Traurige Realität: Forschung muss man sich leisten können
Foto: Imago/Rupert Oberhäuser
Am Ende gelangen wir in die absurde Situation, in der wissenschaftliches Arbeiten nur noch als Hobby neben dem Brotjob möglich ist“, schimpft Jakob Birken, „das sagt über diese Gesellschaft schon einiges aus“. Der promovierte Kulturhistoriker und Medientheoretiker hat den „typischen Lebenslauf“ eines Akademikers in Deutschland, wie er sagt: insgesamt elf Verträge an vier Hochschulen in drei Bundesländern, ein befristeter Vertrag nach dem nächsten. Eigentlich sollte Birkens Prognose für die Zukunft der Forschung sich in diesem Jahr aufhellen, hat die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP doch versprochen, etwas gegen die Dauerbefristungen an den Universitäten zu unternehmen. Aber die Vorschläge, die die Hochsch
schulrektorenkonferenz (HRK) im Sommer vorlegte, entspannen die Gesichtszüge des Kulturhistorikers nicht: Einen Zeitraum für die berufliche Qualifizierung von zehn Jahren schlugen die Uni-Chefs vor, davon sollen maximal sechs zum Abschluss der Promotion dienen, vier Jahre für die Postdoc-Phase. „Spätestens danach“, heißt es in dem Papier, „folgen planbare Karrierewege entweder auf einer Juniorprofessur, einer Dauerstelle neben der Professur oder – was der weitaus häufigste Fall ist – außerhalb der Wissenschaft“.Zehn Jahre Wissenschaft, danach vielleicht Dauerstelle, Professur oder raus aus der Uni? Es sei zynisch, dass auf diese Weise eine „Karriereentscheidung“ vorverlegt werden solle, meint Birken: „Die Gesamtdauer der sogenannten Qualifikationsphase noch weiter zu reduzieren, unterwirft die universitäre Arbeit nur weiter einer neoliberalen Leistungsideologie.“Dass in Deutschland überhaupt daran gewerkelt wird, die Arbeit der Promovierenden und Postdocs an den Universitäten planbarer und sozial sicherer zu gestalten, ist einer Initiative dreier Wissenschaftler*innen zu verdanken: Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon traten 2021 die Internetkampagne #IchbinHanna los, um auf die katastrophale Situation an den deutschen Hochschulen hinzuweisen. Ein Erklärvideo des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter Bettina Stark-Watzinger (FDP), in dem anhand des fiktiven Charakters Hanna die Befristungspraxis im universitären Mittelbau gepriesen wird, hatte der Kampagne ihren Namen gegeben.Mitinitiatorin Amrei Bahr, Juniorprofessorin an der Universität Stuttgart, kritisierte die Hochschulrektorenkonferenz nun scharf: „Was es statt der Vorschläge der HRK braucht, ist eine echte Reform: Das Gesetz sollte auf die Promotion beschränkt werden und dafür Mindeststandards festlegen.“ Die Promotion sei eine fertige Ausbildung und ein Postdoc, also ein nach der Promotion an der Uni Forschender, nicht mehr in der Qualifizierung. „Durch eine Verkürzung der Höchstbefristungsdauer würde der Druck auf Wissenschaftler*innen nur noch weiter steigen. Sie müssten in kürzerer Zeit das leisten, was für eine dauerhafte Beschäftigung in der Wissenschaft gefordert ist.“ Was wirklich helfe, sei nur eine enorme Zunahme von Dauerstellen an den Universitäten.Interessante Ergebnisse, jetzt!Die Arbeitsverhältnisse der Promovierenden und Postdocs sind in einem gemeinsamen Gesetz geregelt, dem „Wissenschaftszeitvertragsgesetz“ von 2007. Das wurde eigentlich 2016 schon einmal reformiert. Doch die Änderungen halfen nicht: „84 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Universitäten werden nach wie vor mit einem Zeitvertrag abgespeist, über 40 Prozent von ihnen mit einer Vertragslaufzeit, die kürzer ist als ein Jahr“, rechnet Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), vor. Die GEW nahm das Gesetzeschreiben daher selbst in die Hand und legte Ende September einen Entwurf für ein „Wissenschaftsentfristungsgesetz“ vor. Konkret fordert die Gewerkschaft darin eine verpflichtende Entfristungszusage für Postdocs auf Haushaltsstellen, wie sie im Land Berlin durch den rot-grün-roten Senat seit 2021 bereits festgeschrieben ist. Zudem sollten nur noch Verträge von Mitarbeitenden, die nicht promoviert sind, für bis zu sechs Jahre befristet werden dürfen. Der Rest soll durch Dauerstellen abgedeckt werden.Die Hochschulrektor*innen, kritisiert auch Birken, blendeten völlig aus, dass es gerade im Mittelbau auf die Nachhaltigkeit von Lehre und Forschung ankomme. Diese Sichtweise reduziere „die Hochschularbeit auf einen Wettbewerb um einige wenige Professuren, der kontinuierliches Arbeiten an Forschungsprojekten unmöglich macht“.Denn die Befristungen haben nicht nur Konsequenzen für den Stresslevel der Doktorand*innen, sondern auch für die Qualität der Forschung. „Allein für die Promotion zähle ich inzwischen acht Arbeitsverträge mit Laufzeiten zwischen zwei Monaten und zwei Jahren. Meine Promotion werde ich auf Arbeitslosengeld I beenden. Das ist so verbreitet, dass inzwischen vom Stipendium der Agentur für Arbeit oder des Jobcenters gesprochen wird“, erzählt Kai Fritzler. Der 36-jährige Molekulargenetiker hat als wissenschaftliche Hilfskraft und Doktorand auf Basis zahlreicher befristeter Verträge in außeruniversitären Forschungseinrichtungen gearbeitet. Auch dort müssten wichtige Experimente bis zu einer Deadline „interessante Ergebnisse“ liefern. Wenn die Experimente, wie in der Wissenschaft üblich, keine oder unklare Ergebnisse liefern, die nächste Verlängerung des Vertrags aber unsicher ist, sei das ein Problem. „Während meiner Arbeit in der akademischen Forschung habe ich mehr als eine/n Kolleg*in gehabt, der/die versucht war, Ergebnisse interessanter oder aussagekräftiger darzustellen, als diese eigentlich waren“, so der Molekulargenetiker. Nicht selten lese er Veröffentlichungen, in denen Forschungsergebnisse berichtet werden, die nicht reproduzierbar sind.In der Wissenschaft gilt das Prinzip „publish or perish“ („veröffentlichen oder untergehen“). „Interessante Ergebnisse“ können in den wissenschaftlichen Top-Journalen veröffentlicht werden und sind die Eintrittstickets in den Wettbewerb um Drittmittel. Nur wer viele „gute“ Publikationen vorweist und Drittmittel im großen Umfang eingeworben hat, kann sich im Wettbewerb um eine Professur durchsetzen. Nebenbei haben natürlich noch Stallgeruch, Beziehungen und Auslandsaufenthalte an prestigeträchtigen internationalen Institutionen – mit sehr hohen Lebenskosten vor Ort – einen wichtigen Einfluss auf die Chancen im Wettbewerb um eine Professur.„Als Wissenschaftler sehe ich für mich keine Perspektive in Deutschland, ich werde die deutsche akademische Forschung verlassen“, lautet die Konsequenz des Molekulargenetikers Fritzler. Viele seiner Kolleg*innen gingen den Weg ins Ausland und wollen auch nicht nach Deutschland zurückkehren, berichtet er. Umgekehrt sähen internationale Kolleg*innen aus dem Ausland keinen Grund, in Deutschland weiterzuforschen, wenn sie erst mal die prekären Arbeitsbedingungen vor Ort erlebt und verstanden hätten. „Hier findet ein Brain Drain statt“, so Fritzler.