Formsache

Linksbündig Wie in der "Gnadendebatte" Selbstverständlichkeiten aufgekündigt werden

Man sollte nicht so tun, als ginge es um die RAF, wenn sich gegenwärtig in deutschen Leitartikeln und deutschen Feuilletons die Finger wund geschrieben werden, was denn mit Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar zu geschehen habe. Die RAF und ihr Terror sind nämlich vorbei, politisch und juristisch abgeschlossen, die Gruppe hat sich aufgelöst, ihre Mitglieder sind abgeurteilt, und an Büchern und Talkshows zum Thema mangelt es auch nicht. Es geht ja schließlich auch nicht um die APO, deren Verfallsprodukt die RAF ja war, wenn gegenwärtig alle Welt ein Interview mit Uschi Obermaier wünscht.

Was mit dreißigjähriger Verspätung als vermeintliche RAF-Debatte daherkommt, ist, ginge es um die Sache, viel zu einfach, als dass man darüber streiten könnte. Frau Mohnhaupt sitzt seit 24 Jahren in Haft, ihre Freilassung ist bloße Formsache; Herr Klar sitzt gleichfalls seit 24 Jahren in Haft, käme er in zwei Jahren raus, wäre seine Freilassung auch bloße Formalie, aber da er selbst um Gnade bittet und es einige Stimmen gibt, die die banale rhetorische Frage stellen, wer denn noch etwas von weiteren zwei Haftjahren von Klar habe, wird gestritten.

Um herauszufinden, um was es in diesem Streit wirklich geht, muss man gar nicht mal so lange in diese Debatte hineinhören. Der im Allgemeinen als eher besonnen geltende Berliner Publizist Harald Martenstein schreibt im Tagesspiegel: "Einige RAF-Täter verhalten sich exakt so, wie sich auch die meisten NS-Täter verhalten haben, uneinsichtig und selbstgerecht bis zuletzt." Selbstverständlich, und das weiß auch Martenstein, hat alles, was Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar in ihrem Leben an Verbrecherischem begangen haben (was, ehe es zu Missverständnissen kommt, nicht wenig ist), nicht annähernd die Dimension des Anteils am Menschheitsverbrechen Holocaust, den beispielsweise Hitlers Rüstungsminister, Albert Speer, und der Führer der Hitler-Jugend, Baldur von Schirach, haben. Dass diese zwei Herren im Jahr 1967, 20 Jahre nach ihrer Verurteilung und 22 Jahre, nachdem die sich militärisch zusammengeschlossen habende Weltgemeinschaft endlich ihrem Völkermordprojekt ein Ende setzen konnte, als wohlhabende Männer das Gefängnis verlassen und in den Schoß ihrer Familie zurückkehren konnten, ist Realität. Dass 1967 eine nennenswerte und auffällig werdende Zahl deutscher Intellektueller gerne die Freilassung der NS-Verbrecher wenigstens an deren Reue und Einsicht gekoppelt gesehen hätte, lässt sich hingegen nicht gerade behaupten.

Aber mit heutiger bundesdeutscher Realität hat das alles nichts zu tun: Nicht einmal auf das Ende der Haftstrafe für Mohnhaupt mag sich die Gesellschaft halbwegs einigen (geschweige denn die für Klar), von einer materiell und sozial halbwegs abgesicherten Zukunft der Beiden nicht zu reden. Wenn sie raus sind und Hartz IV beziehen, kann man auf die Schlagzeile, dass die Staatsfeinde von einst jetzt von Staatskohle leben, schon jetzt wetten.

Halbwegs sicher geglaubte Standards werden gerade aufgekündigt, und selbst nach dreißig Jahren kann man noch, wie in den Siebzigern, von den Nutznießern des Terrors sprechen. Wenn am vergangenen Sonntag in der Christiansen-Sendung der ARD beispielsweise einzig Gerhart Baum, der ab 1978 als Innenminister zu den von der RAF arg gehassten und bedrohten Personen gezählt wurde, noch das Grundgesetz verteidigt, und alle anderen auf ihn eindreschen, ahnt man die Qualität des Rollbacks.

Beziehungsweise: Man könnte sie ahnen. Dass aber die RAF, sprich die einzig im öffentlichen Diskurs noch als RAF geltenden Einzelpersonen Mohnhaupt und Klar (dass sie ein gesellschaftliches Phänomen war, das sogar die Tumbesten anerkannten, wenn sie vom "Sympathisantensumpf" sprachen, ist heute vergessen) das nicht mal erahnen, braucht niemand zu irritieren. Wenn Klar andeutet, er sei zur Reue bereit, wenn sein Gnadengesuch positiv beschieden würde, dann lebt er immer noch in der von Omnipotenzphantasien zugebauten Wahnwelt, er sei ein Kriegsgefangener, seine "Armeefraktion" führe auf Augenhöhe einen Krieg mit dem Staat BRD, und die Funktionäre des Staates akzeptierten diesen Sachverhalt.

Eine Freilassung wäre vielleicht ein Schritt in die Richtung, dass Klar langsam die Welt versteht, die er bekämpft. Aber vermutlich ist das ja der Zweck der Schreierei, die sich Debatte nennt: die Welt nicht zu verstehen.


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