Dem Globalisierungssog entkommen

WELTSOZIALFORUM IN BRASILIEN Aufbruch des Südens und ein multikultureller Jahrmarkt

Wollte man das Resultat der beiden nahezu parallel abgelaufenen "Weltforen", die den Stand einer "vor-sich-hin-galoppierenden" Globalisierung auf sehr unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Weise diskutierten, auf den Endstand einer Fußballbegegnung bringen, dann wäre ein Unentschieden das denkbare Resultat. Kommt ein Sympathie-Bonus in Betracht, wäre vielleicht ein hauchdünner Sieg für Brasilien geltend zu machen. Aber wir sind hier schließlich nicht in einer Fußball-Debatte, sondern eher schon in einer Globalisierungsfalle. Missverständnisse entstehen ohnehin ständig auf diesem Feld.

Ignácio Ramonet - Mitinitiator des Welttreffens sozialpolitisch engagierter NGO und Initiativen - ging sogar so weit, Anfang des Jahres als Leitartikler von Le Monde Diplomatique zu postulieren, das neue Jahrhundert werde tatsächlich erst mit dem Weltforum in Porto Alegre beginnen. Große Ansprüche, die wohl (noch) nicht in Erfüllung gingen: Es fiel dem Beobachter doch auf, wie nachteilig finanzielle und logistische Probleme einen produktiven Konferenzverlauf behindern können. Delegierte aus 117 Ländern - etwa zwei Drittel davon Brasilianer - waren dem Ruf auf das Gelände des Campus der katholischen Universität von Porto Alegre gefolgt. Summierte man die 200 Gäste und Redner, fast 2.000 Journalisten sowie 2.700 Indianer und Jugendlichen, die in einem Zeltlager ein Parallelprogramm bestritten, so kam man auf fast 10.000 Teilnehmer. Eine durchaus beeindruckende Zahl, wird dabei berücksichtigt, wie wenig räumliche und finanzielle Mittel den Organisatoren zur Verfügung standen: Von der städtischen Präfektur erhielt man eine Million Reais, vom Bundesstaat zwei Millionen - weitere Gelder steuerten die zahlreichen NGO bei. Insgesamt also offenbar ein Etat von umgerechnet unter 3,5 Millionen Mark. Für 2002 verspricht man deshalb Besserung und wird sich vielleicht auch von dem Anspruch trennen müssen, ein Treffen von über 10.000 Menschen in der Art eines multikulturellen Jahrmarktes aufzuziehen, der nicht unbedingt geeignet scheint, die sozialen Probleme der Globalisierung stärker zu Bewusstsein zu bringen. Statt dessen sollte vielleicht der "Workshop-Charakter" des Programms mehr betont werden. Ohne Zweifel bewährten sich in Porto Alegre die Workshops auf dem gesamten Campus und an Dutzenden anderen Orten in der Gúcho-Metropole als Stützkorsett des Forums. Die Grundidee bei den dort debattierten Themen war es, den Zusammenhang zwischen der Akkumulation von Reichtum und dem vorhandenen Demokratieverständnis sowohl in der Ersten als auch der Dritten Welt zu beleuchten. Es ging dabei ebenso um den globalen Arbeitsmarkt wie auch Umwelt und Freiheits-Anspruch des Weltbürgers. Die Debatte über Demokratieverständnis fand zu Themen wie der Frage nach einer Beschränkung oder Selbstbeschränkung der Nationalstaaten angesichts der großen Freiheit des operierenden Finanz-Kapitals und des Gewichts von Weltorganisationen, wie sie die Weltbank oder der IWF darstellen.

Was in Porto Alegre insgesamt unangenehm auffiel, war eine äußerst "dünne" Beteiligung deutscher NGO - ganz im Unterschied etwa zur Präsenz der Spanier oder der Franzosen, die in Brasilien sogar mit Regierungsmitgliedern des Pariser Linkskabinetts von Lionel Jospin zur Stelle waren.

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