Die Droge Fußball

KLARE DIAGNOSE Daums Realitätsverlust entspricht dem Machtkampf beim DFB

Der Befund, mit dem Christoph Daum des Drogenkonsums überführt wurde, ist unstrittig. Eine große Karriere ist zerbrochen, der dazugehörige Mensch auch, und der Fußballtrainer hat rein gar nichts im Angebot, was zur Erklärung oder gar zur Widerlegung taugte: Vom »Komplott« ist die Rede, von »Fälschung«, und Daums Lebensgefährtin spricht von »Mafiamethoden«. Selbst eine Story über injizierte Zahnpastatuben, deren Inhalt ihm Dieter Baumann nächtens in die Nase gespritzt hätte, klänge glaubwürdiger.

Christoph Daum floh am letzten Freitag vor dem deutschen Fußballbusiness, dem der Workaholic in seinem Leben doch alles verdankt und dem er sich so angepasst hatte. Der Druck, der auf Fußballtrainern lastet, ist enorm: Die einzige (und ja auch nicht schlechte) Kompensation, die ihnen geboten wird, ist die monetäre. Aber beim Stressabbau sind sie auf sich allein gestellt. Nicht wenige saufen, werfen sich Tabletten ein, und - so sieht's ja grade aus - mindestens einer nimmt Koks.

Der Drogenexperte Günter Amendt berichtete in einem Süddeutsche-Interview, worin die Funktionalität der Droge besteht: »Kokain ist der Treibstoff der New Economy«, 70 Prozent der Konsumenten zählten zur oberen Mittelschicht, sie arbeiteten da, wo Hochgeschwindigkeit abverlangt würde. Mit Kokain schafft man Dinge, so Amendt, »zu denen man im Normalzustand nicht in der Lage wäre.« Der Erfolg des Fußballtrainers Daum ist vom Drogenkonsum des Menschen Daum gar nicht zu trennen. Nur durch Fußball konnte der im Duisburger Arbeitervorort Beeck großgewordene Daum das werden, was er bis Freitag abend war: millionenschwerer Medienstar, gefragter Referent auf Manager-Motivationsseminaren und noch einiges mehr.

Doch nur durch Kokain konnte er im Fußball so groß rauskommen. Kokain gilt als die Droge der Menschen, die dauernd obertourig agieren, quasi ständig 110 Prozent geben. Menschen also, die dem psychischen Druck, der in ihrem Job entsteht, nicht gewachsen sind. Der Koks führt dazu, dass man die gesellschaftliche Wirklichkeit, obwohl sie einen überfordert, als annehmbar empfindet. Dies ist wohl auch der Grund, warum sich Daum - der von niemandem juristisch, aber sehr wohl vom öffentlichen Diskurs gedrängt wurde - freiwillig einer Haaranalyse unterzog. Gewiss ist das ein dramatischer Realitätsverlust, aber dass diesen gegenwärtig auch solche Kommentatoren bei Daum konstatieren, die gar nicht merken, dass mit dem Ex-Trainer Udo Lattek ein bekennender Alkoholiker vor Drogen im Fußball warnt, dass die Fragen für einen Beitrag der ZDF-Reporter Rolf Töpperwien stellt, der vor wenigen Monaten nach einer Kokain-Orgie sich beinah selbst verbrannt hätte, und dass Leverkusens Manager Reiner Calmund jammert, der Name des Pharmakonzerns Bayer dürfe nicht in Zusammenhang mit Drogen gebracht werden - dass dies keiner merkt, soll kein Realitätsverlust sein?

Die Logik derselben Ökonomie, mit der sich Daum koksend arrangierte, sorgte auch für seine Überführung. Es war die vom großen Konkurrenten, dem Bayern-Manager Uli Hoeneß, initiierte Diskussion über Daums Befähigung zum Bundestraineramt. Sie war Ausdruck eines Kampfes um die Hegemonie im deutschen Fußball und »nur mit den Maßstäben eines politischen Machtkampfes zu verstehen« (Frankfurter Allgemeine).

Nach der tiefen Krise, die durch das miserable Abschneiden bei der Europameisterschaft ausgelöst wurde, investierte Bayer Leverkusen am meisten in die Krisenbewältigung: Sie stellten ihren Cheftrainer Daum ab, und ihr Sportdirektor Rudi Völler wurde Interimstrainer, während der große Konkurrent aus München passiv blieb. Schließlich profitierte das Team mit dem Ruf, das weltweit bekannteste Fußballmarkenzeichen Deutschlands sein und die eigentliche Nationalmannschaft zu bilden, auch von der Krise des DFB.

Als die scheinbar so labile Konstruktion mit Rudi Völler auf einmal doch erfolgreich zu werden schien und wider Erwarten Bayer Leverkusen der Gewinner und neue Hegemon im deutschen Fußball zu werden drohte, traten die Bayern die Daum-Kampagne los. Nun fiel Daums Haar-Analyse positiv aus, und Uli Hoeneß' Prognose, etliche Leute müssten sich wohl bei ihm entschuldigen, scheint doch zuzutreffen. Aber der deutsche Fußball ist viel zu wichtig, als dass die Bayern jetzt ihre Interessen vergäßen - bloß, weil gerade ein Mensch zerbrochen ist. Man muss nur Franz Beckenbauer grinsen sehen, während er von der »menschlichen Tragödie« spricht, um zu ahnen, wie zufrieden man beim FC Bayern mit dem Verlauf der Affäre ist. Was Bayern-Vize Rummenigge mit dem Hinweis, er empfinde keine Schadenfreude, diplomatisch zum Ausdruck bringt, formuliert Bayerns Ex-Libero Lothar Matthäus im Kicker unbeholfen und ehrlich so: »Natürlich muss Daum geholfen werden. Freilich darf man ihn nicht fallen lassen.«

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