Fans sind auch Menschen

Sportplatz "Lesen Sie sich doch die drei Punkte durch", sagt Daniel Kokscht, 19, aus Berlin, "da steht, worum es uns geht." Die drei Punkte sind vier Sätze, und ...

"Lesen Sie sich doch die drei Punkte durch", sagt Daniel Kokscht, 19, aus Berlin, "da steht, worum es uns geht." Die drei Punkte sind vier Sätze, und sie lauten: "1. Fans sollen als Teil der Gesellschaft wahrgenommen werden, nicht als gefährliche Randgruppe. 2. Meinungsfreiheit in den Stadien. 3. Preiswerte Stehplätze für Heim- und Auswärtsfans. 4. Eine objektive Darstellung der Fans in den Medien und frühzeitiges Festlegen der Spieltage." Daniel Kokscht ist Fan des Fußballclubs Hertha BSC und Pressesprecher einer ganz neuartigen Demonstration. Etwa 1.000 junge und sehr überwiegend männliche Fußballfans versammelten sich am vergangenen Samstag da, wo üblicherweise der Wochenendeinkauf stattfindet, am Berliner Alexanderplatz. Sie wollen Teil der Gesellschaft sein, doch da, wo sie sind, inmitten der Plastiktüten tragenden Kleinfamilie, gehören sie nicht so recht hin. Auf einem T-Shirt steht: "Ich lebe und sterbe für den SV Werder Bremen". Andere Fans geben sich lustig wie Kegelvereine auffem Vatertag: "Hansa-Fanclub Berliner Fischköppe" oder "Spree-Borussen", wieder andere versuchen es martialisch: "Blue White Shark Attack - Schalke Fanclub Dresden".
Eine gemeinsame Demonstration von Fans aller Fußballclubs hat es noch nie gegeben, sagen die Veranstalter, und zumindest eine solche Demo mit solchen Fans gab es wirklich noch nie. "Ultras" heißen sie in der Sprache der Fußballfans, die Polizei nennt sie "gewaltbereit", und die Vereine belegen sie oft mit Stadionverbot. So ganz glauben sie selber nicht, dass sie Teil der Gesellschaft sind. "Verzichtet auf Alkohol und andere Spaßmacher", ruft Dured Rifai, auch er Fan von Hertha BSC und Mitveranstalter der Demo, ins Mikro. "Waffen jeglicher Art sind verboten. Ich denke, Ihr könnt Euch für den Verlauf dieser Demonstration zusammenreißen!" Eine Fahne, die geschwungen wird, zeigt zu dem Spruch "Der Sieg ist unser" einen gemalten Fan des Karlsruher SC, der verdammt aussieht wie Osama Bin Laden. "Nein, der ist das mit Sicherheit nicht", sagt der Fahnenträger, ein dicklicher, harmloser junger Mann mit Pickeln und badischem Dialekt, "das ist ein normaler Fan". Was aussehe wie Bin Ladens Vollbart, sei doch nur der Fanschal des KSC, ums Kinn geschwungen. Ungewollt provoziert - so was passiert Fans oft. Bei einem normalen Bundesligaspiel kommt es in der Regel zu mehr Festnahmen als beim Berliner Ersten Mai in Kreuzberg. "Wir haben komplett die Schnauze voll", erklärt Pressesprecher Daniel Kokscht. "Die Darstellung in den Medien ist für den Arsch."
Die Frage nach dem besonderen Anlass, der erstmals in der deutschen Fußballgeschichte so viele Fans unterschiedlicher Vereine anreisen lässt, hält er damit für beantwortet. Auch ein Beobachter des linken Fan-Bündnisses BAFF, der sich die Demo anschaut und dessen Gruppe "ein bisschen mit Infrastruktur geholfen" hat, meint: "Es haben schon so viele Leute Stadionverbot, jetzt haben sie die Schnauze voll. Das reicht doch wohl als Anlass." Auch das Flugblatt, das Pressesprecher Kokscht - "da steht doch alles" - verteilt, wird nicht so richtig konkret: "Fans werden wie Verbrecher behandelt", heißt es da, und: "Fans werden permanent überwacht". "Medien berichten einseitig", ist zu lesen, und dass Kritik "unterdrückt oder gar verboten" wird, gehört auch zu den Erfahrungen der Fans. "Tradition statt Kommerz", steht auf ihren Transparenten und "Für den Erhalt der Fankultur". Einer redet von drohender "Liquidierung", ein anderer lacht und sagt: "So ist es." Am Rande entrollen Fans der rechtsextremen Dortmunder "Borussenfront" ein Transparent, und andere Insignien der Neonaziszene wie Lonsdale-T-Shirts fehlen auch nicht. "Ihr solltet Euch nicht zu irgendwelchen politischen Äußerungen hinreißen lassen", ruft Veranstalter Dured Rifai wieder ins Mikrofon. Damit nichts schief geht, hat er zwei Anwälte gebeten, den Zug zu begleiten. "Die meisten hier sind ja demounerfahren", sagt er zur Begründung. Ihr öffentlicher Raum ist das Fußballstadion, doch das wird ein immer teureres Vergnügen. Die Vereine kalkulieren kaum noch mit den zahlenden Fans, sondern mehr mit Fernsehgeldern.
In der Fußgängerzone, wenn sie sich zur Demo auf dem Alex versammeln, wirken sie merkwürdig deplatziert. Am Rande verteilt ein kräftiger Mann mit Hosenträgern und Mecki-Haarschnitt die Flugblätter mit den drei Punkten. Ein paar Passanten bleiben tatsächlich stehen, lesen es sich durch und lassen sich von ihm mit dem Finger zeigen, wo die ganz wichtigen Sätze stehen. "Fans sollen als Teil der Gesellschaft wahrgenommen werden, nicht als gefährliche Randgruppe." Dabei schauen die Passanten auf die Dosenbier trinkenden Jungmänner, sie sich mit markantem Handschlag begrüßen und dabei freundlich rülpsen.

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