Diese Konstellation war vor 10 Jahren unwahrscheinlich und vor 20 unmöglich: Der Weltmeister im Profischwergewichtsboxen des Verbandes IBF kommt aus der Ukraine, der der WBA kommt aus Russland und der der WBO aus Belorus. Wenn demnächst der letzte der vier nennenswerten Schwergewichtsweltmeister, der WBC-Champ Hasim Rahman aus den USA, gegen den Kasachen Oleg Maskaew verlieren sollte, wäre die Neuordnung des Weltboxens komplett.
Nicht mehr die Vereinigten Staaten von Amerika, die mit Jack Dempsey, Joe Louis, Muhammad Ali, Joe Frazier, George Foreman oder dem jungen Mike Tyson Boxgeschichte geschrieben hatten, dominieren das Profiboxen in der schwersten Gewichtsklasse. Auf den ersten Blick sind es Sportler der ehemaligen Sowjetunion, die die begehrten Titel innehaben. Doch auf den zweiten Blick sind es gar nicht die, die gerne und einfach als "die Russen" tituliert werden, die heute die Macht im Schwergewichtsboxen innehaben.
Dass der Kampf des Ukrainers Wladmir Klitschko am vergangenen Samstag gegen den Amerikaner Chris Byrd nicht, wie die meisten früheren Schwergewichtsweltmeisterschaften, zumal solche von wichtigen Verbänden wie dem der IBF, in Las Vegas stattfand, sondern in Mannheim verweist auf eine ganz andere Zäsur in der Machtverteilung dieser symbolträchtigen Sportart, als man sie vermutet.
So wie in den USA es zwar überwiegend die schwarzen Boxer, selten aber schwarze Boxunternehmer und so gut wie nie schwarze Fernsehproduzenten sind, die sich die ökonomische Potenz des Boxens zunutze machen, so liegt die Macht beim aktuellen osteuropäischen Boxboom nicht in der Hand der Nachfolger der Sowjetunion.
In 102 Länder wurde der Klitschko-Byrd-Fight übertragen. HBO, der größte amerikanische Boxsender, der früher nur Aufzeichnungen übertrug, sendete diesmal live, das heißt zu einer für Amerikaner ungünstigen Zeit. Prime Time gab es für Europa - wo auch das Zeitdiktat festgelegt wurde, und dahinter stand mit Klaus-Peter Kohl ein deutscher Promoter. Der hat zwar seinen Managementvertrag mit den Klitschkos vor geraumer Zeit verloren, aber das Recht, Boxabende mit ihnen zu veranstalten, kann man sich im internationalen Boxen ersteigern, behält er natürlich.
Sind einem nationalistische Anwandlungen, wonach arrogante Amis endlich im zweiten Glied stünden, eher fremd, kann man sich über die neue europäische Dominanz im Weltboxen nur ärgern.
Dass im Profiboxen geschoben, korrumpiert, manipuliert und sonst wie unfein gearbeitet wird, ist bekannt. In den USA, wo der Boxsport einen ungleich größeren und vor allem seriöseren Stellenwert genießt als in Westeuropa, hat es daher in den vergangenen Jahrzehnten des Öfteren erfolgreiche staatliche Interventionen gegeben, um die Macht beispielsweise der Mafia oder von Wettkartellen zu unterbinden. Zuletzt wurde ein Gesetz beschlossen,wonach strikt untersagt ist, dass Manager und Promoter in Personalunion handeln dürfen: der Manager hat den Boxer zu vertreten, der Promoter veranstaltet den Abend. Folglich handeln Manager und Promoter die Börse des Boxers aus, der Manager möchte eine möglichst hohe herausschlagen, der Promoter eine möglichst niedrige auszahlen. In Deutschland gibt es diese sinnvolle (und von einem intakten Liberalismus erzwungene) Trennung der Funktionen nicht. Bis auf wenige Boxer, die sich, wie etwa die Klitschkos, emanzipieren konnten und eigene Firmen gegründet haben, sind Berufsboxer Angestellte von Boxställen, die für sie Boxabende veranstalten und für sie als Manager auftreten, wo sie dann mit sich selbst verhandeln können.
Solche Unsitten bleiben nicht ohne Folgen, und die kann man durchaus beim Kampf in Boxringen beobachten. Amerikanische Profis klagen fast durch die Bank über die Zustände in europäischen, vor allem deutschen Ringen. Sieht man von Titelkämpfen ab, würden fast nie Paarungen zusammengestellt, die einen offenen Ausgang hätten. Sie würden in der Regel aus Amerika nur zum Verlieren eingeflogen, und wenn sie durch gutes Boxen die Oberhand bekämen, griffen die Ringrichter ein. Gewiss, im amerikanischen Boxgeschäft gibt es solche Zustände auch, aber zum einen sind sie seltener, zum zweiten - und das ist entscheidend - gibt es dort eine Öffentlichkeit, die dies nicht billigt. Hier zu Lande jedoch überwiegt oft die Zufriedenheit, dass der eigene Mann gewonnen hat, und wenn der nicht der bessere war, wird das bestenfalls Achsel zuckend zur Kenntnis genommen.
Der Machtzuwachs der osteuropäischen Boxer, finanziert zu einem nicht geringen Teil von westeuropäischen Unternehmern, ist also leider nicht Ausdruck einer größeren Chancengleichheit in einer vom Weltmarkt erschlossenen Welt, sondern steht für den Einbruch anachronistischer Machtverbände in einen bis dato leidlich gut funktionierenden Markt.
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