Boxen ist klüger

Sportplatz Das ZDF war doof. Seine Sportredaktion hatte nicht dem Sport vertraut. Um den WM-Kampf des deutsch-polnischen Profiboxers Dariusz Michalczewski gegen ...

Das ZDF war doof. Seine Sportredaktion hatte nicht dem Sport vertraut. Um den WM-Kampf des deutsch-polnischen Profiboxers Dariusz Michalczewski gegen Julio Cesar Gonzalez aus Mexiko zu bewerben, hatten die Deppen aus Mainz nicht darauf hingewiesen, dass Michalczewski ein, was etwas heißen will, unumstrittener Weltmeister ist. Sie hatten nicht beworben, dass Gonzalez ein erstklassiger Herausforderer ist. Und sie hatten nicht herausgestellt, dass Michalczewski schon 35 Jahre alt ist und in diesem Boxeralter die Fähigkeiten sehr schnell nachlassen können. Michalczewski verlor den Kampf am vergangenen Samstag in Hamburg nach Punkten und ist nun seinen Weltmeistertitel los. Und sein Gegner war erstklassig.

In seinem Marketingkonzept hatte das ZDF nicht auf die Eigengesetze des Boxsports vertraut, sondern wollte selbst Spannung erzeugen. Man glaubte zwar, dass ZDF-Boxer eh gewinnen, zumindest dann, wenn sie deutsche Promoter haben, die ihnen fein ausgesuchtes Fallobst in den Ring stellen. Aber man setzte noch eins drauf mit dem selbst ausgetüftelten Werbeslogan "Auf zum Weltrekord". Michalczewski sollte "Weltrekordler" werden, einen Titel erhalten, den es in der von ihm betriebenen Sportart gar nicht gibt. Aber er sollte, hieß es, nach seiner Bilanz von 48 Siegen ohne Niederlage und ohne Unentschieden nun mit seinem erwarteten 49. Sieg die Bilanz des legendären Schwergewichts-Weltmeisters Rocky Marciano aus den USA einstellen.

Dann wäre, so stellt sich die ZDF-Sportredaktion den Sport vor, Michalczewski der beste Boxer aller Zeiten: Besser als Muhammad Ali, als Joe Louis, als Jack Johnson, als Sugar Ray Robinson, als Joe Frazier.

Das ist, als wählte man zum besten Fußballer aller Zeiten denjenigen, der die längste Zeit an ununterbrochenen Spielminuten zusammenkriegt. Und außerdem ist es ja falsch: der Mexikaner Julio Cesar Chavez gewann die ersten 87 Kämpfe seiner Karriere, der Amerikaner Willie Pep die ersten 62, kassierte dann eine Niederlage, um noch 74 Mal in Folge zu gewinnen und mit insgesamt 230 Siegen abzutreten.

Der Federgewichtler Pep und der Superleichtgewichlter Chavez waren grandiose Sportler, wie auch der Halbschwergewichtler Michalczewski ein grandioser Sportler ist, der hoffentlich dereinst in die Hall of Fame aufgenommen wird. Aber ihre Größe im Sport bemisst sich nicht in einer unwichtigen Rekordliste, die, wenn sie überhaupt etwas aussagt, dann doch nur Zeugnis davon gibt, dass in Deutschland Profis sehr lange mit sehr leichten Gegnern aufgebaut werden, damit ihr Kampfrekord beeindruckt. So wurden hierzulande seit Bubi Scholz die Boxer aufgebaut, das gilt auch für Henry Maske, Sven Ottke und die Klitschko-Brüder.

Dieses Verfahren hatte zur Folge, dass in den USA kaum jemand deutsches Boxen wahrnahm und dass deutsche Weltmeister, wie etwa Maske oder Ottke, nie auf die Idee kamen, einen Welt-Titel vielleicht auch in der Welt, also außerhalb Deutschlands zu verteidigen. "Die einheitliche Meinung in Amerika war bislang, dass ein ausländischer Boxer in Deutschland seinen Gegner ausknocken muss, sonst könne er nicht gewinnen", sagt der amerikanische Boxexperte Hank Kaplan. Michalczewskis Punktniederlage ist für Kaplan "ein Sieg für die Glaubwürdigkeit des deutschen Profiboxens". Plötzlich wird Punktrichtern, die hierzulande schon des Öfteren schwer nachvollziehbare Voten abgaben, doch wieder zugetraut, Kämpfe halbwegs so zu bewerten, wie es dem Kampfverlauf entspricht.

Mit der Logik vom Boxweltrekord, die das ZDF herumtrompetete, hat das natürlich nichts zu tun. Nach dieser Logik wäre Michalczewski, der neun Jahre lang Halbschwergewichts-Weltmeister der WBO war, ein gescheiterter Sportler, der nun bei Null anfangen müsste, um vielleicht irgendwann doch noch auf 49 Siege in Folge zu kommen. Das ZDF ist doof.

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