Fernsehen besteht ja vor allem aus Bildern, und die Öffentlich-Rechtlichen haben auch brav 27 Stunden aus Sydney Bilder von den Olympischen Spielen gesendet: Der tanzende Triathlet, der übers Warum-nicht-mal-ein-Bier-trinken sprechende 800-Meter-Läufer, die zum siebten Mal Gold holende Kanutin Birgit Fischer, der sich bekreuzigende Radprofi Jan Ullrich. Aber wer hat eigentlich den olympischen Zehnkampf gewonnen? Da das Fernsehen vor allem aus Bildern besteht, wissen wir, dass es Frank Busemann war. Er muss es gewesen sein.
In Wirklichkeit belegte Busemann zwar nur einen hinteren Platz, aber was ist schon Wirklichkeit? Das, was auf den Ergebnistafeln zu lesen ist? Das, was ein Reporter über den Ausgang des Wettkampfs im Off-Ton berichtet? Noch vor etwa zwanzig Jahren war die Wirklichkeit eine andere. Da wäre Busemann von den gesendeten Bildern nur selten präsentiert worden. Aber seither wurde die Weltregie, also das Bildangebot, das die größte Fernsehanstalt des Olympiagastgeberlandes offeriert, zunehmend unwichtiger. Stattdessen sind die reicheren Länder alle mit eigener Übertragungstechnik bei Olympischen Spielen vor Ort, die nicht nur für eigene Live-Interviews sorgt, sondern auch das Sportereignis selbst nur noch aus jeweils nationaler Perspektive zeigt.
Früher sah die ganze Welt die selben Bilder, heute bedienen sich TV-Anstalten wie ARD und ZDF nur noch aus diesem Pool, wenn man gerade mal nichts Eigenes hat. So wird nicht nur im Schwimmbecken die von dem Deutschen benutzte Bahn dunkler eingefärbt, nicht nur bei der Vorstellung stets beim Deutschen verweilt, nicht nur kurz vor dem Rennen die schwarz-rot-goldene Fahne aufs Wasser projiziert und auch nicht nur der deutsche Rekord mit grauer übers Wasser wandernder Linie gezeigt, wenn nicht gerade ein mit gelber Linie markierter Weltrekord im Bereich des Möglichen war. Die im Off-Kommentar sprechenden Journalisten durften also gar nicht mehr enthusiasmiert »Deutschland, Deutschland« brüllen wie weiland Herbert Zimmermann, der 1954 beim Fußball-WM-Finale in Bern stilbildend wirkte. Das durften sie nicht etwa deswegen nicht, weil es z.B. im Schwimmwettbewerb ein wenig lächerlich geklungen hätte, wenn Kristin Otto gefordert hätte, sie für verrückt, für übergeschnappt zu halten, Deutschland habe schließlich soeben einen fünften Platz im Halbfinale erkämpft. Nein, sie durften es deswegen nicht, weil sonst jede Form von halbwegs seriösem Journalismus, der immer noch nicht ohne die Beantwortung der fünf Ws auskommt - wer, wann, was, wann, wo -, verloren gegangen wäre. Das ist der Grund, warum sich die deutschen Reporter in den Stadien so erstaunlich zivilisiert präsentierten.
Der Nationalismus kam diesmal unauffällig durch die Bilder daher. Auf den ersten Blick war er noch nicht mal sonderlich unangenehm, ja beinah so annehmbar wie ein grüner Außenminister. So schlimm kann Sport sein, und entsprechend zahm fiel auch die Medienkritik aus, sie konzentrierte sich aufs Einfache. Etwa auf einen Waldemar Hartmann, der lobte, wenn ein deutscher Sportler das Deutschlandlied textlich beherrschte (»alle drei Strophen, sehr gut!«), auf einen Wolf-Dieter Poschmann, der alles, was er gut fand, »blitzsauber« nannte und nur noch das »Blitzmädel« und der »Blitzkrieg« zu fehlen schienen, oder auf einen Michael Steinbrecher, der tatsächlich Nils Schumann als Ralf Schumacher anmoderierte und damit bloß unter die Kategorie »Solche Idioten unterhalten uns« fiel. Darüber soll sich der Kritiker wirklich echauffieren?
Er muss nicht. Schon deswegen nicht, weil eine Olympiaübertragung eher nicht wegen der Studiogäste geschaut wird, und wer in Sydney erleben durfte, wie Gerhard Delling Muhammad Ali interviewte, wird wohl zur These neigen, dass selbst hochinteressante Studiogäste das Abschalten nicht verhindern. Noch weniger wird Olympia wegen der Anmoderation geschaut. Nicht die Frage, ob bei euch im Schwimmstadion ganz schön was los ist, interessiert den Zuschauer, sondern doch eher die ausführliche Antwort, was denn da los ist: ein Weltrekord beispielsweise oder auch, meinetwegen, eine Bronzemedaille für einen deutschen Schwimmer. So sinnvoll es ist, wenn sich die Medien in der Medienkritik mal als selber zum Unheil anstiftende Subjekte begreifen, so richtig und wichtig ist doch der Gedanke, dass es sich beim Fernsehen wie auch dem Radio und der Zeitung vor allem um ein Medium handelt: den Überbringer einer Information von A nach B, wobei nicht wichtig ist, ob die Information gefällt oder nicht, sondern bloß, ob sie wichtig ist. Ob sie das ist, hängt vom gesellschaftlichen Diskurs ab, und der ist im Sport gut erkennbar.
Wer ist der Star dieser Olympischen Spiele? 1972 war es Mark Spitz, der Schwimmer mit den sieben Goldmedaillen. 1976 war es Nadia Comaneci, die Turnerin mit dem Zehn-Punkte-Abo. In Moskau 1980 fehlte ein Star, weil die Weltmarkt-Medienmaschine, die einzig Weltstars zu produzieren im Stande ist, durch den Boykott des Westens desinteressiert war. Das war vor zwanzig Jahren. So richtig national wurde es ab den neunziger Jahren. Ein hierzulande als Weltstar wahrgenommener, alles dominierender Athlet fehlte 1992 in Barcelona, stattdessen verehrte die Nation eine 14-jährige Schwimmerin namens Franziska van Almsick, die überraschend Zweite wurde. So war es auch 1996 in Atlanta, als mit Silber im Zehnkampf Frank Buseman bekannt wurde. Seither kennt man in Deutschland keine Weltstars mehr, bloß noch das heimische Personal von den hinteren Plätzen. Von diesen Sportlern weiß man, dass sie in Wirklichkeit die Olympischen Spiele dominiert haben. Man hat es nämlich im Fernsehen gesehen, und das besteht ja nur aus Bildern.
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