Axel Springer gehört zu den bedeutenden Deutschen des vergangenen Jahrhunderts. Um dies festzustellen, muss man den 1985 verstorbenen Verleger nicht unbedingt verehren. Selbst wenn man ihn stets gehasst hat, bleibt dieser Satz richtig. Und es ist allemal gerechtfertigt, Springer eine über 700 Seiten dicke Biografie zu widmen. Der Bonner Historiker und Politologe Hans-Peter Schwarz, Autor des voluminösen Werks, hat sich daran gewagt. Er ist der erste Forscher, der im Privatarchiv der Familie Springer recherchieren durfte, was primär damit zusammenhängen dürfte, dass er politisch eher im rechtskonservativen Lager zu verorten ist. Herausgekommen ist ein gut lesbares und ergiebiges Buch. Denn Schwarz verschweigt auch solche Fakten nicht, die nicht in sein Bild Springers passen, und das macht sein Buch wertvoll. Zumal, wenn man es mit der vor ihm erschienenen Springer-Biografie des früheren Spiegel-Chefredakteurs Claus Jacobi vergleicht.
Jacobi, ein enger Vertrauter Springers, führt nämlich vor, wie intellektuell erbärmlich das Milieu war, das Europas einflussreichster Verleger anführte. Für Jacobi war Springer kein irdischer Mensch, sondern "im Grenzbereich des Genialen" zu suchen. Springer werde, so weiß er, "im Positiven wie im Negativen meist aus der Froschperspektive beurteilt", worunter nachweisbar auch Jacobis Buch fällt. Das ist der Unterschied zur neuen Biografie von Hans-Peter Schwarz; der wenigstens sein Handwerk ordentlich betreibt.
Schwarz zeichnet nach, wie Springer, geboren in eher großbürgerlichem Hause in Hamburg-Altona, früh ein Dandyleben führend, bald im väterlichen Verlag (und im nationalsozialistischen Deutschland) Karriere machte. Nach 1945 baut er, zunächst mit John Jahr und Max Schmeling, seinen eigenen Verlag auf: Das Hamburger Abendblatt wird gegründet, später HörZu, noch später die Bild-Zeitung. Springer wird zur führenden Verlegerpersönlichkeit Deutschlands - und zwar eine mit einer Mission: die Wiedervereinigung war sein erstes und treuestes Ziel, später die Bekämpfung des Kommunismus und die Aussöhnung mit Israel. In den späten Sechzigern geraten Springer und seine Pressemacht in den innenpolitischen Fokus.
Wenn es um politische Bewertungen geht, kann man freilich auch Schwarz nicht trauen: Er versucht etwa stets, den Nachweis zu erbringen, dass der junge Springer schon als Chefredakteur der väterlichen Altonaer Nachrichten entschiedener Gegner der Judenverfolgung gewesen sei: Zum einen weil er eine junge Frau, die den Nazis als "Halbjüdin" galt, geschwängert und geheiratet hatte (und sich 1938 unter dem Druck des Systems von ihr scheiden ließ), zum anderen, weil in den Altonaer Nachrichten am 1. Januar 1933 ein Leitartikel erschien, in dem beklagt wurde, dass kein Deutscher das Ausland so hasse, "wie er seinen andersdenkenden Volksgenossen in den Abgrund der Hölle wünscht". Den Wunsch des frühen Springer, man solle doch das Ausland bekämpfen, und im Inland alle zusammenrücken, nennt Schwarz ein "sympathische Grundeinstellung".
Schwarz´ Glück ist, dass es noch Jacobi gibt, und der führt sich immer noch ein paar Grad dümmer und skandalöser auf. Über die späten sechziger und frühen siebziger Jahre schreibt Jacobi beispielsweise, sie seien hart gewesen, es wurde "mehr Demokratie gewagt. Verbrecher erhielten Ausgang wie Rekruten. Tugend wurde belächelt. Pornographie lief Prüderie den Rang ab. Drogen wurden schick." So schlimm war´s in Westdeutschland: "Die Kommunisten waren in die Zielgerade eingebogen und dem Sieg nahe." Das hatte Folgen für Springer: "Mitläufer und Schmarotzer fielen von ihm ab wie voll gesogene Zecken vom Rüden." Jacobi, immerhin, blieb.
Schwarz hält Springers Einstellungen politisch oft für bedenklich. Er bleibt aber doch stets der Biograf, der Distanz hält. Jacobi aber entstammt der Entourage der Speichellecker rund um Springer. Wie servil es da zuging, berichtet Jacobi gerne, ohne etwas zu merken: Springers Privatsekretär Walter Schultz nahm dem Willen seines Chefs gemäß den Nachnamen seiner Mutter an und hieß fortan Schultz-Dieckmann. Oder: Springers spätere Frau Erna Frieda Bertha Küster wurde vom Göttergatten höchstpersönlich in Katrin umgetauft. Oder: Als für Springer wieder eine Scheidung anstand, schickte er seinen Vertrauten Christian Kracht zu Gattin Rosemarie, um die Nachricht zu überbringen. So viel Entwürdigung kann einem passieren, wenn man den Leader of the Pack als göttliches Genie verehrt. Wie sich Springer seine Lakaien züchtete, erfährt man bei Schwarz: Als Springer einmal seinen Chauffeur geohrfeigt hatte, "schämte er sich dessen und kaufte dem Betreffenden einen roten Sportwagen".
Wie solche Lakaien, so sie journalistisch tätig sind, schreiben, erfährt man bei Jacobi. Einmal lobt er die Akribie seines Idols: "Seine Brieftexte redigierte er vier- oder fünfmal", zitiert er eine Sekretärin. Auf der gleichen Seite, keine zwanzig Zeilen tiefer, lobt er die Spontaneität: Notizen hat er "schnell, flüchtig, einfach hingeschrieben ... und am Morgen hat er sie unkorrigiert verschickt. Einfach so. Wozu Mut gehörte", zitiert er einen Redakteur. Unkorrigierte, lediglich viermal redigierte Notizen? Jacobi merkt gar nichts mehr. Er schreibt etwa: "Franz von Assisi predigte vor Vögeln. Springer umarmte zuweilen Bäume. War es da nicht eher wahrscheinlich, dass die Menschen ihn ebenfalls später einen Heiligen nennen würden?" So kann man Menschen, die Bäume umarmen, natürlich auch nennen, und in diesem peinlichen Gestus schleppt sich Jacobi über die Seiten.
Schwarz gesteht zu, dass Springers Selbstbild "uns lächerlich erscheint". Jacobi in seiner liebedienerischen Einfalt offenbart jedoch tiefere Einblicke in Springers Milieu. Und das ist, vergegenwärtigt man sich die Machtfülle des Verlegers, abenteuerlich. "Er meinte an sich die Wundmerkmale des ans Kreuz geschlagenen Jesu zu entdecken". Und: "Nun glaubte Axel Springer Blut auf den Einlagen seiner Schuhe zu sehen". In einem Museum glaubte Springer, ein Bild von sich zu sehen: Er ging näher - "und sah schließlich, dass es eine Jesus-Darstellung war." An diesen Stuss glaubt Jacobi wirklich, Schwarz hingegen findet durchaus irdische Motive für so manchen Spleen Springers. Sein pathologischer Antikommunismus etwa sei "defensiven Reflexen" entsprungen: Angst vor einem wie auch immer möglichen Vordringen roter Ideen, die letztlich seinen Konzern bedroht hätten. Doch da wo der seriöse Historiker partout nichts schönreden kann, sagt er es eben: "Springer ist für Stimmungen eines frustrierten Patriotismus und für Nostalgie nach dem Deutschen Reich nicht ganz unempfänglich gewesen."
Jacobi hingegen findet nichts Irdisches an Springer, voller Bewunderung schreibt er: "Wenn der Arzt ihm eine Pille verordnet hatte, schluckte er vier. Seine Erklärung: Für mich gelten andere Gesetze." Entsprechend bücklerisch fällt Jacobis Bilanz aus: "Kanzler und Kabinette waren gemessen an ihm vorübergehende Erscheinungen." Jacobis Chef war einzig. "Wenn aber ein Licht neben Axel Springer allzu hell aufleuchtete, war er nicht amüsiert." Da hat Springer ja beim Biografen Jacobi Glück gehabt. Für Schwarz´ Biografie hingegen gilt, dass sie selbst neben dem hell leuchtenden Stern namens Springer Bestand haben kann.
Claus Jacobi Der Verleger Axel Springer. Eine Biographie aus der Nähe. F.A. Herbig, München 2005, 352 S., 24 EUR
Hans Peter Schwarz Axel Springer. Die Biografie. Propyläen, Berlin 2008, 733 S., 26 EUR
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