Vielleicht ist es Galgenhumor. Vielleicht treibt Dennis Meadows auch die Einsicht, dass niemand einem ergrauten Griesgram zuhören will, der den Menschen verbittert vorhält: „Ihr wolltet nicht hören, das habt ihr nun davon.“ Der Pionier der Umweltbewegung, der sich an seinem Lebensabend eingestehen muss, wahrscheinlich vergebens vor dem Umweltkollaps gewarnt zu haben, spickt seine Auftritte mit Lachern.
Selbst kurz bevor ihm der japanische Kaiser im April den mit 500.000 Dollar dotierten Japan-Preis für die epochale Studie „Grenzen des Wachstums“ übergab, witzelte der 67-Jährige: Er beneide den anderen Preisträger, den Mediziner David Kuhl. Der Entwickler der Tomographie konnte nach seiner Bahn brechenden Entwicklung in den fünfziger Jahren Fortschritt erleben. „Für mich gilt das Gegenteil, für mich ist die Geschichte seit 1972 rückwärts gelaufen.“ Die Welt ist weniger nachhaltig, als sie es damals war. Noch immer müsse er die gleichen Fragen beantworten.
Aber das immerhin tut der bärtige Schlacks mit einer jugendlichen Frische, die man nach 37 Jahren als Kassandra der Umweltbewegung nicht unbedingt erwarten kann. Im Auftrag des Club of Rome berechnete Meadows 1972 gemeinsam mit seiner inzwischen verstorbenen Frau Donella, Jörgen Randers und William W. Behrens anhand von fünf Variablen die Grenzen des Wachstums. Ihre Voraussage sorgt bis heute für Furore: Wenn Bevölkerungswachstum, Industrialisierung, Umweltverschmutzung, die Lebensmittelproduktion und der Raubbau an Ressourcen ungebremst anhielten, würde das Wachstum der Welt zwischen 2020 und 2070 den Höhepunkt erreichen und eine Zeit dramatischer Veränderungen nach sich ziehen.
Dummerweise habe er sich gehörig verrechnet, gesteht Meadows in Tokio: „Es scheint wie beim Klimawandel zu sein, die Dinge geschehen schneller als wir erwartet haben.“ Bereits in den kommenden 25 Jahren werden Veränderungen eintreten, die die der letzten 100 Jahre in den Schatten stellen. Denn statt sich zügeln, trat die Menschheit kräftig aufs Gas. Habe die Menschheit 1972 erst 85 Prozent der nachhaltigen Produktionskapazität der Welt ausgeschöpft, seien wir heute bei 135 bis 140 Prozent. „Ging es früher noch darum, das Tempo zu verlangsamen, müssen wir nun hart bremsen“, sagt Meadows.
Ausdauer ist preiswürdig
Doch die Zuspitzung der Lage vermag den Mahner nicht zu erschüttern. Routiniert agitiert Meadows gegen Wachstumsglauben und für Verzicht und Umdenken. „Stabiles Klima, die Vorstellung, dass alle Armen so reich wie wir werden können – dies sind tote Konzepte“, sagt er. Doch mit Entschlossenheit und etwas Glück könne die Menschheit die Krise noch immer so gestalten, dass unsere heutigen demokratischen Grundwerte in Takt blieben, macht Meadows Mut. Die Menschen müssten lernen, in langfristigen Kreisläufen zu denken und Reichtum in Freunden, Freizeit und anderen immateriellen Dingen zu messen, dann wäre unendliches Wachstum möglich. Hoffen wir hingegen nur auf die Technik oder tun nichts, könnte die Welt auch zur Festungsgesellschaft werden, in der wenige Reiche sich auf Kosten der Massen wenigstens eine Zeit lang ein angenehmes Leben verschaffen. „Technik löst die Probleme nicht, sondern verschafft intelligent eingesetzt nur ein bisschen mehr Zeit, um die wichtigen Punkte zu lösen.“
Meadows Ausdauer hat die Juroren des Japan-Preises, der in Japan gerne als asiatische Alternative zum Nobel-Preis gesehen wird, tief beeindruckt. „Seit seiner ersten Veröffentlichung hat Dr. Meadows kontinuierlich die Ursachen und Konsequenzen von physischem Wachstum auf einem begrenzten Planeten erforscht“, heißt es in der Laudatio. Nach der Veröffentlichung seiner Studie wechselte der frühere Chemiker vom Massachusetts Institute of Technology ans Dartmouth College. Das hatte den Querdenker mit einer Professur für Wirtschaft und Ingenieurwesen geködert und machte ihn später zum Direktor des Zentrums für Ressourcenpolitik. Die letzte Etappe seiner wissenschaftlichen Laufbahn verbrachte Meadows von 1988 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2004 an der Universität von New Hampshire als Professur für Systempolitik und Direktor des Instituts für Forschung von Politik und Gesellschaft. Seit 2003 leitet er das Labor für interaktives Lernen. In diese Zeit fallen auch zwei aktualisierte Versionen seines Hauptwerks, Die Grenzen des Wachstums. Eines sagen die Juroren allerdings nicht, wohl aber Meadows: Konkrete Vorschläge im Kampf gegen den Kollaps liefert er nicht, er kenne nur die Probleme.
Der Mut zur Lücke ist Teil von Meadows‘ Lebensphilosophie. Gezielt ist er zu Beginn seiner Karriere in die komfortable Rolle des akademischen Orakels geschlüpft, das Fragen aufwirft, aber die Menschen mit der Suche nach Antwort allein lässt. „Ich habe 1972 eine grundsätzliche Entscheidung getroffen, mich nicht auf einen Kampf mit unseren Kritikern einzulassen“, sagt er. Er wollte lieber Problembewusstsein wecken. „Und dafür muss man die Menschen als erstes dazu bringen, besorgt zu sein.“ Eine Prise Weltuntergangsstimmung ist dafür ein probates Mittel. Und mit einer Prise Humor will er erreichen, dass seine Zuhörer zu handeln beginnen und nicht in Schockstarre fallen.
Das Orakel ist wieder gefragt
Sein Plädoyer für Verzicht ist allerdings schwer verdauliche Kost. Wo denn die Ölknappheit bliebe, fragten seine Kritiker lange. Andere vertrauen dem technischen Fortschritt. Und die Fakten schienen sie lange zu bestätigen. Die Weltbevölkerung stieg – und steigt noch heute, während sich gleichzeitig der Lebensstandard von immer mehr Menschen erhöhte. In vielen Industrieländern kehrten sogar Fische in einst vergiftete Flüsse zurück, den Umweltbewegungen sei dank. In den 90er Jahren verringerte sich daher das öffentliche Interesse an den Meadow‘schen Unkenrufen. Erst seit dem raketenhaften Anstieg des Ölpreises im Jahr 2007 und dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise ist der Rat des Orakels wieder hochgefragt.
Meadows genießt die Ironie der Geschichte. Für ihn haben die Explosion des Ölpreises und die Implosion der Wirtschaft nicht direkt mit den Grenzen des Wachstums zu tun, sondern mit klassisch kapitalistischer Spekulation und zyklischer Überproduktion. Dennoch kann er anhand der heutigen Krise ausmalen, was uns die Krise von morgen bringt. „Wir werden mit dem gleichen Mechanismen aus Überschießen und Kollaps konfrontiert werden.“ Nur der Knall wird größer sein als heute, weil in den kommenden Jahren oder Jahrzehnten die Ernten, die Öl- und Trinkwasserversorgung gleichzeitig den Höhepunkt erreichen, während der Bedarf weiter steigt. „Das System ist inhärent instabil.“ Der Kollaps kommt, nur weiß niemand genau, wann, wo und wie. Meadows hofft, dass die Menschen nun seinen Warnungen Glauben schenken.
Glossar
John Maynard Keynes (1883 1946)
Der britische Ökonom ist Namensgeber der Wirtschaftstheorie des Keynesianismus. Seine Ideen sind in dem 1936 erschienenen Buch Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes zusammengefasst. Darin zieht Keynes Schlussfolgerungen aus der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre. Er erklärt das Wachstum der Wirtschaft für begrenzt, irgendwann komme es natürlicherweise zur Stagnation. Ein weiterer Grundgedanke: In Zeiten der Krise soll der Staat seine Ausgaben erhöhen, anstatt zu sparen. Auf diese Weise werde zunächst der Gütermarkt angekurbelt, in Folge werde sich die Nachfrage nach Produkten erhöhen und letztendlich auch die Zahl der Arbeitsplätze. Ideen, die in letzter Zeit wieder stärker diskutiert werden, aber nicht überall auf Zustimmung stoßen. So wurde Keynes Buch von US-Konservativen zum zehntgefährlichsten Buch des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts gewählt.
Dennis Meadows
Mit der Veröffentlichung von Die Grenzen des Wachstums wurde der Wissenschaftler 1972 berühmt. Im Auftrag des Club of Rome hatte er darin untersucht, in welche Richtung sich die Weltwirtschaft entwickeln wird. Meadows stellte eine düstere Diagnose: sämtliche Ressourcen wären in wenigen Jahrzehnten erschöpft. Vor allem durch die Zerstörung der Umwelt, Rohstoffknappheit und einen Mangel an Nahrungsmitteln müsste dann das Wirtschaft- und Bevölkerungswachstum zum Erliegen kommen.
Nullwachstum
Wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst, liegt ein Nullwachstum vor. Früher wurde auch von Stagnation gesprochen, um den gleichen Sachverhalt zu beschreiben. Nullwachstum bedeutet, dass sich das Bruttosozialprodukt nicht mehr erhöht. Die Theorie geht davon aus, dass bei Nullwachstum im großen Ausmaß Arbeitsplätze verloren gehen und in der Folge Beiträge für Renten und Sozialkassen fehlen werden.
Club of Rome
Die 1968 in Rom gegründete Organisation hat es sich auf die Fahne geschrieben, für eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft der Menschheit einzutreten. Mitglieder des Club of Rome sind unter anderem Ökonomen, Industrielle und Wissenschaftler.
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