Das Stehrestaurant Felfela ist eine Institution in der Innenstadt von Kairo. Die Preise sind niedrig, der Andrang ist groß. Zu den Stoßzeiten wird in Hochgeschwindigkeit die typische ägyptische Küche ausgehändigt: Fast im Sekundentakt füllt dort Mahmoud Teller mit Koshari, dem typischen ägyptischen Nudelgericht. Er ist studierter Informatiker und damit einer von Zehntausenden überqualifizierter junger Ägyptern in unterqualifizierten Jobs.
Der Tahrir-Platz liegt direkt am Ende der Straße. In diesen Tagen ist dieser Umstand leicht an der Kundschaft zu erkennen: Touristen sind rar, dafür tragen viele Besucher Gasmasken um den Hals oder Taucherbrillen, die auf die Stirn hochgezogen sind – die Ausrüstung, derer, die sich ein paar Straßen weiter Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften liefern.
Tausende von Verletzten
Seit Donnerstagmittag vergangener Woche toben die Straßenschlachten rund um das Innenministerium im Zentrum von Kairo, nur ein paar Hundert Meter vom Tahrir-Platz entfernt. Viele Demonstranten sehen das Innenministerium als die Schaltzentrale des Übels. Keine andere staatliche Institution spiegelt für die Demonstranten stärker das Fortleben von Mubaraks Sicherheitsapparat wider. Für die meisten Demostranten besteht kein Zweifel, dass die tödlichen Auschreitungen im Stadion von Port Said im besten Falle fahrlässig hingenommen wurden – und im schlimmsten Falle als Racheakt an den politisch aktiven Ultras bewusst geplant.
Acht Menschen sind seit Donnerstag in den Straßen um das Innenministerium ums Leben gekommen, über 3.000 wurden verletzt. Die hohe Zahl der Verletzten und die im Verhältnis dazu niedrige Zahl der Toten ist auf die Wahl der Waffen seitens der Sicherheitsheitskräfte zurückzuführen: Gummigeschosse, Schrotkugeln und vor allem Tränengas, Tränengas, Tränengas.
Es setzt sich fest in den Häuserschluchten der Kairoer Innenstadt, es hängt über den Dächern. Auch Anwohner, die nie am Schauplatz des Geschehens waren, haben gerötete Augen. Der Geschmack des Gases ist auf den Lippen zu schmecken. Erschöpfung und Müdigkeit liegen auf den Gesichtern. Auch verhältnismäßig kleine Mengen an Tränengas bereiten Kopfschmerzen.
"Do not fire directly at people"
Wie bereits während der tödlichen Straßenkämpfe in der selben Straße im November mit über 40 Toten wird auch dieses Mal Tränengas eingesetzt, das in den USA hergestellt ist. Dies herauszufinden, bedarf wenig Recherche: Es steht auf den Kartuschen gedruckt. Entsprechend amerikanischer Vorschriften steht auf jeder Kartusche auch der Sicherheitshinweis: “Do no fire directly at people: Death or serious injury may result.” (Nicht gezielt auf Menschen feuern, dies kann zu schweren Verletzungen oder zum Tod führen.)
Die Sicherheitskräfte, die im Kampf gegen Demonstranten eingesetzt werden, scheinen sich diesen Sicherheitshinweis nicht sonderlich zu Herzen zu nehmen. Die meisten Todesfälle gehen laut Augenzeugen darauf zurück, dass Menschen von Tränengasgranaten am Kopf getroffen wurden. Inwieweit die Sicherheitskräfte unmittelbar dafür verantwortlich gemacht werden können, steht auf einem anderen Blatt: Selbst, wenn der Aufdruck auf der Kartusche nicht in Englisch, sondern in arabischer Sprache gedruckt wäre, könnten ihn die meisten nicht lesen. Das Innenministerium rekrutiert einen großen Teil seiner bewaffneten Einheiten aus der Unterschicht, viele davon aus dem armen und traditionellen Oberägypten. Das Reservoir an Rekruten, die weder Lesen noch Schreiben können ist groß, 40 Prozent der Ägypter leben unter der Armutsgrenze.
US-Milliarden für die Armee
Die schwarz uniformierten Kräfte des Innenministeriums sind der erste Adressat der Propaganda des Militärrats. In dieser Propaganda werden die wütenden Demonstranten als kalkulierende Unruhestifter dargestellt, die die Stabilität des Landes bedrohen. Die Anschuldigung von ausländischer Einflussnahme und Finanzierung wird gebetsmühlenartig wiederholt. Die Ironie liegt darin, dass die Institution, die seit vielen Jahren das meiste Geld aus dem Ausland erhält, die Armee ist.
Auch dieses Jahr hat der amerikanische Kongress wieder 1,3 Milliarden Dollar für die ägyptische Armee bewilligt. Seit Anwar as-Sadats strategischer Kehrtwende von der Sowjetunion hin zum Westen in den siebziger Jahren ist die Allianz zwischen den USA und Ägypten vor allem eine Allianz zweier Armeen. Und eine Win-Win Situation für beide Seiten: In Ägypten kann sich die Armee ihres Budgets sicher sein und in den USA können sich Rüstungsfirmen auf die Beständigkeit der Aufträge vom Nil verlassen. Ein Großteil der jährlichen Finanzspritzen für das ägyptische Militär fließt wieder zurück in die amerikanische Wirtschaft.
So unter anderem in die Auftragsbücher von CSI (Combined Systems Inc). Die Firma mit Sitz in Jamestown, Pennsylvania hat sich auf Gummigeschosse und chemische Reizgase spezialisiert. Die Angst des ägyptischen Militärrats vor der anhaltenden Unruhe im eigenen Volk bedeutet Aufwind für die Exporten von CSI. Seit dem Sturz Mubaraks stand das sogenanntes Anti-Riot-Equipment höher im Kurs als konventionelle Waffensysteme.
"Die tapferen Fünf"
Seit April 2011 hat Amnesty International drei große Lieferungen von CSI nach Ägypten dokumentiert: 21 Tonnen im April, knapp 18 Tonnen im August und eine Doppellieferung von sieben und 14 Tonnen Ende November letzten Jahres. In der Summe sind das über 100.000 Kartuschen an Tränengas – genug um die Straßen der Innenstadt von Kairo über Monate auszuräuchern.
Die jüngste Lieferung lief unmittelbar nach Ende der tödlichen Straßenkämpfe mit 46 Toten im November in den Hafen von Suez ein. Als ägyptische Zollbeamte am 28. November den Inhalt der Lieferung registrierten, weigerten sie sich diese freizugeben. Der Fall wurde in ägyptischen Medien publik, die fünf widerspenstigen Zollbeamten wurden in der dortigen Blogosphäre “die tapferen Fünf” getauft. Den Weitertransport des Tränengases konnten die fünf Zollbeamten jedoch nicht aufhalten, es wurde schließlich doch in die Lagerhallen des Innenministeriums weitergeliefert.
Mittlerweise ist ein Teil der frisch importierten Ware wohl wortwörtlich vom Winde verweht. Übrig bleiben die Kartuschen auf den Straßen, mit dem Aufdruck “Made in USA”.
Im Restaurant Felfela nahe des Tahrir-Platzes nimmt man die Dinge stoisch. Mahmoud schaufelte auch im November, als die Straßenkämpfe am heftigsten tobten, Koshari auf die Teller. Mit der üblichen automatisierten Bewegung – und Gasmaske im Gesicht.
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