück. Aber tatsächlich so? Denn Schimmelpfennigs Kreativreaktor ist schon vom Netz, seine Brennkammer leer. Das Private triumphiert. Ein Hotel, drei Paare. Herr A und Frau Z treffen sich in Zimmer 1, Frau A und Herr Y in Zimmer 2, Frau Y und Herr Z in Zimmer 3. Buchstabensalat, ehebrecherisch angerichtet und von kopulierenden Schatten serviert. Geht es nicht eigentlich um etwas anderes? Viel wird deklamiert, wenig agiert. Figurentheater. Hunde, wollt ihr ewig an der Rampe stehen?

Die Sprache verschleiert, was deutlich sein müsste. Die Bilder sind Nebelwände, weißlich-wabernd wie der Dampf aus Kühltürmen und theorieschwer. „Theatertreffen, hier bin ich“, säuselt die Inszenierung fortwährend. Lyrisch, poetisch? Selten so gelacht. Pathetischer Bombast, auftrumpfende Phraseologie. Kosminskis Seiltänzertruppe tippelt von Episode zu Episode, unter sich den gähnenden Abgrund der Belanglosigkeit. Nur nicht abstürzen, Freunde. Mancher schafft es nicht. Reinhard Mahlberg (Herr Z) bleibt blass, betont kaum. Er trifft den Sound des Abends. Ragna Pitoll (Frau A) spricht überlegt und achtsam, die Silben messerscharf und funkelnd. Eine schöne Stimme. Vergeudetes Talent.

Ein Wal und eine Biene, Chiffren für Liebende, Folter für Leidende. Wo bleibt die Welle, die alles wegspült? Dieser dramaturgische Leichtbau wird keinem Beben widerstehen, man ahnt es in jeder Sekunde. Endlich. Papier fällt, die Darsteller rascheln damit. Der Untergang beginnt. Was, jetzt erst? Wir wähnten uns bereits mittendrin.

Gipsern starr

Auf der Bühne tut sich etwas. Menschen waren sie früher, jetzt sind sie Steine, Fische, Motten. Alles metaphorisch. Natürlich. Sterbende gibt es nur in der Realität, die hat im Theater nichts verloren. Niedlich, diese Naivität. Und so praktisch.

Der Fallout. Schwarze Schnipsel rieseln, bedecken den Boden. Biene wälzt sich darin. Euphorisch und weltvergessen, gefühlsselig und träumerisch. Anne-Marie Lux’ entgrenzte Gelöstheit öffnet ein Reich der Phantasmagorie, in dem Ideen über Konzepten stehen. Kurz, zu kurz verblasst das Kalkül und siegt die Leichtigkeit. Allein, das rettet den Tag nicht mehr. Mit Lux geht tatsächlich das Licht. Man dankt trotzdem herzlich, weil bescheiden geworden.

Die Bühne wird dunkel. Gipserne Starre im Parkett. Eingeschlafen? Artifizialität und Berechnung können ermüden. Es dauert lange, bis der Applaus einsetzt. Der Oberbürgermeister, ein Theaterkenner sui generis (die Mutter war immerhin Intendanzsekretärin), klatscht besonders laut. Er hat, nahezu im Alleingang, Kosminski einst zum Intendanten befördert. Andere Kandidaten hätten nur die badische Heimeligkeit gestört.

Info

An und Aus Text: Roland Schimmelpfennig, Regie: Burkhard C. Kosminski Nationaltheater Mannheim

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